Noch vor Neuwahlen
18. November 2024 |
JF-Online |
Nach dem Abtreibungsentwurf kommt nun ein Gesetzesentwurf zur Organspende. Wer nicht ausdrücklich widerspricht, wird zum Zwangs-Organspender. Union und Linkspartei kooperieren nun ganz offen.
BERLIN. Rund 220 Bundestagsabgeordnete haben einen fraktionsübergreifenden Gesetzesentwurf zur Organspende vorgelegt. Das Papier sieht vor, die Widerspruchsregelung einzuführen, nach der jeder zum Organspender wird, der nicht explizit widerspricht. Demnach müsse ein Widerspruch „verläßlich und jederzeit auffindbar“ sein, wodurch das Selbstbestimmungsrecht garantiert werde. Dies solle durch das Register für Organspende sichergestellt werden.
Der Wille der Angehörigen spiele dabei keine Rolle, sie würden jedoch über den Willen des Organspenders befragt werden. „Zur Klärung der Spendebereitschaft ist die oder der nächste Angehörige jedoch darüber zu befragen, ob ihr oder ihm ein schriftlicher Widerspruch oder ein der Organ- oder Gewebeentnahme entgegenstehender Wille der möglichen Organ- oder Gewebespenderin oder des möglichen Organ- oder Gewebespenders bekannt ist“, heißt es im Entwurf.
Eine weitere Ausnahme soll es im Fall geben, daß der Organspender nicht entscheidungsfähig ist. Hierbei sei es bei einer Unfähigkeit zur Einwilligung in einem „erheblichen Zeitraum vor der Feststellung des Todes“ nicht mehr erlaubt Organe zu entnehmen. Bei einem „kurzen Zeitraum“ hingegen ginge dies. Was unter erheblich und kurz verstanden wird, ist nicht genauer definiert. „Insgesamt tragen die Regelungen damit sowohl zur Entlastung der nächsten Angehörigen, denen nicht wie bisher zugemutet wird, in einer so belastenden Situation eine derart schwere Entscheidung zu treffen, als auch zur Entlastung der Ärztinnen und Ärzte bei“, heißt es weiter.
Anlaß für die geplante Gesetzesänderung ist laut Entwurf der Mangel an Spendeorganen, trotz steigender Zahlen. Während es 2022 lediglich 869 Organspender gab, wurden dieses Jahr von 965 verstorbenen Organe gespendet – ein Zehn-Jahres-Hoch. Dies ist ein Anstieg von circa elf Prozent.
Anlaß für die geplante Gesetzesänderung ist laut Entwurf der Mangel an Spendeorganen. Momentan stünden deutschlandweit 8.400 Patienten auf der Warteliste: „Die Anzahl von Organspenderinnen und Organspendern reicht damit nach wie vor bei weitem nicht aus, um den Bedarf an Spenderorganen zu decken.“ Als weiterer Grund für den Entwurf wird die hohe Spendebereitschaft in der deutschen Bevölkerung angeführt. Zwar stünden ca. 84 Prozent der deutschen Bevölkerung einer Spende positiv gegenüber, vorherige Änderungen hätten aber „bisher bedauerlicherweise nicht zu der angestrebten substanziellen Verbesserung der Organspendezahlen in Deutschland geführt“.
Unter anderem beteiligten sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Karl Lauterbach (SPD) sowie Gregor Gysi (Linkspartei) an dem Entwurf. Auch CDU-Abgeordnete, unter anderem der ehemalige Gesundheitsminister Jens Spahn, beteiligten sich trotz des Unvereinbarkeitsbeschlusses zur Linkspartei an der Abstimmung. Laut diesem ist eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei ausgeschlossen.
Bereits 2020 stimmte der Bundestag über einen ähnlichen Entwurf ab. Dieser bekam allerdings nur 43 Prozent Zustimmung. Damals hatte Spahn, der den Entwurf unterstützte, diesen als „einen nicht geringen Eingriff des Staates in die Freiheit des Einzelnen“ bezeichnet. Letztendlich setzte sich mit 65 Prozent der Stimmen der Gegenentwurf durch, laut dem eine aktive Zustimmung nötig ist. (JF)
von Miriam Hollstein
15. November 2024
Noch gibt es keine Widerspruchslösung für Organspenden in Deutschland. Der in Barcelona tätige deutsche Nephrologe Fritz Diekmann erklärt, warum er sie für notwendig hält.
An diesem Freitag entscheidet sich, ob es noch in dieser Legislatur einen neuen Anlauf für die sogenannte Widerspruchslösung geben wird, bei der man einer Organspende aktiv widersprechen muss. Der deutsche Nephrologe Fritz Diekmann leitet eines der größten Nieren-Transplantationszentren Europas an der Universität Barcelona. Im vergangenen Jahr wurden dort 230 Nieren transplantiert.
In Deutschland warten rund 8500 Menschen auf eine Organspende. Zwei bis drei sterben täglich, weil es nicht genügend Organe gibt. Nun haben mehrere Bundesländer und eine Gruppe von Bundestagsabgeordneten einen neuen Anlauf für die Widerspruchslösung gestartet. Diese sieht vor, dass im Falle eines Todes Organe entnommen werden dürfen – wenn zu Lebzeiten nicht widersprochen wurde. Wie sinnvoll ist das?Ich bin da natürlich parteiisch. Als Arzt bin ich auf Seiten meiner Patienten und Patientinnen. Sie alle haben Nieren, deren Funktion zum Leben nicht mehr ausreicht. Aus meiner Sicht ist die Widerspruchslösung sinnvoll, weil sich gezeigt hat, dass mit Ausnahme der Vereinigten Staaten von Amerika die Länder mit den höchsten Organspende-Raten alle die Widerspruchslösung haben.
Statistisch lässt sich nicht belegen, dass die Widerspruchslösung die Zahl der Organspenden erhöht. Für eine Studie von 2019 wurden 17 OECD-Länder mit Widerspruchslösung mit 18 OECD-Ländern mit der auch in Deutschland geltenden Regelung, selbst aktiv zustimmen zu müssen, verglichen. Ergebnis: Es gab bei den Organspenden keinen signifikanten Unterschied.Da müsste man sich mal die Methodik näher anschauen. Es ist aber ein Fakt, dass in Europa die zehn Länder mit den höchsten Organspenderraten alle die Widerspruchslösung haben. Auch Spanien.
Spanien hatte 2023 eine viermal höhere Spendenquote als Deutschland. Das kann doch nicht nur an der Widerspruchslösung liegen?Der gesetzliche Rahmen alleine führt nicht zu einem funktionierenden System der Organspende. Die Widerspruchslösung ist eine Art Zielvorgabe. Die Gesellschaft drückt damit aus, was sinnvoll und erwünscht ist. In Deutschland herrscht eher die Haltung: Die Organspende ist eine sehr persönliche Entscheidung, und da darf man niemanden beeinflussen.
Was halten Sie daran für falsch?Es geht hier um Menschen, die ohne Organtransplantation entweder eine sehr schlechte Lebensqualität haben oder sogar sterben. Sie sind in höchster Not. Eine Gesellschaft hat die Pflicht, diese Not zu wenden. Das geht nur mit der Organspende. Deshalb muss sich Deutschland neu definieren. Die Widerspruchslösung sollte fester Teil dieser Definition sein.
Kritiker sagen, die Widerspruchslösung widerspreche dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit.Die Widerspruchslösung nimmt niemandem das Recht, eine Entscheidung zu treffen. Nochmal: Es geht hier um Not. Menschen sterben gegen ihren Willen, wenn sie nicht das notwendige Organ bekommen. Und da kann man von dem erwachsenen, aufgeklärten Bürger erwarten, eine Entscheidung zu treffen. Außerdem gibt es harte und weiche Widerspruchslösungen.
Was ist darunter zu verstehen?In Spanien haben die wenigsten Menschen einen Organspendeausweis. Obwohl das gesetzlich nicht vorgeschrieben ist, werden immer die Angehörigen gefragt, ob sie mit der Organspende einverstanden sind. Wenn die Familie "Nein" sagt und der Verstorbene sich zu Lebzeiten nie geäußert hat, wird die Organentnahme nicht durchgeführt, obwohl dies rechtlich möglich wäre.
Auch in Deutschland wird die Familie gefragt.Ja, aber die Frage wird anders gestellt. In Deutschland wird gefragt: Hat der oder die Verstorbene zu Lebzeiten den Willen geäußert, Organspender zu sein? In Spanien wird gefragt: Hat der oder die Verstorbene zu Lebzeiten gesagt, er oder sie möchte nicht Organspender sein?
Warum sind die Spanier als Gesellschaft viel eher bereit, ein Organ zu spenden?Weil sie mit dem Thema Organspende viel positivere Assoziationen haben. In Spanien heißt Organspende, dass man Leben rettet, wenn das eigene unrettbar verloren ist. Das hat auch etwas mit Vertrauen und Information zu tun. Die Einführung der Widerspruchslösung führt unzweifelhaft zu einer gesellschaftlichen Diskussion. Und dazu, dass sich die Praxis und die Organisation der Organspende verbessern wird. Denn bei der Organisation von Organspenden versagt Deutschland.
Ein hartes Urteil. Inwiefern Versagen?Bei der Organspende ist ganz wichtig, potenzielle Organspender zu identifizieren. Also, Menschen, die "hirntot" sind und für eine Spende infrage kommen. Damit diese dann auch zu Spendern werden, sind viele organisatorische Schritte notwendig. Man muss die verstorbene Person in einem Zustand halten, dass eine Organentnahme möglich ist. Das ist mindestens genauso kompliziert, wie einen lebenden, kritisch kranken Menschen auf einer Intensivstation zu behandeln. Diesen Aufwand muss eine Klinik auch übernehmen. Und dann muss mit der Familie des potenziellen Organspenders gesprochen werden, in einer Situation, in der diese der höchsten emotionalen Belastung ausgesetzt ist. Darauf sind viele deutsche Kliniken nicht ausreichend vorbereitet.
Was müsste passieren, damit sich das verbessert?Aus meiner Sicht brauchen wir eine Aufmerksamkeitskampagne in den Kliniken. Organspenden müssen zu einer Priorität werden. Auch hier würde die Widerspruchslösung weiterhelfen. Dann könnte man messen, wie viele Intensivbetten und wie viele Verstorbene eine Klinik einerseits zu verzeichnen hat und wie viele Organspender andererseits. Wenn eine Klinik dann weiter unter der durchschnittlichen Zahl von Organspenden läge, könnte man prüfen, woran es liegt und ob etwas strukturell verbessert werden muss.
Aber schadet das nicht dem Vertrauen in die Organspende? Wenn Kliniken Zielvorgaben haben, wie viele Organspenden sie am Ende des Jahres vorweisen müssen?Inwiefern?
Kann ich dann noch sicher sein, dass die Klinik alles dafür tut, mein Leben zu retten? Oder dass sie mich, wenn ohnehin wenig Hoffnung besteht, sterben lässt, weil sie noch einen Organspender braucht? Das kann man ausschließen. Unser Gesundheitssystem ist darauf ausgerichtet, Leben zu retten. Deutsche Kliniken unterschreiben, dass sie alles Notwendige für die Erhaltung von Leben tun. In der Praxis bedeutet das oft, dass auf Intensivstationen noch alles Mögliche probiert wird, obwohl man längst weiß, dass dieses Leben nicht mehr gerettet werden kann. Kein Mensch wird in einer Klinik sterben, weil man seine Organe braucht. Im Gegenteil: Die technische Ausstattung von Intensivstationen wird noch besser werden, wenn sie noch besser auf Organspenden eingestellt sind. Davon profitieren am Ende alle.
Nicht hilfreich für das Vertrauen sind auch Berichte wie jener aus den USA, wo ein Mann, bei dem bereits der Hirntod festgestellt wurde, kurz vor der Organentnahme wieder erwachte. Dort, wo gearbeitet wird, passieren Fehler. Solche Fälle sind aber absolute Ausnahmen, ich habe in meiner langjährigen klinischen Erfahrung keinen einzigen derartigen Fall erlebt. Ein hirntoter Mensch ist tot, der wacht nicht wieder auf. Aus meiner Sicht werden solche dramatischen Einzelfälle genutzt, um das System zu diskreditieren. Aber damit verhält es sich wie mit anderen falschen medizinischen Entscheidungen, wo Menschen zu Schaden kommen. Es wird sie immer wieder geben, daran wird weder die eine noch die andere gesetzliche Regelung etwas ändern.
In Deutschland wird derzeit nicht nur die Widerspruchslösung diskutiert. Aus der FDP kam die Forderung, Organspenden auch nach dem Herz-Kreislauf-Tod zuzulassen, sogenannte DCD-Spenden (Donation after cardiocirculatory death). Dies ist bislang nur nach dem festgestellten Hirntod möglich. Wird hier Tod neu definiert?Ich bin kein Ethiker. Aus medizinischer Sicht ist der Tod das Ende des Lebens. Das gilt für den Hirntod genauso wie für den irreversiblen Herz-Kreislauf-Tod. Ich glaube, dass bei dieser Diskussion Konzepte verwechselt werden. Man muss den sekundenlangen Herzstillstand im Rahmen einer Wiederbelebungsmaßnahme trennen von dem Herzstillstand als Todeszeichen. In Spanien, wo wie in vielen anderen Ländern DCD bereits möglich ist, gibt es eine sogenannte "No touch time" von fünf Minuten nach einem festgestellten Herz-Kreislauf-Stillstand. In dieser Zeit wird der Patient beobachtet, aber nicht berührt. In manchen Ländern ist die Zeit länger. Aber es ist unmöglich, bei Raumtemperatur eine fehlende Zirkulation des Blutes von fünf Minuten zu überleben.
Aber würde das Herz-Kreislauf-Tod-Kriterium wirklich helfen, die Zahl der Organspenden signifikant zu erhöhen?Ja. In unserer Klinik stammen fast 50 Prozent der Nierenspenden von Menschen, bei denen der Tod auf diese Weise festgestellt wurde. Und noch etwas anderes: Wer in Deutschland Organspender werden will, kann dies nur, wenn bei ihm im Krankenhaus zuvor der Hirntod festgestellt wurde. Sonst sind seine Organe verloren. Mit DCD können auch einige Organe transplantiert werden von Verstorbenen, die mit der geltenden gesetzlichen Regelung in Deutschland nicht zur Verfügung stehen. Das würde dazu beitragen, dass mehr Menschen gerettet werden.
Menschliches Gewebe aus dem 3D-Drucker soll Engpässe bei Organspenden beseitigen und Tierversuche überflüssig machen. Allerdings gibt es Hürden – und auch die Finanzierung ist aufwendig.Tom Schmidtgen 12.11.2024 -
Berlin. Das Gerät sieht unscheinbar aus. Eine Werkbank mit Glasscheibe, ein eckiger, weißer Kasten und vier Schalen – das ist der 3D-Drucker von Cellbricks. Das Berliner Start-up hat ihn selbst entwickelt und weltweit patentieren lassen.
Doch der Drucker hat es in sich. Er arbeitet im Gegensatz zu herkömmlichen Varianten nicht mit einem beweglichen Druckkopf, sondern mit Licht.
Als Ausgangsmaterial kommt sogenannte Biotinte zum Einsatz, bestehend aus Gelatine und menschlichen Zellen. Sie wird in eine der Schalen gegeben und von unten mit einem Projektor belichtet. Wo das Licht das Material trifft, erstarrt dieses. So lässt sich Schicht für Schicht menschliches Gewebe oder sogar ein Organ mit Blutgefäßen erzeugen.
Im Probelauf entsteht ein parabelförmiges, milchiges Gewebe, das sich anfühlt wie ein Gummibärchen. Darin ist eine adrige Struktur zu erkennen.
Nach kurzer Zeit im Inkubator bilden sich im gedruckten Gewebe kleine Gefäße. Kapillaren, die die kleinste Zelle mit Blut und Nährstoffen versorgen können. Ein wichtiger Schritt, damit das Gewebe überlebt.
Cellbricks-CEO Alexander Leutner ist zuversichtlich für den Praxiseinsatz des als Bioprinting bezeichneten Verfahrens. „Vollwertigen Organersatz aus dem Bio-3D-Drucker werden wir bald erleben – für unsere Kinder könnte es dann zum Standard werden“, sagt er. Vielen Patienten kann geholfen werden.
So warten allein in Deutschland etwa 8500 Menschen auf ein Spenderorgan – im Schnitt acht bis neun Jahre dauert es beispielsweise, bis sie eine Niere erhalten. Künstlich gezüchtete Organe wären eine Möglichkeit, den Engpass bei Organspenden zu verringern.
Leutner ist gelernter Maschinenbauer und gründete 2012 das Unternehmen Apodius, das auf Messlösungen für Faserverbundwerkstoffe spezialisiert war. Anschließend arbeitete er für die schwedische Hexagon, die Apodius übernommen hatte. Zu Cellbricks stieß er, nachdem sein Bruder eine Nierenspende von ihm benötigte. „Das hat mich zum Nachdenken angeregt, was ich eigentlich erreichen will“, sagt Leutner.
2021 wechselte er als CEO zu Cellbricks mit dem Ziel, der Knappheit bei Spenderorganen etwas entgegenzusetzen. „Es gibt bisher keine Alternative zur Organspende, aber wir werden sie finden“, sagt Leutner.
Beim Bioprinting gibt es schon einige Erfolge. 2019 gelang es israelischen Wissenschaftlern etwa, ein ‧Miniherz mit Zellgewebe und Blutgefäßen zu erzeugen. Funktionsfähig war das Herz aber nicht. Hier liegt die größte Herausforderung. Denn drucken lässt sich so gut wie alles.
Doch die Zellen müssen zusammenspielen und ihre Aufgabe erfüllen. Ein künstliches Herz muss schlagen, eine künstliche Leber Gifte aus dem Blut filtern. Derzeit ist Bioprinting sehr kostspielig und vor allem auf Forschungslabore beschränkt. Ein passender 3D-Drucker kostet schnell Zehntausende Euro.
Doch ein Wissenschaftler aus München will das Drucken kostengünstiger machen. Benedikt Kaufmann von der Hochschule München hat in seiner Doktorarbeit einen handelsüblichen 3D-Drucker so umgebaut, dass sich damit auch Biotinten verdrucken lassen. „Die größte Hürde war, eine stabile Umgebung für die Zellen zu schaffen“, erklärt Kaufmann.
Um das zu erreichen, hat er Heizfolien an das Gerät geklebt. Ein Mikrocontroller steuert die Temperatur auf konstante 37 Grad, die Luftfeuchtigkeit wird durch wassergetränkten Zellstoff auf mehr als 90 Prozent erhöht. Den Bauplan hat Kaufmann kostenlos ins Internet gestellt – knapp 500 Euro kosten die Einzelteile in Summe.
Kaufmann will die Technik in die Breite bringen – Bioprinting soll in mehr Laboren zur Verfügung stehen. Ein Ziel ist, auch medizinische Tierversuche zu ersetzen. An gedruckten Organen oder Geweben könnten Medikamente sogar zuverlässiger getestet werden.
Die Forschung zeigt aktuell, dass viele klinische Studien scheitern, weil Medikamente an Tieren anschlagen– beim Menschen aber nicht. Mit 3D-Druckern ließen sich beispielsweise Tumorzellen auf natürliches Ge‧webe aufdrucken. So wäre es wesentlich einfacher zu erforschen, welche Medikamente die Krebsausbreitung stoppen.
An den Biotinten und deren Zusammensetzung forscht Achim Weber am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB in Stuttgart. „Biotinten müssen biokompatibel sein, den Druckprozess überstehen – und die Zellen müssen den Prozess überleben“, erläutert er. Zudem muss das Gewebe die richtige Steife haben.
Weber testet, welches Material sich dafür am besten eignet. Aktuell druckt er viel mit modifizierter Gelatine oder Collagen. Die Proteine sind quasi das Gerüst, an dem die Zellen beim Druck befestigt werden. Geeignet sind vor allem Stammzellen, weil sie sich beispielsweise zu Herz- oder Leberzellen entwickeln können.
Weber arbeitet in einem EU-geförderten Projekt mit dem spanischen Spitzenklub FC Barcelona zusammen. Es geht darum, Knorpel, Bänder und Sehnen zu drucken. Profifußballer belasten die Gelenke stark. Der FC Barcelona will seinen Spielern bei Verletzungen schneller und effektiver helfen.
„Der Einbau von Zellen in den Körper wäre ein Gamechanger bei den Heilungschancen“, sagt Weber. Aktuell müsse er aber eher bremsen. „Das Schwierigste ist es, die Erwartungshaltung der Ärzte zu erfüllen.“ Es wird aktuell noch erforscht, wie effektiv gedruckter Knorpel helfen kann.
„Die Hoffnungen von Bioprinting sind, ein individualisiertes Produkt anbieten zu können“, sagt Weber. Aber das sei gleichzeitig ein Problem. Denn die Zulassungen für individuelle Medizinprodukte sind in der EU sehr streng. Es müssen im Prinzip für jedes individuelle Produkt einzeln Tests gemacht werden. „Da muss sich etwas in der Zulassung tun“, sagt Weber. Er geht davon aus, dass viele Unternehmen und die Arbeitsplätze abwandern werden, vor allem weil die Zulassung bei der amerikanischen FDA einfacher ist.
Cellbricks hat zwei Entwicklungszweige. Das Start-up arbeitet an Fettgewebe für die Brustrekonstruktion nach einer Krebserkrankung. Es basiert auf Zellen von Patientinnen und kann als Alternative für Silikonimplantate eingesetzt werden. Zudem entwickelt Cellbricks implantierbares Lebergewebe. Das Unternehmen kann bereits Erfolge im Labor und an Kleintieren vorweisen.
Im kommenden Jahr stehen weitere Tierstudien an. Klinische Studien am Menschen sollen laut Leutner „zeitnah folgen“. Dafür braucht das Start-up frisches Geld. Bisher finanziert es sich über Risikokapital und Forschungsgelder. Für die weiteren Schritte will das Start-up mit einem Partner aus der Pharmabranche und weiteren Investoren zusammenarbeiten.
Leutner knüpft aktuell Kontakte in die USA. „In der Forschung sind wir in Deutschland hervorragend aufgestellt, aber bei der Überführung in die Praxis müssen wir sehr schnell sehr viel besser werden. Andernfalls laufen wir Gefahr, unseren Anschluss an die Weltspitze vollends zu verspielen.“
DIATRA
11. Nov. 2024
Letzte Woche berichteten die Medien, dass ein Gesetzentwurf gegen die Einführung der Widerspruchsregelung auf dem Weg ist. Eine Gruppe um den CSU-Gesundheitspolitiker Stephan Pilsinger (u. a. Kirsten Kappert-Gonther [Grüne], Lars Castellucci [SPD], Hermann Gröhe [CDU], Katrin Helling-Plahr [FDP] und Kathrin Vogler [Linkspartei]) stellte erste Eckpunkte für ihren Gesetzentwurf vor.
Im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte Pilsinger, es gebe „keinerlei wissenschaftliche Beweise dafür, dass die Widerspruchslösung zu mehr Organspenden führt“. Deshalb würden manche Bürger:innen eine Einführung der Widerspruchsregelung bei der Organspende als „übergriffig“ empfinden. Vielmehr müsse das Augenmerk auf organisatorische Verbesserungen in den Entnahmekrankenhäusern gelegt werden, denn dort gebe es ein „strukturelles Versagen“. Außerdem will die Gruppe die Eintragung in das im März 2024 gestartete Organspenderegister vorantreiben. Außerdem sieht der Entwurf vor, dass Ärzt:innen und Apotheker:innen ein Extra-Honorar für die Unterstützung von Interessierten beim Eintrag in das Register erhalten.
Am 7. November 2024 hat der Bundestag bzw. der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Edgar Franke Fragen aus der Fragestunde beantwortet, unter anderem auch die Fragen von Dr. Stephan Pilsinger zum Thema Organspende:
Frage 39Frage des Abgeordneten Dr. Stephan Pilsinger (CDU/ CSU): Welche evidenzbasierten, auf wissenschaftlichen Grundlagen beruhenden Studien sind der Bundesregierung bekannt, die belegen, dass die gesetzliche Einführung einer Widerspruchsregelung bei der Organspende zu einer signifikanten Steigerung der Organspenden bzw. der Organtransplantationen führen könnte (bitte die bekannten Studien konkret aufführen), und wenn der Bundesregierung hierzu keine wissenschaftlichen Studien bekannt sind, welche über die derzeit im deutschen Transplantationsrecht geltenden Vorschriften und Maßnahmen hinausgehenden Maßnahmen könnten nach Auffassung der Bundesregierung zu einer solchen signifikanten Steigerung führen?
Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Edgar Franke: Bei der Frage, ob eine Widerspruchsregelung eingeführt werden soll, handelt es sich um eine ethische Frage, die nicht von der Bundesregierung, sondern als Gewissensentscheidung von den einzelnen Abgeordneten und somit aus der Mitte des Deutschen Bundestages zu beantworten ist. Daher wird mit Blick auf eine sich abzeichnende Debatte und einen sich daran anschließenden Meinungsbildungsprozess im Deutschen Bundestag auf eine inhaltliche Bewertung der wissenschaftlichen Grundlagen einer etwaigen Gesetzesänderung verzichtet.
Frage 40Frage des Abgeordneten Dr. Stephan Pilsinger (CDU/ CSU): Sieht die Bundesregierung mit Blick auf die in meinen Augen hohen Qualitätsanforderungen zur Erteilung der entsprechenden Leistungsgruppen gemäß dem Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) die Möglichkeit einer sinkenden Zahl an Entnahmekrankenhäusern gemäß § 9a des Transplantationsgesetzes, die laut der Deutschen Stiftung Organspende heute bei etwa 1 200 liegt (vergleiche
https://dso.de/organspende/fachinformationen/informationen-f%C3%BCr-transplantationsbeauftragte-und-krankenhausverwaltungen/entnahmekrankenh%C3%A4user), und wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass die Zahl der Entnahmekrankenhäuser oder wenigstens die Zahl der Organentnahmen infolge des KHVVG nicht sinkt?
Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Edgar Franke: Ein zentrales Ziel der Krankenhausreform ist die Sicherung und Steigerung der Behandlungsqualität. Zu diesem Zweck sollen mit dem Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) Leistungsgruppen mit bundesweit einheitlichen Qualitätskriterien eingeführt werden. Hierbei handelt es sich um Mindestanforderungen an die Strukturqualität in Krankenhäusern, durch die eine qualitativ hochwertige Versorgung gewährleistet werden soll. Qualitätskriterien können unter bestimmten Voraussetzungen auch in Kooperation erfüllt werden, sodass zum Beispiel „verwandte Leistungsgruppen“ nicht zwingend am Krankenhausstandort vorgehalten werden müssen. Auch Vorgaben für die erforderliche personelle Ausstattung können unter bestimmten Voraussetzungen in Kooperation erfüllt werden. Etwaige Einschätzungen zu den konkreten Auswirkungen der Einführung einzelner Leistungsgruppen sind derzeit noch nicht abschließend möglich. Die Zahl der Organentnahmen steht in Zusammenhang mit vielen unterschiedlichen Faktoren. Die Organspendebereitschaft und ihre Dokumentation ist der entscheidende Faktor für die Zahl der Organentnahmen. Eine hohe Qualität in der transplantationsmedizinischen Versorgung kann dazu beitragen, das Vertrauen in die Transplantationsmedizin zu stärken und die Organspendebereitschaft zu fördern. Mit Blick auf die gegenwärtige Zahl der Entnahmekrankenhäuser hat diese als Faktor für die Zahl der Organentnahmen begrenztes Gewicht. Die Weiterentwicklung von Struktur- und Prozessqualität kann zusätzlich dazu beitragen, die Situation zu verbessern. Hierbei kommt den Transplantationsbeauftragten weiterhin eine wichtige Rolle zu.
https://diatra.de/articles/2024/11/11/bundestag-reagiert-
auf-fragen-von-pilsinger
https://dserver.bundestag.de/btp/20/20196.pdf#P.25614
Von Simon Barmann 24.10.2024,
Auf dem Jubiläumskongress der Deutschen Stiftung Organtransplantation wurde mit Ablehnung auf den Vorstoß der FDP reagiert, den Herztod für die Organspende hinzuzuziehen.
Wenn es um Organspende geht, dann kommt man dieser Tage nicht umhin, über den Herz-Kreislauf-Tod zu sprechen. Der politische Vorstoß kam von der FDP, die vergangene Woche den Entwurf eines Positionspapiers zur Berücksichtigung von Herz-Kreislauf-Opfern als potenzielle Organspender an die Presse gegeben hat. Das hatte eine große Aufmerksamkeit nach sich gezogen. Und so bezog auch die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) auf ihrem Jubiläumskongress in Frankfurt am Main dazu Stellung. Axel Rahmel, Medizinischer Vorstand der DSO, begrüßt die Diskussion darüber, hält aber das Vorgehen der FDP nicht für richtig. „Einer solchen Entscheidung muss eine breite öffentliche Debatte vorangehen.“ Weder eine Partei noch der Koordinationsverband DSO sollte da vorpreschen, so Rahmel.
Frank Ulrich Montgomery, ehemaliger Vorsitzender der Deutschen Ärztekammer und Vorsitzender des Stiftungsrats der DSO, wurde noch deutlicher. „Ich finde das Papier im höchsten Maße erschreckend, weil hier ärztliche Kollegen sehr oberflächlich über sehr komplexe Themen reden“, sagte er.
Das durchgestochene Positionspapier kommt maßgeblich aus dem Büro von Andrew Ullmann, FDP-Abgeordneter und Medizinprofessor in Würzburg. Menschen dazu aufzufordern, anzukreuzen, ob der Hirntod oder der Herztod als Kriterium für eine Organspende herangezogen werden soll, sei völlig unverständlich, meinte Montgomery.
Seit Jahren stagnieren die Organspendezahlen in Deutschland auf niedrigem Niveau. Mehr als 8.000 Patienten warten auf eine Transplantation, viel mehr schaffen es gar nicht auf die Warteliste. Und Deutschland erhält seit Jahren über die europäische Koordinationsstelle Eurotransplant mehr Organe, als es selbst zur Verfügung stellt. Im Plenum der Redner auf dem Kongress herrschte deshalb Einigkeit darüber, dass eine Änderung der Organspende-Regelung kommen muss. Sabine Dittmar, Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium und SPD-Bundestagsabgeordnete, verwies auf die Möglichkeit der Widerspruchslösung. „84 Prozent der Menschen stehen der Organspende positiv gegenüber. Wir müssen deshalb am Rädchen der Widerspruchslösung drehen“, sagte sie in ihrer Grußrede zum vierziegjährigen Jubiäum der Deutschen Stiftung Organtransplantation.
In den nächsten Wochen beginnt im Parlament die Orientierungsdebatte zu einem Gruppenantrag, den sie federführend mitinitiiert hatte. In der Vorbereitungsphase darauf hat sich nun vergangene Woche die FDP Gehör verschafft. In dem Entwurf, welcher der F.A.Z. vorliegt, fordert die Fraktion, den Tod nach Herzstillstand als Kriterium für eine Organspende aufzunehmen. Der englische Fachbegriff lautet „Controlled Donation after Circulatory Determination of Death“ (cDCD). Es handelt sich also um die Feststellung des Todes, ausgelöst durch einen Herz-Kreislauf-Stillstand. In vielen europäischen Ländern ist das bereits Praxis, so etwa in Großbritannien, den Niederlanden, Österreich, Belgien, der Schweiz und Spanien.
Im praktischen Alltag dieser Staaten kommen zwei Ursachen für die Organspende in Betracht. Wird ein plötzlicher Kreislaufstillstand festgestellt, so wird alles versucht, den Patienten über eine Reanimation wiederzubeleben. Bleiben diese Versuche erfolglos und hat der Patient verfügt, dass keine lebenserhaltenden Maßnahmen unternommen werden sollen, dann kommt die Organspende nach Herz-Kreislauf-Tod in Betracht. Zweiter Fall: Wird ein Patient wiederum mit einer Herz-Lungen-Maschine künstlich am Leben gehalten, kann ein Abschalten der Maschine ebenfalls die Organspende nach Herz-Kreislauf-Tod zur Folge haben. Die Herz-Lungen-Maschine übernimmt bei einem Funktionsausfall des Herzens die Pumpfunktion. Wenn die Angehörigen einer Spende zustimmen, wird die Herz-Lungen-Maschine abgestellt.
In beiden Fällen folgt eine medizinische Beobachtungszeit nach Feststellung des Herztods. Das Herz pumpt nicht mehr, es fließt also immer weniger sauerstoffreiches Blut durch die Organe. Das kann man durch die Sauerstoffsättigung überwachen. Fällt diese auf unter 70 Prozent, beginnt üblicherweise eine „No-Touch-Phase“, während der keine Interventionen am Patienten unternommen werden. Innerhalb dieser Zeit wird beobachtet, ob das Herz spontan wieder erwacht und erneut zu schlagen beginnt. In sehr seltenen Fällen ist das möglich. Danach gilt es als ausgeschlossen, dass der Patient wieder ins Leben zurückkehrt. Ein damit verbundener Funktionsausfall des Gehirns ist ebenfalls nicht mit dem Leben vereinbar. In diesem Moment wird der Organspendeprozess eingeleitet.
Vorbehalte gegen den Herztod als Einschlusskriterium für eine Organspende kommen von Patientenvertretern wie der Deutschen Stiftung Patientenschutz. Der Kritikpunkt: Beim Hirntod sei der Tod unumkehrbar, das gelte für den Herztod nicht. Die Deutsche Transplantationsgesellschaft hingegen „begrüßt ausdrücklich den Vorschlag“. Das Argument der Befürworter ist, dass der Herztod eine ebenso sichere Todesursache sei wie der Hirntod. Die Herz-Kreislauf-Todesursache in die Organspende einzubeziehen könne zudem die Spenderzahlen deutlich erhöhen.
Axel Rahmel gibt zu bedenken: „In Spanien haben wir 40 Spender pro eine Million Menschen. Das hatten wir aber auch vor der Einführung des Herztodes als Spendeursache.“ Die Spenderzahlen haben sich dort also nicht erhöht. In Großbritannien und der Schweiz wird hingegen von einer Zunahme der Spenderzahlen durch Einführung des Herztodes als Spenderkriterium berichtet. Es sei also nicht so einfach, darauf eine klare Antwort zu finden. „Wir sollten stattdessen jetzt alle Anstrengungen unternehmen, innerhalb unserer Regelungen die Zahlen zu erhöhen“, so Rahmel. Hier sei auch beim Hirntod noch viel Potenzial.
22.10.2024 12:33
Von:Patrick Hannemann
Bislang ist der Hirntod die Voraussetzung für eine Organentnahme bei Patienten. Ein Vorschlag der FDP will das ändern und stößt auf Kritik.
Deutschland hat seit Jahren ein Problem mit zu wenigen Organspenden. Während 2023 nur 965 Menschen nach ihrem Tod Organe spendeten, standen über 8.400 schwerkranke Patienten auf Wartelisten. Derzeit müssen zwei unabhängige Fachärzte den Hirntod eines Patienten bestätigen, damit eine Spende überhaupt infrage kommt.
Die FDP sorgte im Bundestag für Aufsehen, indem sie vorschlägt, den Herztod als zusätzliche Grundlage für die Organspende zuzulassen. Dies könnte die Zahl der Organspenden erhöhen.
Der Hirntod bezeichnet den endgültigen Ausfall aller Hirnfunktionen. Er wird auf Intensivstationen festgestellt, während das Herz nur mithilfe künstlicher Beatmung weiter schlägt. Ohne diese Maßnahmen würde der Kreislauf zusammenbrechen.
Die FDP will nun zusätzlich den Herz-Kreislauf-Stillstand als Kriterium anerkennen, der ebenfalls unumkehrbar sei, so Rechtspolitikerin Katrin Helling-Plahr. Auch der gesundheitspolitische Sprecher der FDP, Andrew Ullmann, argumentiert, dass der Herztod einfacher festzustellen sei als der Hirntod, dessen Diagnose aufwendig und komplex sei.
Kritik an diesem Vorschlag kommt von der Deutschen Stiftung Patientenschutz. Sie wirft der FDP vor, die Unterschiede zwischen Hirntod und Herztod zu verwischen. Während der Hirntod als irreversibel gilt, könnten Menschen mit Herzstillstand in manchen Fällen wiederbelebt werden. Dies mache den Unterschied zwischen beiden Todesarten deutlich, so Stiftungsvorstand Eugen Brysch.
Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) äußerte Bedenken. Er plädiert zwar für die Einführung der Widerspruchslösung, bei der Menschen als Organspender gelten, sofern sie nicht ausdrücklich widersprechen. Dennoch halte er den Hirntod für das sicherste Verfahren zur Feststellung des Todes, da Fehler bei der Diagnose ausgeschlossen seien.
Mit einem weiteren Feld auf dem Organspendeausweis könnte der Herztod inkludiert werden.
Die Frage bleibt, wie lange der Herzstillstand andauern muss, bevor eine Organspende erlaubt ist. Hierzu äußert sich die FDP in ihrem Vorschlag nicht konkret. Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie betont, dass noch zu wenig über den FDP-Vorstoß bekannt sei, um eine fundierte Stellungnahme abzugeben.
Bereits im vergangenen Jahr legte die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) ein Konzept vor, wie eine Organspende nach Herz-Kreislauf-Stillstand ablaufen könnte.
Demnach müsste der Patient vorher entschieden haben, dass er im Falle eines Herzstillstands nicht wiederbelebt werden möchte. Nach dem Herzstillstand würde eine Wartezeit von mindestens fünf Minuten vergehen, bevor der Tod endgültig festgestellt wird und die Organe entnommen werden könnten.
In vielen europäischen Ländern ist die Spende nach einem Herz-Kreislauf-Stillstand und folgendem Hirntod bereits etabliert. Diese sogenannte DCD-Spende (Donation after circulatory death) hat dort den Spenderpool deutlich vergrößert. Laut der Deutschen Transplantationsgesellschaft sollte auch Deutschland diese erprobte Methode einführen, um mehr lebensrettende Organe verfügbar zu machen.
17.10.2024
Streit um Organspende nach Herztod
Transplantationsmediziner Jan Gummert aus Bad Oeynhausen erklärt, wann Organspenden nach dem Herz-Kreislauf-Versagen möglich sind und welche Patienten zu Spendern werden können.
Carolin Nieder- Entgeltmeier
Berlin/Bad Oeynhausen. 8.500 schwerkranke Menschen warten in Deutschland auf ein Spenderorgan. Nicht alle von ihnen werden die Zeit auf der Warteliste überleben, weil zu wenig Spenderorgane zur Verfügung stehen. Deutschland ist im europäischen Vergleich Schlusslicht. Um das nach vielen gescheiterten Reformen zu ändern, will die FDP die Todesdefinition als Voraussetzung für eine Organspende nach dem Vorbild anderer Länder mit höheren Spenderzahlen erweitern. So sollen Verstorbene künftig nicht mehr nur nach dem Hirntod, sondern auch nach dem Tod durch Herz-Kreislauf-Versagen Organe spenden dürfen. Was das bedeutet, erklärt der ärztliche Direktor des Herz- und Diabeteszentrums NRW in Bad Oeynhausen, Jan Gummert.
Wie ist die Organspende in Deutschland geregelt?
Organe dürfen Verstorbenen in Deutschland nur dann entnommen werden, wenn sie zu Lebzeiten einer Organspende zugestimmt haben. Die Zustimmung kann zum Beispiel auf einem Organspendeausweis oder in einer Patientenverfügung festgehalten werden. Umfragen zeigen, dass die Mehrheit der Deutschen Organe spenden möchte, jedoch die allermeisten ihren Willen nicht schriftlich festhalten. Ist im Todesfall der Wunsch des Verstorbenen nicht bekannt, werden die Angehörigen nach einer Entscheidung im Sinne des Verstorbenen gefragt. Allerdings lehnen die meisten Familien in solchen Fällen eine Organspende ab, aus Angst etwas falsch zu machen.
Die zweite Voraussetzung für eine Organspende ist, dass Ärzte den unumkehrbaren Ausfall der gesamten Hirnfunktionen feststellen müssen. Der Hirntod ist die Folge einer schweren Hirnschädigung, die zum Beispiel durch eine Hirnblutung auftreten kann. Nach Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ist es in einem kleinen Zeitfenster möglich, das Herz-Kreislauf-System des Verstorbenen mithilfe intensivmedizinischer Maßnahmen künstlich aufrechtzuerhalten, damit die Organe weiterhin durchblutet werden und transplantiert werden können. Der Hirntod sei jedoch ein seltenes Phänomen, sodass nur wenige Verstorbene überhaupt für eine Organspende in Frage kommen.
Sind beide Voraussetzungen erfüllt, prüfen Ärzte, ob der Gesundheitszustand eine Organspende zulässt. Nach Angaben der Bundeszentrale schließen jedoch nur wenige Erkrankungen eine Organspende aus. Zudem gebe es kein Höchstalter, bis zu dem eine Spende möglich ist. Sterben Menschen infolge eines Herz-Kreislauf-Versagens dürfen Betroffene in Deutschland keine Organe spenden.
Welche Regeln gelten im Ausland?
Im Ausland gelten andere Regeln als in Deutschland. Am weitesten verbreitet ist in Europa die Widerspruchslösung. Haben Verstorbene zu Lebzeiten einer Organspende nicht ausdrücklich widersprochen, zum Beispiel in einem Widerspruchsregister, können Organe zur Transplantation entnommen werden. „In diesen Ländern ist die Zahl der Spenderorgane deutlich höher“, erklärt der ärztliche Direktor des Herz- und Diabeteszentrums NRW in Bad Oeynhausen, Jan Gummert. Die Entscheidung für oder gegen eine Organspende sei jedem Erwachsenen zumutbar. „Auch in Deutschland, weil die Bürger nicht zu einer Organspende, sondern lediglich zu einer Entscheidung gezwungen werden.“
In vielen Ländern sind Organspenden bei schwerst hirngeschädigten Menschen zudem nicht nur nach dem Hirntod, sondern auch nach dem Tod durch Herz-Kreislauf-Versagen nach Beendigung der Beatmungstherapie möglich. Das ist zum Beispiel in den Niederlanden, Österreich, Spanien und der Schweiz der Fall. „Auch diese Regel sorgt für höhere Spenderzahlen“, erklärt Gummert. „In den Niederlanden geht etwa die Hälfte der Spenden auf diese Regel zurück.“
Unter welchen Umständen sind Organspenden nach dem Herz-Kreislauf-Versagen möglich?
Nach Angaben Gummerts kommen nur bestimmte Patienten nach einem Herz-Kreislauf-Versagen als potenzielle Organspender infrage. „Möglich ist das nur bei Patienten, die aussichtslos hirngeschädigt sind und in einem Krankenhaus nur mit intensivmedizinischen Maßnahmen wie einer Beatmungsmaschine am Leben gehalten werden.“
Dabei handelt es sich laut Gummert um Patienten mit schwersten Hirnschäden auf der Intensivstation, die nicht mehr geheilt werden können und in diesem Fall nicht mit Maschinen am Leben gehalten werden möchten. „Viele Menschen halten diesen Wunsch in einer Patientenverfügung fest, weil sie in Frieden gehen möchten und aus Angst davor, sinnlos am Leben gehalten zu werden“, erklärt Gummert. „In solchen Fällen stellen die Ärzte, unabhängig von einer möglichen Organspende, die Beatmungsmaschinen ab, und der Patient stirbt, weil das Herz aufhört, zu schlagen.“ Komme es zu einer Organspende, würden die Organe nach einer Wartezeit und der Prüfung des Todes entnommen.
Patienten, die außerhalb einer Klinik an einem Herz-Kreislauf-Versagen versterben, kommen nach Angaben Gummerts nicht für eine Organspende in Frage. „Weil die Zeit für die Vorbereitungen fehlt.“ Patienten, die mit einem Herzinfarkt oder an anderen Herzerkrankungen ins Krankenhaus kommen, müssen laut Gummert nicht die Angst haben, dass sie nicht mehr richtig versorgt werden. „Es geht ausschließlich um Patienten, für die es keine Heilungschancen mehr gibt, die ohne Maschinen versterben würden.“
Kann der Herztod sicher festgestellt werden?
Menschen, die ein Herz-Kreislauf-Versagen erleiden und für die keine Chance mehr auf Heilung besteht, können sich laut Gummert zu 100 Prozent darauf verlassen, dass ihr Tod sicher festgestellt wird. „Nach Abschalten des Beatmungsgeräts hört das Herz nach einiger Zeit auf zu schlagen.“ Für Angehörige sei der Herztod oft leichter zu verstehen als der Hirntod, weil damit der Tod sichtbar eingetreten ist.
Wie geht es weiter?
Die FDP bespricht aktuell ein Positionspapier von Rechts- und Gesundheitspolitikern zur Änderung der Organspenderegeln in der Fraktion. Gummert hofft, dass dieser Vorstoß eine gesamtgesellschaftliche Debatte anstößt: „Es ist sehr viel Aufklärungsarbeit nötig, um Ängste zu nehmen und klarzustellen, dass weiterhin jeder Patient bestmöglich versorgt wird und nur dann Organe spenden darf, wenn er unrettbar verloren ist.“ Gummert setzt sich für Organspenden nach dem Herztod ein, um mehr Leben mit Spenderorganen zu retten. „Genauso wichtig ist, dass wir mehr Menschen nach ihrem Tod ihren Wunsch erfüllen könnten, Organe zu spenden.“
Wichtig ist nach Angaben Gummerts auch die Einführung der Widerspruchslösung. „Das eine geht nicht ohne das andere, wenn wir die Zahl der Organspenden endlich erhöhen möchten, doch viele Politiker scheinen damit überfordert.“
Kommentare
Wir brauchen die Herztod-Debatte
Thema: FDP will Organspenden auf Herztote ausweiten
Carolin Nieder-Entgelmeier
Es könnte jeden von uns treffen: Unfall oder Krankheit schwächen das Herz, die Lunge oder die Leber so stark, dass nur noch eine Organspende das Überleben sichert. Doch würden Sie die Spende annehmen? Ja, oder? Hier wird kaum jemand lange überlegen müssen. Diese Mehrheit, die selbstverständlich das lebensrettende Organ in Anspruch nehmen würde, hat sich jedoch selbst nicht für oder gegen eine Spende entschieden. Nicht einmal 50 Prozent der Deutschen haben ihren Willen dokumentiert. Das sorgt dafür, dass selbst dann, wenn Verstorbene Organe spenden könnten, das in den meisten Fällen nicht passiert, weil Angehörige aus Angst, Unsicherheit oder Überforderung ablehnen.
Für einige der 8.500 Menschen, die allein in Deutschland aktuell auf ein Spenderorgan warten, kann das den Tod bedeuten. Wie dramatisch die Lage ist, zeigt das Beispiel der drei Kinder, die nach dem Verzehr giftiger Pilze derzeit in Essen um ihr Leben ringen. Zum Überleben benötigen sie eine Spenderleber, doch bislang ist nur ein Organ für den ebenfalls betroffenen Vater gefunden worden.
Damit steht fest, dass sich in Deutschland etwas ändern muss, wenn wir diese schwerkranken Menschen nicht länger im Stich lassen möchten. Über das Wie ringen die Politiker in diesem Land seit Jahren in einer Art und Weise, die Beobachter erschaudern lässt. Statt Aufklärung und Vertrauensbildung werden Ängste geschürt und Unwahrheiten verbreitet. Viele Politiker sind der Ansicht, dass sie der Bevölkerung die Entscheidung für oder gegen eine Organspende mit der Einführung der Widerspruchslösung nicht zumuten können. Sie lassen es aber zu, dass über den Verbund Eurotransplant Deutsche mit Spenderorganen aus Ländern versorgt werden, in denen die Widerspruchslösung gilt. Es ist Zeit, dass sich diese Politiker eingestehen, dass man mündigen Bürgern diese Entscheidung zumuten kann und muss. Denn der freie Wille bleibt erhalten, und anders lassen sich die vielen Menschen auf der Warteliste nicht retten.
Wichtig ist, dass wir diese Diskussion auch dafür nutzen, um als Gesellschaft über den Vorstoß der FDP zu sprechen: Organspenden nicht mehr nur nach dem Hirntod, sondern zusätzlich nach dem Herztod. Auch diese Möglichkeit besteht bereits in vielen anderen Ländern, und eine Diskussion darüber ist auch der deutschen Bevölkerung zumutbar. Möglich ist das aber nur, wenn dieses Mal Aufklärung und Vertrauensbildung im Fokus der Debatte stehen, denn das komplexe Thema ängstigt Menschen.
Stand: 15.10.2024, 18:04 Uhr
Von: Nathalie Schelle
Es ist ein Weltrekord – und der kommt aus Landsberg: Dr. Bernd Ullrich lebt seit 41 Jahren mit demselben Spenderherz. Seine Geschichte:
Landsberg – Wer die nächste Ausgabe des Guinness-Buches der Rekorde aufschlägt, wird darin einen Landsberger finden. Dr. Bernd Ullrich lebt seit 41 Jahren mit demselben Spenderherz – solange, wie kein anderer Mensch auf der Welt.
Als Ullrich die Tür seiner Wohnung in Landsberg öffnet, telefoniert er. Ein großes Medienhaus hat angerufen und möchte einen Termin für ein Interview ausmachen. Mittlerweile haben schon viele Zeitungen und Fernsehsender bei Ullrich angefragt – denn alle wollen seine Geschichte hören. Die Geschichte eines Mannes, der „viel Glück“ hatte, wie er selbst sagt. Hätte er keines gehabt, wäre sein Leben schon vor 41 Jahren vorbei gewesen.
Dr. Bernd Ullrich wurde 1939 in Prag geboren. „Mein Vater wurde als Amtsarzt von Berlin nach Prag versetzt“, erzählt er. Mit dem Kriegsende kam Ullrich mit Familie nach Bayern und sollte dort auch bis heute bleiben. Er war im Internat in Berchtesgaden, in St. Ottilien besuchte er das Gymnasium „und mein Abitur hab ich im Allgäu gemacht.“ Nach Erlangen verschlug es ihn dann fürs Studium. „Ich wollte nie etwas anderes als Medizin studieren – das war immer klar“. Und so wurde Ullrich Allgemeinmediziner. Im Jahr 1974 ließ er sich dann nach dem Staatsexamen in Landsberg nieder und eröffnete seine Praxis am Georg-Hellmair-Platz.
Etwa zur gleichen Zeit fielen Ullrich erstmals Atembeschwerden auf. Immer öfter musste der Allgemeinmediziner nach Luft ringen und bemerkte, dass seine Beine immer dicker wurden. Er schob seinen körperlichen Zustand aber auf das Rauchen und das viele Sitzen in der Praxis. „Ich hatte keine Schmerzen“, beteuert er.
Vor allem die Atemnot wurde langsam aber stetig schlimmer, bis Ullrich irgendwann die Treppen zu seiner Praxis, die sich im ersten Stock befand, nicht mehr auf einmal gehen konnte. „Bei der Hälfte musste ich stehen bleiben, weil ich keine Luft mehr bekommen habe“, erinnert er sich. „Meine Patienten haben mich dann überholt und gefragt, was los sei.“ Dr. Ullrich antwortete dann, dass er etwas vergessen habe und überlege, ob er es noch holen solle. „Ich hatte immer Ausreden, dabei hätte ich keine Stufe mehr gehen können.“ Als die Atemnot so schlimm wurde, dass Ullrich nur noch im Sitzen schlafen konnte, weil er anders keine Luft mehr bekam, machte er sich doch auf den Weg zum Röntgenologen. „Und der zeigte mir mein Herz, das völlig zusammengefallen war und nur noch unregelmäßig vor sich hin schlug.“ Dass er überhaupt bis zu diesem Zeitpunkt überlebt hat, bezeichnet der Mediziner, der schlagartig selbst zum Patienten wurde, als großes Glück.
Die Diagnose war klar: eine kongestive Kardiomyopathie, also eine Herzmuskelerkrankung. Was genauso klar war, erklärte ihm ein Arzt im Klinikum Großhadern, zu dem Ullrich dann überwiesen worden war. „Entweder sie können noch ein halbes Jahr so weiter machen und dann ist es vorbei oder sie gehen das Risiko einer Herztransplantation ein“, habe der Arzt gesagt. „Wenn ich sowieso sterben muss, dann is‘ es ja grad wurscht“, dachte sich Ullrich – und willigte für die Transplantation ein. Rund fünf Monate wartete der 85-Jährige auf sein Herz. Die meiste Zeit verbrachte er wegen seines schlechten Zustands in Großhadern. Nur manchmal fuhr er nach Hause zu seiner Frau und seinen beiden Söhnen. Ullrichs Transplanteur habe davor erst knapp zehn Transplantationen durchgeführt, auch manchmal ohne Erfolg, erklärt Ullrich. „Bei mir hat‘s dann geklappt.“
Am 18. Mai 1983 wurde ihm ein neues Herz transplantiert – damals war er 44 Jahre alt. Sein Spender hingegen war erst 19. Der junge Motorradfahrer verunglückte und war, zum Glück für Ullrich, Organspender. „Ich denke so oft an ihn. Bei fast jedem Motorradfahrer, den ich höre oder sehe – auch heute noch.“ Den Namen oder andere persönliche Informationen kennt Ullrich nicht – „will ich auch nicht“, meint er. Er müsse nur wissen, dass der 19-Jährige ihm eine zweite Chance geschenkt hat.
Dass die Transplantation so erfolgreich war, habe mit verschiedenen Faktoren zusammengehangen, weiß Ullrich. So lag der verunglückte Motorradfahrer „im OP nebenan“. Oft müssten die Spenderorgane erst aus anderen Kliniken oder Ländern hergebracht werden, wodurch sie Schäden erleiden könnten, so Ullrich. Bei ihm hatte das Herz den wohl kürzesten Weg.
Auch wenn die Transplantation erfolgreich war, so waren die kommenden Monate eine kräftezehrende Zeit für den frisch Operierten. Zuerst ging es für ihn in die „Sterileneinheit“, zu der auch nur steril gekleidetes Personal Zugang hatte. „Ich wusste gar nicht, wie die für mich zuständige Schwester aussah“, erinnert sich Ullrich. Dann ging es für ihn auf die Intensivstation. Dort hauste Ullrich vorübergehend in einer Art Glas-Box, in der sich nur das Lebensnotwenigste befand. Mehrere Monate war Ullrich in der Klinik und auf Reha. Betreten hatte er Großhadern als todkranker Mann – verlassen konnte er die Reha beinahe gesund und voller Lebensfreude.
„Mir geht es mit dem Herz wunderbar“, konstatiert der Landsberger. Mit seiner zweiten Chance wusste er über die Jahre einiges anzufangen: „ Ich war in Sri Lanka, Indien, Nepal, Kuba, Mexiko und Tibet. Überall bin ich herumgereist, das war schön.“ Und auch für seine Patienten war Ullrich schon bald wieder da. Weil er aber wegen des hohen Infektionsrisikos nicht mehr als Allgemeinmediziner arbeiten durfte, machte er eine Zusatzausbildung zum Psychotherapeuten. Danach hat er sich wieder in Landsberg niedergelassen, bis er dann vor 20 Jahren in Rente ging.
„Ich bin froh und dankbar, dass ich das Herz bekommen konnte. Dass ich weiterleben kann und dass ich aus dem Leben noch was gemacht hab“, sagt Ullrich und fasst sich dabei instinktiv ans Herz. Und das dürfte am kommenden Montag noch höher schlagen. An diesem Tag wird Ullrich eine Urkunde des Guinness-Buch der Rekorde in Empfang nehmen. Damit ist es dann offiziell: Mit 41 Jahren lebt er so lange mit demselben Spenderherz, wie kein anderer Mensch auf der Welt.
Quelle:
https://www.merkur.de/lokales/landsberg-kreisbote/jahre-bayern-guinness-buch-arzt-glueck-leben-geschichte-weltrekord-landsberg-spenderherz-41-93348297.html
Weltweite Zahlen zur Organspende 2023:
Spanien weiterhin auf der Pole-Position
Quelle/ DIATRA professional, Vol. 5/2024
Gruppenbild mit Seltenheitswert: Acht Kinder im Alter von zehn Monaten bis neun Jahren werden aktuell im Herz- und Diabeteszentrum NRW, Bad Oeynhausen, mit einem künstlichen Herzunterstützungssystem versorgt. An der aufwändigen Therapie und familienorientierten Betreuung unter der Leitung von (v.l.) Prof. Dr. Stephan Schubert und Prof. Univ. (assoc.) Dr. Eugen Sandica sind die Fachbereiche der Kinderkardiologie, Kinderherzchirurgie, Anästhesiologie, Intensivmedizin und Psychologie ebenso beteiligt wie speziell ausgebildetes Fachpersonal der Pflege, Physiotherapie, Kardiotechnik und Medizintechnik (Foto: Finn Lehrke).
05.09.2024 – Zentrum für Angeborene Herzfehler
Im Herz- und Diabeteszentrum NRW, Bad Oeynhausen, werden insgesamt acht Kinder zeitgleich mit einer künstlichen Herzunterstützung versorgt. Ein Behandlungsspektrum in dieser Größenordnung ist einzigartig. Die Therapie ist nur in speziellen Zentren möglich.Dankbarkeit für eine segensreiche Therapie und klinische Rundumversorgung, welche die gesamte Familie in die Behandlung miteinbezieht: So lässt sich die Stimmung beim Treffen von Emma, Leo, Theo, Luis, Charlotte, Leni, Smaranda und Nico, ihren Eltern und den engsten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beschreiben, die sich auf dem Spielplatz des Kinderherzzentrums im Herz- und Diabeteszentrum NRW (HDZ NRW), Bad Oeynhausen, mit dem Fotografen zu einer außergewöhnlichen Gruppenaufnahme verabredet haben.
„Das war für uns alle ein bewegender Moment“, betonen die Klinikdirektoren Prof. Univ. (assoc.) Dr. Eugen Sandica (Herzchirurgie) und Prof. Dr. Stephan Schubert (Kinderkardiologie). „Denn eine Herzunterstützungstherapie ist immer auch eine Therapie auf ungewisse Zeit. Sie kann wenige Tage dauern oder auch viele Monate oder Jahre.“ Fest steht: Auch den erfahrenen Experten ist weltweit keine andere Einrichtung bekannt, in der jemals acht Kinder gemeinsam mit einem solchen Kunstherzsystem (engl. VAD= Ventricular Assist Device) versorgt worden sind.
Herzunterstützung für alle Altersstufen
Ihren künstlichen Herzpumpen haben die acht Patientinnen und Patienten im Alter von zehn Monaten bis zu neun Jahren, die Schubert und Sandica im HDZ NRW betreuen, ihr Leben zu verdanken. Professor Sandica und sein Team haben die Systeme in jeweils mehrstündigen Operationen unter Einsatz der Herz-Lungen-Maschine direkt am Herzmuskel implantiert. Die Mehrzahl der Patienten benötigen dieses System aufgrund einer akuten Herzmuskelschwäche. Nur ein Hersteller weltweit bietet diese Medizintechnik in verschiedenen Größen und Zusammensetzungen für Kinder aller Altersstufen an. Eine Kabelverbindung führt zu einem externen, akku-betriebenem Antriebssystem (Excor® Active mobil, Berlin Heart), auf das die Kinder solange angewiesen sind, bis ein geeignetes Spenderherz zur Verfügung steht oder sich das kranke Herz dank der Entlastung wieder erholt.
Neu dazugekommen sind von Professor Sandica entwickelte Systeme für Kinder, die mit nur einer funktionsfähigen Herzkammer geboren wurden. Dank einer herzchirurgischen Korrektur dieser angeborenen Fehlbildung kann die verbleibende Herzkammer für eine gewisse Zeit die gesamte Herzarbeit übernehmen. Bei zwei Patientinnen drohte diese sogenannte Fontan-Zirkulation zu versagen. Professor Sandica setzte beiden Mädchen diese individualisierten Systeme erstmals weltweit in Bad Oeynhausen ein.
Gegenwärtig wird für die meisten der acht Kinder die Herztransplantation anvisiert. Dabei überprüfen die Herzspezialisten regelmäßig, ob das Unterstützungssystem und eine entsprechende medikamentöse Therapie möglicherweise auch zur Erholung der kranken Herzen führen. Denn aufgrund des Mangels an Spenderorganen sollen nur diejenigen Kinder transplantiert werden, die keine Aussicht mehr auf eine Entwöhnung vom VAD-System haben.
Durch die zusätzliche Möglichkeit, jetzt auch den Fontankreislauf bei Einkammer-Herzkindern zu unterstützen, erweitert sich das klinische Versorgungsspektrum für Patienten mit VAD-Systemen im Kindesalter. Dieses ist angesichts knapper Ressourcen in der Kinderherzmedizin eine weitere Herausforderung, der sich die Kinderherzzentren stellen müssen.
„Mehr denn je benötigen wir ausreichend qualifiziertes Personal, aber auch medizinische Ressourcen im Bereich Arzneimittel und Medizinprodukte“, betonen die Klinikdirektoren, die auch aufgrund der überregionalen Patientenzuweisung in das HDZ NRW weiterhin mit Engpässen rechnen müssen.
Etwa ein bis zwei Jahre verbringen Kinder mit einem versagenden Herzen durchschnittlich in einem Krankenhaus. Für ältere Jugendliche und junge Erwachsene stehen zwar Herzunterstützungssysteme zur Verfügung, die eine Entlassung nach Hause erlauben. Kinder sind jedoch nach wie vor auf eine stationäre Versorgung angewiesen.
Wartezeit auf eine Herztransplantation
Auch wenn das mobile Excor® System, das Professor Sandica 2019 erstmals in Deutschland in den klinischen Einsatz aufnahm, eine akzeptable Lebensqualität bietet, ist die Belastung für die Familien während der Unterstützungszeit enorm, in der gesunde Kinder Zeit zuhause verbringen, in den Kindergarten oder in die Schule gehen, Freundschaften schließen, Sport treiben.
„Wir wissen, wie wichtig hier individuelle und variable Unterstützungsangebote sind, die unser Zentrum bereits bereithält, um die oft schwierige und lange Zeit gemeinsam zu meistern und zu helfen, wo wir können“, betont Professor Schubert. „Dabei arbeiten unsere Teams Hand in Hand. Viele verschiedene Berufsgruppen sind involviert, um den mit einer solchen Therapie verbundenen Risiken, aber auch den mit dem Klinikaufenthalt verbundenen Sorgen und Nöten adäquat zu begegnen.“
Insgesamt 67 Patienten unter 16 Jahren sind bisher in Bad Oeynhausen mit einem Berlin Heart Excor® System versorgt worden, davon wurden 43 transplantiert, elf entwöhnt und acht Patienten befinden sich zurzeit im stationären Aufenthalt in der Klinik. Das HDZ NRW, Bad Oeynhausen, ist seit vielen Jahren das größte Herztransplantationszentrum in Deutschland.
Hintergrundinformation:Das mechanische, pulsatile Herzunterstützungssystem EXCOR® Pediatric wird zur Unterstützung der links- und/oder rechtsventrikulären Pumpfunktion bei lebensbedrohlich erkrankten Kindern und Jugendlichen mit Herzversagen eingesetzt, wenn andere Therapiemöglichkeiten ausgeschöpft sind. In seltenen Fällen erholt sich das Herz wieder. Bei den meisten Betroffenen ist jedoch ein Spenderherz der letzte Ausweg, um weiterzuleben. Das speziell für die Altersgruppe von Kindern und Jugendlichen entwickelte System ist weltweit das einzige, für die pädiatrische VAD-Therapie zugelassene Herzunterstützungssystem, mit dem die Wartezeit auf eine Herztransplantation überbrückt werden kann (VAD= engl. Ventricular Assist Device).
https://www.hdz-nrw.de/hdz-nrw/presse/pressemitteilungen/rekord-fuer-eine-lebensrettende-kinderherztherapie.html
Weitere Informationen:Herz- und Diabeteszentrum Nordrhein-WestfalenUniversitätsklinik der Ruhr-Universität BochumMedizinische Fakultät OWL (Universität Bielefeld)UnternehmenskommunikationLeitung: Anna Reiss, PressesprecherinGeorgstr. 1132545 Bad OeynhausenTel. 05731 97-1955Fax 05731 97-2028E-Mail: info@hdz-nrw.de
Frankfurt am Main (ots)
Als am 3. Dezember 1967 der Chirurg Christiaan Barnard erstmals an einem Patienten erfolgreich eine Herztransplantation vornahm, war dies eine weltweite Sensation. Kurze Zeit später, am 13. Februar 1969, fand bereits die erste Übertragung eines Herzens in Deutschland statt. Im selben Jahr wurde noch eine weitere Person herztransplantiert. Die Ergebnisse waren aber insgesamt ernüchternd, so dass dieser Eingriff mehr als zehn Jahre lang nicht mehr vorgenommen wurde. Erst seit 1981 nahm die Herztransplantation angesichts deutlich verbesserter Ergebnisse, insbesondere durch neue Immunsuppressiva, zunächst in Nordamerika und Europa wieder Fahrt auf, so dass jetzt in Deutschland die 15.000ste Herzverpflanzung erfolgen konnte.
"Eine Herztransplantation ist nach wie vor die am besten geeignete Therapie, um schwer herzkranken Menschen im letzten Stadium ihrer Erkrankung das Leben zu retten", erklärt Prof. Dr. med. Jan Gummert, Vorsitzender der Kommission Herz/Lunge der Deutschen Transplantationsgesellschaft (DTG). "Die Herztransplantation ist inzwischen eine Routineoperation geworden, die trotzdem sehr anspruchsvoll ist. Die große Herausforderung besteht im perfekten Zusammenspiel und Zeitmanagement der vielen, am Verfahren beteiligten Fachdisziplinen. Das erfordert viel Erfahrung und Engagement der einzelnen Ärztinnen und Ärzte. Die professionelle Koordination durch die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) ist dabei mitentscheidend für den Erfolg der Transplantation. Wenn kein passendes Spenderorgan zur Verfügung steht, bieten künstliche Unterstützungssysteme zwar heute eine akzeptable Lebensqualität, um die Wartezeit auf ein Herz zu überbrücken. Als vollwertiger Ersatz für ein Spenderherz eignen sich aber auch die modernen Unterstützungssysteme nicht. Daher müssen wir uns alle weiter für die Organspende einsetzen, nach wie vor gibt es zu wenig Spenderorgane in Deutschland."
Dass im Fall einer Spende die Abläufe zwischen den Entnahmekrankenhäusern und den Transplantationszentren optimal funktionieren, dafür sorgt die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) als bundesweite Koordinierungsstelle für die postmortale Organspende. Dr. med. Axel Rahmel, Medizinischer Vorstand der DSO, betont, wie wichtig die gute Zusammenarbeit aller beteiligten Partner am Organspendeprozess als Gemeinschaftsaufgabe ist: "Wir alle engagieren uns mit dem Ziel, Patientinnen und Patienten auf den Wartelisten zu helfen und ihnen die Chance auf ein neues Leben zu ermöglichen. Die medizinischen Voraussetzungen dafür haben wir. Leider kann eine Organspende aber in vielen Fällen nicht stattfinden, weil Angehörige den Willen des Verstorbenen nicht kennen und aus Unsicherheit dann eher keine Zustimmung geben. Deshalb ist es so wichtig, sich zu Lebzeiten mit dem Thema auseinanderzusetzen, seine persönliche Entscheidung zu treffen und zu dokumentieren."
Bundesweit wurden in den ersten sieben Monaten des Jahres 201 Herzen transplantiert, 684 Patientinnen und Patienten standen Ende Juli auf der Warteliste für ein Herz. Der DSO-Vorstand erinnert daher daran, dass der positiven Zahl von mittlerweile 15.000 erfolgten Herztransplantationen nach wie vor ein wesentlich höherer Bedarf an Spenderherzen gegenübersteht. Allein in den vergangenen zehn Jahren gab es ca. 5.000 Neuaufnahmen auf die Warteliste zur Herztransplantation, gleichzeitig aber nur rund 3.200 Transplantationen.
Pressekontakt:
Birgit Blome, Bereichsleiterin Kommunikation, mobil: +49 170 5724503Nadine Körner, Dr. Susanne Venhaus, Presse- und ÖffentlichkeitsarbeitDeutsche Stiftung OrgantransplantationDeutschherrnufer 52, 60594 Frankfurt am MainTel.: +49 69 677 328 9400, -9411, -9413; Fax: +49 69 677 328 9409,E-Mail: presse@dso.de, Internet: www.dso.de
DOMRADIO.de
17.08.2024
Viele Menschen warten auf ein passendes Spenderorgan. Trotz medizinischer Vorgaben sind viele nicht bereit in die Organspende einzuwilligen. Dabei sei auch das Ausdruck von Nächstenliebe, sagt Moraltheologe Jochen Sautermeister.
Kirche: Für Achtung der Würde des Sterbenden / © ArVis
DOMRADIO.DE: Herr Professor Sautermeister, dem Lebensschutz kommt in der christlichen Ethik und im katholischen Glauben eine große Bedeutung zu. Das menschliche Leben ist ein fundamentaler Wert, den es zu schützen und zu erhalten gibt. Wie beurteilen Sie vor diesem Hintergrund grundsätzlich die Möglichkeiten der Transplantationsmedizin?
Prof. Dr. Dr. Jochen Sautermeister (Professor für Moraltheologie und früherer Dekan der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Bonn): Die Transplantationsmedizin stellt eine medizinische Errungenschaft dar, die bereits vielen Menschen geholfen hat, die ansonsten aufgrund einer schweren Organerkrankung oder aufgrund von Organversagen gestorben wären.
Am häufigsten werden Nieren transplantiert, dann Leber, Herz, und Lunge, seltener auch Bauchspeicheldrüse, Darm sowie andere Organe und Gewebe. Dank der modernen Transplantationsmedizin ist es möglich, menschliches Leben zu retten beziehungsweise signifikant zu verlängern und die Lebensqualität zu verbessern. Daher spricht das kirchliche Lehramt auch von einem hochrangigen Akt der Nächstenliebe, wenn jemand bereit ist, freiwillig seine Organe zu spenden.
DOMRADIO.DE: Gilt diese positive moralische Würdigung für alle Arten von Organspende?
Sautermeister: Grundsätzlich ja, wenn die Organspende freiwillig erfolgt und als Gabe geschieht, also nicht in einem kommerziellen Sinne oder eigennützig erfolgt. Das gilt unabhängig davon, ob es sich um eine Lebendspende oder postmortale Spende handelt.
Lebendspenden sind bei Nieren möglich, weil jeder Mensch zwei Nieren besitzt, und bei der Leber, da sich die Leber regenerieren kann, wenn ein Teil von ihr zu Transplantationszwecken entfernt wird.
Prof. Dr. Dr. Sautermeister
"In Deutschland gilt das Hirntod-Kriterium, um festzustellen, wann jemand tot ist."
Bei den anderen Organen ist nur eine postmortale Organspende möglich. Voraussetzung ist auch hier die freie Einwilligung zu Lebzeiten, dass keine materiellen Vorteile daraus gezogen werden und dass die Person tot ist.
DOMRADIO.DE: Und dennoch gibt es auch kritische Stimmen, die im Namen des Lebensschutzes Zweifel an der Transplantationsmedizin hegen. Ist das nicht ein Widerspruch zu dem soeben Gesagtem?
Sautermeister: Diese Zweifel beziehen sich auf die Frage, nach welchem Kriterium jemand als tot gilt, um als Organspender in Frage zu kommen. Die postmortale Organspende bezieht sich ja auf Verstorbene, wie das Adjektiv "postmortal" bereits sagt.
In Deutschland gilt das Hirntod-Kriterium, um festzustellen, wann jemand tot ist. Die Gesamtfunktion von Großhirn, Kleinhirn und Hirnstamm müssen dazu irreversibel ausgefallen sein. Daher spricht man noch treffender vom Ganzhirntod.
Das deutsche Transplantationsgesetz hat der Bundesärztekammer die Richtlinienkompetenz übertragen, nach welchen Verfahren der Ganzhirntod festgestellt werden soll. So will der Gesetzgeber die Todesfeststellung gemäß dem Stand der medizinischen Wissenschaft sicherstellen.
Das Hirntodkriterium ist international anerkannt und ist wissenschaftlicher Standard in der Intensivmedizin. Wer mit Berufung auf den Lebensschutz die Transplantationsmedizin kritisiert, stellt also grundsätzlich das Hirntod-Kriterium in Frage und behauptet, dass mit der Organentnahme der Mensch getötet würde.
DOMRADIO.DE: Das ist ein schwerwiegender Einwand. Können Sie die dahinter stehende Problematik erläutern?
Sautermeister: Um Missverständnisse zu vermeiden, ist es zuerst einmal wichtig zu unterscheiden zwischen der Definition oder dem Konzept des Hirntods, dem Hirntod-Kriterium und der Hirntod-Diagnostik.
Das Hirntod-Konzept stellt eine Bestimmung dar, mit der das anthropologische Verständnis vom Menschen, der verstorben ist, für die Medizin übersetzt wird. Es handelt sich also um einen biologischen Verstehenszugang, der im Kontext der Intensivmedizin Orientierung gibt.
Von dieser Hirntod-Definition leitet sich das Hirntod-Kriterium ab, mit dem man bestimmt, ob der Hirntod eines Menschen vorliegt. Und mittels verschiedener Untersuchungen, der Hirntod-Diagnostik, wird festgestellt, ob das Hirntod-Kriterium erfüllt ist und ob man schließlich medizinisch sagen kann, dass ein Mensch tot ist.
Man darf nun nicht den Fehler machen, das philosophisch-theologische Verständnis vom Tod als Ereignis einfach mit dem biologischen Verständnis vom Tod als Prozess zu identifizieren. Es handelt sich vielmehr um zwei verschiedene Verstehensweisen.
DOMRADIO.DE: Was heißt das konkret?
Sautermeister: Verschiedene Phänomene irritieren das Hirntod-Konzept. So zeigt sich etwa durch immer feinere Diagnoseinstrumente, dass es nach dem Eintreten des Hirntods noch Überbleibsel ganz schwacher neurologischer Restaktivität gibt. Auch sind noch Prozesse körperlicher Wundheilung und Nagelwachstum möglich.
Bei fortgesetzter intensivmedizinischer Behandlung kann es ferner zu unwillkürlichen Bewegungen von Armen, Beinen und Rumpf kommen. Diese ungerichteten Bewegungen werden jedoch von Rückenmarksreflexen hervorgerufen, die nicht mehr durch Funktionen des Hirnstamms gehemmt werden können.
"Bei diagnostisch korrekter Hirntodfeststellung gibt es keinen einzigen wissenschaftlich belegten Fall, dass jemand wieder zurückgekehrt ist ins Leben."
Aufsehen erregte auch, dass mithilfe eines maximalen intensivmedizinischen Aufwands – wenn auch äußerst selten – es gelingt, die Schwangerschaft einer hirntoten Frau bis zur Geburt fortzusetzen. Diese und weitere Phänomene können zu der Frage verleiten, ob das Hirntod-Kriterium auch wirklich den Tod eines Menschen anzeigt – zumal hirntote Menschen nicht als tot erscheinen, solange sie noch intensivmedizinisch behandelt werden. Darum sind manche besorgt, dass durch die postmortale Organentnahme der Mensch überhaupt erst getötet würde.
DOMRADIO.DE: Nun besagt aber die gesetzliche und medizinische Regelung etwas anderes, nämlich dass mit dem Hirntod-Kriterium der Tod eines Menschen festgestellt wird.
Sautermeister: Genau. Denn gegen die These, dass der Mensch aufgrund solcher physiologischen Phänomene noch nicht tot sei, lässt sich einwenden: Der Mensch ist ein leibseelisches Wesen und kann nicht eindimensional auf letzte physiologische Prozesse reduziert werden. Vielmehr ist das Absterben des menschlichen Organismus ein Prozess, der auch dann noch andauert, wenn ein Mensch längst tot ist. Das liegt daran, dass die Zerfallsprozesse von Zellen, Geweben und Organen unterschiedlich schnell oder langsam ablaufen.
All die Phänomene, die gegen das Hirntod-Kriterium angeführt werden, lassen sich somit naturwissenschaftlich erklären und entsprechende Einwände entkräften. Bei diagnostisch korrekter Hirntodfeststellung gibt es keinen einzigen wissenschaftlich belegten Fall, dass jemand wieder zurückgekehrt ist ins Leben.
DOMRADIO.DE: Wie lässt sich dann anthropologisch das Hirntod-Kriterium plausibilisieren?
Sautermeister: Was lebensweltlich als gewiss erscheint, wird im intensivmedizinischen Kontext verunsichert. Gerade deshalb benötigen wir Kriterien, um zu verantwortlichen Entscheidungen zu kommen.
Gemäß der Bundesärztekammer bezieht sich das Ganzhirntod-Kriterium sowohl auf den irreversiblen Ausfall der Integrationsfunktion des Gehirns für den gesamten Organismus als auch zugleich auf die fundamentale Bedeutung des Gehirns für die Selbstständigkeit und Selbsttätigkeit des Menschen sowie für die Anpassung des Gesamtorganismus an die Umwelt wie auch für dessen Abgrenzung von der Umwelt; außerdem ist das Gehirn zuständig für die Koordination und Selbststeuerung.
Wenn all diese neurologischen Funktionen aufgrund eines irreversiblen Hirnausfalls unwiederbringlich erloschen sind, dann kann man einen Menschen gemäß dem medizinischen Ganzhirntod-Kriterium als tot ansehen. Das gilt ganz unabhängig von der Transplantationsmedizin.
DOMRADIO.DE: Manche Skeptiker behaupten ja, dass das Hirntod-Kriterium deshalb aufgestellt wurde, um möglichst viele Organe zu gewinnen. Können Sie der These zustimmen, der Hirntod diene vor allem der Rechtfertigung für die Organentnahme?
Sautermeister: Leider ist immer wieder diese Verdächtigung zu hören. Sie lässt sich aber leicht entkräften, was medizinhistorische Studien zeigen. Denn die Festlegung, wie sich medizinisch der Zeitpunkt des Todes bestimmen lässt und an welchen Zeichen man diesen erkennen kann, wurde aufgrund der intensivmedizinischen Möglichkeiten nötig.
Mittels medizinischer Apparate kann die Beatmung und das Herz-Kreislauf-System am Laufen gehalten werden, so dass sich die Frage stellte, wann es legitim ist, die Apparate abzuschalten, die die Atmung und den Kreislauf ersetzen. Da die mit dem Hirntod-Kriterium verbundene Grenzziehung zwischen Leben und Tod auch für die Transplantationsmedizin relevant ist, ist es naheliegend, dass bereits bei der Festlegung dieses Kriteriums auch dessen Bedeutung für die Organtransplantation mitgesehen wurde.
DOMRADIO.DE: Wie steht das kirchliche Lehramt zum Hirntod-Kriterium?
Sautermeister: Im Jahr 2015 haben sich die deutschen Bischöfe die Position der Glaubenskommission zu eigen gemacht und gemäß dem Stand der Wissenschaft das Hirntod-Kriterium als "das beste und sicherste Kriterium für die Feststellung des Todes eines Menschen" bekräftigt.
Bis heute hat sich daran nichts geändert und ich sehe keinen wissenschaftlichen Anlass, diese Sichtweise grundlegend zu revidieren. Das kirchliche Lehramt tut gut daran, dass es sich nicht konkreter dazu äußert. Denn erstens hat es keine genuin medizinisch-naturwissenschaftliche Kompetenz, sondern ist auf die Erkenntnisse der Wissenschaften angewiesen. Und zweitens müsste sich das Lehramt immer korrigieren, wenn neue wissenschaftliche Erkenntnisse eine Überarbeitung erforderlich machen würden.
Wenn also die Organspende als Akt der Nächstenliebe gewürdigt wird, ohne damit eine christliche Pflicht zu formulieren, wird deutlich: Anderen Menschen auch im Tod durch die Bereitschaft zur Organspende zu helfen, ist Ausdruck der fundamentalen Wertschätzung des menschlichen Lebens.
Zugleich kann jemand auch gute Gründe haben, nicht in eine Organspende einzuwilligen. Auch das ist zu respektieren. Den Lebensschutz gegen das Hirntod-Konzept in Stellung zu bringen, kann jedoch nicht überzeugen.
Das Interview führte Ingo Brüggenjürgen.
Wichtige Begriffe zur Organspende
Knapp 8.400 Patienten warten derzeit verzweifelt auf ein Spenderorgan. Doch die Spendenbereitschaft in Deutschland bleibt niedrig. Deshalb wollen mehrere Bundestagsabgeordnete die Regeln zur Organentnahme ändern.
Wegen der dauerhaft geringen Zahl an Organspenden in Deutschland wird wieder darüber diskutiert, ob die Bundesbürger stärker auf eine Organspende verpflichtet werden sollen. Bundestagsabgeordnete mehrerer Parteien wollen am Montag einen Gesetzesvorschlag für die Einführung einer Widerspruchslösung vorlegen, die zu mehr Spendern führen soll. 2020 hatte der Bundestag dieses Konzept noch abgelehnt. Einige zentrale Begriffe der Debatte:
In Deutschland regelt das 1997 verabschiedete Transplantationsgesetz diesen Bereich. Um Missbrauch oder Organhandel zu verhindern, sieht das Gesetz eine strikte organisatorische und personelle Trennung der Bereiche Organspende, Vermittlung und Transplantation vor.
Für die Koordination der Spende ist die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) zuständig. Sie soll dafür sorgen, dass alle notwendigen medizinischen und organisatorischen Schritte vollzogen werden, damit Organe entnommen, an geeignete Patienten vermittelt und transplantiert werden können. Zwei Ärzte müssen unabhängig voneinander den Hirntod des Patienten feststellen.
Derzeit gibt es in Deutschland rund 1.350 Krankenhäuser mit Intensivstation, die Organe entnehmen dürfen. Sie sind seit 2012 verpflichtet, Transplantationsbeauftragte zu bestellen.
Sie sollen potenzielle Organspender identifizieren, melden und die Angehörigen begleiten. Sie sorgen auch dafür, dass das ärztliche und pflegerische Personal im Entnahmekrankenhaus über die Bedeutung und den Prozess der Organspende regelmäßig informiert wird.
Seit 1997 gilt in Deutschland eine erweiterte Zustimmungslösung: Nur wenn der Verstorbene zu Lebzeiten ausdrücklich einer Organentnahme zugestimmt hat, dürfen die Organe auch entnommen werden. Eine Zustimmung kann beispielsweise per Organspendeausweis oder durch eine mündliche Verfügung gegeben werden.
Erweitert wird die Regelung dadurch, dass auch die Angehörigen oder vom Verstorbenen dazu bestimmte Personen berechtigt sind, über eine Entnahme zu entscheiden. Entscheidungsgrundlage ist dabei immer der ihnen bekannte oder der mutmaßliche Wille des Verstorbenen.
Die 2012 vom Bundestag beschlossene und 2020 noch einmal ergänzte Entscheidungslösung sieht vor, jeden Bürger zur Bereitschaft für oder gegen eine Organspende zu befragen. Diese Entscheidung soll dokumentiert werden.
Dies könnte beim Ausstellen des Personalausweises oder des Führerscheins geschehen. Ebenso ist eine Speicherung der Entscheidung auf der elektronischen Gesundheitskarte denkbar.
2012 hat der Bundestag die Krankenkassen verpflichtet, alle Bürger in regelmäßigen Abständen über die Organspende zu informieren und an sie zu appellieren, sich für oder gegen eine mögliche Spende zu entscheiden. 2020 wurde zudem die Einrichtung eines bundesweiten Online-Registers beschlossen. Es geht in diesem Jahr stufenweise online.
Diese Regelung wird auch in Deutschland schon seit Jahrzehnten diskutiert - und wurde immer wieder verworfen. Bundestagsabgeordnete mehrerer Parteien, mehrere Bundesländer und die Bundesärztekammer fordern derzeit angesichts dauerhaft niedriger Spendezahlen erneut die Einführung einer Widerspruchslösung.
Hat der Verstorbene einer Organentnahme zu Lebzeiten nicht ausdrücklich widersprochen, beispielsweise in einem Widerspruchsregister, können die Organe zur Transplantation entnommen werden. Dadurch wird der Kreis potenzieller Spender erweitert. Der Staat geht von einer grundsätzlichen Bereitschaft zur Organspende aus. Das könnte die Zahl der Spender deutlich erhöhen.
Diese gesetzliche Regelung gilt beispielsweise in Belgien, Österreich oder Spanien. In Spanien gibt es die weltweit höchste Rate an Organspenden. Allerdings liegt das offenbar nicht allein an der Widerspruchslösung. Dort besteht eine andere Kultur der Organspende - auch die Krankenhäuser werden dafür besser ausgestattet und bezahlt.
Kritiker halten sie für verfassungswidrig und kontraproduktiv, weil sie das Misstrauen in die Transplantationsmedizin noch erhöhen könnte. Sie verweisen darauf, dass in Deutschland jede medizinische Behandlung der ausdrücklichen Zustimmung des Patienten bedarf. Dieses Prinzip würde ausgerechnet bei einer so schwierigen Frage ausgehebelt. Auch für die katholische Kirche ist die Widerspruchslösung bislang nicht akzeptabel: Nach ihrer Ansicht muss die Organspende eine bewusste und freiwillige Entscheidung bleiben - ein Zeichen der Nächstenliebe.
(KNA/Christoph Arens/21.06.2024)
Ärzte Zeitung
Hannover/Leipzig – Die Medizinische Hochschule Hannover (MHH) und das Universitätsklinikum Leipzig (UKL) wollen künftig bei der Organspende eng zusammenarbeiten.
Die Kliniken wollen damit die Sicherheit bei dem komplexen Prozess der Organentnahme fördern, der auch in großen Kliniken meist nur wenige Male im Jahr durchlaufen wird. Auf der Ebene von Universitätskliniken ist ein solcher Vertrag laut den Projektpartnern deutschlandweit das erste Mal geschlossen worden. „Derartige Vereinbarungen schaffen die Grundlage für eine unkomplizierte Zusammenarbeit“, betonte Svitlana Ziganshyna, ärztliche Leitung der Stabsstelle Transplantationsbeauftragte am UKL.
Dabei gehe es neben einem Informations- und Erfahrungsaustausch unter anderem um die Unterstützung bei problematischen Fällen und die Kompensation von Personal, Material oder Technik.
„Gemeinsame Aktionen zur Öffentlichkeitsarbeit, Schulung des Personals und von weiteren Transplantationsbeauftragten sowie ein verbessertes Qualitätsmanagement durch Peer review-Verfahren bilden ebenfalls einen Mehrwert“, sagte Frank Logemann, Transplantationsbeauftragter der MHH.
Er betonte, die Vereinbarung habe Signalcharakter und solle auch kleinere Kliniken dazu animieren, sich mit erfahreneren Partnerkliniken mehr als zuvor dem Thema Organspende zu stellen, so der Experte. Die beiden Universitätskliniken werden die gemeinsam entwickelte Mustervereinbarung dafür allen Kliniken zur Verfügung stellen. © hil/aerzteblatt.de
Berlin – Im Ringen um mehr lebensrettende Organspenden kommen weitere Vorschläge ins Gespräch. Die FDP-Rechtsexpertin Katrin Helling-Plahr regte eine Ausweitung der Möglichkeiten zu Lebzeiten von Spendern an. Sie begrüßte einen vom Bundeskabinett dazu auf den Weg gebrachten Gesetzentwurf.
Teilweise Beschränkungen nur auf Nierenspenden seien aber nicht nachvollziehbar, sagte sie. „Denn das Transplantationsgesetz erlaubt schon jetzt etwa unter Verwandten auch die Übertragung anderer Organe wie von Teilen der Leber, der Lunge, des Darms oder der Bauchspeicheldrüse.“
Den Gesetzesplänen zufolge sollen Nierenspenden künftig auch zwischen zwei unterschiedlichen Paaren erlaubt sein.
Wenn dies unter Spendepaaren (Spender/Empfänger) medizinisch nicht möglich ist, soll die Niere dann nicht nur an die geplante nahestehende Person gehen dürfen, sondern „über Kreuz“ an einen passenden Empfänger, der mit seinem vorgesehen nahestehenden Spender ebenfalls nicht kompatibel ist. Im Gegenzug geht die Spenderniere des anderen Paares dann an die Empfängerin oder den Empfänger des ersten Paares.
Helling-Plahr sagte: „Wieso Überkreuzspenden nun nur bei Nieren gesetzlich zugelassen werden sollten, erschließt sich nicht.“ Daher werde die Sinnhaftigkeit und Praktikabilität einer solchen Beschränkung in den Beratungen im Bundestag zu diskutieren sein.
Die Abgeordnete begrüßte auch die vorgesehene Möglichkeit zu uneigennützigen Nierenspenden, ohne den Empfänger zu kennen. Die FDP-Fraktion fordere seit langem, das Potenzial der altruistischen Lebendspende besser zu nutzen, um Betroffenen, die dringend auf ein Organ warten, zu helfen.
Thema im Bundestag ist auch eine Reform der Regeln für Organspenden nach dem Tod. Eine Abgeordnetengruppe stellte dazu eine fraktionsübergreifende Initiative vor, die auf die gesetzliche Einführung einer Widerspruchsregelung zielt. Das heißt, dass zunächst alle als Spender gelten sollen – es sei denn, man widerspricht.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier spricht sich für eine Widerspruchslösung bei der Organspende aus - und erzählt gemeinsam mit seiner Frau eine persönliche Geschichte.
Es sei „ein Widerspruch, wenn wir die Widerspruchslösung im eigenen Land ablehnen und zugleich die Organe aus den anderen Ländern gerne annehmen. Wir begreifen uns als verantwortungsbewusste, mündige Bürger, deshalb können wir uns auch abverlangen, eine Entscheidung zu treffen“, sagte Steinmeier dem Magazin Bunte in einem gemeinsamen Interview mit seiner Frau Elke Büdenbender.
Bisher habe man die Menschen in Deutschland nicht ausreichend überzeugen können, sich für oder gegen eine Organspende auszusprechen, so der Bundespräsident. Zur selben Zeit profitiere man aber durch den Eurotransplantverbund von der deutlich höheren Spendenbereitschaft im europäischen Ausland.
Man wolle niemanden zur Organspende nach dem Tod zwingen, „sie ist freiwillig und muss freiwillig bleiben“. Jährlich stürben jedoch viele Menschen, „die nicht sterben müssten, wenn Organe zur Verfügung stünden“, sagte Steinmeier. Derzeit sind Organentnahmen nur mit ausdrücklicher Zustimmung erlaubt. Ein erster Anlauf für eine Widerspruchslösung war 2020 im Bundestag gescheitert. © dpa/aerzteblatt.de
Bündnis ProTransplant
23. Juli 2024
Nachdem die bisherigen Reformen der Transplantationsgesetzgebung nicht dazu geführt haben, dass sich die Situation bei der Organtransplantation verbessert hat, gibt es sowohl seitens des Bundesrats als auch einer Gruppe von Bundestags-Abgeordneten neue Bestrebungen, auch in Deutschland die Widerspruchsregelung einzuführen. Das Bündnis ProTransplant, ein breiter Zusammenschluss von mehr als 30 Patientenverbänden, Selbsthilfegruppen und namhaften Unterstützer*innen, begrüßt diese Initiativen ausdrücklich.
Die Mitglieder des Bündnisses nehmen jedoch auch wahr, dass die aktuelle politische und gesellschaftliche Diskussion um die mögliche Einführung der WSR bei manchen Menschen von Sorgen und Ängsten geprägt ist. Das Bündnis ProTransplant nimmt diese Bedenken und Befürchtungen ernst und möchte gleichzeitig sachlich aufklären. In diesem Informationsbeitrag finden Interessierte daher 20 Antworten auf häufige Fragen zur WSR und zur Transplantationsgesetzgebung.
Unter einer WSR wird angenommen, dass eine Zustimmung zur Organspende besteht, wenn kein Widerspruch vorliegt. Sollte eine Person als Organspender*in infrage kommen, wird überprüft, ob ein Widerspruch in Dokumenten oder im Organspenderegister vorliegt. Darüber hinaus werden die Angehörigen befragt, ob ihnen der Wunsch der Person bekannt ist. Bei der WSR steht die Selbstbestimmung an oberster Stelle. Hat die hirntote Person zu Lebzeiten einer Organspende widersprochen, können die Angehörigen keine andere Entscheidung herbeiführen. Das Ganze gilt auch umgekehrt.
Nein. Wenn Sie nach einem Hirntod keine Organe spenden möchten, können Sie jederzeit ohne Begründung widersprechen. Ein Widerspruch lässt sich in wenigen Minuten und auf mehreren Wegen erklären:Informieren Sie ihre Angehörigen, füllen Sie einen Organspendeausweis mit der Option „Nein“ aus, schreiben Sie es in die Patientenverfügung oder tragen Sie sich in das Organspenderegister ein. Auch ein einfacher Zettel im Portemonnaie genügt.
Jeder kann vorsorglich, also ohne Beschäftigung mit dem Thema, widersprechen. Oder eben nicht, wenn Sie es für eine gute Sache halten.
Indem Sie widersprechen, stellen Sie sicher, dass Sie im Falle Ihres Hirntods kein*e Organspender*in werden.Die Frage, was Sie möchten, wenn Sie, Ihr*e Ehepartner*in oder Ihr Kind ein Organ benötigen sollten, können Sie in der konkreten Situation entscheiden. Eine der Schwierigkeiten bei diesem Thema besteht darin, dass man es erst begreift, wenn man selbst betroffen ist.
Nein. Eine Körperverletzung kann nur bei lebenden Menschen begangen werden. Organspender*innen sind tot. Eine Körperverletzung ist rechtlich gesehen nicht möglich.
Nein. Die Voraussetzung, um Organspender*in zu werden, ist der komplette Ausfall der Hirnfunktion und der dadurch eintretende Tod (siehe Frage 10). Das kommt sehr selten vor. Die Ursache ist meist ein Schlaganfall, eine Hirnblutung oder ein Unfall mit schwerer Hirnschädigung, sprich ein plötzlicher, tödlicher Unglücksfall. Der Hirntod kann nur auf einer Intensivstation festgestellt werden.So werden zum Beispiel an Unfallorten grundsätzlich keine Entscheidungen zwischen Notfallrettung und Organspende getroffen.Dazu die Fakten: Jährlich sterben in Deutschland ca. 1 Mio. Menschen. Etwas weniger als 1.000 werden zurzeit Organspender*innen, weil sie einen Hirntod erlitten und einer Organspende zugestimmt haben.Dies sind ca. 0,1% der Verstorbenen. Somit sind 99,9% der Bevölkerung von der Regelung nicht betroffen. Natürlich kann es für den Einzelnen ein Problem sein, nicht zu wissen, ob man irgendwann zu den ca. 0,1% der jährlich Versterbenden zählen wird.
Nein. Sie gehören dem Menschen, der auch darüber bestimmen kann, was mit seinen Organen passiert. Daran ändert die WSR nichts. Gegen den Willen eines Bürgers bzw. einer Bürgerin wird niemand zum Organspender bzw. zur Organspenderin. Das Einzige, was Sie tun müssen, wenn Sie keine Organe spenden wollen, ist widersprechen. Übrigens gehören die Organe auch bei einer Spende nicht dem Staat, sondern sie gehen auf eine andere Person über, nämlich den Empfänger bzw. die Empfängerin. Jedes gespendete Organ ermöglicht einem schwerstkranken Menschen ein weitgehend normales Weiterleben.
Die WSR gilt aktuell in 28 Ländern, teilweise seit Jahrzehnten. In all diesen Ländern ist die Zahl der Organspenden deutlich höher als in Deutschland. Und nicht zu vergessen: Jeden Tag werden in Deutschland Organe transplantiert, die über Eurotransplant kommen und aus Ländern stammen, in denen die WSR gilt.
Nein. Wer nach einem möglichen Hirntod keine Organe spenden will, muss vorher widersprechen. Das Selbstbestimmungsrecht ist weder absolut noch einzig, denn auch Wartepatient*innen haben starke Rechte, z. B. das Grundrecht auf Leben und Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 GG). Diese Rechte müssen gegeneinander abgewogen werden. Das aus dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG) folgende Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen im Hinblick auf seine (postmortale) körperliche Integrität bleibt durch das Widerspruchsrecht gewahrt. Gegen seinen Willen wird niemand zum Organspender bzw. zur Organspenderin. Jeder kann sich für oder gegen die Organspende entscheiden. Niemand wird zum Objekt degradiert, instrumentalisiert, verzweckt oder verdinglicht. Jeder Mensch gehört weiterhin sich selbst. Gemäß dem Entwurf der Bundestagsabgeordneten dürfen bei Personen, die offenkundig nicht einwilligungsfähig sind, keine Organe entnommen werden. Minderjährige ab 14 Jahren dürfen eigenständig (ohne Zustimmung der Eltern widersprechen), Minderjährige ab 16 Jahren dürfen eigenständig einer Organspende zustimmen.
Nein. Niemand wird für hirntot erklärt, der Hirntod wird anhand sehr umfangreicher Spezialuntersuchungen auf Basis des sogenannten
Hirntodprotokolls festgestellt, und zwar zwei Mal innerhalb von 24 Stunden von zwei ärztlichen Expert*innen (Neurolog*innen), die nicht in die Organtransplantation involviert sind. Hirntod bedeutet, dass Klein-, Groß- und Stammhirn ausfallen. Jegliche Persönlichkeit, jede Erinnerung, jedes Empfinden, jede Fähigkeit, auch, und vor allem die Fähigkeit, selbstständig zu atmen, sind unwiederbringlich verloren. Dieser Prozess ist unumkehrbar, der Patient bzw. die Patientin ist tot.Wichtig: Notfallrettung und Organspende sind völlig getrennte Dinge. Lebensrettende Maßnahmen werden selbstverständlich immer durchgeführt.
Nein. Der Gesetzentwurf sieht eine Übergangsfrist von zwei Jahren vor. In den letzten sechs Monaten vor Einführung der WSR wird jeder Bürger bzw. jede Bürgerin ab 14 Jahren drei Mal angeschrieben und umfassend über die WSR und die individuellen Optionen informiert.Repräsentativbefragungen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung haben gezeigt, dass
84% der Bevölkerung die Organspende positiv sehen und dass 73% im Falle ihres Hirntodes ihre Organe spenden würden. Für diese Menschen, also eine Mehrheit, ist die WSR eine Erleichterung, weil sie nichts weiter tun müssen. Bei der WSR geht es nicht darum, mehr Organspenden zu ermöglichen, indem über Menschen hinweg entschieden wird. Es geht darum, dass jeder aufgefordert ist, eine individuelle Entscheidung zu treffen.
Ja. Zwei Beispiele:a. Sie müssen innerhalb von sechs Wochen gegenüber dem Amtsgericht widersprechen, wenn Sie über eine Erbschaft informiert wurden und diese nicht annehmen wollen. Wenn Sie nicht widersprechen, erben Sie, ggf. auch Schulden.b. Wenn Sie die gesetzliche Erbfolge nicht für eine gute Regelung halten, müssen Sie widersprechen, indem Sie ein Testament erstellen.
Mit dem Wissen aus all den oben genannten Ländern, dass die WSR die Wartezeit auf ein Organ verkürzt, sehen wir in allererster Linie die Notwendigkeit, dass eine Regelung etabliert wird, die für alle Bürger*innen vorteilhaft ist, auch für den Fall, dass sie selbst ein Spenderorgan benötigen.Das persönliche Risiko, ein Organ zu benötigen, übersteigt um ein Vielfaches das, potenziell ein*e Spender*in zu werden. Jährlich werden ca. 5000 Patient*innen neu auf die Warteliste aufgenommen. Dem stehen derzeit knapp 1.000 Organspender*innen gegenüber. Eine Übergriffigkeit können wir somit nicht erkennen.
Wir sehen dafür keinen Anhaltspunkt und verweisen auf die Stellungnahmen renommierter Verfassungsrechtler. So hat z. B. der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts keine Bedenken in diese Richtung, solange jeder jederzeit ohne Begründung und aufwandsarm widersprechen kann.Professor Dr. Josef Franz Lindner, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Medizinrecht und Rechtsphilosophie der Universität Augsburg stellt fest: „Eine Verletzung des Selbstbestimmungsrechts/Allgemeinen Persönlichkeitsrechts liegt nicht vor, da weder eine „Entscheidungs- noch eine Befassungspflicht vorliegt“, lediglich eine „Widerspruchslast“, die ein „gerechtfertigter Grundrechtseingriff“ ist.
Wir haben keine Lösung, wir haben eine Regelung, denn gelöst ist das Problem des Sterbens und des Leids auch in anderen Ländern nicht, aber am wenigsten in Deutschland. Wir haben auch keine Entscheidungsregelung. Es gibt keine Pflicht zur Entscheidung! Zurzeit gilt eine Zustimmungsregelung, denn vor einer Organspende muss immer die Zustimmung des potenziellen Organspenders oder der Organspenderin und/oder der Angehörigen vorliegen. Die durchschnittliche Wartezeit auf eine Niere beträgt in Deutschland ca. 10 Jahre, in Spanien nur ca. ein Jahr. Daran wird deutlich, dass die aktuelle Regelung nicht ausreicht, um die betroffenen Patient*innen medizinisch angemessen zu versorgen.
Diese Frage bzw. Aussage ist ethisch unzulässig. Die zivilisierte Welt hat sich darauf verständigt, kranken Menschen die bestmögliche Behandlung zukommen zu lassen. Je nach Erkrankung kann ein Antibiotikum, eine Chemotherapie, ein Stent oder die Entfernung des Blinddarms die beste Therapie sein, für andere Krankheiten ist es eine Organtransplantation. Wir fragen: Was würden Sie Ihrer 12-jährigen Tochter sagen, wenn die Ärzt*innen bei ihr eine Krankheit feststellen, bei der nur eine Transplantation das Leben retten kann?Würden Sie sagen: „Kind, Du bist krank, da kann man nicht viel machen, tut mir leid“? Oder würden Sie sich für Ihre Tochter die bestmögliche Therapie wünschen, damit sie möglichst lange und gut weiterleben kann?
Wären Transplantationen ein Riesengeschäft für irgendjemanden, gäbe es nicht diesen eklatanten Mangel, jährlich über 1.000 Tote und das unendliche Leid der Wartepatient*innen. Ärzt*innen bekommen ein fixes Gehalt und kein Extra-Geld für eine Organspende. Allerdings ist zu beachten: Je länger zum Beispiel eine Dialysebehandlung dauert, desto kränker (und teurer für die Gesellschaft) werden die Dialysepatient*innen. Grob gerechnet ist ein Jahr Dialysebehandlung in etwa so teuer wie eine Nierentransplantation. Hier noch einmal der Hinweis, dass die durchschnittliche Wartezeit auf eine Niere in Deutschland ca. 10 Jahre beträgt und in Spanien ca. 1 Jahr.
Wir verstehen die Ängste von Menschen, die sich während der Corona-Pandemie vom Staat bevormundet fühlten. Es gab rückblickend während der Corona-Krise falsche und überzogene Entscheidungen, die bisher nicht ausreichend politisch aufgearbeitet wurden. Die Situation bei der WSR ist eine ganz andere, denn hier kann jede*r immer selbst entscheiden, ob er oder sie im Falle des Hirntods Organspender*in werden möchte oder nicht. Die Entscheidung wird respektiert und zieht keinerlei Nachteile nach sich. Auch wer widersprochen hat, bekommt im Falle des Falles eine Organspende, wenn er sie braucht und wünscht.
Nein. Da geben wir denjenigen Recht, die an der Wirkung der WSR Zweifel äußern (s. Frage 20). Deshalb bevorzugen wir es auch, von einer Widerspruchsregelung zu sprechen, denn es würde etwas besser geregelt als bisher. Die WSR wäre ein echter Paradigmenwechsel, ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer Kultur der Organspende. In Schweden hat sich die Zahl der Organspenden nach Einführung der WSR nach ca. 10 Jahren verdoppelt. Wenn man den Effekt für Deutschland genau ermitteln möchte, wäre es sinnvoll, begleitend eine wissenschaftliche Studie zu initiieren.
Es ist schon lange bekannt, dass es in Deutschland Defizite bei der Erkennung möglicher Organspender*innen in den Krankenhäusern gibt. So wurde 2023 in über 1.500 Fällen, in denen eine Organspende möglich gewesen wäre, die Frage danach nicht gestellt. Zum Vergleich: Wir haben derzeit knapp 1.000 Organspender*innen.Eine wissenschaftliche Studie von 2018 kommt zu dem Schluss, dass ca. 3.000 Organspender jährlich möglich wären. Die WSR stellt einen deutlichen Auftrag an das Gesundheitssystem dar, in jedem Einzelfall zu prüfen, ob eine Organspende möglich und gewünscht ist.Deshalb sollten begleitend zur WSR die Strukturen und Prozesse in den Krankenhäusern analog zu Spanien optimiert werden: Dort sind z. B. die Transplantationsbeauftragten Angestellte der staatlichen Transplantationsbehörde und nicht des Krankenhauses. Zusätzlich sollte auch in Deutschland - wie in vielen Ländern Europas - die Organspende nach Herz-Kreislauftod erlaubt sein. Auch dies bedeutet nicht, dass jede*r zum Organspender bzw. zur Organspenderin wird, der oder die zu Lebzeiten nicht widersprochen hat, sondern nur Patient*innen, die definitiv sterben werden und teil-hirntot sind. Diese Konstellation ist ähnlich selten wie der eigentliche Hirntod und betrifft voraussichtlich noch weniger als ca. 0,1% der Verstorbenen.
Das Bündnis ProTransplant ist ein Zusammenschluss von über 30 Patientenverbänden und Selbsthilfegruppen. Sein Ziel ist es, die Gesetzgebung zur Organspende und Organtransplantation so zu verbessern, dass jeder Mensch, der ein Organ benötigt, es innerhalb einer vertretbaren und mit unseren europäischen Nachbarländern vergleichbaren Wartezeit bekommt. Wir setzen uns für die Lebenschancen organkranker Patient*innen ein.
Sehr geehrte Patientenvertretende,
bevor wir mir DIATRAs Chefredakteur Denis Stamm in den Urlaub gehen, veröffentlichten wir heute eine Pressemitteilung (PM) darüber, dass Ihr als Betroffene die richtigen Ansprechpartner zum Thema Organspende und WSR für die Medien und die Politik seid. Diese PM könnt Ihr sehr gerne nutzen und weiterverbreiten. Die PM finden sie hier: https://diatra.de/articles/2024/07/23/organspende-patientenvertretung-jetzt
Wir haben uns mit dieser PM heute an die Medien wie mit dem dringenden Anliegen gewendet:
In den Medien und sozialen Netzwerken werden zahlreiche Behauptungen verbreitet, die auf der Grundlage falscher/selektiver/stark verkürzter Fakten die Organspende, die Widerspruchsregelung und die Lebendspende diskreditieren. Leider wird von Seiten der Aufklärungsinstitutionen zu wenig getan, um den Falschinformationen die tatsächliche Faktenlage gegenüberzustellen. Wir halten es daher für dringend erforderlich, dass die Betroffenen und ihre Angehörigen endlich die ihnen gebührende mediale Aufmerksamkeit erhalten. Sie sind es, die die Auswirkungen der derzeitigen Gesetzgebung am eigenen Leib zu spüren bekommen und am besten Auskunft geben können. Der gemeinnützige DIATRA-Verlag bietet sich seit vielen Jahren als Forum für die Betroffenen, die Angehörige, die Fachexperten und politische und weitere Akteure, um einen Austausch auf Augenhöhe rund um die Themen Diabetes, Hochdruck, Organ-, Gewebe- und Hochdruckkrankheiten, Transplantation und Diabetes.Bei der Suche nach Patientenvertretern erscheint es uns wesentlich, Personen oder Institutionen anzuhören, die tatsächlich die Interessen aller Betroffenen vertreten und ihre Positionen auf der Grundlage aktueller Zahlen und Fakten darlegen können. Es kann nicht sein, dass die redaktionelle Recherche nach geeigneten Ansprechpartnern bei den ersten Treffern bei der Google-Suche endet.
Liebe Grüße aus Mainz
Agata Stark
Projekte und Redaktion
DIATRA-Verlag gGmbHDer gemeinnützige medizinische FachverlagKaiser-Wilhelm-Ring 78D-55118 MainzTel. +49 6131 6352-304Fax +49 6131 6352-586www.diatra.de
PRESSE, GESUNDHEITSPOLITIK Für die Widerspruchsregelung bei der Organspende: Wir sind die Patientenvertretenden! DIATRA 23. Juli 2024 Bereits zweimal hat der gemeinnützige DIATRA-Verlag die regionalen und bundesweiten Selbsthilfegruppen und Verbände der Organ-Wartepatienten und ihrer Angehörigen in Videokonferenzen empfangen, um gemeinsam ein Konzept zu erarbeiten, das die Chancen für die Einführung der Widerspruchregelung unterstützen soll. Diese Patientenvertretenden sind Experten für die verschiedenen Facetten des Lebens mit chronischen Nieren-, Leber-, Herz- oder Lungenerkrankungen und sprechen für das Gros der chronisch Kranken in Deutschland, deren Überleben von einer Organ- und Gewebespende abhängt. „Es ist erschreckend, wie viele Behauptungen in der Presse und Social Media verbreitet werden, die auf Grundlage falscher Fakten die Organspende, die Widerspruchsregelung und die Lebendspende diskreditieren“, so der gemeinnützige DIATRA-Verlag. „Wir sehen als dringend gegeben, dass nun endlich die Betroffenen und die Angehörigen die ihnen zustehende Aufmerksamkeit erhalten und angehört werden. Diese sind die ersten, die die negativen Auswirkungen der aktuellen Gesetzeslage am eigenen Leib ertragen müssen und am besten Auskunft geben können.“ Der Bundesrat hat am 5. Juli 2024 beschlossen, den Gesetzentwurf zur Einführung der Widerspruchsregelung bei der Organspende in den Bundestag einzubringen. Eine weitere Gesetzesinitiative für die Einführung der Widerspruchsregelung wurde von sechs Bundestagsabgeordneten aus allen demokratischen Parteien Deutschlands unter Schirmherrschaft von Sabine Dittmar, Referentin des Bundesgesundheitsministeriums, initiiert. Auch junge Menschen sterben auf der Warteliste Für die meisten Wartepatientinnen und -patienten kommt das lebensrettende Organ in Deutschland zu spät, so wie auch für die einen Tag vor der letzten DIATRA-Videokonferenz verstorbene Schwester von Susanne Dammann, Vorsitzende der bundesweiten PKD Familiäre Zystennieren e.V. „Der Tod meiner Schwester ist ein harter Schlag für mich. Er motiviert mich aber noch mehr, mich in der Selbsthilfe und für die Widerspruchsregelung einzusetzen. Genau wie meine Großmutter, meine Mutter und meine Schwester bin ich von familiären Zystennieren und Zystenleber betroffen - und alle drei mussten daran sterben, weil das Leben eines organkranken Menschen in Deutschland so wenig zählt. Bis zur Einführung der Widerspruchsregelung hoffe ich noch durchzuhalten“, so Susanne Dammann. „Das ist unsere letzte Chance für die Einführung der Widerspruchsregelung, damit Menschen wie Rebecca Biernat mit Mitte Dreißig nicht mehr sterben müssen“, bekräftigt die lebertransplantierte Gudrun Ziegler vom Bündnis Organspende Berlin (s. die Berichte „Uns rennt die Zeit davon“ und „Rebeccas letzter Blogeintrag“). „Wir Organisatoren wollen die World Transplant Games dafür nutzen, um dieses lebenswichtige Thema in der Öffentlichkeit voranzutreiben“, ergänzt die lebertransplantierte begeisterte Sportlerin Gudrun Manuwald-Seemüller, erste Vorsitzende von TransDia e.V. und Managing Director der World Transplant Games 2025 Dresden. Bisherige Maßnahmen reichen bei Weitem nicht aus Die Bundesabgeordneten argumentieren, dass die Gesetzesänderung notwendig sei, da die 2020 verabschiedete Zustimmungsregelung nicht wie erhofft zu mehr Organspenden geführt habe. Auch das geplante Gesetz für die Erweiterung der Überkreuz-Spende der lebend entnommenen Nieren oder Leber und das noch nicht flächendeckend angeschlossene Organspende-Register werden den drastischen Mangel an Organ- und Gewebespenden nicht wesentlich beheben, so Mario Rosa-Bian, Vorsitzender der Interessengemeinschaft Niere NRW e.V. Er und weitere Organspende-Experten stehen für alle Fragen zur Transplantationsgesetzgebung in Deutschland und anderen Ländern Journalisten und der interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung. Solange bei hirntoten Personen in den Kliniken die Möglichkeit einer Organspende nicht systematisch überprüft wird, ist Deutschland von einer Kultur der Organspende noch sehr weit entfernt. Papst Franziskus spricht sich schon seit Jahren für die Organspende aus und ermutigt zur Organspende als „edle und verdienstvolle Tat“. In Anlehnung an den Katechismus der Katholischen Kirche betonte der Papst auch, dass die Organspende nicht nur eine soziale Verantwortung, sondern auch ein Zeichen umfassender Solidarität und Nächstenliebe sei. Auch die Kirchen sind in der Pflicht Der katholische Pater Klaus Schäfer, Seelsorger an einem Transplantationsklinikum, hält die Widerspruchsregelung ebenfalls für mehr als dringend notwendig. „Der Staat regelt durch die Widerspruchsregelung nur das, was rund 70% der Bürgerinnen und Bürger nach 10 Jahren intensiver Aufklärung und Appellen nicht regeln wollen. Seit Jahrzehnten gibt es im deutschen Rechtswesen die Grundregel ,Wer nicht widerspricht, stimmt zu‘. Das bekannteste Beispiel ist das Erbrecht. ,Wer kein eigenes Testament verfasst, stimmt der gesetzlichen Erbfolge zu‘“, so Pater Schäfer. Es sei an der Zeit, über nicht mehr benötigte Organe und Gewebe zu verfügen – im Zweifel für eine Organspende an Bedürftige aus Nächstenliebe. Selbstverständlich hätten bei der Widerspruchsregelung die Angehörigen das letzte Wort, wie es in vielen anderen Ländern mit Widerspruchsregelung auch gehandhabt wird, betont er. Der DIATRA-Verlag Der 1991 gegründete gemeinnützige DIATRA-Verlag berichtet seit über 30 Jahren interdisziplinär über die medizinischen Fachgebiete Nephrologie, Transplantation und Diabetologie und setzt sich für die Organ- und Gewebespende ein. Er wendet sich dabei sowohl an Betroffene als auch an medizinisches und pflegerisches Fachpersonal, um alle Akteure auf Augenhöhe zu bringen, ihre Zusammenarbeit und damit letztlich die Lebensqualität chronisch kranker Menschen zu verbessern
17.07.2024
In Deutschland müssen Tausende Patienten lange auf Spenderorgane warten - darunter auf Nieren. Eine Gesetzesänderung soll die Aussichten für sie verbessern.
Im Ringen um mehr Organspenden sollen erweiterte Möglichkeiten für die Übertragung von Nieren kommen. Das Bundeskabinett beschloss einen Gesetzentwurf von Gesundheitsminister Karl Lauterbach, mit dem Nierenspenden künftig auch zwischen zwei unterschiedlichen Paaren "über Kreuz" erlaubt sein sollen. Das gebe vielen Nierenkranken Hoffnung, sagte der SPD-Politiker. Gestärkt werden soll auch der Schutz für Spenderinnen und Spender durch mehr Aufklärung und medizinische und psychosoziale Unterstützung.
Hintergrund sind derzeit enge Grenzen für Nierenspenden zu Lebzeiten. Zulässig sind sie nur an Verwandte ersten oder zweiten Grades, Ehegatten, eingetragene Lebenspartner oder andere, die Spendern "in besonderer persönlicher Verbundenheit offenkundig nahestehen". Künftig soll es auch zwischen Paaren möglich werden, die sich nicht so nahe sind, erläuterte Lauterbach.
Konkret geht es um das Übertragen einer Niere, wenn dies unter Spendepaaren (Spender/Empfänger) medizinisch nicht möglich ist. Künftig soll die Niere dann nicht an die geplante nahestehende Person gehen, sondern "über Kreuz" an einen passenden Empfänger, der mit seinem vorgesehen nahestehenden Spender ebenfalls nicht kompatibel ist. Im Gegenzug geht die Spenderniere des anderen Paares dann an die Empfängerin oder den Empfänger des ersten Paares.
Aufgehoben werden soll zudem die Vorgabe, dass Nierenspenden nur zulässig sind, wenn kein Organ eines Gestorbenen verfügbar ist. Seit langem reicht die Zahl der Spendernieren nicht, um den Bedarf zu decken, wie es im Entwurf heißt.
dpa
Stand: 17.07.2024
Von: Björn Hayer
Gehört der Mensch wirklich nur sich selbst? Just macht sich eine neue Initiative für die Widerspruchslösung bei der Organspende stark – und hat dringliche Argumente auf ihrer Seite.
In einer idealen Welt, ohne Abgründe und Widersprüche, fällt seine Verteidigung nicht schwer: Das einzelne Subjekt, das wegen seiner unantastbaren Würde allzeit den höchsten Schutz erfahren muss. Es gehört in diesem Sinne nur sich selbst. Und tatsächlich folgen diesem Prinzip auch die westlichen Gesellschaften, indem sie sich gemäß dem Soziologen Andreas Reckwitz zunehmend singularisiert haben.
Statt in Gruppen, sucht das spätmoderne Individuum seine Identität durch Abgrenzung zu behaupten, durch den exklusivsten Urlaub, den besten Job, die erfolgreichste Beziehung, alles instagramable, versteht sich. Trotz dieser Entwicklung muss der spätmoderne Mensch feststellen, dass er sich leider in einem imperfekten Dasein bewegt. Als verletzliche Wesen sind wir – ungeachtet des technologischen Fortschritts – noch immer Krankheiten ausgeliefert. Eben durch sie gerät seit Jahren immer wieder eine virulente politische Frage auf die Agenda: Was passiert, wenn ein Teilverzicht auf die eigene körperliche Integrität (nach dem Tod) zur Rettung eines anderen Lebens beitragen kann?
Kurzum, wir diskutieren erneut über die Organspende. Nachdem die 2020 beschlossene Entscheidungslösung vom Bundestag verabschiedet wurde, aber bis dato zu keiner nennenswerten Erhöhung der Entnahme von Herzen, Nieren und Lebern beitrug, wurde nun seitens des Bundesrats eine neue Initiative gewagt. Sie forciert die Widerspruchslösung. Während die gegenwärtige Gesetzeslage eine Organentnahme nur nach aktiver Zustimmung (zu Lebzeiten) vorsieht und somit umfassend das Freiheitsrecht des Einzelnen gewährleistet, stellen wir alle im neuen Vorstoß, sofern wir uns nicht dezidiert gegen eine Entnahme äußern, mögliche Spender dar – eine moraltheoretische Zwickmühle!
Wie weit lässt sich unser Persönlichkeitsliberalismus also dehnen und wo bestehen Gefahren? Die Ethikerin Karen Joisten beklagt, dass in der jetzigen Situation die selbstbestimmte Entscheidung schon unter tendenziösen Vorzeichen stünde. Wer sich angesichts der hohen Sterbezahlen unter jenen, die zu Zehntausenden auf den Wartelisten dahinvegetieren, nicht zur Spende bereiterklärt, sieht sich indirekt dem Vorwurf fehlender Empathie und Mitmenschlichkeit ausgesetzt. Deswegen müsse nach Ansicht der Philosophin die einzigartige biografische Erzählung jedes Subjekts berücksichtigt werden. Hierbei können schlechte Erfahrungen bei verstorbenen Verwandten eine Rolle spielen, mithin Traumata und religiöse Gründe. „Leitend für diesen Ansatz“, der auf der völligen Autonomie beruht, „ist die Überzeugung, dass das Wesentliche nicht normierbar ist. Denn das Wesentliche taucht in den Horizonten der Lebensgeschichte jedes einzelnen Menschen auf“, so Joisten.
Nur: Sind wir auch in anderen, insbesondere bioethischen Fragen so losgelöst? Etwa bei den Diskursen um Abtreibungen oder die Wehrpflicht, wo wir mit unserem eigenen Körper stets erneut in Grauzonen verschiedener Interessensgüter geraten?
Allem voran das „Zwischen“ begründet in diesen ähnlich gelagerten Auseinandersetzungen eine wichtige Argumentationslinie der Gegenseite. Sie geht davon aus, dass wir nie nur uns allein gehören. Schon zu Lebzeiten nicht. Ob als Kleinkind, zu pflegende Person oder nur als Ehepartner oder -partnerin – wir alle stehen in permanenten Abhängigkeitsverhältnissen zueinander. In einem christlichen Rahmen, wie ihn etwa der Theologe Notger Sleczka vertritt, sogar noch gegenüber Jesus, „der ein dienstbarer Knecht aller wurde“.
Auch unabhängig von dieser weltanschaulichen Prägung lässt sich beobachten, dass Gesellschaft nur in alltäglichen Wechselbeziehungen funktioniert. Ihre Mitglieder überleben einzig und allein, weil sie in diversen Systemen des Gemeinwesens Fürsorge füreinander übernehmen. Sogar unter Strafandrohung werden sie eingefordert. Dies trifft mitunter für den Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung zu, oder auch für selbst gegen den Willen einer Person verordnete Autopsien bei dem Verdacht, dass die verstorbene Person Opfer eines Verbrechens geworden sein könnte.
Auf dieser Basis plädiert der Rechtswissenschaftler und -philosoph Reinhard Merkel in einer Publikation des deutschen Ethikrats eindeutig für die Widerspruchslösung: „Sie verhilft einer moralisch gewichtigen Solidaritätspflicht zur Wirksamkeit für einen höchstrangigen ethischen Zweck: den der Rettung des menschlichen Lebens (…). Ihr gegebenenfalls nötigender Nachdruck, ein Schweigen auf die Aufforderung zur Erklärung werde als Zustimmung fingiert, ist als Ausdruck legitimen Rechtszwangs ebenfalls zulässig.“
11.07.2024
Tausende Schwerkranke warten auf gespendete Organe. Die Politik versucht deshalb, mehr Menschen dazu zu bewegen, sich als Spender zu registrieren. Viele Menschen suchen nun das Arztgespräch.
Im vergangenen Jahr wurden Beratungsgespräche zu einer möglichen Organ- und Gewebespende deutlich mehr nachgefragt. Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte haben fast 3,8 Millionen Gespräche zu den Voraussetzungen und Möglichkeiten geführt, wie das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (Zi) mitteilte. Im Jahr zuvor seien es noch 2,44 Millionen gewesen.
Die Beratungsgespräche könnten dazu beitragen, Ängste und Befürchtungen zu überwinden und die Zahl der Organspenden zu erhöhen, sagte der Zi-Vorstandsvorsitzende Dominik von Stillfried laut Mitteilung. "Unsere Ergebnisse zeigen, dass in der Bevölkerung eine große Bereitschaft zur Organspende, aber ein noch größeres Bedürfnis nach medizinisch gesicherter Information und qualifizierter Beratung besteht."
Ein im März 2022 in Kraft getretenes Gesetz sieht eine ergebnisoffene Beratung als zusätzliche hausärztliche Leistung vor. Patientinnen und Patienten haben dadurch alle zwei Jahre Anspruch auf eine Aufklärung zur Organspende.
Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, hält das Gesetz für gut. "Es fehlt jedoch jeder Beweis, dass damit automatisch die Bereitschaft der Bevölkerung zur Organspende steigt", sagt er. "Sich zu informieren ist das eine, das Ergebnis der Beratung das andere." Das Institut dürfe beides nicht miteinander vermischen.
Im vergangenen Jahr warteten 8.400 Menschen auf Organspenden
Mehr Organe wie Nieren, Lebern oder Herzen für schwer kranke Patienten werden seit Jahren dringend benötigt. Im vergangenen Jahr gaben 965 Menschen nach ihrem Tod ein Organ oder mehrere Organe für andere frei, wie die koordinierende Deutsche Stiftung Organtransplantation ermittelte. Zugleich standen aber 8.400 Menschen auf Wartelisten. Damit Spenden überhaupt infrage kommen, müssen zwei Fachärzte unabhängig voneinander den Hirntod eines Verstorbenen feststellen.
Mit dem 2020 beschlossenen Register-Gesetz bleiben Organspenden nur mit ausdrücklicher Zustimmung erlaubt. Der Bundesrat setzt sich für eine Änderung der Regeln ein, um mehr Transplantationen zu ermöglichen. Die Länderkammer beschloss vergangene Woche, einen Gesetzentwurf für die Einführung einer Widerspruchslösung in den Bundestag einzubringen. Im März ging ein Organspende-Register an den Start, in dem man Erklärungen zu seiner Spendenbereitschaft online speichern kann.
WESTFALEN-BLATT Nr. 155 Samstag, 6. Juli 2024
UN-Bericht:
Organraub bei Flüchtlingen
GENF (dpa). Auf den Fluchtrouten aus Afrika Richtung Mittelmeer nehmen die verheerenden Gefahren nach einem UN-Bericht zu: Manchen verzweifelten Migranten würden unter Zwang Organe entnommen, anderen drohe Versklavung, sexuelle Ausbeutung, Folter, Erpressung, Raub und vielen der Tod.
Im Vergleich zu dem vorherigen Bericht aus dem Jahr 2020 hätten mehr Menschen von sexueller Gewalt, Entführung und Übergriffen krimineller Banden berichtet.
Für den Bericht wurden zwischen 2020 und 2023 rund 30.000 Menschen befragt.
Die Autoren schätzen, dass auf den Landrouten doppelt so viele Menschen ums Leben kommen wie bei der gefährlichen Überfahrt über das Mittelmeer. Auf der zentralen Mittelmeerroute von Tunesien, Libyen oder Ägypten Richtung Italien und Malta kamen zwischen 2014 und heute mehr als 23.500 Menschen um.
In mindestens zwei Ländern würden Migranten entführt und betäubt, sagte Vincent Cochetel vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR.
„Sie wachen auf und haben eine Niere weniger“, sagte er in Genf. Er geht von Tausenden Fällen aus. Das UNHCR nennt keine Länder, aber in Berichten werden Ägypten und Libyen genannt.
Nach Angaben der Organisationen treiben Konflikte, Verzweiflung und die Folgen des Klimawandels immer mehr Menschen in Afrika in die Flucht. Die Menschen müssten entlang der Fluchtrouten besser geschützt werden.
Mindener Tageblatt 25.06.2024 Politik und Meinung
Anlauf für mehr Organspenden
Eine Parlamentsgruppe sucht eine Mehrheit für die Widerspruchslösung bei Transplantationen. Doch die Initiative stößt auch auf Kritik.
Von Steven Geyer
Berlin. In Umfragen sprechen sich viele Menschen prinzipiell für die Organspende aus. Trotzdem sind die Zahlen der Spenderinnen und Spender deutlich niedriger als der Bedarf. Eine parteiübergreifende Initiative will einen neuen Anlauf für die Einführung der Widerspruchslösung wagen. Die Reaktionen reichen von klarer Unterstützung bis zu strikter Ablehnung.
Schicksale rühren ans Herz
Das Thema ist komplex, die Debatte ist heikel, denn bei der Frage der Organspende sind die Abwägungen ethisch schwierig, und die Schicksale rühren ans Herz. Es gibt Schilderungen von Hinterbliebenen, die gerade erst vom Unfalltod ihres Angehörigen erfahren haben und nun binnen Minuten entscheiden sollen, ob man ihm, der da friedlich an der Beatmungsmaschine zu schlafen scheint, das Herz oder die Augäpfel entnehmen darf. Ringt man sich dazu durch, bereut es mancher, sobald er den Anblick des notdürftig vernähten Brustkorbs oder bandagierten Gesichts sieht.
Doch es gibt auch Stimmen wie die der Mutter eines zweijährigen Kindes, das mit Herzfehler geboren wurde und nun seit mehr als einem Jahr auf der Warteliste für ein Spenderorgan steht. Die ständige Angst, dass eine Spende zu spät kommt, lasse sie verzweifeln, schreibt die Frau in einem Brief an einen Bundestagsabgeordneten, der etwas gegen den eklatanten Mangel an Organspendern in Deutschland tun will. Sie könne sich nicht vorstellen, dass die Zahl der Spender so gering bleibe, wenn sich jeder Deutsche wenigstens einmal im Leben mit der Frage beschäftige.
So zitiert es am Montag der CSU-Politiker Peter Aumer, an den der Brief ging. Er sollte ihn in seinem neuen Versuch bestärken, die Rechtslage in Deutschland doch umzudrehen: Organspender sollten nicht nur jene werden dürfen, die sich zeitlebens aktiv dafür melden – und von denen im Todesfall aus medizinischen Gründen dann nur noch 2 Prozent infrage kommen. Das führte dazu, dass es im vorigen Jahr gerade einmal 965 Menschen gab, die nach ihrem Tod ein oder mehrere Organe gespendet hatten – im Vergleich zu 8400 schwer kranken Patienten auf den Wartelisten, von denen Tag für Tag drei sterben, weil nicht rechtzeitig ein Spenderorgan gefunden wird. Auf eine Niere wartet man in Deutschland derzeit rund zehn Jahre. In Frankreich würden doppelt so viele Menschen durch Organspenden gerettet wie in Deutschland, in den USA dreimal so viele.
An diesem Montag stellte deshalb in Berlin eine Gruppe von Abgeordneten aus CSU, CDU, SPD, Grünen, FDP und Linkspartei einen neuen Gesetzentwurf für eine Widerspruchslösung vor. Nach ihrem Modell würden alle Erwachsenen als Spender gelten – es sei denn, man widerspricht. Die Hinterbliebenen müssten die Entscheidung nach dem Tod ihres Angehörigen nicht mehr treffen, sondern lediglich bezeugen oder überbringen, argumentierte der Grünen-Abgeordnete und habilitierte Mediziner Armin Grau: Ihnen werde die Last genommen, den mutmaßlichen Willen Verstorbener zu interpretieren, die sich vorab nie explizit geäußert hatten.
Ein Anlauf für eine Widerspruchslösung war zwar 2020 gescheitert, stattdessen wurde ein Gesetz zur „Stärkung der Entscheidungslösung“ verabschiedet. Es sollte mit mehr Werbung und Aufklärung sowie besseren Strukturen und Vergütungen für die Transplantationszentren für mehr Organspenden sorgen. Doch die Zunahme um nur 96 Spender im Vorjahr sei so ernüchternd, dass die Befürworter nun eine erneute Abstimmung herbeiführen wollen. „Wir sind schlicht und ergreifend nicht zufrieden mit den Zahlen, die uns vorliegen“, erklärte die SPD-Abgeordnete Sabine Dittmar.
Unterstützung durch Lauterbach
Zu den Unterzeichnern des neuen Gesetzentwurfes gehören auch der amtierende Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und sein Vorgänger Jens Spahn (CDU). „Wir müssen uns ehrlich machen: Ohne dass wir allen zumuten, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen, werden die Organspendezahlen nicht signifikant steigen“, erklärte Lauterbach am Montag.
Scharfe Kritik kam von der Deutschen Stiftung Patientenschutz: Grundsätzlich sei jeder medizinische Eingriff ohne Zustimmung des Betroffenen eine Körperverletzung, sagte deren Chef, Eugen Brysch, der „Augsburger Allgemeinen“. Alles andere sei verfassungswidrig.
Die parlamentarische Gruppe strebt eine Entscheidung über ihre Initiative im Bundestag noch in dieser Wahlperiode möglichst bis zum Frühjahr 2025 an, sagte die CDU-Abgeordnete Gitta Connemann. Zu erwarten sei, dass es auch noch einen anderen Antrag geben dürfte. Vorgesehen sind dann eine offene Debatte im Bundestag und Expertenanhörungen.
Die medizinischen Experten sind sich dabei weitgehend einig: Der Mangel an Spenderorganen ist ein unhaltbarer Zustand. „Wichtig ist, dass die Zahl der Organspender in Deutschland spürbar steigt“, sagte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, dem RND. „Mehr Aufklärung darüber, was Organspende eigentlich bedeutet und wie stark sie in Deutschland reguliert und überwacht ist, kann dabei helfen.“
Ohne dass wir allen zumuten, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, werden die Organspendezahlen nicht signifikant steigen.
Karl Lauterbach (SPD), Bundesgesundheitsminister
WB 25.06.2024
Bundestag diskutiert Widerspruchsregelung
Reanimationsversuch bei der Organspende
BERLIN (dpa/epd). Im Ringen um mehr Organspenden in Deutschland kommt ein neuer Anlauf für eine Reform der Spenderegeln im Bundestag in Gang. Eine Gruppe von Abgeordneten stellte am Montag eine fraktionsübergreifende Initiative vor, die auf die gesetzliche Einführung einer Widerspruchsregelung zielt. Das heißt, dass zunächst alle als Spender gelten sollen − es sei denn, man widerspricht. Derzeit sind Organentnahmen nur mit ausdrücklicher Zustimmung erlaubt.
Ein erster Anlauf für eine Widerspruchslösung war 2020 im Bundestag gescheitert. Möglich ist, dass er sich aber in dieser Wahlperiode noch einmal mit dem Thema befasst.
Der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) betonte am Montag, dass auch die Widerspruchslösung bei der Organspende nichts an dem Prinzip der Freiwilligkeit ändern würde. Auch bei der Widerspruchslösung könne jeder dokumentieren, dass ihm nach dem Tod keine Organe entnommen werden sollen, sagte Laumann. Die Entscheidung des einzelnen Menschen sei immer „moralisch in Ordnung, egal ob er sich für oder gegen Organspende entscheidet“. Doch würden bei der Widerspruchsregelung alle Erwachsenen „auch ein bisschen“ dazu gezwungen, sich zu Lebzeiten mit dieser Frage auseinanderzusetzen. „Und das finde ich, ist zu-mutbar“, sagte der CDU-Politiker.Acht Bundesländer setzen sich für einen erneuten Anlauf zur Einführung einer Widerspruchsregelung ein. Ein Anfang Juni im Bundesrat erstmals diskutierter Gesetzesantrag des Landes NRW sieht vor, dass zukünftig alle Menschen in Deutschland grundsätzlich als Organspender gelten, wenn sie dem nicht widersprechen. Die SPD-Abgeordnete Sabine Dittmar sagte: „Wir sind schlicht und ergreifend nicht zufrieden mit den Zahlen, die uns vorliegen.“ Seit Jahren stagnierten Organspenden auf einem wirklich niedrigen Niveau. „Täglich versterben uns drei Menschen auf der Warteliste.“ In Deutschland warteten nach Angaben der Stiftung Organtransplantation Ende vergangenen Jahres knapp 8400 Patienten auf ein Spenderorgan. Dem standen 2900 Organspenden im Jahr 2023 gegenüber. Der Vorstand der Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, lehnt die Widerspruchsregelung ab. Grundsätzlich sei jeder medizinische Eingriff ohne Zustimmung des Betroffenen eine Körperverletzung, sagte er. „Wer schweigt, stimmt nicht automatisch zu.“ In den Ländern Europas, in denen es deutlich mehr Organspender gebe als in Deutschland, hätten erst organisatorische und strukturelle Maßnahmen zu steigenden OrganspendeZahlen geführt, sagte Brysch.
Mindener Tageblatt DIENSTAG 28. MAI 2024
Verfassungsbeschwerde zur Organspende
Scheitert der NRW-Gesundheitsminister Laumann mit seiner Gesetzesinitiative zur Einführung der Widerspruchslösung,zieht das Patientenbündnis Protransplant vor das Bundesverfassungsgericht.
Düsseldorf/Berlin. 8.500 Menschen warten in Deutschland aktuell auf ein Spenderorgan, weil sie schwer krank sind. Viele überleben die Wartezeit jedoch nicht, weil die Zahl der Organspender sehr gering ist. Daran hat auch die letzte Gesetzesänderung im Jahr 2020 nichts geändert. Aufgrund der ausgebliebenen Trendwende bereitet das Bündnis Protransplant eine Verfassungsbeschwerde gegen die bestehenden Regelungen für die Organspende vor. Zuvor hofft das Bündnis jedoch auf den Erfolg der Gesetzesinitiative zur Einführung der Widerspruchslösung von NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann(CDU).
In Deutschland dürfen Organe und Gewebe nur nach dem Hirntod entnommen werden, wenn der Verstorbene der Spende zu Lebzeiten zugestimmt hat. Liegt keine solche Entscheidung vor, müssen die Angehörigen entscheiden. Eine Untersuchung der Deutschen Stiftung Organtransplantation zeigt jedoch, dass lediglich in 15 Prozent der Fälle eine schriftliche Einwilligung für eine Organspende vorliegt. In 80 Prozent der Fälle kennen die Angehörigen die Wünsche des Verstorbenen nicht und entscheiden sich gegen eine Spende.
„Während des Warten, sterben Menschen“
Die in Deutschland geltende Entscheidungslösung ist eine Ausnahme in Europa, da in den meisten anderen europäischen Ländern die Widerspruchslösung gilt. Menschen gelten in diesen Ländern generell als Organspender, sofern sie nicht widersprechen. 2020 kämpfte der damalige Bundesgesund- heitsminister Jens Spahn (CDU) für die Einführung der Widerspruchslösung in Deutschland, doch die Mehrheit des Bundestags lehnte den Wechsel ab.
„Während viele Politiker die Widerspruchslösung Deutschen nicht zumuten wollen, nutzen wir Organe aus Ländern, in denen die Widerspruchslösung gilt“, moniert Mario Rosa-Bian, Co-Sprecher des Bündnisses Protransplant, eines Zusammenschlusses von Patientenverbänden und Selbsthilfegruppen. Der Düsseldorfer lebt seit 25 Jahren mit einer Spenderniere.
Inzwischen gewinnt die Debatte jedoch auch in Deutschland wieder an Bedeutung, unter anderem, weil sich NRW-Gesundheitsminister Laumann für die Einführung der Widerspruchslösung einsetzt. Nach Angaben des CDU-Politikers wird sich der Bundesrat am 14.Juni mit der Gesetzesinitiative aus NRW beschäftigen und dann als Gesetzentwurf in den Bundestag einbringen, so dass im Herbst darüber entschieden werden kann.
Das Bündnis Protransplant verfolgt die Initiative mit Spannung. „Sollte die Widerspruchslösung erneut abgelehnt werden, werden wir Verfassungsbeschwerde einreichen“, kündigt Rosa-Bian an. „Wir klagen nicht die Widerspruchsregelung ein. Wir verklagen den Staat, weil er angesichts einer Fülle an Möglichkeiten zu wenig tut, um die Zahl der Organspenden zu erhöhen.“ Die Verfassungsbeschwerde sei die logische Konsequenz eines jahrzehntelangen politischen Versagens.
Im Fokus der Kritik steht vor allem Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), der 2020 mit seinem Vorgänger Spahn für die Einführung der Widerspruchslösung kämpfte und sie nach wie vor für „alternativlos“ hält, jedoch kein entsprechendes Gesetz dafür auf den Weg bringt, weil es aus der „Mitte des Parlaments“ kommen müsse.
Rosa-Bian fragt sich, wie lange die Menschen, die auf ein Organ warten, auf eine Entscheidung aus der Mitte des Parlaments warten müssen: „Während der Gesundheitsminister abwartet, sterben Menschen auf der Warteliste für ein Spenderorgan.“
Der Augsburger Staats- und Medizinrechtler Josef Franz Lindner unterstützt das Bündnis Protransplant bei seinem Vorstoß: „Der Gesetzgeber ist verfassungsrechtlich verpflichtet, gesetzliche Rahmenbedingungen für eine Erhöhung der Zahl der Spenderorgane zu schaffen.“ Die Schutzpflicht werde verletzt, wenn die Maßnahmen gegen den Organmangel unzureichend seien, und diese Verletzung liege vor. Eine ausreichende Maßnahme ist nach Angaben Lindners beispielsweise die Einführung der Widerspruchslösung. Darüber hinaus gebe es weitere Möglichkeiten für Verbesserungen wie die Erweiterung von Lebendspenden sowie Organspenden nach dem Herztod. Wichtig sind nach Angaben Lindners auch Verbesserungen in den Krankenhäusern, in denen Organe entnommen werden dürfen. In Deutschland gibt es 1.200 Entnahmekrankenhäuser, doch nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) werden in vielen Häusern keine Spender gefunden. In NRW wurden nach Angaben der DSO 2023 die meisten Organspender in den Universitätskliniken Düsseldorf (13), Essen (11) und Köln (10) behandelt. In OWL gab es insgesamt 16 Behandlungen im evangelischen Klinikum Bethel (8), im Johannes-Wesling-Klinikum Minden (4), im Klinikum Herford (2) und im St.-Vincenz-Krankenhaus Paderborn (3). „Es gibt bundesweit große regionale Unterschiede.
In Freiburg werden zehn Mal mehr Organspender gefunden als in Marburg, Jena und Erlangen“, erklärt Zazie Knepper, Mitinitiatorin der Verfassungsbeschwerde. „Wird die gesetzliche Verpflichtung, bei allen Menschen mit irreversiblem Hirntod die Frage einer möglichen Organspende zu klären, wirklich überall umgesetzt? Oder hängt es vom persönlichen Engagement der Ärzte auf den Intensivstationen ab?“ Erschwerend komme hinzu, dass das Transplantationssystem in Deutschland nicht unter staatlicher Aufsicht stehe. Das macht es Knepper zufolge allen beteiligten Akteuren leicht, Verantwortung hin und her zu schieben.
WESTFALEN-BLATT Nr. 122 Dienstag, 28. Mai 2024 OSTWESTFALEN-LIPPE/NRW
Im Alter von acht Jahren wird bei Tina Kunath Blutkrebs festgestellt – Jan Wolfenstädter spendet Stammzellen und rettet das Mädchen
Ein Freund für das zweite Leben
Von Jonas-Erik Schmidt
KÖLN (dpa).
Tina Kunath und Jan Wolfenstädter kannten sich nicht, lebten unterschiedliche Leben. Dann aber erkrankte Kunath und brauchte Stammzellen – und Wolfenstädter bekam einen Anruf. Nun sind sie seit zehn Jahren gute Freunde. Ein Treffen.
Manche Menschen verbindet die gemeinsame Schulzeit, andere schließen Freundschaft im Fußballverein oder am Arbeitsplatz. Bei Jan Wolfenstädter und Tina Kunath beginnt ihre gemeinsame Geschichte mit einer Diagnose. Kunath war acht Jahre alt, als Ärzte Blutkrebs bei ihr feststellten. Das junge Mädchen brauchte einen Stammzellen-Spender. Sie fand ihn in Wolfenstädter –aber nicht nur das. Sie fand auch einen Freund fürs Leben. Für ihr nun zweites Leben.
Die Geschichte der Freundschaft von Tina Kunath und Jan Wolfenstädter – heute 21 und 34 Jahre alt – ist eine außergewöhnliche, das kann man sagen. „Man merkt, dass man noch einmal anderverbunden ist“, sagt Kunath, als sie in Köln bei einem Pfefferminztee ihre Geschichte erzählt. Wolfenstädter sitzt gegenüber bei einem doppelten Espresso und nickt.
In der Stadt am Rhein haben sich die beiden in diesen Tagen bei der DKMS getroffen. Die Organisation, die sich dem Kampf gegen Blutkrebs verschrieben hat, ist maßgeblicher Teil ihrer Geschichte. Im Durchschnitt vermittelt die DKMS nach eigenen Angaben in Deutschland pro Tag 23 Stammzellen-Spender. Das war auch bei Wolfenstädter und Kunath so – aber ihr Fall hat noch einmal eine besondere Note. Es gibt etwas zu feiern: Die Freundschaft der beiden besteht nun seit zehn Jahren. Gleich wollen sie noch den Kölner Dom besichtigen.
Alles fängt 2011 an, als Wolfenstädter, der heute in Berlin lebt, einen Anruf bekommt, wie beide erzählen. Eigentlich gilt bei ihm während der Ausbildung strenges Handy-Verbot – aber die Nummerlässt ihn etwas ahnen. Es ist ein Tübinger Anschluss – dort steht die DKMS-Zentrale.
Wolfenstädter hatte sich vor nicht allzu langer Zeit als möglicher Stammzellen-Spender registrieren lassen.
Also geht er ran. „Dann war es ein sehr kurzes Gespräch“, sagt er. „Im Kern ging es um die Frage, was ich nächste Woche denn mache.“ Für ihn ist klar, was zu machen ist. Bei Tina Kunath, die aus der Nähe von Köthen in Sachsen-Anhalt kommt, sieht es damals nicht gut aus. Eine Chemotherapie erzielt nicht den erhofften Erfolg. Ihr Leben muss sie in einem isolierten Zimmer verbringen.
„Da habe ich auch als Kind den Ernst der Lage schon bemerkt“, sagt sie rückblickend.
Es ist ein leises, abgeschiedenes Leben für ein einstmals quirliges Kind. Dann aber kommt die Nachricht, dass ein möglicher Spender gefunden wurde. „Da wusste ich, dass das wohl jetzt eine neue Chance ist, dass es mir besser geht.“ Bei der Form von Blutkrebs, unter der Tina Kunath litt, sind sogenannte blutbildende Stammzellen defekt. Dadurch gelangen immer weniger Blutzellen in die Blutbahn, langfristig kann das lebensgefährlich sein. Bei der Stammzelltransplantation werden deshalb einem Spender gesunde blutbildende Stammzellen entnommen.
Beim Empfänger werden dann – grob gesagt – die defekten Stammzellen gegen die gesunden des Spenders ausgetauscht. Wer der jeweils andere ist das wissen Wolfenstädter und Kunath damals nicht so wirklich, wie sie sagen. Das ändert sich aber 2014, als die DKMS den ersten „World Blood Cancer Day“ (WBCD) ins Leben ruft, der Bewusstsein für die Themen Blutkrebs und Stammzellspende schaffen soll und der an diesem Dienstag wieder ansteht. Bei dieser Veranstaltung se- hen sich Wolfenstädter und Kunath, deren Leben längst miteinander verschlungen sind, erstmals in die Augen. Wolfenstädter sagt, dass ihm bei der Spende schon klar gewesen sei, das damit womöglich ein Leben gerettet werden könne. „Aber es wurde wirklich erst so richtig bewusst, als wir uns dann kennengelernt haben. Wenn dann das Gesicht dazu da war.“
»Das geht jetzt natürlich alles wieder –zum Glück.« Tina Kunath (21) ist gern draußen unterwegs, spielt Tennis und fährt regelmäßig Ski
Er erinnert sich noch genau, wie bei der Veranstaltung Spender und Empfänger aufeinandertrafen. Er habe ja nur gewusst, dass es ein junges Mädchen sein müsse. Also blickt er eher nach unten als nach oben. Lange suchen muss er aber nicht. „Wir wussten sofort Bescheid“, sagt Wolfenstädter. „In der Sekunde.“ Das Besondere ist, dass es nicht bei dieser einmaligen Begegnung bleibt. Tina Kunath und Jan Wolfenstädter sind nicht nur „genetische Zwillinge“, wie sie die DKMS im Zusammenhang mit der Stammzellen-Spende nennt – sondern sie sind sich auch grundsympathisch. Sie werden Freunde. Sie besuchen sich regelmäßig. Neulich war Kunath in Berlin, wo Wolfenstädter für einen Hersteller von Flugzeugtriebwerken arbeitet. Sie feiern Geburtstage, reden über Musik. An diesem Morgen haben sie über das Kochen gefachsimpelt.
Wenn man sie fragt, was das Fundament dieser Freundschaft ausmacht, sagt Kunath, dass Jan Wolfenstädter für sie in gewisser Weise auch eine Art weiterer großer Bruder sei. Der 34-Jährige beschreibt es ähnlich. „Es ist Freund- »Das geht jetzt natürlich alles wieder –zum Glück.«
Tina Kunath (21) ist gern draußen unterwegs, spielt Tennis und fährt regelmäßig Ski schaft, aber es hat auch eine familiäre Komponente“, sagt er. Es ist eine Art Verbindung, die man vielleicht auch nur verstehen kann, wenn man Teil davon ist. Getrennte Leben, unterschiedliche Stammbäume und dennoch verbundendurch eine biologische Komponente. Durch Zellen. Kunath studiert mittlerweile Jura in Halle (Saale), sie denkt daran, Anwältin zu werden. Zudem fährt sie regelmäßig Ski, eine große Leidenschaft von ihr, schon vor der Erkrankung. Sie spielt Tennis und ist oft draußen.
„Das geht jetzt natürlich alles wieder – zum Glück“, sagt sie. Tina Kunath gilt als geheilt.
Ihr Leben ist jetzt wieder laut. Auch, weil sie und Wolfenstädter nun schon zweimal auf einem Metal-Musikfestival waren. „Da hab' ichdich einfach mitgenommen“, sagt er zu ihr. „War auch mega.“
Berlin − Das Bündnis Protransplant bereitet eine Verfassungsbeschwerde gegen bestehende Regelungen für die Organspende vor. Das kündigten die Initiative heute in Berlin an. Sie übte scharfe Kritik am deutschen Transplantationssystem und an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD).
„Der Gesetzgeber ist verfassungsrechtlich verpflichtet, gesetzliche Rahmenbedingungen für eine Erhöhung der Zahl der Spenderorgane zu schaffen“, begründete Josef Franz Lindner, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Medizinrecht und Rechtsphilosophie der Universität Augsburg. Die Schutzpflicht werde verletzt, wenn die Maßnahmen gegen den Organmangel unzureichend seien.
Aus Sicht von Protransplant haben die Gesetzesänderungen in den Jahren 2019 und 2020 nicht zu einer Trendwende bei der Zahl der Organtransplantationen geführt. Im ersten Quartal dieses Jahres sei die Zahl der Organspender vielmehr im Vergleich zum Vorjahr erneut um sechs Prozent eingebrochen. Eine ausreichende Maßnahme wäre daher etwa eine Widerspruchsregelung.
Lindner verwies darauf, dass es auch darüber hinaus eine Vielzahl zusätzlicher Möglichkeiten gäbe, die Situation zu verbessern. Dazu gehörten die Erweiterung der Lebendspendeoptionen, die Spende nach Herztod und die Verbesserung der Strukturen in den Kliniken.
Protransplant-Sprecher Mario Rosa-Bian betonte, die Verfassungsbeschwerde sei die logische Konsequenz eines jahrzehntelangen politischen Versagens. Hinsichtlich der Widerspruchsregelung sei Deutschland ein Trittbrettfahrer im Verbund von Eurotransplant.
„Wir beziehen Organe aus Ländern, in denen die Widerspruchsregelung gilt – eine zentrale Maßnahme, die 2020 im deutschen Parlament keine Mehrheit fand“, sagte er. Er monierte, Karl Lauterbach befürworte diese zwar, wolle aber selbst nicht aktiv werden. Stattdessen verweise er „nebulös auf die ‚Mitte des Parlaments‘.“
Eine Verfassungsklage sei überfällig, betonte Rainer Blasczyk, Leiter des Instituts für Transfusionsmedizin und Transplantat Engineering an der Medizinischen Hochschule Hannover. Die Diskrepanz zwischen Deutschland und den Nachbarländern sei so groß, dass eine Verletzung der Schutzpflicht unübersehbar sei.
Zur Erinnerung: Die Widerspruchslösung war im Januar 2020 von der Mehrheit des Bundestags abgelehnt worden. Stattdessen entschieden sich die Parlamentarier damals für eine sogenannte Zustimmungslösung. Diese fordert eine ausdrückliche Zustimmung des Spenders und sieht zugleich eine bessere Information der Bürger vor. Wer nach seinem Tod Organe spenden will, muss dem im Vorfeld aktiv zustimmen.
Stärken wollte der Gesetzgeber die Informationspflichten. Seit dem Jahr 2020 sollen alle Bürger mindestens alle zehn Jahre direkt auf das Thema Organspende beim Abholen oder Verlängern eines Personalausweises oder Passes angesprochen werden.
Auf den Bürgerämtern oder auch später zu Hause soll man freiwillig seine Einstellung zur Organspende in ein Onlineregister eintragen können. Dieses kam aber mit deutlicher Verspätung und steht erst seit wenigen Wochen bereit. Der Eintrag ist freiwillig und kostenfrei, er kann jederzeit geändert oder gelöscht werden, wie das Bundesgesundheitsministerium mitteilte. © may/aerzteblatt.de
Stuttgart – In den ersten vier Monaten 2024 hat es etwas weniger Organspender als im gleichen Zeitraum 2023 gegeben. Die vorläufige Statistik verzeichnet für Januar bis April bundesweit 292 postmortale Organspender, das sind 19 weniger als 2023, wie die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) heute in Stuttgart mitteilte.
Es seien 888 Spenderorgane an die internationale Vermittlungsstelle Eurotransplant gemeldet worden; 2023 waren es in den ersten vier Monaten 954. Aktuell warteten in Deutschland knapp 8.400 Patienten auf ein geeignetes Spenderorgan, sagte der baden-württembergische Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne).
Er forderte im Vorfeld des bundesweiten Aktionstags für Organspende am 1. Juni mehr Aufklärungsarbeit. „Niemand sollte sterben müssen, nur weil es hierzulande zu wenig Organspenden gibt“, betonte er. Der Organspendetag wird in diesem Jahr in Freiburg zentral eröffnet.
Lucha sprach sich zudem für die Einführung einer Widerspruchslösung aus, wie sie in einigen europäischen Ländern gilt. Diese würde bedeuten, dass zunächst jeder als potenzieller Organspender gilt, es sei denn, er oder sie widerspricht.
Der Bundestag hat sich vor kurzem aber für ein anderes Vorgehen entschieden und ein Organspenderegister auf den Weg gebracht. Hier kann jetzt jeder Bürger online hinterlegen, ob er Organspender sein will oder nicht. Nötig ist dafür eine Identifizierung über die Digitalfunktion des Personalausweises.
Auf die Organspende Aufmerksam gemacht hatte erst gestern eine besondere Tattoo-Aktion im Bundestag. © kna/aerzteblatt.de
DIATRA professional
Neue Mindestmenge macht Herztransplantationen sicherer
April 2024
In Deutschland sind im letzten Jahr 358 Herzen transplantiert worden – teilweise in Transplantationszentren, die diese höchst anspruchsvolle Operation nur selten durchführen. Studien zeigen jedoch, dass die Überlebens- und Heilungschancen von Patient:innen besser sind, wenn die Zentren Routine und Erfahrung besitzen: nicht nur generell bei Transplantationen, sondern auch speziell bei Herztransplantationen. Damit diese planbaren komplexen Eingriffe künftig nur an Standorten mit entsprechender Expertise vorgenommen werden, legte der Gemeinsame
Bundesausschuss (G-BA) in seiner heutigen Sitzung die Leistungsmenge als sogenannte Mindestmenge fest: Für Herztransplantationen gilt ab 2026 eine jährliche Mindestmenge von 10 pro Krankenhausstandort. Nur Standorte, die die Mindestmenge nach ihrer in 2025 abzugebenden Prognose voraussichtlich erreichen oder über eine Ausnahmegenehmigung des jeweiligen Bundeslandes verfügen, dürfen dann grundsätzlich noch Herztransplantationen erbringen. Für die Jahre 2024 und 2025 gilt eine Übergangsregelung. Karin Maag, unparteiisches Mitglied des G-BA und Vorsitzende des Unterausschusses Qualitätssicherung: „Die neue Mindestmenge für Herztransplantationen ist im Interesse der Patientinnen und Patienten. Je größer die Erfahrung der Klinik, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass der schwere Eingriff überlebt wird und das Spenderherz seine Funktion aufnimmt. Ich bin mir sicher, dass Strukturanforderungen auch in diesem Bereich die so wichtige Behandlungsroutine nicht ersetzen können. Angesichts der wirtschaftlichen Auswirkung von Mindestmengen auf Kliniken wird vom G-BA jedoch auch genauestens geprüft, ob sie wirklich notwendig sind. Aufgrund der Studienlage und im Sinne einer qualitätsgesicherten Versorgung konnte das für Herztransplantationen eindeutig bejaht werden. Die Leistungsmenge von zehn ist angemessen, um das Ziel einer Standortkonzentration zu befördern, ohne die flächendeckende Versorgung zu gefährden. Ob eine Mindestmenge auch für die chirurgische Behandlung von Magenkrebs notwendig ist, wird der G-BA nun ebenfalls prüfen. Die entsprechenden Beratungen haben wir heute eingeleitet.“Die Transplantation eines Herzens ist das letzte therapeutische Mittel bei der Behandlung einer schweren Herzschwäche (Herzinsuffizienz). Das erkrankte Herz ist nicht mehr in der Lage, Blut in ausreichender Menge in die Lungen und in den großen Körperkreislauf zu pumpen. Auch wenn eine Herztransplantation nach erfolgreicher Vermittlung eines Spenderorgans zeitlich dringend ist, ist sie kein „Notfall“. Die Patientin oder der Patient wird in der Regel längerfristig auf die Transplantation vorbereitet.Für den Erfolg einer Herztransplantation ist entscheidend, dass ein erfahrenes und interdisziplinär zusammengesetztes Team routiniert zusammenarbeitet. Denn sie ist äußerst aufwendig, technisch höchst anspruchsvoll und komplikationsträchtig. Es werden intensivmedizinische, kardiologische und immunologische Leistungen benötigt. Aus diesem Grund sind auch die Klinikstandorte der Bezugspunkt der neuen Mindestmenge und nicht etwa nur die Operateurin oder der Operateur.Konzentration auf erfahrene Standorte In Deutschland wurden im Jahr 2021 beziehungsweise 2022 an21 beziehungsweise 18 Krankenhausstandorten Herztransplantationen vorgenommen. Mit der neuen Mindestmenge von zehn pro Jahr verbleiben voraussichtlich mindestens zwölf Krankenhausstandorte, die die Herztransplantationen weiterhin anbieten dürfen. Für die Patient:innen verlängert sich die durchschnittliche Fahrtzeit auf 49 Minuten und die durchschnittliche Wegstrecke auf 77 Kilometer. Bei einer höheren Mindestmenge wäre die Zentralisierung des Leistungsangebots noch stärker, allerdings würden damit möglicherweise Nachteile durch entstehende Transport- und Verlegungsrisiken einhergehen und sich Wegstrecken für die Vor-und Nachsorge sowie für Angehörigenbesuche zu stark verlängern.Inkrafttreten und Übergangsregelungen
Die Änderungen der Mindestmengenregelungen treten nach Veröffentlichung im Bundesanzeiger mit Wirkung vom 1. Januar 2024 in Kraft. Für die Krankenhäuser greift dann zuerst noch eine Übergangsregelung: Erst für das Kalenderjahr 2026 hängt die Leistungsberechtigung davon ab, ob die neue Mindestmenge voraussichtlich erfüllt wird. Krankenhausträger müssen für das Kalenderjahr 2026 spätestens bis zum 7. August 2025 eine positive Prognose, dass die Mindestmenge im Jahr 2026 erfüllt werde, gegenüber den Landesverbänden der Krankenkassen und Ersatzkassen belegen. Die Landesbehörden können für eine Klinik eine Ausnahmegenehmigung erteilen, wenn die flächendeckende Versorgung gefährdet sein könnte. Die Krankenkassen müssen diesem Vorgehen aber zustimmen.
Hintergrund:Der G-BA ist gesetzlich beauftragt, planbare Leistungen zu benennen, bei denen ein Zusammenhang zwischen der Häufigkeit von Behandlungen und der Qualität der Versorgung besteht. Für diese Leistungen legt er Mindestmengen je Ärztin und Arzt und/oder Standort eines Krankenhauses fest. Ausführliche Informationen sind auf der Website des G-BA zu finden:
https://diatra.info/gba-mindestmen-genregelungen
www.diatra.de • Vol. 1/2024 • DIATRA professional
22.04.2024
In Deutschland gibt es nicht genügend Organspender, jeden Tag sterben im Schnitt drei Menschen. Das soll sich ändern. Dem stern liegt ein Gesetzentwurf von Gesundheitsminister Lauterbach vor, der Nierenspenden massiv erleichtern würde.
Die Tochter von Susanne Reitmaier war elf Jahre alt, als ihre Nieren versagten. Um das Kind vor Jahren der Dialyse und einem frühen Tod zu retten, spendete ihr Vater seine Niere. Als Jahre später auch diese nicht mehr arbeitete, bot sich eine Tante für eine zweite Lebendspende an. Doch die Gewebemerkmale stimmten nicht überein: Der Körper von Simone Reitmaier hätte das Organ der Tante wieder abgestoßen. Die Lage schien aussichtslos.
Aber Susanne Reitmaier ist eine Kämpferin. Die Mutter organisierte selbst einen "Ringtausch" nach Spanien, auch "Cross-Over-Spende" genannt. Dabei werden zwei oder mehr Paare zusammengebracht, von denen jeweils ein Teil spendebereit ist und der andere eine Spende benötigt, aber die sich nicht untereinander spenden können. Im Fall der Reitmaiers waren sogar drei Paare involviert. Die Niere der Tante wurden einem Kranken in Valencia gespendet, von dort aus ging eine Niere an einen Betroffenen in Madrid, von wo aus wiederum Tochter Simone ein neues Organ bekam.
Zurück in Deutschland wollte Susanne Reitmaier für dieses Verfahren auch hierzulande werben. Doch sie stieß auf taube Ohren, selbst bei Betroffenengruppen. Denn was in Ländern wie Spanien schon länger üblich ist, war in Deutschland bislang nicht gestattet. Das Transplantationsgesetz gestattet eine "Über-Kreuz-Spende" nur, wenn zwischen spendebereiten Paaren eine "besondere persönliche Verbundenheit" vorhanden ist.
In der Praxis führte das dazu, dass solche Spenden zwar gelegentlich zustande kamen, aber unter erschwerten Bedingungen. Die jeweiligen Paare mussten erst eine Beziehung aufbauen, bevor eine Transplantation möglich wurde. Gerade für Schwerstnierenkranke, die dreimal wöchentlich ihr Blut stundenlang per Dialyse reinigen lassen müssen, war das eine hohe Hürde.
Diese soll nun endgültig beseitigt werden. Nach Informationen des stern plant Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eine Veränderung des Transplantationgesetzes, die die Überkreuzspende erleichten soll.
Aus einem Referentenentwurf, der dem stern vorliegt, geht hervor, dass künftig auch ohne besonderes Näheverhältnis über Kreuz gespendet werden kann. Lediglich die betroffenen Spenderpaare müssen weiter jeweils einander nahe stehen, etwa durch eine Ehe oder andere enge Verwandtschaftsbeziehung. Kann wegen Inkompatibilität nicht direkt gespendet werden, wird die Niere anonym an ein anderes passendes Spenderpaar vermittelt. Die Organisation übernimmt hierbei das Transplantationszentrum. Mit der Anonymität soll verhindert werden, dass Geld für ein Organ gezahlt wird.
Weitere wichtige Veränderungen:
Grundsätzlich sollen künftig auch so genannte anonyme, nicht gerichtete Nierenspenden gestattet sein. Theoretisch könnte also auch jeder Mensch selbstlos eine Niere spenden – ohne Einfluss darauf zu haben, wer sie bekommt. Klingt unrealistisch? In den USA gibt es diese Möglichkeit schon lange. Teilweise wird sogar öffentlich dazu aufgerufen.
Die bisherige Regelung, dass eine Lebendspende nur dann möglich ist, wenn nicht das Organ eines Toten zur Verfügung steht, wird gestrichen.
Der Spenderschutz wird gestärkt. Spender sollen künftig eine unabhängige "Vertrauensperson" an die Seite gestellt bekommen, die sie während des gesamten Prozesses begleitet.
Läuft alles nach Plan, könnte die Regelung Anfang 2025 in Kraft treten. Der Bundestag muss noch zustimmen. In praktisch allen Parteien gibt es Befürworter der Neuregelung.
Experten schätzen, dass die Neuregelung rund 100 Lebendspenden von Nieren mehr pro Jahr bringen könnte. Das mag auf den ersten Blick nicht viel klingen. In Anbetracht der Tatsache, dass derzeit rund 600 Nieren von lebenden Spendern transplantiert werden, wäre eine Steigerung auf 700 aber eine beträchtliche Zahl.
Professor Klemens Budde ist Leiter des Nierentransplantationszentrums an der Charité Berlin. Er hält die neue Regelung für überfällig: "Jeder Schritt zu mehr Spenden hilft, Menschen von der Dialyse zu befreien und von der Warteliste des Leids zu holen." Allerdings dürfe man sich keine Illusionen machen, warnt Budde: "Den grundsätzlichen Mangel an Spenderorganen wird es nur unwesentlich verbessern."
Der Nephrologe sieht in der Neuregelung der Überkreuz-Spende daher auch nur eine von mehreren sinnvollen Maßnahmen. Wie andere Transplantationsmediziner plädiert er darüber hinaus dafür, in Deutschland auch Organspenden nach einem Herzkreislauftod zuzulassen. Im Gegensatz zu anderen Ländern wie Spanien dürfen in Deutschland nach einem festgestellten Hirntod nur dann Organe entnommen werden, wenn das Herz noch schlägt. Ist der Kreislauf nicht mehr intakt, darf kein Organ transplantiert werden. Dieses Verbot halten viele Experten für falsch.
Auch Frank Friedersdorff, Vorsitzender des Arbeitskreises Nierentransplantation und Professor für Urologie am Königin-Elisabeth-Krankenhaus Herzberge und an der Charité in Berlin, begrüßt die Neuregelung. "Durch die Einführung einer Vertrauensperson wird der Schutz der Spender gestärkt", sagt er. "Die Erweiterung des Spendenkreises durch Abschaffung des Näheverhältnisses wird zudem Lebendspenden einfacher und sicherer machen. Werden heute noch häufig sogenannte 'blutgruppeninkompatible' Lebendspenden durchgeführt, kann durch die Überkreuzspende dies zukünftig minimiert werden."
Der Hintergrund: Durch die bisherigen strikten Auflagen für Lebendspenden wird oft auch dann transplantiert, wenn die Blutgruppen von Spender und Empfänger nicht kompatibel sind. Dies ist ein sehr aufwendiges und kostspieliges Verfahren, da das Immunsystem des Empfängers hochspezifisch "ausgeschaltet" werden muss.
Aber auch Friedersdorff sagt über die Neuregelung: "Um den Organmangel zu beheben, reicht dies nicht aus."
Wie sehr eine Organspende das Leben verändert, weiß niemand besser als die Tochter von Susanne Reitmaier. Sie ist inzwischen 40, bei guter Gesundheit und hat nach der Spende etwas tun können, was ihr als Dialysepatientin verwehrt geblieben wäre: Sie ist Mutter geworden. Ihre Tochter ist inzwischen vier Jahre alt.
Susanne Reitmaier hat nach der erfolgreichen Transplantation bei ihrer Tochter einen Verein gegründet ("Gegen den Tod auf der Warteliste"), der sich für mehr Organspenden einsetzt. Und sie hat eine Liste angelegt, in die sich Anwärter für eine "Cross-Over-Spende" aufnehmen lassen können. 60 Menschen stehen derzeit darauf. Nach der Aufnahme prüft eine Mathematikerin, ob mit einem anderen Betroffenen ein "Match" vorliegt, also Blutgruppe und Gewebemerkmale passen. War dies der Fall, lud Reitmaier in der Vergangenheit beide Paare zu sich nach Wolfsburg ein, um das bislang notwendige Näheverhältnis herzustellen.
Drei Paaren hat Reitmaier so schon zu einer neuen Niere verhelfen können, sechs weitere hat sie ins Ausland vermittelt. Das ist rechtlich bei einer Überkreuzspende möglich, aber kostspielig. In Spanien liegt der Eigentanteil bei 100.000 Euro und mehr, in der Türkei immer noch bei 20.000 Euro.
"Ich freue mich riesig", sagt Reitmaier über die Nachricht, dass künftig die Überkreuzspende auch in Deutschland leichter möglich wird: "Dafür habe ich sieben Jahre gekämpft."
Ganz vorbei ist der Kampf für sie damit nicht. Sie will sich mit ihrem Verein weiter dafür einsetzen, dass die Widerspruchslösung noch einmal auf die politische Agenda kommt. Diese sieht vor, dass jeder Bundesbürger theoretisch Organspender ist, wenn er oder sie nicht aktiv widerspricht. Auch diese Regelung ist in anderen Ländern wie Österreich und Spanien schon lange Standard. In Deutschland hatte Anfang 2020 der Bundestag gegen die Einführung der Regelung gestimmt.
Mithilfe von Schweinen versuchen Mediziner, dem Mangel an Organspendern entgegenzuwirken. In den USA transplantierten sie kürzlich erstmals eine Niere, die in den Tieren gezüchtet wurde. Nun darf der Patient nach Hause.
04.04.2024
Als weltweit erster Mensch ist ein Patient mit einer genetisch veränderten Schweineniere aus einem Krankenhaus entlassen worden. Rund zwei Wochen nach seiner Operation erhole sich der Mann gut und werde nun zu Hause weiter genesen, teilte das Massachusetts General Hospital in Boston mit.
Den Ärzten zufolge erfüllt die Schweineniere im Körper des Empfängers ihre überlebenswichtigen Funktionen. Sie filtere Giftstoffe aus dem Blut, halte Körperflüssigkeiten im Gleichgewicht und produziere Urin, heißt es.
»Auf diesen Moment habe ich viele Jahre gewartet«, sagte der 62-jährige Patient Richard Slayman bei seiner Entlassung laut einer Mitteilung des Krankenhauses. »Jetzt ist er Wirklichkeit geworden.« Er freue sich auf ein Leben »frei von der Belastung durch die Dialyse, die meine Lebensqualität beeinträchtigt hat«.
Wissenschaftler hoffen, mit Organen aus Tieren dem weltweiten Mangel menschlicher Spender zu begegnen. Vor einer sogenannten Xenotransplantation müssen die Spendertiere genetisch angepasst werden, damit von ihren Organen keine Krankheitserreger auf den Empfänger übertragen und Abstoßungsreaktionen vermieden werden.
Vor zwei Jahren war zum ersten Mal ein Schweineorgan in einen Menschen verpflanzt worden, ein Herz. Die Operation im amerikanischen Maryland galt als Meilenstein in der Transplantationsmedizin. Etwa zwei Monate nach der Operation war der schwer kranke Mann jedoch verstorben. Ein weiterer Patient bekam im vergangenen Jahr ein Schweineherz. Er überlebte knapp sechs Wochen mit dem Organ.
Der Bedarf an gespendeten Nieren ist weltweit besonders groß. In den USA leiden eine halbe Million Menschen an Nierenversagen und sind auf die Dialyse angewiesen, in Deutschland sind mehr als 80.000 Menschen betroffen. Viele von ihnen warten auf eine Organspende.
Trotz des Erfolgs in Boston wird es dauern, bis Xenotransplantationen zur Routine werden. Bisher beruhen sie auf Ausnahmegenehmigungen der zuständigen US-Arzneimittelbehörde. Um eine medizinische Zulassung zu erhalten, sind umfangreiche klinische Studien notwendig, die mehrere Jahre dauern können.
Stand: 04.04.2024
Um die Organspenderate zu erhöhen, hält Gesundheitsminister Lauterbach die Widerspruchslösung für "alternativlos". Statistisch gibt es keine Belege dafür, dass sie wirklich für mehr Spenden sorgt.
Von Pascal Siggelkow, ARD-faktenfinder
Mehr als 8.000 Menschen warten nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) in Deutschland derzeit auf ein Spenderorgan. Daran werde auch das Organspende-Register nicht viel ändern, sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach bei der Vorstellung des neuen Portals. "Ich glaube, dass wir ohne die Widerspruchslösung dieses Problem nicht lösen können", so Lauterbach. Die Widerspruchslösung sei "alternativlos".
Auch der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann fordert die Einführung der Widerspruchslösung. Er kündigte an, einen Gesetzesantrag in den Bundesrat einzubringen, um das parlamentarische Verfahren in Gang zu setzen. Die Bundesländer hatten bereits im Dezember vergangenen Jahres die Bundesregierung aufgefordert, dafür zu sorgen, dass die Widerspruchslösung in das Transplantationsgesetz aufgenommen wird.
Die Widerspruchslösung beinhaltet, dass Menschen generell als Organspender gelten, sofern sie dem nicht ausdrücklich widersprochen haben. Momentan ist es in Deutschland quasi andersherum: Nur bei einer ausdrücklichen Zustimmung darf einem Menschen ein Organ entnommen werden - auch nach seinem Tod. Kritiker bemängeln, dass durch diese sogenannte Entscheidungslösung viele potenzielle Spender verloren gingen und verweisen auf Spanien, wo die Widerspruchslösung gilt. Mit 48,9 Spendern pro einer Million Einwohner war die Spendenquote dort im vergangenen Jahr viermal so hoch wie in Deutschland (11,4)
Doch dass allein der Wechsel von der Entscheidungslösung hin zur Widerspruchslösung einen starken Anstieg der tatsächlichen Organspenden herbeiführt, ist aus statistischer Sicht nicht haltbar, sagt Katharina Schüller, Vorstandsmitglied der Deutschen Statistischen Gesellschaft. "Die Widerspruchslösung erhöht zwar die Anzahl der potenziellen Organspender, nicht aber die Anzahl der tatsächlichen Organspenden."
So hat eine Studie aus dem Jahr 2019 die Organspende- und Transplantationsraten zwischen 17 OECD-Ländern mit Widerspruchslösung mit 18 OECD-Ländern mit Zustimmungsregel verglichen. Demnach gab es keinen statistisch bedeutsamen Unterschied im Anteil der tatsächlichen Organspender. "Während es bei den Ländern mit Widerspruchslösung zwar insgesamt mehr Spenden von Verstorbenen gibt, ist der Anteil der Spenden von lebenden Menschen geringer", sagt Schüller.
Bei Lebendorganspenden handelt es sich in den meisten Fällen um Nieren, 27 Prozent der gespendeten oder transplantierten Nieren in Deutschland im Jahr 2022 kamen von lebenden Menschen. Bei Lebern lag der Anteil bei etwa fünf Prozent. "Leber und Nieren zusammen machen mehr als 80 Prozent aller transplantierten Organe aus, die Nieren allein 60 Prozent", sagt Schüller. "Das heißt, wenn die Lebendorganspenden deutlich heruntergehen, müssen sehr viel mehr passende Spender gefunden werden, die nach ihrem Tod Nieren spenden lassen, damit sich das wieder ausgleicht."
Auch eine Studie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung deutet in eine ähnliche Richtung. Die Forschenden analysierten fünf Länder, die von einer Zustimmungsregel auf eine Widerspruchslösung umgestellt hatten (Argentinien, Chile, Schweden, Uruguay und Wales). Der Wechsel führte demnach zu einer nicht wesentlichen Erhöhung der tatsächlichen Organspenderaten.
Andere Studien attestieren der Widerspruchslösung zwar erste positive Anzeichen mit Blick auf die Zahl der daraus resultierenden Organspender, zum Beispiel für Großbritannien und die Niederlande. Allerdings wird auch dort darauf hingewiesen, dass die Unterschiede in den Organspenderaten nicht allein durch die Widerspruchslösung erklärt werden können. So heißt es in einer Studie des schottischen Gesundheitsministeriums, dass es ermutigende Hinweise darauf gibt, dass die Widerspruchslösung als Teil eines Maßnahmenpakets zu einem Anstieg von Organspenden und Transplantation führen könne.
Und auch in Spanien ist einer Studie zufolge die Widerspruchslösung nicht der entscheidende Faktor für die hohe Spenderate. "Ein proaktives Spendererkennungsprogramm, das von gut ausgebildeten Transplantationskoordinatoren durchgeführt wurde, die Einführung systematischer Todesfallprüfungen in den Krankenhäusern in Verbindung mit einer positiven sozialen Atmosphäre, einem angemessenen Management der Beziehungen zu den Massenmedien und einer angemessenen wirtschaftlichen Vergütung für die Krankenhäuser waren für diesen Erfolg verantwortlich", lautet das Fazit der Forschenden.
Hinzu kommt, dass in Spanien die Widerspruchsregel nicht streng ausgelegt wird. Denn auch ohne vorliegenden Widerspruch werden in der Regel die Angehörigen gefragt, ob sie eine Entnahme der Organe zustimmen. Während sich in Deutschland jedoch nach Angaben der DSO die Angehörigen bei unbekanntem Willen des Verstorbenen in 74 Prozent der Fälle dagegen entscheiden, entscheiden sich in Spanien die Angehörigen insgesamt in 85 Prozent der Fälle dafür.
"Länder, die die Widerspruchslösung haben, weisen zusätzlich dazu von Deutschland abweichende strukturelle und/oder gesellschaftliche Strukturen auf und haben mitunter andere medizinische Voraussetzungen für eine Organspende", teilt eine Sprecherin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) mit. "Organspendezahlen sind immer multikausal. Wie sich die Einführung einer Widerspruchslösung auf die Organspendezahlen in Deutschland auswirken würde, kann deshalb letztlich nicht vorhergesagt werden."
Dem stimmt auch Axel Rahmel, medizinischer Vorstand bei der DSO, zu. "Zu glauben, dass man die Widerspruchslösung einführt und die Spenderzahlen dann explodieren, ist sicherlich zu kurz gegriffen", sagt er. "Aber man kann schon hoffen, dass die Einführung einer Widerspruchslösung einen Kulturwandel mit anstößt." Denn hohe Spenderaten seien vor allem eine Einstellungsfrage - in Spanien gebe es mit Blick auf Organspenden eine ganz andere Mentalität.
In Deutschland haben einer Umfrage der BZgA zufolge 84 Prozent eine positive Einstellung gegenüber der Organ- und Gewebespende. Einen Organspendeausweis besitzen demnach 40 Prozent, wovon mehr als 80 Prozent einer Organspende zustimmen. In der Praxis werde jedoch nur bei etwa 15 Prozent der möglichen Organspender der Organspendeausweis überhaupt gefunden, sagt Rahmel.
Auch wenn Organspenden generell positiv gesehen würden, würden viele Menschen ein Festhalten ihrer Entscheidung im Organspendeausweis oder im neuen Organspende-Register immer wieder aufschieben. Dabei ist die Organspenderate bei den Menschen am höchsten, deren Wille schriftlich festgelegt wurde.
Die politischen Rahmenbedingungen wurden seiner Ansicht nach in den vergangenen Jahren in Deutschland hingegen stark verbessert, sodass die Unterschiede in dieser Hinsicht zu Spanien nicht mehr gravierend seien. Zwar gebe es zwischen einzelnen Kliniken in Deutschland noch erhebliche Unterschiede bei der Umsetzung, doch insgesamt seien ausgemachte Erfolgsfaktoren aus Spanien wie Transplantationsbeauftragte an Krankenhäusern auch in Deutschland eingeführt worden. Zudem erhalten die Kliniken inzwischen deutlich mehr Geld, um den Aufwand einer Organspende zu decken.
"Es ist wichtig zu verstehen, dass es nicht den einen Schalter gibt, um die Spenderate zu erhöhen", sagt Rahmel. Ein Baustein ist aus seiner Sicht, dass in Deutschland erst bei einem unumkehrbaren Ausfall der gesamten Hirnfunktionen (Hirntod) Organe entnommen werden dürfen. In vielen anderen europäischen Ländern sind auch Organspenden nach Herzkreislauftod erlaubt. Da deutlich mehr Patienten auf Intensivstationen an Herzkreislauf-Versagen sterben, könnte dadurch die Spenderate erhöht werden. In einigen Ländern machen Spenden nach Herzkreislauftod bis zu 50 Prozent aller Organspenden aus.
Ein weiterer Faktor könnte Rahmel zufolge die Maschinenperfusion sein, durch die Schäden am Spenderorgan verringert werden können und dadurch zu besseren Ergebnissen nach Transplantationen führen.
Insgesamt hält Rahmel einen Kulturwandel beim Thema Organspende jedoch für den wichtigsten Baustein - und befürwortet daher auch die Widerspruchslösung. "Meine feste Überzeugung ist, dass die Widerspruchslösung, wenn sie von der Politik und auch von der Gesellschaft mitgetragen wird, als Wegbereiter und Unterstützer des Kulturwandels helfen kann."
https://dso.de/SiteCollectionDocuments/Hintergrundtexte%20PDFs/Hintergrund_Maschinenperfusion.pdf
HINTERGRUNDINFORMATION
Maschinenperfusion in Deutschland
Ein Weg, um die Zahl der gespendeten Organe zu steigern Wachsender Organmangel, zunehmendes Alter der Organspenderinnen und -spender, diffizile medizinische Befunde der Organe – die Herausforderungen für die Organspende in der heutigen Zeit sind groß. Eine technische Lösung, um gegenzusteuern, ist die international bereits erfolgreich in der klinischen Praxis angewendete Maschinenperfusion.
Herkömmliche Konservierung vs. Maschinenperfusion
Üblicherweise werden die Organe bei der Entnahme mit speziellen gekühlten Lösungen gespült und anschließend in sterile Organbeutel verpackt, die ebenfalls diese Lösungen enthalten. Dies bezeichnen Fachleute als kalte Organkonservierung.
Bei der Maschinenperfusion werden die Organe nach der Entnahme mit speziellen Konservierungslösungen, Blut oder blutähnlichen Flüssigkeiten maschinell gesteuert kontinuierlich gespült. Dabei kann die Temperatur der Perfusionslösung gekühlt sein (hypotherme Perfusion) oder Körpertemperatur aufweisen (normotherme Perfusion).
Maschinenperfusion zur besseren Organkonservierung
Ein wesentliches Ziel der Maschinenperfusion ist es, Organschäden durch die fehlende Durchblutung (Ischämie) und damit die fehlende Versorgung mit Nährstoffen und Sauerstoff während der Organkonservierung sowie den Reperfusionsschaden eines Spenderorgans zu minimieren. Dies kann zu besseren Transplantationsergebnissen beitragen. Außerdem können in der Regel längere Transport- und Ischämiezeiten toleriert werden. So erlaubt beispielsweise der Einsatz der Maschinenperfusion beim Herzen den Transplantationszentren auch dann eine Herztransplantation in Erwägung zu ziehen, wenn diese sonst aufgrund der zu langen Transportzeit – und des damit verbundenen Risikos eines schlechteren Ergebnisses der Transplantation – im Vermittlungsverfahren abgelehnt worden wäre. Bei der herkömmlichen kalten Organkonservierung darf nämlichbei Spenderherzen eine Transportzeit von vier Stunden nicht überschritten werden. Die Maschinenperfusion ermöglicht es dagegen, Spenderherzen auch an diejenigen Empfängerinnen und Empfänger zu vermitteln, bei denen größere Entfernungen zurückgelegt werden müssen.
Maschinenperfusion zur Beurteilung der Organqualität
An die Maschine angeschlossen, können Organe je nach verwendetem Maschinenperfusionsverfahren auch sorgfältiger untersucht und ihr Zustand besser beurteilt werden. Dadurch entsteht mehr Sicherheit bei der Entscheidung darüber, welche Organe zur Vermittlung an Eurotransplant gemeldet werden können und welche nicht.
Somit können aufgrund der maschinellen Perfusion auch Organe genutzt werden, die ansonsten aufgrund eines zu schlecht eingeschätzten Zustands oder aufgrund von Erkrankungen des Spenders nicht zur Transplantation angeboten worden wären.
Maschinenperfusion zur Rekonditionierung des Spenderorgans
Darüber hinaus wird an Verfahren gearbeitet, um die Phase der Maschinenperfusion dazu zu nutzen, mögliche Beeinträchtigungen des Organs zu behandeln und zu reduzieren. So soll die Funktionstüchtigkeit des Organs durch bestimmte therapeutische Verfahren verbessert werden, zum Beispiel kann möglicherweise dadurch die Verfettung bei Lebern reduziert werden. Langfristig kann die Maschinenperfusion damit dazu beitragen, die Anzahl der zur Transplantation geeigneten Organe zu steigern. Dieser Teilbereich der Maschinenperfusion ist weltweit noch in der Erforschung.
In Ländern, die im Gegensatz zu Deutschland schon vertiefte Erfahrung mit der Maschinenperfusion haben, wird bereits zur Einführung von spezialisierten Organbetreuungs- und -behandlungszentren (Organ care and repair center) weitergegangen. Spenderorgane werden nach der Entnahme zu diesen Zentren transportiert, dort von Fachleuten betreut und wenn nötig optimiert, um dann transplantiert werden zu können. In Groningen in den Niederlanden wird dies seit Jahren praktiziert und derzeit auch in den USA umgesetzt.
Situation der Maschinenperfusion in Deutschland
Die Situation in Deutschland ist komplex und dynamisch. Die Entwicklung ist noch in den Anfängen. Eine ganze Reihe von Zentren setzen die neue Technik zum Beispiel bei der Maschinenperfusion der Leber ein. Zudem gibt es im Rahmen von Studien bereits Erfahrungen zur Maschinenperfusion von Herzen. Für die Nieren ist eine flächendeckende Einführung der Maschinenperfusion geplant.
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WESTFALEN-BLATT Nr. 76 Freitag, 29. März 2024
Prof. Dr. Jan Gummert , Ärztlicher Direktor des Herz- und Diabeteszentrums (HDZ) NRW in Bad Oeynhausen, tritt für die Widerspruchslösung ein
Warum das neue Organspende-Register nicht reicht
Von Malte Samtenschnieder
BAD OEYNHAUSEN (WB). Seit Mitte März können sich Organspender online registrieren. Prof. Dr. Jan Gummert bewertet dies positiv. Der Ärztliche Direktor des Herz und Diabeteszentrums (HDZ) NRW in Bad Oeynhausen tritt unabhängig davon weiter für die Widerspruchslösung ein.
Wer seine Bereitschaft zu einer Organspende nach dem Tod elektronisch erklären möchte, der kann dies in Folge der jüngst in Kraft getretenen Neuregelung jetzt unter www.organspende-register.de tun. Voraussetzung dafür ist ein Personalausweis mit Online-Berechtigung.
„Das klingt sehr einfach“, sagt Prof. Dr. Jan Gummert. Er selbst wolle sich in Kürze auch freischalten lassen. „Allein schon, damit ich meine eigenen Erfahrungen schildern kann“, betonte der Direktor der Klinik für Thorax-und Kardiovaskularchirurgie am HDZ NRW im Gespräch mit dieser Zeitung.
„Das neue Online-Register ist eine Ergänzung. Der bisherige Organspende-Ausweis behält aber weiterhin seine Gültigkeit.“ Diese Feststellung ist Jan Gummert sehr wichtig. Dennoch fordert der Herzchirurg insbesondereauch alle Inhaber eines Organspende-Ausweises auf, sich in dem neuen Online-Register anzumelden.
„Für Krankenhäuser wird es dadurch leichter, Spender zu identifizieren“, sagt der Herzchirurg. Wenn jemand auf der Intensivstation versterbe, könne der Transplantationsbeauftragte der Klinik so über einen gesicherten Online-Zugang eine Datenabfrage vornehmen.
Das Organspende-Register werde sich in der Praxis aber nur als Erfolg erweisen, wenn sich ein Großteil der Bevölkerung beteilige. Daran hat Jan Gummert Zweifel: „Aus anderen Ländern wissen wir, dass die Quote bei etwa 20 Prozent liegt.“ Dieser Wert sei aus seiner Sicht zu niedrig. Zumal die Quote der Menschen mit einem regulären Organspende-Ausweis deutlich darüber liege.
Einen wichtigen Vorteil hat das Online-Register nach Angaben des Herzchirurgen aber: „Die Angaben lassen sich immer aufrufen – auch, wenn jemand seinen Organspende-Ausweis einmal nicht bei sich trägt oder ihn verloren hat.“ Da für die Registrierung im Organspende-Register ein Personalausweis mit Online- Berechtigung benötigt werde, sei dies Verfahren wahrscheinlich von jüngeren, computeraffineren Menschen einfacher zu händeln, als von Älteren, die sich mit technischen Dingen unter Umständen schwerer tun.
Jan Gummert: „Ich habe aber keine Erkenntnisse darüber, bei vielen Personalausweisen die Online-Berechtigung überhaupt freigeschaltet ist.“
In Anbetracht der langen Vorgeschichte – der Beschluss für das Online-Register sei bereits vor fünf Jahren gefasst worden – sei die Umsetzung jetzt als Erfolg zu werten. Für den Herzchirurgen ist dies jedoch kein Grund, von seiner Forderung nach Einführung der Widerspruchslösung abzurücken.
„Ich bin sehr dankbar, dass sich zum Beispiel NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann ebenfalls unermüdlich für die Widerspruchslösung einsetzt“, sagt Jan Gummert. Doch im Bundestag und im Bundesrat gebe es viel politischen Gegenwind. Deshalb sei nicht damit zu rechnen, dass in absehbarer Zeit wieder über ein neues Transplantationsgesetz diskutiert werde.
In anderen Ländern wie Österreich, in denen die Widerspruchslösung praktiziert werde, zeige sich, dass die Bevölkerung von dieser Maßnahme profitiere und vielen dadurch geholfen werden könne. Jan Gummert: „Widerspruchslösung bedeutet ja zum Beispiel auch nicht, dass vor einer Organentnahme nicht mit den Angehörigen gesprochen wird.“
Für den Herzchirurgen ist es nach eigener Aussage frustrierend zuzuschauen, dass anderswo erfolgreich umgesetzt wird, wofür sich in Deutschland keine Mehrheit findet.
Beim Neujahrsempfang des Herz- und Diabeteszentrums NRW Mitte Januar im Theater im Park hatte Jan Gummert seine Position mit Zahlen untermauert: „2022 konnten wir 96 Transplantationen durchführen, 2023 waren es nur 75, davon sieben Kinder. Es gibt einfach nach wie vor zu wenig Spenderorgane.“
Montag, 25. März 2024 · Nr. 72 OWL und NRW Mindener Tageblatt
Organspende: Ärztekammer mahnt Widerspruchslösung an
Die Mediziner aus Westfalen-Lippe drängen auf eine Reform. Auch für chronisch kranke Kinder soll sich einiges ändern.
Münster (epd). Die Ärztekammer Westfalen-Lippe (ÄKWL) dringt auf eine Reform bei den Organspenden. Die derzeit geltende Entscheidungslösung habe in keiner Weise zu einer Erhöhung der Organspendezahlen beigetragen, erklärte die Ärztekammer am Samstag. Im Interesse von über 8.000 schwerstkranken Menschen, die in Deutschland auf der Warteliste für ein Spenderorgan stehen, sollte der Gesetzgeber hier dringend umsteuern.
Ärztekammer-Präsident Hans-Albert Gehle begrüßte das neue bundesweite Organspende-Register, das 18. März online gegangen ist. Er äußerte jedoch Zweifel, dass das Internet-Angebot allein die Lage bei der Organspende nachhaltig verbessern könne. Dies zeige beispielhaft die Entwicklung in der Schweiz, wo ein Organspende-Register keine Steigerung der Spenderzahlen gebracht habe, argumentierte Gehle, der Leitender Arzt in der Bergmannsheil- und Kinderklinik in Gelsenkirchen-Buer ist.
„Ich bin dafür, jeden sinnvollen Weg zur Steigerung der Spendenzahlen zu gehen“, sagte der Mediziner weiter. „Doch am Ende wird uns nur eine Gesetzesänderung helfen. Wir brauchen in Deutschland die Widerspruchslösung!“ Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) hatten zuletzt am Montag erklärt, sich weiter für eine Widerspruchslösung einzusetzen. Als Vorbild dient Spanien.
Dort kann jeder Mensch Organspender werden, es sei denn, er spricht sich zu Lebzeiten ausdrücklich dagegen aus und dokumentiert das. In Deutschland gilt derzeit die Zustimmungslösung, wonach die Bereitschaft zur Organspende ausdrücklich erklärt werden muss.
Derweil mahnt die Ärztekammer Westfalen-Lippe angesichts einer zunehmenden Zahl von chronisch erkrankten Kindern an, die medizinische Versorgung verstärkt darauf einzustellen. Die Krankheitslast im Kindes- und Jugendalter habe sich in den vergangenen Jahrzehnten verlagert, heißt es in einer Resolution der Kammerversammlung. In Deutschland leide mittlerweile rund jedes fünfte Kind unter 18 Jahren an chronischen Krankheiten, darunter Allergien, Adipositas, Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes mellitus Typ 1 sowie psychische oder Entwicklungsstörungen. Nötig seien bessere finanzielle und strukturelle Rahmenbedingungen, um Betroffenen versorgen zu können. Erkrankungen jeder Altersgruppe seien nie ausschließlich biologische Störungen, erklärte Präsident Gehle. Sie umfassten ebenso Psyche und Sozialstatus.
„Mit der Diagnose einer chronischen Erkrankung steht daher die gesamte Familie vor einer großen Herausforderung“, betonte der Mediziner. So seien diese Kinder und Jugendliche oft in der schulischen Leistung beeinträchtigt und hätten weniger Teilhabe an gemeinsamen Aktivitäten mit Gleichaltrigen. „Die medizinischeVersorgung gestaltet sich sehr komplex und kann nur unter Einbeziehung von Familie, Kita und Schule gelingen.
Mindener Tageblatt Samstag/Sonntag, 23./24. März 2024 · Nr. 71
Organe aus dem 3-D-Drucker
„Nachgebaute“ menschliche Organe versprechen ein Milliardenmarkt zu werden. Der Bund fördert jetzt vier innovative Teams, die jeweils revolutionäre Anwendungen entwickeln. Wie sieht die Zukunft aus?
Björn Hartmann
Berlin. Auf dem Gesundheitsmarkt bahnt sich eine Revolution an. Weltweit arbeiten Forscher daran, menschliche Organe nachzubauen – Leber zum Beispiel oder Bauchspeicheldrüse. Für viele schwer kranke Menschen, die bisher auf Spender angewiesen sind, wäre das die Rettung. Für Unternehmen öffnete sich ein neuer Milliardenmarkt. In einem Wettbewerb von Sprind, der Innovationsagentur des Bundes, treten jetzt vier europäische Teams an, um zu zeigen, was möglich ist.
Sanft summt die Lüftung im Labor, 3. Stock, Bayer-Gelände in Berlin-Wedding. Hier steht der 3D-Drucker, mit dem die Firma Cellbricks schon heute Lebergewebe in Teilen nachdruckt. Das Unternehmen gehört zu den Teilnehmern des Wettbewerbs. Geschäftsführer Joachim von Arnim steht im weißen Kittel mitten im Raum und beobachtet, wie ein Kollege mit Pipette den Drucker vorbereitet. „Was im Menschen 18 Jahre gewachsen ist, wollen wir in 180 Minuten nachbauen“, sagt er. „Wir haben bereits im Labor gezeigt, dass sich Organe in Teilen nachdrucken lassen und dann wachsen. Jetzt zeigen wir, dass unsere gedruckten Elemente auch in Lebewesen funktionieren.“ Die Anforderungen sind hoch. „Die Organe müssen sicher sein, dürfen dem Menschen nicht schaden. Sie dürfen keine Immunreaktion auslösen. Sie sollen natürlich funktionieren. Und sie müssen in der entsprechenden Größe verfügbar sein“, beschreibt Jano Costard das Ziel.
Er ist bei Sprind für den Wettbewerb verantwortlich. Tissue Engineering, Gewebezucht, heißt eine Reihe von Verfahren, mit denen Organe nachgebaut werden können. Eines dieser Verfahren ist lichtbasierter 3D-Druck. Dafür nötig sind menschliche Zellen, etwa von der Leber und von Blutgefäßen, die künstlich vermehrt werden, sowie etwas, das die Zellen später zusammenhält. Cellbricks verwendet selbst entwickelte „vegane Gelatine“. Weil die Zellen genetisch programmiert sind, Blutbahnen oder Leber zu werden, bilden sich im gedruckten Leberstück dann zum Beispiel neue Blutgefäße aus – wenn die Bedingungen stimmen, etwa die Temperatur.
Die Experten im CellbricksLabor haben die Gewebestruktur der Leber am Computer nachgebaut und drucken eine Art ideale Leber. Wobei streng genommen nicht gedruckt wird, die menschlichen Zellen sind zu empfindlich für Düsen klassischer Drucker. Das Gerät im Labor belichtet die flüssigen Zellmischungen. Dort, wo das Licht hinkommt, härtet die Flüssigkeit aus. Für ein Stück Leber sind mehrere belichtete Schichten nötig, von denen jede etwa 20 Tausendstel Millimeter dick ist. Gedruckt werden kann alles, was auf die Druckerschalen passt, die fast das Format einer Postkarte haben. Auf jeden Fall ist Cellbricks auf Größeres eingestellt. „Mit unserem patentierten Verfahren lassen sich Organe im industriellen Maßstab drucken“, sagt von Arnim. Soweit ist es aber noch nicht. Die Berliner drucken keine komplette Leber, zu groß,zu kompliziert. Die Experten bauen ein kleines Stück nach. Wird es dann an eine echte Leber transplantiert, wächst es mit ihr zusammen. Ein beschädigtes Organ könnte sich dann selbst wieder erneuern. Weil die Verfahren aufwendig sind und der Körper eben doch sehr komplex ist, gibt es bisher nur Laborversuche. Und es gibt bisher nur wenige Firmen für das Thema. Einige Konkurrenten sitzen in den USA und Israel. ZonalCartHT ist ein Team aus Experten des Uniklinikums Heidelberg und des Leibniz-Instituts für Polymerforschung in Dresden. Sie entwickeln Knorpelersatz aus einem Trägermaterial und Stammzellen. Die Idee: Statt ganze Gelenke auszutauschen, lässt sich die Funktion auch wiederherstellen, wenn die Knorpel zwischen den Knochen ersetzt werden. Drei Forscher aus Paris arbeiten daran, mit menschlichen Zellen große transplantierbare Muskeleinheiten zu entwickeln. Sie nutzen ein Eisguss genanntes Verfahren für das Trägermaterial. Ein Team der Universität Utrecht in den Niederlanden arbeitet ähnlich wie Cellbricks daran, Organteile in 3D zu drucken. In diesem Fall geht es um die Bauchspeicheldrüse. Das gedruckte Material kann Insulin produzieren – Rettung für viele Diabetiker.
Bis September haben die vier Teams Zeit, zu beweisen, dass sie die Technik im Griff haben und dass künstliche Organ im Tierversuch funktioniert. Dafür bekommen die Teams jeweils 500.000 Euro. „Danach können wir die Projekte weiterfinanzieren“, sagt Sprind Koordinator Costard, „müssen es aber nicht“. In der zweiten Stufe stehen für zwei Monate weitere 200.000 Euro je Team zur Verfügung, um sich auf klinische Studien vorzubereiten. Im November ist dann Schluss. „Am Ende des Wettbewerbs wollen im Idealfall private Investoren Geld in die Projekte stecken. Wir als Sprind können aber auch weiter unterstützen.“
Bei Cellbricks sind sie optimistisch. Das patentierte Druckverfahren funktioniert auch mit anderen Zellarten: Herz zum Beispiel. Bald soll es in jedem großen Krankenhaus Drucker geben, die Gewebe produzieren.
wa.de
NRW
Stand: 21.03.2024
Von: Marvin K. Hoffmann
Das Organspenderregister soll in Deutschland für mehr Organspenden sorgen. Das wird nicht reichen. Patienten geben emotionale Einblicke und ein Arzt klärt auf.
Hamm/Bad Oeynhausen – Die Stimme bricht, Oliver Alert weint und ringt nach Luft. „Das war die schwerste Situation in meinem ganzen Leben“, presst er hervor. Der 55-Jährige wirkt verzweifelt, wenn er an diesen Tag zurückdenkt: „Ich habe gesagt, wenn mir das nochmal passiert, dann besorge ich mir eine Pistole und erschieße mich.“
Ende Mai 2021 war das. Oliver Alert, ehemaliger Zeitsoldat und in guter körperlicher Verfassung, laboriert an den Folgen eines Herzinfarkts. Er weiß: Transplantation oder Tod. Der erlösende Anruf kommt am Morgen, ein passendes Organ wurde gefunden. Alles geht sehr schnell. „Ich wurde in den OP gebracht und narkotisiert“, erzählt er im Gespräch mit wa.de. Als er später wieder aufwacht, ist der Schock groß.
Ich habe die Decke zur Seite geschlagen und wusste sofort: Da stimmt etwas nicht“, sagt Alert. Das Spenderherz war nicht geeignet. Die Transplantation schlug fehl. „Das war nicht fit genug“, sagt Alert. Später spricht er von „versagen“. Die Erinnerungen an diesen Moment machen ihn noch heute fertig, lassen seine Stimme beben: „Ich bin eigentlich kein Typ, der zum Psychologen rennt – da aber sofort.“
Dabei hat sich mittlerweile alles zum Guten gewendet – den Umständen entsprechend jedenfalls. Oliver Alert hat die Intensivstation bereits verlassen. Keine zwei Wochen ist es her, da schlug in der Brust des 55-Jährigen noch ein kaputtes Herz – jetzt hat er ein neues, ein fremdes. Eine weitere Organspende, die zweite im März 2024 glückte schließlich, hat ihm das Leben gerettet.
Das ist längst keine Besonderheit mehr. Die Medizin ist weit: In der Barbaraklinik in Hamm-Heessen wurde einem Patienten mit einem Tremor ein Hirnstimulator implantiert. Im groben Schnitt werden 250 Herzen jährlich in Deutschland transplantiert. Im Jahr 2022 waren es sogar 358 Herzen. Nur ein Bruchteil der Patienten, die eines benötigen, werden allerdings auch gerettet. Es gibt schlichtweg zu wenig Organspenden in Deutschland. Daher erfolgt laut organspende-info.de auch eine strenge Unterteilung, wer eine Organspende erhält:
HU-Patientinnen und -Patienten (High Urgency, hohe Dringlichkeit) werden bei der Vergabe bevorzugt. Ihr Zustand ist akut lebensbedrohlich. Bei HU-Patientinnen und -Patienten muss nach einer gewissen Zeit die hohe Dringlichkeit medizinisch bestätigt werden. Andernfalls verlieren diese Menschen den HU-Status.
Nach den HU-Patientinnen und -Patienten kommen Menschen, die mehrere Organe benötigen (außer der Niere). Das ist die Gruppe ACO (approved combined Organ, Transplantation mehrerer Organe).
Personen mit dem Status T (transplantabel) befinden sich in einem stabilen Zustand. Sie kommen nach den ACO-Patientinnen und -Patienten. Für alle diese Gruppen gilt: Menschen, die eine Herz-Lungen-Transplantation benötigen, haben Vorrang vor Menschen, die nur ein Herz benötigen.
Der Zustand eines Menschen, der auf ein Spenderherz wartet, kann sich immer auch verschlechtern. Manchmal ist dann zeitweise keine Transplantation möglich. Sie werden dann der Gruppe NT (nicht-transplantabel) zugeordnet.
Das Organspenderregister, das am Montag, 18. März 2024, an den Start ging, soll für eine größere Anzahl von verfügbaren Spenderorganen sorgen. „Ziel dieses Registers soll es sein, dass sich die Organspende-Bereitschaft erhöht. Es ist toll, dass überhaupt etwas passiert. Durch die Einführung erfährt die Organspende immerhin schon jetzt eine positive Aufmerksamkeit“, sagt Prof. Dr. Jan Gummert, Ärztlicher Direktor des Herz- und Diabeteszentrum NRW (HDZ NRW) in Bad Oeynhausen, im Gespräch mit wa.de. „Ob es letztendlich auch mehr Organspender geben wird, muss man abwarten. Die Hürden scheinen mir allerdings etwas zu hoch zu sein. Die Registrierung ist nicht ohne und nimmt etwas Zeit in Anspruch. Auch hier muss man zunächst abwarten, wie die Entwicklung ist“, sagt er.
Der Heilige Gral der Organspende scheint die sogenannte Widerspruchslösung zu sein. Dann müssten Menschen aktiv widersprechen, dass sie keine Organe spenden wollen. Der große Vorteil: Die Menschen wären dann gezwungen, sich mit dem Thema Organspende überhaupt erst einmal auseinanderzusetzen.
„Die Widerspruchslösung ist aus meiner Sicht ein ganz wichtiges Mittel, um die Spenden-Bereitschaft zu steigern“, sagt Prof. Dr. Gummert. „Wir sind eines der wenigen Länder in Europa, das diese Widerspruchslösung nicht hat. Da sieht man, dass andere Länder weiter sind. Da ist es zum Teil schon längst ohne große Probleme eingeführt worden – und das sind alles demokratische Länder, fernab von einem diktatorischen Zwang“, erklärt er. Eine Sache daran ärgert ihn besonders.
Gummert würde gerne noch mehr Menschen helfen. Allein, es fehlt an Organen. „Die Not ist riesengroß. In Deutschland kommen häufig Patienten gar nicht mehr auf die Liste für eine Organtransplantation, weil sie eh zu lange warten müssten“, erklärt der Herzspezialist und führt weiter aus: „Bei einer Niere etwa kann es bis zu zehn Jahre dauern. Bei einem Herzen ist die Situation noch mal eine andere, weil oft eine lebensbedrohliche Situation vorliegt. Da könnte man sicherlich dreimal so vielen Patienten mit einer Transplantation helfen, wir haben aber nicht genügend Spenderherzen in Deutschland zur Verfügung.“
„Es werden in Deutschland mehr Herzen transplantiert als gespendet. In anderen Ländern gibt es mehr Spenden – weil es dort die Widerspruchslösung gibt“, sagt Prof. Dr. Gummert und wird deutlich: „Ich halte es für moralisch verwerflich, dass für uns die Widerspruchslösung nicht infrage kommt, wir aber die Organe aus Ländern mit einer Widerspruchslösung akzeptieren.“ Der Arzt hat sogar passende Zahlen parat: „Wir reden hier bei insgesamt circa 350 transplantierten Herzen von circa 40 Herzen, die aus dem Ausland kommen – das ist schon ein großer Anteil und ist aus meiner Sicht ein absoluter Skandal.“
Für die meisten Patienten ist die Wartezeit die schlimmste Zeit. Mit dem kaputten Herzen kommen sie klar, arrangieren sich. Lauern auf Erlösung aber macht mürbe. Das weiß auch Hubert Knicker.
Der heute 66-Jährige hat bereits 2010 ein neues Herz erhalten. Er macht sich seitdem für mehr Organspenden stark, hält Vorträge in Schulen und unterstützt in einer Selbsthilfegruppe andere Betroffene.
Auch ihn trieben während der langen Wartezeit auf ein passendes Spenderherz Suizidgedanken um. „Irgendwann habe ich meinen Tod geplant. Ich wäre zwar nie vor einen Zug gesprungen oder wäre von einer Brücke gestürzt – dazu war ich körperlich gar nicht in der Lage und wäre auch zu feige gewesen“, sagte er im Gespräch mit wa.de. Ein passiver Todeswunsch schlich sich in seine Gedanken. „Wenn mir aber jemand Tabletten oder Gift hingestellt hätte, hätte ich es genommen. Oft habe ich gebetet: ‚Lieber Gott, bitte lass mich sterben‘.
Schließlich klingelte auch bei ihm das Handy: passendes Spenderherz gefunden. „Ein Zimmernachbar hatte am 24. Juli Geburtstag. Wir haben uns über den Lieferdienst ein Schnitzel bestellt. Das wollten wir gerade essen, da bekam ich den Anruf“, sagt er. Knicker könne sich kaum noch an alles erinnern. „Ich war wie in Trance. Ich bin nur in den Fahrstuhl und hoch zur Herzstation gefahren. Aber ich soll ganz relaxt gewesen sein, meinte meine Frau“, erzählt Knicker.
Statt Knicker sein Schnitzel, schnitten die Ärzte nun ihn auf. Lange Zeit hatte er Angst vor diesem Eingriff. „Da mit offenem Brustkorb zu liegen – diese Vorstellung gefiel mir nicht. Irgendwann habe ich mich damit arrangiert“, sagt Knicker.
Prof. Dr. Gummert kennt diese Furcht vor der Operation bei seinen Patienten. Doch auch auf Seiten der potenziellen Spender gibt es Ressentiments, die es zu beseitigen gilt. „In Deutschland kann eine Herzspende nur dann erfolgen, wenn man hirntot ist. Das ist entscheidend, um der Bevölkerung die Angst zu nehmen. Jeder muss die Gewissheit haben: Wenn man ein Herz spendet, dann ist man bereits verstorben“, erklärt er. Bei den Organen Leber, Niere und Lunge hingegen sei auch eine Lebendspende möglich.
„Die Entnahme der Spenderorgane kann man sich vorstellen wie eine Operation. Da verbleiben auch nur ganz diskrete Narben“, sagt Prof. Dr. Gummert. Anschließend werde das Organ für den Transport vorbereitet. Das Herz könne man circa vier bis sechs Stunden erhalten, „die Transplantation muss also schnell durchgeführt werden“, erklärt der Chef des größten Herztransplantationszentrums in Deutschland. Er führt weiter aus: „Das kranke Herz wird entfernt, das Spenderherz wird implantiert und übernimmt dann sofort die Funktion eines Herzens und unterstützt den Kreislauf. In der Regel kann der Patient nach drei bis vier Wochen die Klinik verlassen.“
Für sie alle beginnt dann ein zweites, ein geschenktes Leben. Eines, das nur eine Organspende ermöglicht hat. Hubert Knicker erinnert sich noch gut an diesen Tag. „Als ich wieder wach wurde, wusste ich nicht, ob ich einen Herzstillstand hatte und reanimiert oder transplantiert wurde. Ich habe die Schwestern wohl verrückt gemacht“, sagt er. Am nächsten Tag habe seine Frau ihn besucht und ihm erklärt, dass die Transplantation erfolgreich war. „Ich konnte es gar nicht fassen – bis sie meine Hand genommen hat, die auf meine Brust gelegt und ich den Herzschlag gespürt habe“, sagt Knicker. „Da dachte ich nur: ‚Boah, du hast jetzt ein Spenderherz. Du hast es geschafft‘.“
Westfalen Blatt 19.03.2024
Herz- und Diabeteszentrum in Bad Oeynhausen setzt erstmals Holografie ein
Wenn das Herz vor den Augen des Arztes schwebt
BAD OEYNHAUSEN (WB).
Unter Holografie versteht man eine bildgebende Technik, bei der Objekte im Raum zu schweben scheinen und von allen Seiten betrachtet werden können. Die Erstellung von Hologrammen zur Unterstützung ärztlicher Entscheidungen und Therapien wird seit über zwei Jahrzehnten in der Fachwelt diskutiert. Jetzt ist die Technik so weit fortgeschritten, dass der Arzt das originalgetreue Abbild des zeitgleich schlagenden Herzens seines Patienten in der Hand drehen, von allen Seiten betrachten oder mit den Fingerspitzen Abstände messen kann.
Erstmals in Europa ist dies nun am Herz- und Diabeteszentrum NRW (HDZ NRW) in Bad Oeynhausen Wirklichkeit geworden. Was ein bisschen an Science-Fiction erinnert, könnte vielleicht schon in naher Zukunft Kathetereingriffe zur Therapie struktureller Herzerkrankungen revolutionieren. Einblicke in die Zukunft KI-basierter Kathetereingriffe am Herzen hat
Professor Dr. Volker Rudolph, Direktor der Klinik für Allgemeine und Interventionelle Kardiologie und Angiologie am HDZ, im Rahmen der Dresdner Herz-Kreislauf-Tage präsentiert – und dabei mit einem kurz zuvor am HDZ aufgenommenen Videoclip das Interesse des Fachpublikums geweckt.
Im Film ist das Team bei seiner Arbeit im Herzkatheterlabor mit dem in Europa bisher einmaligen Holografie-System zu sehen, das in Bad Oeynhausen zusätzlich zum normalen Monitorbild eingesetzt werden kann. Es erlaubt dem Arzt erstmals, das Herz des vor ihm liegenden Patienten mit allen anatomischen Besonderheiten als dreidimensionales Hologramm während des Eingriffs in Augenhöhe und greifbarer Nähe vor sich schwebend zu erleben. Er kann es nicht nur von allen Seiten viel genauer und besser als bisher betrachten, sondern das Original-Abbild des Patientenherzens auch mit der Fingerspitze im Raum drehen, vergrößern, hineinsehen, es ausmessen oder Teilbereiche zur detaillierten Darstellung heranzoomen. „Wir waren erst skeptisch, dann aber schnell fasziniert von den Möglichkeiten dieser intuitiven und interaktiven Technik“, sagt Prof. Rudolph. „Es handelt sich ja keineswegs um eine optische Täuschung, sondern um eine hochauflösende, dynamische 3D-Projektion im freien Raum, live generiert aus Patientendaten. Eine solche zusätzliche Beurteilungsoption des Herz-Hologramms trägt besonders bei schwierigen Fragen dazu bei, perspektivische Fehler zu vermeiden.“ Oberarzt Dr. Kai Peter Friedrichs: „Stellen Sie sich sehr komplexe Eingriffe an einer Herzklappe vor, die auch für erfahrene Spezialisten aufgrund sehr anatomischer Strukturen oder aufgrund bereits vorhandener Implantate nicht einfach zu beurteilen sind. Mittels Holografie können wir jetzt alle Besonderheiten des Herzens zusätzlich mehrdimensional, live und in Echtzeit wahrnehmen und therapieren. Wenn es um die Positionierung einer neuen Herzklappe oder im Falle von Klappenrekonstruktionen um die Platzierung eines Klappenrings geht, wissen wir eine solche Möglichkeit vor allem dann zu schätzen, wenn die Katheterführung nicht einfach ist.“ Die Bad Oeynhausener Katheterspezialisten sind sich einig, dass die Anwendung der Technik jetzt schon so überzeugend ist, dass es sich lohnt, die Möglichkeiten der Holografie im klinischen Einsatz weiterzuverfolgen. Die Hologramme werden aus Ultraschalldaten generiert, die während des Eingriffs durch die Speiseröhre von Herzklappen und Vorkammern aufgenommen werden. Mit dieser sogenannten transösophagealen Echokardiographie (TEE, auch: Schluckecho) lassen sich Herzklappenfehler, Blutgerinnsel und Auflagerungen exakt darstellen. Die innovative Holografie-Technik für die Herzmedizin ist in Europa bislang nur in Bad Oeynhausen verfügbar. In der Klinik werden zunächst weitere Erfahrungen mit Hologramm-Beurteilungen gesammelt. Parallel dazu wird das Augenmerk auf die Ausbildung des ärztlichen Nachwuchses gelegt.
Am 18. März geht die bundesweite Organspende-Datenbank an den Start. Für die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie bedeutet dies nicht automatisch steigende Spenderzahlen. Mehr Aufklärung und eine Widerspruchslösung müssten her.
Berlin. Wenige Tage vor der Freischaltung des bundesweiten Organspenderegisters erwarten sich Deutschlands Chirurgen keine steigenden Spenderzahlen durch die Datenbank. „Nur, weil nun etwas in ein Register eingetragen werden kann, erklären sich nicht automatisch mehr Menschen zur Organspende bereit", erklärte der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH), Thomas Schmitz-Rixen, am Mittwoch in Berlin. Er forderte eine verstärkte Aufklärung der Gesellschaft sowie die Einführung einer Widerspruchslösung bei der Organspende.
In Deutschland gilt derzeit die „erweiterte Zustimmungslösung“. Für die Organentnahme nach dem Hirntod eines Menschen ist die aktive Zustimmung des Betroffenen zu Lebzeiten, die Zustimmung eines engen Angehörigen oder eines Bevollmächtigten erforderlich. Bei einer Widerspruchslösung wäre jeder Bürger ein potenzieller Organspender - außer, er hat ausdrücklich widersprochen.
Derzeit warten rund 8.400 Menschen in Deutschland auf ein neues Organ. Zugleich liegt die Bundesrepublik im internationalen Bereich bei der Zahl der Organspender auf den hinteren Rängen der Tabelle. Die Deutsche Stiftung Organtransplantation verzeichnete im Jahr 2023 insgesamt 965 Spender. In den 45 Transplantationszentren wurden bundesweit 2.985 gespendete Organe eingepflanzt.
„Die Lücke zwischen Spendern und Empfängern ist weiterhin viel zu groß“, bemängelt Schmitz-Rixen. „Mit jedem Tag, der bis zur Transplantation vergeht, verschlechtert sich der Zustand der Betroffenen und damit auch ihre Chancen auf ein gutes Ergebnis.“
Ab Montag kann jeder Bundesbürger ab 16 Jahren seinen Willen zur Organspende rechtssicher, freiwillig und kostenlos von zuhause im zentralen Organspenderegister hinterlegen. Voraussetzung ist allerdings, dass man über einen Personalausweis mit Onlinefunktion und PIN (eID) verfügt.
Schmitz-Rixen betonte, dass ein Organspenderegister mehr Klarheit für Angehörige und Ärzte schaffen kann, ob ein Patient zur Spende bereit ist. „Viele Menschen sind zwar zur Organspende bereit, dokumentieren das aber nicht“, so der Chirurg. „Insofern ist diese Möglichkeit ein Fortschritt.“ Doch gibt der Chirurg zu bedenken, dass Jahre vergehen würden, bis sich eine tragfähige Zahl an Menschen eingetragen habe. (KNA)
Von t-online, mtt
12.03.2024
Auf eine Million Einwohner kommen aktuell gerade einmal elf Organspender. Mediziner aus Hannover sagen, sie begrüßen alles, was diese Zahl steigen lässt.
Am 18. März soll die Internetseite www.organspende-register.de mit einer Verzögerung von zwei Jahren online geschaltet werden. Wer bereit ist, seine Organe nach seinem Tod anderen Menschen zu überlassen, kann sich dort registrieren lassen.
Ein Eintrag ins Register ist freiwillig, kostenlos und kann jederzeit geändert werden. Während Organspendeausweise verloren gehen oder nicht auffindbar sein können, soll das Online-Register jederzeit verfügbar sein.
Aber wird es die Zahl der Organspender tatsächlich merklich erhöhen? Aktuell gilt Deutschland im europäischen Vergleich als eines der Schlusslichter – mit einem Anteil von etwa elf Spenderinnen und Spendern pro einer Million Einwohner.
Die Dringlichkeit, dass sich das ändert, ist laut Prof. Dr. Moritz Schmelzle hoch. Der Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) schilderte dem "Science Media Center Germany" ("SMC") die aktuelle Situation so: Während der Bedarf weit höher liege, würden im Transplantationszentrum der MHH jährlich etwa 350 Transplantationen durchgeführt. Schmelzle: "Rund 1.000 Patientinnen und Patienten an der MHH, darunter auch Kinder und Jugendliche, warten auf ein Spenderorgan (Niere, Leber, Pankreas, Herz, Leber) – viele von ihnen leider vergeblich." Er hoffe, dass das Register "einen neuen Schub" für die Organspende in Deutschland bedeuten könne: "Wir im Transplantationszentrum begrüßen alle Maßnahmen, die eine Dokumentation der Entscheidung zur Organspende zu Lebenszeiten unterstützen, und hoffen, dass möglichst viele Menschen ihre Entscheidung eintragen werden."
Ähnlich äußerte sich Dr. Frank Logemann, Transplantationsbeauftragter an der MHH. Er sei allerdings skeptisch, dass das Portal viel genutzt wird, "wenn nicht gleichzeitig Aufklärung generell, Beratung im Einzelfall und Hilfestellung beim Eintrag in das Register geleistet werden".
In diesem Jahr komme es aber wahrscheinlich dennoch zu einer Zunahme der Organspenden – einfach weil mit dem Registerstart und der derzeit diskutierten Einrichtung einer Widerspruchslösung das Thema Organspende präsenter werde und sich die Menschen häufiger dazu austauschen würden. "(Positive) Kommunikation und Wissen über Organspende kann viel bewirken", zeigte sich Logemann laut "SMC" überzeugt. "Mit jedem Eintrag, der Klarheit zur Haltung gegenüber Organspende schafft, hat das Register seinen Zweck erfüllt."
Was die technischen Hürden betrifft, hofft Logemann, dass "alle Teile der Bevölkerung in der Lage sein werden, sich mit den Herausforderungen auseinanderzusetzen".
16.02.2024 Annette Rößler
Raucher sind infektanfälliger als Nichtraucher. Laut einer aktuellen Studie werden sowohl das angeborene als auch das adaptive Immunsystem durch das Rauchen in Mitleidenschaft gezogen – und zwar teilweise jahrelang.
Wie das Immunsystem eines Menschen auf diverse Krankheitserreger reagiert, ist individuell unterschiedlich. Allerdings gibt es bestimmte übergeordnete Faktoren, die dabei eine Rolle spielen. Diese zu identifizieren, ist das Ziel des französischen Forschungsprojekts Milieu Intérieur, an dem 1000 Menschen teilnehmen. Die Kohorte ist bezüglich Alter, Geschlecht und Ethnie in einer Weise ausbalanciert, die es ermöglicht, die Variabilität einer »normalen« Immunantwort zu untersuchen.
Im Fachjournal »Nature« ist jetzt eine Auswertung des Milieu-Intérieur-Projekts erschienen. Das Autorenteam um Dr. Violaine Saint-André vom Institut Pasteur in Paris untersuchte darin, ob beziehungsweise wie sich 136 Variablen aus den Bereichen Soziodemografie, Diät und Lebensstil auf die Immunantwort auswirken. Sie verwendeten dazu Blutproben der Teilnehmenden und bestimmten darin quantitativ die Freisetzung von 13 infektionsassoziierten Zytokinen als Reaktion auf eine kontrollierte Stimulation mit bestimmten Krankheitserregern.
Rauchen, CMV-Infektion und BMI als Einflussfaktoren
Drei Faktoren veränderten die Zytokinantwort besonders stark: Rauchen, eine latente Infektion mit dem Cytomegalievirus (CMV) und der Body-Mass-Index (BMI). Jede dieser drei Variablen wirkte sich ungefähr so stark auf die Immunantwort aus wie das Alter, das Geschlecht oder die genetische Ausstattung der jeweiligen Person. Dabei stach das Rauchen besonders hervor, weil es sowohl die angeborene als auch die adaptive Immunantwort beeinträchtigte, wobei sich bei Personen, die mit dem Rauchen aufgehört hatten, nur die angeborene Immunantwort schnell wieder normalisierte.
Die adaptive Immunantwort war dagegen auch bei Ex-Rauchern, die schon viele Jahre zuvor aufgehört hatten, noch verändert. Dies ist laut den Forschenden auf epigenetische Veränderungen zurückzuführen: Die Gruppe identifizierte bestimmte DNA-Methylierungsmuster, die die Zytokinfreisetzung beeinflussen und die sowohl bei aktiven als auch bei ehemaligen Rauchern nachweisbar waren, nicht jedoch bei Menschen, die nie geraucht hatten. »Dosisabhängig«, also abhängig davon, wie viele Jahre und wie viele Zigaretten eine Person insgesamt geraucht hatte, war bei Ex-Rauchern die Interleukin-2-Antwort auf eine Erregerstimulation herabgesetzt.
Erklärung für erhöhtes Krebsrisiko?
Die beobachteten Zusammenhänge könnten nicht nur erklären, warum Raucher infektanfälliger sind als Nichtraucher, sondern auch, warum ihr Risiko für Krebs und Autoimmunerkrankungen erhöht ist – und zwar teilweise noch lange über einen Rauchstopp hinaus. Daraus als Raucher abzuleiten, dass es sinnlos wäre aufzuhören, weil »es ja eh nichts bringt«, wäre jedoch grundfalsch. Denn es ist sehr gut belegt, dass sich das Krebsrisiko bei Ex-Rauchern mit der Zeit wieder demjenigen von Nichtrauchern annähert. Dies steht auch nicht im Widerspruch zu den Studienergebnissen, weil epigenetische Veränderungen nicht unumkehrbar sind. In der Tat konnte in der Studie gezeigt werden, dass das Ausmaß der DNA-Methylierung in den Jahren nach einem Rauchstopp kontinuierlich abnahm. Wie schnell das gehen kann, hängt sicherlich auch davon ab, wie gesund sich ein Mensch ansonsten verhält.
17.02.2024
Noch immer ist die Zahl der Menschen, die auf eine Transplantation warten, deutlich höher als die der Spender. Um zumindest den Prozess zu erleichtern, soll es bald ein Onlineregister geben. Den Mangel an Spenden will Gesundheitsminister Lauterbach auf anderem Wege lösen.
Potenzielle Organspender können ihre Spendebereitschaft bald in einem zentralen Register hinterlegen. "Das digitale Organspende-Register wird am 18. März nun endlich an den Start gehen", sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach der Düsseldorfer "Rheinischen Post". "Die Eintragung erfolgt völlig freiwillig, hilft aber den Kliniken, schneller zu handeln."
Lauterbach tritt bei der Organspende eigentlich für ein sogenanntes Widerspruchsmodell ein, bei dem jede und jeder als möglicher Spender gilt, sofern er oder sie dem nicht aktiv widerspricht. Anfang 2020 hatte dies im Bundestag aber keine Mehrheit gefunden, stattdessen wurde die sogenannte Entscheidungslösung beschlossen. Demnach sollen die Bürgerinnen und Bürger regelmäßig von ihren Hausärztinnen und -ärzten mit dem Thema konfrontiert werden.
Die Entscheidung soll in einem digitalen Register hinterlegt werden, dessen Einführung jedoch lange auf sich warten ließ. Dass es nun endlich komme, "wird den Organspende-Mangel nicht sofort beheben, aber es ist ein wichtiger Schritt nach vorne", sagte der Gesundheitsminister. Zugleich betonte Lauterbach sein Festhalten an der Widerspruchslösung - diese sei der einzige Weg, den Mangel wirklich zu beheben. "Ich hoffe, dass noch in dieser Legislaturperiode erneut ein Antrag aus dem Parlament heraus im Bundestag beraten wird."
Im vergangenen Jahr war die Zahl der Organspenden in Deutschland wieder gestiegen. Nach Angaben der Stiftung Organtransplantation spendeten 965 Menschen ihre Organe nach dem Tod - elf Prozent mehr als im Vorjahr. Mit der Corona-Pandemie waren die Organspendezahlen eingebrochen.
Trotz der Erholung überstieg die Zahl der Menschen auf den Wartelisten für eine Transplantation die Spendezahlen mit rund 8400 um ein Vielfaches. Im internationalen Vergleich bildet Deutschland ein Schlusslicht bei der Organspende und profitiert im Eurotransplant-Verbund von anderen Mitgliedsländern, indem es mehr Organe erhält, als es abgibt.
Quelle: ntv.de, lno/AFP
15 Feb. 2024 18:02 Uhr
In Japan wurden genmanipulierte Schweinezellen angeblich so weit modifiziert, dass Organe daraus gezüchteter Tiere bei Transplantationen von menschlichen Körpern nicht mehr so häufig abgestoßen würden. Am Dienstag wurden drei GMO-Ferkel geboren, deren Nachkommen einst als "Ersatzteillager" für Menschen verwendet werden könnten.
Einem japanischen Forscherteam sei es gelungen, Schweine genetisch verändert so zu züchten, dass man deren Organe zur Organtransplantation beim Menschen verwenden könne. Laut einem vom Asia News Network am Mittwoch veröffentlichten Bericht seien die drei jüngsten gentechnisch in dieser Weise veränderten Ferkel am Sonntag – per Kaiserschnitt entbunden – zur Welt gekommen.
Das Forscherteam hat am Dienstag bekannt gegeben, dass es das Erbgut von Schweinen für Organtransplantationen bei Menschen genetisch verändert habe. Dazu wäre insbesondere ein immunitätsrelevantes Gen beim Schwein verändert worden. Das modifizierte Schweinegen solle bei Organtransplantationen zum Menschen Abstoßungsreaktionen verhindern. Bislang würden starke Abstoßungsreaktionen die Transplantation von Schweineorganen in menschliche Körper erschweren.
Die Übertragung von tierischen Organen auf den Menschen nennt man "Xenotransplantation". Angesichts mangelnder menschlicher Spenderorgane würde das Transplantieren vom Tier zum Menschen zunehmend an Bedeutung gewinnen, heißt es beim Asia News Network. Zum japanischen Forscherteam der Meiji-Universität in Kawasaki gehöre auch das Start-up-Unternehmen PorMedTec Co. Auf deren Website stellt das japanische Unternehmen PorMedTec unter dem Kapitel "About" sein Angebot vor: "Maßgeschneiderte Produktion von gentechnisch veränderten Schweinen" heißt es dort auf Englisch in der Angebotsbeschreibung.
Gentechnisch veränderte Schweine brauche man schließlich zu verschiedenen Zwecken, erläutert das Universitäts-Spin-Off-Unternehmen sein Geschäftsmodell: Zum Beispiel für die Erforschung von Organregeneration oder zur Evaluation einer von neuen Therapien an den "Modellschweinen". Deshalb könne PorMedTec für unterschiedlichste Wünsche auch von Pharmaunternehmen jeweils speziell gentechnisch manipulierte Schweine produzieren:
"Wir bieten einen Service an, der gentechnisch veränderte und geklonte Schweine erzeugt, die den spezifischen Anforderungen unserer Kunden entsprechen."
Vor der Geburt der gentechnisch manipulierten Ferkel hatte PorMedTec importierte Schweinezellen vom amerikanischen Biotech-Unternehmen eGenesis gekauft. Bei eGenesis hatte man diese Schweinezellen für die Xenotransplantation so genmodifiziert, dass sie weniger anfällig für Abstoßungsreaktionen sein sollten. Zellkerne dieser Zellen habe das japanische Forschungsteam in die befruchteten Eizellen eines normalen Schweins injiziert. Anschließend seien 100 dieser Eizellen in die Gebärmutter eines Schweins eingesetzt worden.
Aktuell sei der nächste Schritt in der Forschung die Transplantation von Schweineorganen in Laboraffen. Aber bereits für den Herbst 2025 plane das Team eine klinische Studie zur Xenotransplantation bei Menschen. Dabei wollen die Japaner mit verschiedenen medizinischen Einrichtungen ihres Landes kooperieren. Außerdem soll im Herbst nächsten Jahres in Japan auch eine klinische Studie an Patienten mit schwerem Nieren- und Leberversagen durchgeführt werden. Nach Aussagen von Professor Hiroshi Nagashima von der Meiji Universität, einem der Gründer von PorMedTec, wolle man möglichst schnell neue Behandlungsmethoden anbieten.
Felix Straumann
Publiziert: 15.02.2024
200 Personen spendeten im Jahr 2023 nach ihrem Tod die Organe, so viele wie noch nie. Im Vergleich zu den Vorjahren ist dies ein deutlicher Sprung von gut 20 Prozent. Noch 2022 lag der Wert bei 164 Personen, 2010 sogar bei nur rund 100.
«Wir befinden uns europaweit inzwischen fast im oberen Drittel», sagt Franz Immer, Direktor der Stiftung Swisstransplant. Mit 22,7 Spenden pro Million Einwohner schliesst die Schweiz zu Ländern wie Frankreich (25 pro Million Einwohner) oder Italien (24) auf. In der Vergangenheit galt die Schweiz als eines der Schlusslichter auf dem Kontinent. Franz Immer geht davon aus, dass der Anstieg nachhaltig ist, und erwartet im nächsten Jahr einen Wert zwischen 180 und 220 Spendern. «Wir haben unsere Strukturen stark verbessert und können auf die ausgezeichnete Arbeit der Fachleute an der Front zählen», sagt Immer.
Grund für den Anstieg war unter anderem ein neues Verfahren, das die Herztransplantation neu nach Herz-Kreislauf-Stillstand (DCD) ermöglicht. Das Organ wurde bislang nur bei der herkömmlichen Transplantation nach Hirntod (DBD) entnommen. Mit dem neuen Verfahren wurden im vergangenen Jahr neun Herzen verpflanzt. Transplantations-kritische Kreise hatten deswegen Strafanzeigen gegen das Inselspital Bern und die Universitätsspitäler Lausanne (CHUV) und Zürich wegen Verstoss gegen das Transplantationsgesetz eingereicht – wurden jedoch von den zuständigen Staatsanwaltschaften abgewiesen. «Die Anzeigen waren medizinisch-fachlich fehlerhaft», sagt Franz Immer. Eine Aussage, die die Kritiker entschieden zurückweisen. Für Immer ist jedoch unbestritten, dass auch die neue Herztransplantation den gesetzlichen und ethischen Anforderungen genügt.
Was ist der Unterschied zwischen DCD und DBD?
Es gibt zwei Situationen, in denen eine Organspende erfolgen kann. Bei der «herkömmlichen» Transplantation nach Hirntod (DBD, donation after brain death) ist das Gehirn der Spenderin oder des Spenders nicht mehr durchblutet und daher nicht mehr funktionsfähig. Die häufigsten Ursachen für Hirntod sind Hirnblutungen, Sauerstoffmangel oder ein schweres Schädel-Hirn-Trauma. Nach dem Spendeentscheid wird die auf der Intensivstation noch zu Lebzeiten eingeleitete künstliche Beatmung über den Tod hinaus weitergeführt, bis die Organe entnommen werden. Durch die Beatmung werden die Organe bis zum Schluss mit Sauerstoff versorgt und vor Schäden geschützt.
Bei der Transplantation nach Herz-Kreislauf-Stillstand (DCD, donation after circulatory death) stirbt der Spender oder die Spenderin aufgrund eines anhaltenden Kreislaufstillstands. Dazu kommt es, wenn im Spital aufgrund einer aussichtslosen Prognose entschieden wird, die Therapien zu beenden und die Person sterben zu lassen. Der Therapieabbruch führt zu einem anhaltenden Stillstand des Kreislaufes. Weil danach das Gehirn nicht mehr durchblutet wird, tritt der Hirntod ein.
Die Todesfeststellung muss sowohl bei DCD als auch bei DBD von zwei qualifizierten Ärztinnen oder Ärzten gemeinsam durchgeführt werden (Vier-Augen-Prinzip). Diese dürfen weder an der Entnahme noch an der Transplantation beteiligt sein.
Möglich wurde die neue Transplantation durch ein neu beschafftes Gerät namens Organ Care System (OCS), welches das Herz ausserhalb des Körpers mit Blut und Sauerstoff versorgt und so länger funktionsfähig hält. Es kommt manchmal auch bei herkömmlichen Herztransplantationen zum Einsatz, etwa bei Organen aus dem Ausland, die dort nicht verwendet werden können. Dank dem Einsatz dieser neuen Technologie stieg die Zahl der Herztransplantationen in der Schweiz auf 58. «Auch das ist ein Höchststand», so Immer.
Weitere Gründe haben zur markanten Zunahme der Organspenden geführt. So etablierten zusätzliche Spitäler die 2011 in der Schweiz eingeführte DCD-Transplantation. «Allein aus dem Spital Sitten kamen zusätzlich über zehn DCD-Spender», sagt der Swisstransplant-Direktor.
Und schliesslich unterstützt eine neue digitale Anwendung Spitäler bei der Erkennung von Organspenderinnen und -spendern. Bei unklaren Fällen können die Fachleute auf den Intensivstationen mit anonymisierten Patientendaten online eine Anfrage stellen, die durch den medizinischen Dienst von Swisstransplant eingeschätzt wird. «Wir hatten im vergangenen Jahr 200 Anfragen, von denen 70 Prozent für eine Spende infrage kamen – etwas weniger als die Hälfte wurde dann tatsächlich Organspender», sagt Franz Immer.
Durch die vermehrten Spenden erhielten auch mehr Menschen ein Organ (565 Personen, 111 Personen mehr als 2022). Trotzdem bleibt die Situation auf der Warteliste weiter angespannt. Ende 2023 befanden sich darauf 1391 Personen, ein Jahr davor waren es 1442. 92 Personen starben 2023 auf der Warteliste – auch dies ein Rekord.
Bemerkenswert ist, dass der deutliche Anstieg bei den Spendenden noch vor der Einführung der Widerspruchslösung eingetreten ist. Der Systemwechsel, dem das Schweizer Stimmvolk 2022 mit deutlichem Mehr zugestimmt hat, erfolgt gemäss Swisstransplant frühestens in zwei Jahren – nach Einführung des elektronischen Identifikationsnachweises (E-ID). Franz Immer erwartet, dass danach die Zustimmung von Angehörigen in unklaren Fällen graduell zunehmen wird.
Derzeit liegt die Ablehnungsrate bei Angehörigen unverändert bei knapp 60 Prozent, nach wie vor einer der höchsten Werte in Europa. Der Anstieg ist also einzig durch erweiterte Transplantationsverfahren und die bessere Erkennung potenzieller Spender zustande gekommen.
Deutsche Stiftung Organtransplantation verzeichnet 11 Prozent mehr Spender nach starkem Rückgang in 2022
DSO
16. Jan. 2024 ·
Im vergangenen Jahr haben 965 Menschen nach ihrem Tod ein oder mehrere Organe gespendet. Dies sind 96 mehr als in 2022 und entspricht 11,4 Spendern pro Million Einwohner. Im Vergleich zu 2022 (869 Organspender; 10,3 Spender pro Million Einwohner) ist die Zahl der Spenderinnen und Spender damit um 11 Prozent gestiegen. Auch die Summe der in Deutschland postmortal entnommenen Organe, die über die internationale Vermittlungsstelle Eurotransplant nach festgelegten medizinischen Kriterien verteilt und schließlich hierzulande oder im Ausland transplantiert werden konnten, ist gestiegen: Sie erhöhte sich um 8,1 Prozent auf 2.877 Organe (2022: 2.662). Dazu zählten 1.488 Nieren, 766 Lebern, 303 Herzen, 266 Lungen, 52 Bauchspeicheldrüsen und 2 Därme. Die Zahl der organspendebezogenen Kontakte stieg ebenfalls: Dies sind die Fälle, in denen sich die Kliniken an die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) gewendet haben, um über eine mögliche Organspende zu sprechen. Diese Kontakte stiegen von 3.256 in 2022 auf 3.412 in 2023.
In den 45 hiesigen Transplantationszentren wurden im vergangenen Jahr insgesamt 2.985 Organe nach postmortaler Spende aus Deutschland und dem Eurotransplant-Verbund übertragen (2022: 2.795). Damit wurde bundesweit insgesamt 2.866 schwer kranken Patientinnen und Patienten durch ein oder mehrere Organe eine bessere Lebensqualität oder sogar ein Weiterleben geschenkt (2022: 2.695). Gleichzeitig stehen in Deutschland knapp 8.400 Menschen auf den Wartelisten für eine Transplantation.
Der Medizinische Vorstand der DSO, Dr. med. Axel Rahmel, kann auch weiterhin keine Entwarnung geben, was die Situation der Organspende in Deutschland betrifft: „Durch den enormen Einbruch der Spenderzahlen im Jahr 2022 bringt uns das Plus von 11 Prozent zumindest wieder zurück auf das Niveau, das wir in den Jahren zuvor halten konnten – und das ist angesichts der rund 8.400 schwer kranken Patientinnen und Patienten auf den Wartelisten deutlich zu niedrig. Wir haben nach wie vor einen erheblichen Mangel an Spenderorganen, sodass nicht allen Menschen, die auf ein Organ warten, geholfen werden kann, obwohl wir die medizinischen Möglichkeiten dazu haben. Die Transplantation stellt für die meisten von ihnen die beste und nicht selten auch die einzig verbleibende Behandlungsoption dar, um zu überleben. Jedes einzelne Organ zählt und kann ein Leben retten. Wir dürfen die darauf angewiesenen Menschen nicht im Stich lassen, sondern wir müssen alle Möglichkeiten nutzen, ihnen mit einem geeigneten Spenderorgan zu helfen.“
Diese Möglichkeiten umfassen laut Rahmel insbesondere auch neue technische Entwicklungen, die einzelne Prozesse im Organspendeablauf verbessern können. So unterstützt das automatisierte elektronische Screeningtool DETECT Krankenhäuser dabei, mögliche Organspenderinnen und -spender auf der Intensivstation zu identifizieren. Um die begrenzte Zahl der zur Verfügung stehenden Organe optimal zu nutzen, eignen sich Verfahren wie die Maschinenperfusion oder die Fotodokumentation der Spenderorgane im Spendeprozess. Sie können die Qualität und Sicherheit des Organspendeprozesses und der Spenderorgane optimieren, sodass möglichst viele Organe erfolgreich transplantiert werden können.
Der Medizinische DSO-Vorstand betont: „Gemeinsam mit unseren Partnern in den Kliniken werden wir uns weiter mit allen Kräften dafür einsetzen, dass möglichst vielen Patientinnen und Patienten geholfen werden kann.“ Deutschland bildet im internationalen Vergleich immer noch ein Schlusslicht bei der Organspende und profitiert im Eurotransplant-Verbund von anderen Mitgliedsländern, indem es mehr Organe erhält, als es abgibt.
Rahmel appelliert dabei auch an die Bevölkerung, zu Lebzeiten eine Entscheidung zur Organspende zu treffen und diese in einem Organspendeausweis und/oder einer Patientenverfügung zu dokumentieren. Denn ohne Zustimmung der Verstorbenen selbst oder deren Angehörigen ist in Deutschland keine Organspende möglich. Der Mediziner verweist dabei auch auf das Organspende-Register, das im Laufe des Jahres online gehen soll. Das Register für Erklärungen zur Organ- und Gewebespende ist Bestandteil des zum 1. März 2022 in Kraft getretenen Gesetzes zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende. In diesem elektronischen Verzeichnis können die Bürgerinnen und Bürger zukünftig ebenfalls ihre Entscheidung für oder gegen eine Organ- und Gewebespende hinterlegen.
04.01.2024 12:19
Bei der Behandlung einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) kombiniert man oft mehrere Wirkstoffe zum Inhalieren. Ein Cochrane Review bestätigt nun, dass eine Dreifachkombination mit zwei bronchienerweiternden und einem entzündungshemmenden Wirkstoff gegenüber der verbreiteten Zweifachtherapie den Betroffenen weitere Vorteile bringt.
Medikamente zum Inhalieren können bei chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) die Beschwerden lindern und Atemproblemen vorbeugen. Die dafür gebräuchlichen Inhalatoren können einen oder mehrere verschiedene Wirkstoffe enthalten. In Frage kommen einerseits lang wirksame Bronchodilatatoren zur Erweiterung der Atemwege wie langwirksame Beta‐2‐Agonisten (LABA) und langwirksame Muskarin‐Antagonisten (LAMA). Eine weitere Stoffklasse sind inhalierbare Kortikosteroide (ICS) wie Fluticason, Beclometason oder Budesonid, die entzündungshemmend wirken.Es hat sich gezeigt, dass sich die Therapietreue und die Ergebnisse für die Betroffenen verbessern, wenn man zwei atemwegserweiternde Mittel (LABA und LAMA) kombiniert anwendet. Kommt es dennoch häufig zu akuten Verschlechterungen, kann diese Kombination um ein Kortikosteroid zu einer Dreifachtherapie erweitert werden. Ob eine solche Dreifachkombination zusätzliche Vorteile und Risiken mit sich bringt, war Frage des aktuellen Cochrane Reviews.Die Autor*innen fanden vier Studien mit insgesamt mehr als 15.000 COPD‐Patient*innen, in denen die LABA/LAMA/ICS-Dreifachtherapien mit LABA/LAMA‐Zweifachtherapien verglichen wurden. Die meisten Studienteilnehmenden waren Mitte sechzig, litten unter schweren oder sehr schweren COPD‐Symptomen und hatten in letzter Zeit mindestens einen COPD‐Schub erlitten. An den Studien nahmen mehr Männer als Frauen teil.Evidenz von hoher Vertrauenswürdigkeit zeigt, dass sich die Lebensqualität der Betroffenen mit der Dreifachtherapie im Vergleich zur LABA/LAMA‐Zweifachtherapie verbessert. Die mit der Dreifachtherapie behandelten Personen haben jedoch wahrscheinlich ein höheres Risiko für eine Lungenentzündung (moderate Vertrauenswürdigkeit der Evidenz nach GRADE).Die Dreifachtherapie könnte sich im Vergleich zu den Zweifach-Inhalationen auch positiv auf die Häufigkeit von COPD‐Schüben auswirken. Dies ist jedoch unsicher, da sich hier die Ergebnisse der einzelnen Studien deutlich unterschieden. Eine mögliche Erklärung: Möglicherweise senkt die Dreifachkombination die Zahl akuter Schübe in besonderem Maße bei Patient*innen mit einer großen Menge bestimmter weißer Blutkörperchen (Eosinophile) im Blut.
28. Dezember 2023
Wann ist die Organspende überhaupt Thema? Was muss alles passieren, bevor Organe entnommen werden? Was hat es mit dem Hirntod auf sich? Eine Schritt-für-Schritt-Erklärung.
Von allen Menschen, die in Deutschland sterben, kommen nur sehr wenige für eine Organspende infrage, ein bis zwei Prozent sind es etwa, ganz unabhängig davon, ob sie einer Spende zustimmen würden oder nicht. Warum ist das so? In Deutschland gibt es sehr strenge Kriterien: Hierzulande dürfen Organe, so steht es im Transplantationsgesetz, nur nach Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls (IHA) entnommen werden, in Ländern wie Spanien, Großbritannien und den Niederlanden manchmal auch bei einem Herzkreislauftod. Anders als oft vermutet, sind nicht Unfälle häufige Gründe für den endgültigen, irreversiblen Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms, sondern atraumatische Hirnschädigungen durch internistische und neurologische Erkrankungen wie Schlaganfälle. Die interkranielle Blutung war 2022 mit fast 50 Prozent die häufigste Todesursache der insgesamt 869 Spender.
Der Prozess der Organspende beginnt mit dem Verdacht, dass bei einem Patienten in Kürze der Hirntod einsetzen wird oder schon eingetreten ist. Für die Pflegefachperson (auf der Intensivstation) bedeutet dies, bei Risikopatienten schon früh auf bestimmte Symptome zu achten und engmaschig eine Reihe von Hirnstamm Reflexen zu prüfen, etwa:
die Pupillenreaktion
den Würgereflex beim Absaugen
den Hustenreflex
„Wir machen das manchmal stündlich bis zweistündlich, wenn wir wissen, dass es darauf ankommt, rechtzeitig zu reagieren“, sagt Danny Petzoldt, Intensivpfleger und Transplantationsbeauftragter an der Uniklinik Leipzig.
Sobald sicher ist, dass der irreversible Hirnfunktionsausfall eintreten wird, informiert der Transplantationsbeauftragte (oder die Ärzte der Intensivstation) die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO). Von da an wird immer einer der rund 80 DSO-Koordinatoren den Kontakt zum Team vor Ort halten. Die Organisationszentralen der jeweiligen Regionen der DSO sind rund um die Uhr erreichbar.
Zwei erfahrene Intensivmediziner (einer davon Neurologe oder Neurochirurg) stellen unabhängig voneinander den irreversiblen Hirnfunktionsausfall (IHA) nach den Richtlinien der Bundesärztekammer fest. Dabei müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein: So wird der Ausfall bestimmter Reflexe und der Spontanatmung (Apnoe) überprüft. Zum Irreversibilitätsnachweis wird diese klinische Untersuchung, je nach Hirnschädigung, nach mindestens 12 oder 72 Stunden wiederholt, alternativ durch eine apparative Diagnostik (etwa EEG oder CT-Angiografie). Tod und Todeszeitpunkt stellen die Ärzte nach Abschluss aller Untersuchungen fest.
Außerdem werden Blutproben genommen, um noch einmal zu überprüfen, ob die Blutgruppe des Spenders mit der des Empfängers übereinstimmt, um auf Infektionen zu testen und vieles, vieles mehr. Auf dem Programm steht auch die Bestimmung von Parametern, die etwas über die Organfunktion (Nierenwerte, Leberwerte etwa) aussagen. Denn für eine Transplantation eignen sich nur Organe mit einer guten Organfunktion.
Deshalb muss auch die Pflege organprotektiv sein (ebenso wie die Intensivmaßnahmen, so werden beispielsweise auch weiter Medikamente verabreicht). Das bedeutet für die Pflegefachpersonen, den Spender weitgehend so zu pflegen wie lebende Patienten: Mundpflege, Wundpflege, die Pflege von Venen- und Blasenkathetern, Seitenlagerung etc. gehören in jedem Fall dazu.
Die zweite zwingende Voraussetzung für eine Organentnahme ist das Einverständnis des potenziellen Spenders oder seiner Angehörigen. Auch dies schreibt das Transplantationsgesetz vor. Wenn der Verstorbene keinen Organspendeausweis hat (und es auch keine Zustimmung in einer Patientenverfügung gibt), bittet der Arzt die Angehörigen in einem Gespräch an einem ungestörten Ort, um eine Entscheidung nach dem zu Lebzeiten mündlich geäußerten Willen des Verstorbenen oder nach dessen mutmaßlichem Willen (die Angehörigen können allerdings auch nach eigenen Wertvorstellungen entscheiden, wenn der Wille des Verstorbenen nicht bekannt ist). Das Gespräch findet am besten statt, sobald sich der IHA andeutet. Dann bleibt den Angehörigen mehr Zeit, um zu einer Entscheidung zu kommen.
Von der Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls bis zur Organentnahme vergeht idealerweise wenig Zeit. Meistens ist es Abend, wenn der Verstorbene in den OP-Saal geschoben wird. Zur gleichen Zeit werden die Empfänger (mehrere Empfänger, weil meistens auch mehrere Organe entnommen werden) in dem einen und dem anderen der 40 Transplantationszentren in Deutschland (oder in einem Transplantationszentrum innerhalb des Eurotransplant-Verbundes) auf den Eingriff vorbereitet.
Der DSO-Koordinator hat die Organ-Transporte bereits in dem Augenblick organisiert, in dem feststand, wer die Empfänger sind. Die Organe werden mit einer konservierenden Flüssigkeit gespült und dann, geschützt in einem Beutel, vorsichtig in speziellen Transportkisten auf Eis gelagert. Die Art des Transports – ob mit dem (Charter-)Flugzeug, dem Auto oder in seltenen Fällen mit dem Hubschrauber – hängt vom Organ ab: Eine Niere behält bis zu 24 Stunden außerhalb des Körpers ihre Qualität, ein Herz nur vier Stunden bis maximal sechs Stunden.
Wenn die Operateure dem Spender die Organe entnommen haben, verschließen sie die Wunde wieder – ganz so wie bei jeder anderen OP auch. Der Verstorbene wird aus dem OP hinausgeschoben – sehr häufig in einen Abschiedsraum, in dem die Angehörigen würdevoll von ihrem geliebten Familienmitglied Abschied nehmen können.
Blickt man von oben auf eine Organtransplantation, gerät man leicht ins Staunen: Was muss nicht alles aus dem Stand heraus klappen, damit sie erfolgreich verläuft: Parallel zum Ablauf einer Organspende in einem der rund 1.200 Entnahmekrankenhäuser müssen innerhalb weniger Stunden die vielen Parameter des Spenders abgeglichen werden mit denen der potenziellen Empfänger auf der Warteliste. Ist der passende Empfänger gefunden, muss er im Transplantationszentrum vorbereitet werden. Und genau dorthin muss dann auch das Spenderorgan transportiert werden.
Das entscheidende Bindeglied in diesem gesamten Prozess ist die Deutsche Stiftung Organtransplantation. Sie ist nach dem Transplantationsgesetz damit beauftragt, die postmortale Organspende zu koordinieren. Ins deutsche Gesundheitssystem ist sie fest integriert: Ihre Aufgaben sind in Verträgen mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft, der Bundesärztekammer und dem GKV-Spitzenverband festgelegt.
Die rund 80 Koordinatoren der DSO agieren nicht nur zwischen den Entnahmekrankenhäusern und den Transplantationszentren, sie sind auch Schnittstelle zu Eurotransplant: Dorthin übermitteln sie alle wichtigen Angaben zum Spender (unter anderem Blutgruppe, Gewebemerkmale, Ausschluss von Tumorerkrankungen, Infektionen). Eurotransplant in Leiden (Niederlande) ist die zentrale Stelle für die Vermittlung von Organen der Länder Österreich, Belgien, Kroatien, Deutschland, Ungarn, Luxemburg, Niederlande und Slowenien. Die 1969 gegründete Stiftung teilt die Organe nach rein medizinischen Kriterien zu, vor allem nach Dringlichkeit und Erfolgsaussichten. Die Richtlinien für die Vermittlung der Organe werden von der Bundesärztekammer (BÄK) erstellt.
Die DSO-Koordinatoren, alles Ärzte oder Pflegefachpersonen mit fundierter Erfahrung in der Intensivmedizin, kommen auf Wunsch auch ins Entnahmekrankenhaus, um etwa beim Angehörigengespräch zu unterstützen. Auch stellen sie bei Bedarf Kontakt her zu unabhängigen Fachärzten, die den irreversiblen Hirnfunktionsausfall nach den BÄK-Richtlinien diagnostizieren können.
Lange Zeit haben die Transplantationsbeauftragten in den Entnahmekrankenhäusern ihre Aufgaben nebenbei ausgeführt. Doch seit 2019 werden sie abhängig von der Anzahl der Intensivbetten für einen gewissen Teil ihrer Arbeitszeit freigestellt. Dies sieht eine Änderung im Transplantationsgesetz vor, das die damalige Regierung in den Bundestag eingebracht hat, um die Zahl der Spender zu erhöhen. Auch deshalb heißt es jetzt unmissverständlich im Gesetz, den Transplantationsbeauftragten seien alle erforderlichen Informationen zur Auswertung des Spenderpotentials zur Verfügung zu stellen.
Vorbei ist außerdem das Einzelkämpfer-Dasein: Jetzt muss es für jede Intensivstation einen Transplantationsbeauftragten geben. Zu ihren Aufgaben zählt unter anderem, die Kollegen bei der Identifikation von potenziellen Organspendern (Stichwort Spendererkennung) zu unterstützen und im Falle einer konkreten Organspende den Prozess im Haus zusammen mit dem DSO-Koordinator zu steuern.
Alle kurativen Anstrengungen nützen nichts mehr, der Patient ist verstorben und wird zum Organspender – das ist auch für gestandene Pflegefachpersonen schwer zu begreifen. Tot und warm zugleich: Ist das ein Patient oder ein Verstorbener? Eindeutig ein Verstorbener, erklärt Stefan Klinck, Koordinator bei der Deutschen Stiftung Organtransplantation, der oft vor Ort ist, wenn ein Krankenhaus einen Organspender meldet. Aber: Klinck behandelt den Toten würdevoll, spricht sogar mit ihm.
Danny Petzoldt sieht in der Pflege eines Spenders etwas Tröstliches: „Ein Mensch stirbt und ich pflege ihn weiter, um eventuell sieben Menschen das Leben zu retten oder deren Lebensqualität zu verbessern. So gesehen, ist die Pflege von Verstorbenen eine schöne, eine sinnvolle Aufgabe. Denn je besser ich den Spender pflege, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Empfänger ein gutes Outcome haben“, sagt der Intensivpfleger und Transplantationsbeauftragte der Uniklinik Leipzig.
Hört man den beiden Pflegefachpersonen zu, bekommt man den Eindruck, als helfe uns die Transplantationspflege von Grund auf, unsere Profession zu reflektieren.
Anfang 2024 soll nun endlich das bundesweite Organspende-Register an den Start gehen. Doch einfach ist es in der Handhabung für Bürger nicht, meint die DSO. Und es gibt noch ein Problem: Erst zehn Prozent der Kliniken hätten einen Zugriff.
Veröffentlicht: 10.12.2023,
Frankfurt/Main. In einem zentralen Register können Bürger bald eintragen, ob sie einer Organspende zustimmen oder nicht. Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) hätte sich gewünscht, dass der Zugang zu diesem Register ebenso einfach ist, wie einen Organspende-Ausweis auf Papier auszufüllen. Aus Datenschutzgründen wird das aber nicht möglich sein.
Den Grundgedanken des Registers hält die DSO für sehr gut: „Einen Ausweis kann man verlieren oder er wird nicht gefunden. Mit einem Register haben die Krankenhäuser einen verlässlichen Zugriff auf den erklärten Willen des Verstorbenen“, sagte der Medizinische Vorstand der DSO, Axel Rahmel, der Deutschen Presse-Agentur.
Damit sich möglichst viele Menschen dort eintragen, müsse das möglichst einfach sein. „Dem stehen aber hohe Anforderungen an den Datenschutz gegenüber“, sagte Rahmel. So muss man zum Beispiel eine App auf sein Handy oder seinen Rechner herunterladen und einen elektronischen Personalausweis mit PIN haben – „das ist nicht trivial“.
Rahmel hofft, dass das Register beworben und der Zugang gut erklärt wird. „Dann kann das auch eine Chance sein, Organspende wieder mehr ins Bewusstsein zu rücken und am Ende vielleicht die Zahl der Spender zu erhöhen.“ Die Erfahrungen in anderen Ländern seien sehr unterschiedlich: In den Niederlanden hat sich laut Rahmel jeder Zweite eingetragen, in Österreich ein Prozent.
Aber nicht nur potenzielle Spender, auch die Entnahme-Krankenhäuser müssen Zugang zu dem Register haben. Laut DSO läuft das eher schleppend an: Erst zehn Prozent der Kliniken hätten einen Zugriff. „Hier ist noch viel zu tun.“
Der Papier-Ausweis wird – als parallele Möglichkeit, seinen Willen kundzutun – ohnehin erhalten bleiben, wie Rahmel betont. Der Start der elektronischen Datenbank wurde mehrfach verschoben. Laut Bundesgesundheitsministerium ist die Einführung des Registers nun im ersten Quartal 2024 geplant. (dpa)
Herzmedizinische Fachgesellschaften begrüßen die Mindestmengenregelung des G-BA zu Herztransplantationen, sehen aber auch die Notwendigkeit der Widerspruchslösung bei der Organspende.
Veröffentlicht: 29.11.2023
Düsseldorf/Berlin. Die Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG) begrüßt das Votum des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) bezüglich der Mindestmengen für Zentren, die Herztransplantationen anbieten. Spenderherzen seien rar in Deutschland, so die DGTHG in einer Mitteilung vom Mittwoch.
Auf eine Millionen Einwohner kämen nach aktuellem Stand nur rund zehn Organspender. Mehr als die Hälfte aller Patientinnen und Patienten, die ein neues Herz benötigten, könnten hierzulande nicht versorgt werden. Entsprechend sollten die wenigen, verfügbaren Spenderherzen von erfahrenen Fachleuten transplantiert werden.
„Eine Klinik kann noch so gut ausgestattet sein. Am Ende ist der größte Erfolgsfaktor für eine Herztransplantation die Erfahrung interdisziplinärer und spezialisierter Transplantations-Teams“, positioniert sich DGTHG-Präsident Professor Volkmar Falk. Deshalb habe der G-BA die Leistungsmenge für Herztransplantationen als Mindestmenge festgelegt. Demnach sollen nach einer Übergangszeit ab 2026 nur noch Herzen in Kliniken mit mindestens zehn geplanten Eingriffen transplantiert werden.
Auch die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung (DGK) befürwortet due G-BA-Vorgaben. DGK-Präsident Professor Holger Thiele sieht aber auch weiteren gesundheitspolitischen Handlungsbedarf: „Wenn wir mehr Leben retten wollen, brauchen wir in unserem Land neben anderen Maßnahmen sicherlich auch die Widerspruchslösung.“ (eb)
Letzter Ausweg Organspende
Freitag, 24. November 2023 · Nr. 273 · KW 47
Minden. Etwa 8.500 Menschen warten in Deutschland sehnsüchtig auf eine Organtransplantation.
Nicht alle überleben diese Wartezeit. Die 30-jährige Michaela Keiling hatte Glück, sie bekam kürzlich im Herz- und Diabeteszentrum in Bad Oeynhausen ein neues Herz eingesetzt. Bisher gilt beiuns: Wer nach dem Tod ein Organ spenden will, muss dem ausdrücklich zustimmen, etwa mit einemSpenderausweis. Die meisten Länder regeln das über die Widerspruchslösung. Am Freitag berät der Bundesrat, wie künftig in Deutschland verfahren werden soll.
Michaela Keiling hat mit 30 Jahren im HDZ ein Spenderherz bekommen. Sie musste nur 35 Tage warten, oft dauert es deutlich länger. Das liegt an der unzureichenden Regelung für Organspenden, sagen Ärzte. Wird der Bundesrat das heute ändern?
Minden/Bad Oeynhausen. Am 19. September kommt Michaela Keiling auf die Warteliste für ein neues Herz. Gerade einmal 30 Jahre alt ist sie, als sie im Herz- und Diabeteszentrum (HDZ) NRW in Bad Oeynhausen aufgenommen wird. 35 Tage muss sie warten, bis das neue Spenderherz transplantiert wird. Während Keiling sich aktuell von den Folgen der Organtransplantation erholt, wird an diesem Freitag der Bundesrat auf Initiative des NRW-Gesundheitsministers Karl-Josef Laumann (CDU) über das Thema Widerspruchslösung bei der Organspende beraten. Deutschland setzt weiter auf die Entscheidungslösung. Patienten müssen ihren Willen demnach schriftlich festhalten, damit ihre Organe transplantiert werden dürfen.
„Das ist die schlechteste Lösung, die es gibt“, sagt Prof. Dr. Jan Gummert. Worauf der ärztliche Direktor des Herz- und Diabeteszentrums anspielt: Der Wille vieler Menschen, Organe spenden zu wollen, könne aktuell oft nicht berücksichtigt werden. Denn haben Verstorbene zu Lebzeiten ihren Willen nicht schriftlich festgehalten, zum Beispiel in einem Organspendeausweis, dann werden die Angehörigen gefragt, erklärt Gummert: „Die Allermeisten haben das mit ihren Angehörigen nie besprochen und sagen dann zur Sicherheit ,nein’“.
Vor zwei Jahren plötzliche Schmerzen
Michaela Keiling hat Glück: Sie bekommt das Herz eines Menschen, der „Ja“ zur Organspende gesagt hat. Die 30-Jährige hat vor zwei Jahren plötzlich Schmerzen in der Brust – Fieber, ständiger Schüttelfrost, Anstrengungen sind nicht mehr möglich. Sie kann nicht mehr arbeiten. „Das war kurz nach meiner Coronaimpfung“, erinnert sie sich. Einen Zusammenhang mit der Impfung schließen die Medizinerinnen und Mediziner im HDZ jedoch aus. Vielmehr habe ein angeborener Herzdefekt zu der akuten Gesundheitsverschlechterung geführt, sagt der behandelnde Oberarzt Jan Fleischhauer.
Die Zeit drängt bereits, als sie einen Ärztemarathon hinter sich bringt. Zuerst geht sie zum Hausarzt, im Laufe der vergangenen zwei Jahre ist sie in mehreren Krankenhäusern, bekommt zahlreiche Untersuchungen. In der Zeit hat sie vom Sauerstoffmangel ständig blaue Lippen, erzählt sie. Im August 2023 wird sie dann im HDZ aufgenommen. Die Nachricht, dass sie ein Spenderherz braucht, erwischt sie kalt. „Ich wollte das anfangs gar nicht.“
Mit Organspende hat sie sich vorher nie befasst, ist unsicher gewesen. „Aber es gab ja keine andere Möglichkeit mehr.“ Dann hat sie sich mit ihrer Familie beraten und alles gelesen, was sie zur Organspende finden konnte – sogar ein Video von einer Transplantation geschaut. „Ich hab dem Arzt gesagt, ich könnte eigentlich auch mitoperieren.“
Ein Spenderherz kommt nach 35 Tagen
In der Zeit vor der Operation geht es ihr schlechter. Vor allem die Ungewissheit plagt sie. Denn wann ein passendes Organ zur Verfügung steht, ist immer unterschiedlich. „Manche warten eine Woche, manche auch mal Monate“, erzählt Anna Reiss, Pressesprecherin des HDZ. Patientinnen und Patienten in besserem Gesundheitszustand warten teils Jahre. Michaela Keiling hat Glück: Sie hat 35 Tage auf ihr neues Herz gewartet. Am 23. Oktober kommt die Nachricht, dass ein passendes Spenderherz verfügbar ist: „Ich war morgens im Bad und hab mir die Zähne geputzt, als Herr Fleischhauer geklopft hat und gefragt hat, was ich denn heute noch so vor hätte. Er hätte da eine Idee.“ Eine echte Überraschung. „Ich hab das erst gar nicht geglaubt.“ Dann ruft sie ihre Mutter an und macht sich für die OP fertig. Denn steht ein passendes Herz zur Verfügung, muss es schnell gehen: Etwa vier Stunden bleiben, bis ein Spenderherz transplantiert werden sollte.
Nach der Operation „war das ein anderes Aufwachen. Alle Probleme waren plötzlich weg.“ Sofort habe sie viel mehr Kraft verspürt. Bereits in einigen Tagen soll sie aus dem Krankenhaus in die Reha entlassen werden und wenn alles läuft wie geplant, wird Michaela Keiling kurz vor Weihnachten wieder zu Hause sein – „seit Februar war ich ja praktisch nur im Krankenhaus.“
Alltag mit neuem Herzen
Dann will sie erst einmal lernen, den Alltag mit ihrem neuen Herzen zu bestreiten: was sie essen darf und was nicht, und sie will lernen, sich Grenzen zu setzen. Sobald es geht, will sie wieder arbeiten – vor ihrer Erkrankung war sie bei der Post. Und auch wenn sie wegen ihres erhöhten Infektionsrisikos den Stall nicht mehr selbst ausmisten sollte: Ihre Ponys und die Hunde kann sie wohl auch bald wiedersehen.
Der Fall von Michaela Keiling ist ungewöhnlich reibungslos verlaufen. Längst nicht jeder Patient, der auf ein Spenderorgan wartet, hat so viel Glück. Die Umfragewerte zur Organspendebereitschaft in Deutschland stehen eigentlich gut. Doch bei der Regelung sei vieles aufzuholen, findet Professor Gummert. Die zur Verfügung stehenden Organe sind knapp, lange Wartezeiten nicht ungewöhnlich.
Deutschland ist deshalb Mitglied im „Eurotransplant“-Verbund. Der koordiniert die Zuteilung von Spenderorganen in acht europäischen Ländern. Das bedeutet, dass jemand, der in Deutschland auf ein Organ wartet, ein Spenderorgan aus einem anderen Land dieses Bundes bekommen kann, wenn der Patient oder die Patientin oben auf der Warteliste steht und in einem anderen Land ein passendes Spenderorgan zur Verfügung steht. Auf diese Organe sei Deutschland angesichts des Mangels dringend angewiesen, sagt Gummert.
Doch gerade im Hinblick auf die anstehende Beratung im Bundesrat zur Organspende fällt dem Ärztlichen Direktor Gummert ein Detail negativ auf: Alle anderen sieben Länder im europäischen Verbund haben bereits die Widerspruchslösung eingeführt. „Wir akzeptieren die Organe aus Ländern mit Widerspruchslösung, wollen aber selbst eine solche Regelung nicht einführen – das finde ich moralisch katastrophal.“
Wann der Patient das Organ bekommt, hängt auch vom Gesundheitszustand ab. Je schlechter der Gesundheitsstatus der Betroffenen, umso weiter rutschen sie auf der Liste nach oben. Die Regelungen für die verschiedenen Organe im Körper sind unterschiedlich. Gummert kann für das Herz sprechen: „Manche Patienten warten jahrelang, weil die Herzschwäche noch nicht so stark ausgeprägt ist. Sie können sogar zu Hause auf ein Spenderherz warten“, erklärt Gummert. „Es ist aber sehr, sehr selten, dass diese Patienten ein Spenderorgan bekommen. Meist sind es solche Patienten, die in unserer Klinik mit höchstem Dringlichkeitsstatus auf ein Herz warten müssen“, sagt der Medizinprofessor. Diese Patienten müssen ständig überwacht und medikamentös behandelt werden.
Wie steht der Professor zur Organspende?
Ob dann ein Organ zur Verfügung steht, hängt in Deutschland eben immer noch von einem schriftlich festgehaltenen Willen ab. Aber wie steht der Professor eigentlich zum Thema Organspende? Die Entscheidung für oder gegen eine Organspende sei eine sehr individuelle, sagt Gummert. „Ich würde auch niemals versuchen, jemanden da in eine Richtung zu drängen.“ Viele Sorgen seien aber unbegründet. „Es braucht niemand Angst haben, dass eine Organspende bei jemandem durchgeführt wird, der noch am Leben ist. Das ist komplett ausgeschlossen“, versichert er. Strikte Voraussetzung für die Entnahme eines Spenderherzens ist der fachärztlich nachgewiesene Hirntod. Das bedeutet, dass nur intensivmedizinische Maßnahmen das Herz-Kreislauf-System des Verstorbenen noch aufrechterhalten. Der Hirntod muss unabhängig voneinander von mindestens zwei Ärzten bestätigt werden. „Niemand muss in Deutschland Sorge haben, dass Geräte zu früh abgestellt werden. Das wird niemals passieren“.
Bedenken sind oft unbegründet
Auch Bedenken, ob jemand zum Beispiel aufgrund seines hohen Alters überhaupt noch als Organspender infrage kommt, seien unbegründet. Eine Altersgrenze gebe es nicht. Grundsätzlich komme jeder gesunde Mensch als Organspender in Frage. Organe werden vor einer Transplantation aber immer untersucht. Wenn sie dafür dann doch nicht infrage kommen, können sich Ärzte immer noch gegen eine Transplantation entscheiden.
Im aktuellen System der Entscheidungslösung sieht Gummert keine Möglichkeiten mehr, die Spendenbereitschaft zu erhöhen: „Es gibt seit Jahrzehnten immer wieder Kampagnen“, das habe bisher nichts gebracht. Die Zahl der Organspenden sei weiterhin konstant niedrig.
Organ für viele die letzte Möglichkeit
Dabei ist ein Spenderorgan für viele Menschen die letzte Überlebenschance und wird erst dann in Betracht gezogen, wenn alle anderen Möglichkeiten zur Behandlung ausgeschöpft sind. Laut Deutscher Stiftung Organtransplantation standen Ende vergangenen Jahres – das sind die aktuellsten Zahlen – 699 Menschen auf der Warteliste für ein neues Herz. Dabei ist die Zahl der Menschen, die ein neues Herz benötigen noch vergleichsweise gering: fast 6.700 Menschen warteten zum selben Zeitpunkt auf eine neue Niere. „Und die Zahl klingt besser als sie ist, weil in der Realität viele Kliniken auch nicht mehr so viele Menschen melden. Einfach, weil die Chance, zeitnah ein lebenswichtiges Spenderorgan zu bekommen, so gering ist“, betont Gummert.
Sein Wunsch: „Die Widerspruchslösung im Deutschlandtempo einführen. Aber im echten Deutschlandtempo. Also innerhalb von einem Jahr.“ Ob das realistisch ist? „Ich fürchte nein. Aber es wäre so simpel es einzuführen. Es würde nichts kosten. Man könnte mit relativ wenig Aufwand viele Menschenleben retten.“
Der Autor ist erreichbar unter Joel.Blank@MT.de
Quelle: Annette Zoepf/epd/Seite
In Deutschland gibt es zu wenig Organspender. Bisher muss man einer Spende zu Lebzeiten ausdrücklich zustimmen. Drei Bundesländer wollen das mit einer Initiative ändern.
24. November 2023, 14:11 Uhr Quelle: ZEIT ONLINE, KNA, lie
Die Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Hessen wollen mit einer neuen Initiative die Zahl der Organspenden erhöhen. Dazu stellten sie im Bundesrat einen Entschließungsantrag vor, mit dem sie die Bundesregierung auffordern, einen Gesetzentwurf zur sogenannten Widerspruchslösung im Transplantationsrecht vorzulegen. Nun beraten die Fachausschüsse über die Vorlage.
Bei der Widerspruchslösung gilt grundsätzlich jeder Mensch nach einem Hirntod als Organspender, sofern er dem zu Lebzeiten nicht ausdrücklich widersprochen hat. Nach derzeit geltendem Recht muss jeder Mensch hingegen einer Spende zu Lebzeiten ausdrücklich zustimmen. Falls keine schriftliche Erklärung vorliegt, können auch die Angehörigen in seinem Sinne zustimmen.
Erst 2020 hatte der Bundestag ein Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende beschlossen. Ein Gesetzentwurf für die Widerspruchslösung fand seinerzeit keine Mehrheit. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte die Forderung nach einer Widerspruchslösung damals mitgetragen und begrüßt die neue Länderinitiative.
Die Zahl der Spender gilt in Deutschland seit Jahren als zu niedrig. Im vergangenen Jahr war sie noch einmal deutlich gesunken auf 869 Organspender bundesweit – das waren fast sieben Prozent weniger als 2021. In den ersten vier Monaten dieses Jahres hat sich die Statistik allerdings wieder dem Niveau der Vorjahre angenähert. Von Januar bis April 2023 gab es bundesweit 311 Organspender, zudem konnten 954 Organe für eine Transplantation gemeldet werden.
Aus Sicht der Gesundheitsminister der Länder ist Zahl aber immer noch viel zu gering. Die Spenderzahlen seien nicht akzeptabel, sagte der Gesundheitsminister von Nordrhein-Westfalen, Karl-Josef Laumann (CDU). Derzeit warteten 8.500 Menschen auf ein Organ. Die geltende Lösung sei damit gescheitert.
Auch der Gesundheitsminister von Baden-Württemberg, Manfred Lucha (Grüne), kritisierte, dass die Zahl der Organspenden seit zehn Jahren auf einem "beschämend niedrigen Niveau" stagniere. Sein hessischer Amtskollege Kai Klose (Grüne) sagte, dass die in Umfragen bekundete hohe Spendenbereitschaft im Widerspruch zu den tatsächlichen Spenden stehe. Deshalb brauche es eine neue Regelung. Klose verlangte zugleich ein zentrales Register zur Organspende und bessere Strukturen.
Patientenschützer hingegen hatten den Vorstoß der Länder bereits deutlich zurückgewiesen. "An der Idee festzuhalten, dass Schweigen Zustimmung heißt, erweist den Kranken auf der Warteliste einen Bärendienst", sagte der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch. Eine selbstbestimmte Entscheidung für oder gegen die Organspende sei "nur durch neutrale, ergebnisoffene und umfassende Aufklärung möglich".
Taz
9.11.2023
Mit Tierorganen den Mangel an Spendeorganen beheben? Bei Versuchen mit Schweineherzen ging das mehrere Monate gut. Das macht Hoffnung.
Noch vor einigen Jahren wäre es undenkbar gewesen: das Herz eines Schweins in einem menschlichen Körper. Nun bekamen zwei Patienten, David Bennett und Lawrence Faucette, Anfang 2022 und im September 2023 so ein Organ. Beide litten an Herzerkrankungen im Endstadium. Andere Therapien kamen für sie nicht mehr infrage. Deshalb genehmigte die US-Arzneimittelbehörde Food and Drug Administration (FDA) die Eingriffe als Heilversuch.
Anfangs nahmen die Patienten das Herz gut an, erholten sich, machten eine Physiotherapie und verbrachten Zeit mit ihren Familien. Dann aber verschlechterte sich ihr Zustand. Zwei Monate nach der Operation verstarb David Bennett, Lawrence Faucette lebte knapp sechs Wochen mit dem Schweineherz.
Beide hatten nicht damit gerechnet, viel Lebenszeit zu gewinnen. So bekamen sie immerhin ein paar zusätzliche Wochen mit ihren Familien. Zudem war es ihnen wichtig, die Forschung zu solchen Transplantationen von Tier zu Mensch, genannt Xenotransplantationen, voranzubringen.
„Herrn Faucettes letzter Wunsch war, dass wir das Beste aus dem machen, was wir aus dieser Erfahrung gelernt haben, sodass andere eine Chance auf ein neues Herz haben, wenn kein menschliches Organ verfügbar ist“, heißt es in der Pressemitteilung der University of Maryland.
Fachleute sehen in den Operationen einen Meilenstein in der Transplantationsforschung. So auch Heiner Niemann von der Medizinischen Hochschule Hannover: „Als 1967 in Kapstadt in Südafrika das erste menschliche Herz transplantiert wurde, hat der Patient nur 18 Tage überlebt, heute leben Menschen teils 25 Jahre mit einem neuen Herz.“
Solche Fortschritte benötigten Zeit, doch die ersten Schritte seien vielversprechend. Niemann war als Leiter des Instituts für Nutztiergenetik in Mariensee an der Produktion genetisch veränderter Schweine beteiligt, die als Grundlage für die heutigen Xeno-Tiere dienten.
In den 80er Jahren hatte es bereits einmal einen ähnlichen Versuch gegeben. Damals erhielt ein kleines Mädchen mit einem tödlichen Herzfehler ein Pavianherz. Sie starb nach 21 Tagen, weil das Immunsystem das fremde Organ angriff. Heutzutage sollen genetische Veränderungen eine Abstoßung der Schweineherzen verhindern.
Schweineherzen eignen sich für die Transplantation gut, weil sie viele genetische, anatomische und physiologische Eigenschaften mit dem Menschen teilen. Gleichzeitig gibt es mittlerweile gute Methoden, um die Tiere zu modifizieren: Für die Transplantationen in Baltimore waren die Schweineherzen an insgesamt 10 Stellen im genetischen Code verändert.
Die Firma Revivicor, von der die Spenderschweine stammten, hatte drei Gene ausgeschaltet, die für eine schnelle Abstoßung durch menschliche Antikörper gesorgt hätten. Ein weiteres Gen wurde inaktiviert, um zu verhindern, dass das Herz zu stark wächst. Zusätzlich verfügten die veränderten Tiere über sechs menschliche Gene, damit das Immunsystem der Patienten das Organ besser annimmt. „Diese Gene verringern beispielsweise Entzündungen und helfen, die Blutgerinnung zu steuern“, erklärt Niemann.
Von solch großer Bedeutung sind die Versuche, weil viel zu wenig menschliche Spenderorgane vorhanden sind. In der EU waren laut der Europäischen Kommission Ende 2021 52.000 Patienten auf der Warteliste für eine Organtransplantation, während im ganzen Jahr 2021 nur etwas mehr als 26.000 Transplantationen stattfanden, davon gut 2.000 Herzen. Viele Menschen sterben, bevor sie ein neues Organ bekommen können.
Als Übergangslösung können derzeit etwa Kunstherzen oder eine mechanische Kreislaufunterstützung verwendet werden. Allerdings haben auch diese Technologien ihre Grenzen. Hier könnten die Xenotransplantationen in Spiel kommen. „Ich glaube, dass tierische Organe zunächst vor allem zur Überbrückung hilfreich sein werden, wenn kein geeignetes menschliches Organ zur Verfügung steht“, sagt Niemann.
Noch müssen viele weitere Erkenntnisse gewonnen werden. Vom ersten Versuch hat das Team aus Baltimore bereits gelernt. Denn es stellte sich heraus, dass ein Virusinfekt durch das porcine Cytomegalovirus (PCMV) im Spenderherz unentdeckt geblieben war.
„Nach der Transplantation konnte das Virus sich im Schweineherz ungezügelt vermehren, da es nicht mehr vom Immunsystem des Schweins in Schach gehalten wurde“, sagt Joachim Denner, Leiter der Arbeitsgruppe Virussicherheit der Xenotransplantation am Institut für Virologie der Freien Universität Berlin. Ob das Virus für den Tod des Patienten verantwortlich war, ist nicht abschließend geklärt. Doch in Studien mit Primaten hatte das PCMV zu einer deutlichen Verkürzung der Lebensdauer der Organe geführt.
Immerhin: Eine solche Virenübertragung dürfte in Zukunft vermeidbar sein. „Der Fehler lag in der Diagnostik“, so der Tiermediziner Niemann. „Mit sensitiveren Methoden, die wir auch in Deutschland nutzen, kann so eine Übertragung ausgeschlossen werden.“ Denn es gilt: Je höher die Sensitivität einer Methode, desto eher werden auch Viren entdeckt, die das Immunsystem des Schweins gerade noch in Schach hält und die deshalb nur in geringen Mengen vorhanden sind.
Es gibt zudem Viren, die ihre Gene in das Erbgut der Schweine eingebaut haben, die sogenannten porcinen endogenen Retroviren (PERV). Für die Transplantation sollten sie jedoch kein großes Problem darstellen, erklärt Niemann. „Man kann sie mithilfe von CRISPR-Cas herausschneiden, dann ist sichergestellt, dass keine Infektions- und Krankheitsgefahr besteht.“ Die CRISPR-Cas-Methode wird allgemein als Genschere bezeichnet, weil damit sehr gezielt bestimmte Stellen im Erbgut modifiziert werden können.
Auch wenn viele Probleme lösbar sind, werden Organspenden von Schweineherzen in nächster Zeit noch eine Seltenheit bleiben. „Die Heilversuche reichen natürlich nicht aus, um solche Transplantationen in den medizinischen Alltag zu bekommen“, sagt Niemann. „Dafür müssen zuerst klinische Studien durchgeführt werden. Vor allem in den USA werden solche Vorhaben jetzt beantragt.“ Aber auch in Deutschland werde es wohl in absehbarer Zeit klinische Versuche geben, schätzt Niemann.
Sollte es zu einer Zulassung der Methode kommen, gibt es weitere Hürden, etwa finanzielle: Noch sind die Herstellung und Haltung der genetisch veränderten Schweine, sowie die Prozedur selbst, eine teure Angelegenheit. Die Xenotransplantation wird deshalb vermutlich zunächst auf wohlhabende Industrienationen begrenzt sein. Möglicherweise kann sich das aber ändern, wenn etwa Transplantationen von Schweineherzen häufiger werden.
„Aber auch die Transplantation menschlicher Organe, eine intensivmedizinische Versorgung oder regelmäßige Dialyse kosten viel Geld“, gibt Niemann zu bedenken. Die finanzielle Frage könnte also weit weniger ins Gewicht fallen, als es auf den ersten Blick erscheint.
Die Hoffnung mancher Forschenden ist jedenfalls hoch: So sieht Uta Dahmen, Leiterin der Experimentellen Transplantationschirurgie am Universitätsklinikum Jena, in der Xenotransplantation eine mögliche Lösung des Organmangeldilemmas: „Theoretisch könnte allen Patienten, die ein Organ benötigen, ein solches mit gleichbleibender hoher Qualität angeboten werden.“ Das löse die ethische Frage, welcher Patient aus welchem Grund ein Organ bekommt, und für wen die vorhandenen Ressourcen nicht ausreichen. Dieses Szenario liegt aber wohl noch in weiter Zukunft.
Berliner Zeitung
Amerikanischen Ärzten ist es zum ersten Mal gelungen, ein ganzes Auge zu transplantieren. Ob der Patient damit wird sehen können, steht aber noch nicht fest.
Medizinern in den USA ist nach eigenen Angaben weltweit erstmals die Transplantation eines kompletten Auges gelungen. Unklar ist allerdings, ob der Patient mit dem Auge jemals wird sehen können, wie das Ärzteteam des New Yorker Universitätskrankenhauses NYU Langone Health am Donnerstag mitteilte. Seit der 21-stündigen Operation vom vergangenen Mai habe das transplantierte Auge aber „bemerkenswerte Zeichen der Gesundheit“ gezeigt, einschließlich einer Blutversorgung der Netzhaut.Die Klinik sprach deswegen von einem „bahnbrechenden“ Erfolg in der Transplantationsmedizin. Auch nicht an dem Eingriff beteiligte Mediziner würdigten die Operation als wichtigen Fortschritt. Der Patient Aaron James hatte 2021 bei einem Arbeitsunfall einen 7200 Volt starken Stromschlag erlitten, als er mit seinem Gesicht eine Stromleitung berührte. Er verlor dabei sein linkes Auge, Teile seines Gesichts und Teile seines linken Arms.Chirurgen transplantierten dem 46-Jährigen nun das linke Auge und Teile des Gesichts eines verstorbenen Spenders. An der Operation waren nach Angaben der Uni-Klinik mehr als 140 Chirurgen und weitere medizinische Mitarbeiter beteiligt.
Während Transplantationen der Augenhornhaut seit langer Zeit ein gängiger Eingriff sind, war die Transplantation eines ganzen Auges bislang noch nie gelungen. Offen ist allerdings, ob durch einen solchen Eingriff die Sehfähigkeit wieder hergestellt werden kann, weil der Sehnerv mit seinen rund einer Million Nervenfasern durchtrennt ist.
Mediziner würdigten am Donnerstag dennoch die Transplantation in New York. „Das ist eine riesige Sache“, sagte die Chirurgie-Professorin Kia Washington von der Universität des Bundesstaates Colorado der Nachrichtenagentur AFP. Angesichts der seit der Operation vergangenen Zeit gehe sie zwar nicht davon aus, dass der Patient jemals mit dem Auge werde sehen können. „Aber ich sage nie, dass etwas unmöglich ist.“Daniel Pelaez von der Universität Miami sprach gegenüber AFP von einem „Schlüssel-Moment“ bei den Versuchen, Menschen das Augenlicht wiederzugeben. „Das gibt zahlreichen Menschen weltweit Hoffnung.“
Mediziner forschen bereits dazu, wie der Sehnerv wieder hergestellt werden könnte, etwa durch Gentherapie. Untersucht wird auch, ob eine Verbindung zwischen Auge und Gehirn unter Umgehung des zerstörten Sehnervs hergestellt werden könnte. „Wir machen große Fortschritte bei Behandlungen, um eine Regeneration des Sehnervs zu erreichen, die eine Augentransplantation begleiten könnte“, sagte Jeffrey Goldberg von der Stanford-Universität AFP.
Zum zweiten Mal hatten Mediziner einem Patienten erfolgreich ein Schweineherz transplantiert. Zunächst reagierte der Körper des Mannes gut auf das Organ, nun ist er tot. 1. November 2023,
Sechs Wochen nach der zweiten erfolgreichen Transplantation eines genetisch veränderten Schweineherzens im US-Bundesstaat Maryland ist der Patient gestorben. Der 58-jährigen Marineveteran Lawrence Faucette sei bereits seit Montag tot, teilten die behandelnden Ärzte mit.
Faucette hatte an einem lebensbedrohlichen Herzfehler gelitten, war jedoch für eine herkömmliche Herztransplantation nicht infrage gekommen. Am 20. September wurde ihm schließlich ein Schweineherz eingesetzt.
In den ersten vier Wochen nach der Operation habe sein Herz noch gesund gewirkt, teilte die Uniklinik mit. Noch Mitte Oktober berichtete sie, dass er stehen könne. Doch hatte Faucettes Herz zuletzt Abstoßungsreaktionen gezeigt, berichteten die Mediziner. Nach seinem Tod versicherte der an dem Experiment beteiligte Herzchirurg Muhammad Mohiuddin, sein Team werde analysieren, was mit dem Herzen geschehen sei.
Faucettes Frau Anne ließ über die Universitätsklinik ebenfalls eine Erklärung veröffentlichen. Ihr Ehemann habe "gewusst, dass seine Zeit mit uns kurz sein" würde. "Er hätte sich niemals träumen lassen, dass er so lange überleben würde."
Faucette war der zweite Mensch, dem ein Schweineherz transplantiert worden ist. Das Team aus Maryland hatte im vergangenen Jahr die weltweit erste Transplantation dieser Art gewagt. Der Patient David Bennett überlebte nur zwei Monate. Das Herz versagte aus nicht ganz geklärten Gründen. Es wurden Anzeichen eines Schweinevirus im Inneren des Organs gefunden. Für den Versuch mit Faucette waren unter anderem die Virustests verbessert worden.
Versuche von Organtransplantationen von Tieren auf Menschen – sogenannte Xenotransplantationen – sind jahrzehntelang gescheitert, weil das Immunsystem des Menschen das fremde Gewebe sofort zerstörte. Das Schwein, von dem das Herz stammte, war deshalb genetisch verändert worden. So eliminierten Fachleute ein Gen, das einen bestimmten Zucker bildet und so die starke Immunreaktion beim Patienten auslöst. Ein weiteres Gen, das Gewebe übermäßig wachsen lässt, schalteten sie ebenfalls aus.
Mediziner streben seit Jahrzehnten danach, tierische Organe für lebensrettende Transplantationen zu nutzen. Frühere Versuche scheiterten, vor allem weil der Körper der Patienten das tierische Organ rasch abstieß. So lebte 1984 ein Säugling 21 Tage lang mit dem Herzen eines Pavians, danach wurden entsprechende Versuche weitgehend eingestellt.
Bei Spenderorganen gibt es massive Engpässe. Im vergangenen Jahr gab es etwa in den USA nur mehr als 4.100 Herztransplantationen, wobei es sich dabei um einen Höchstwert handelte. Zugleich ist das Angebot an Spenderorganen derart knapp, dass nur jene Patienten mit der größten Überlebenschance in der Regel den Zuschlag bekommen. Wissenschaftler hoffen, dass Xenotransplantate eines Tages den großen Mangel an menschlichen Organspenden ausgleichen können.
Mindener Tageblatt vom 31.10.2023
Neuer Vorstoß für Organspende
NRW will Bürger automatisch zu Spendern machen. Gesundheitsminister Laumann wirbt
für die sogenannte Widerspruchsregelung und bekommt dafür Zuspruch, aber auch Kritik.
Mareike Köstermeyer
Bielefeld. Nordrhein-Westfalen will im November über den Bundesrat einen neuen Anlauf für die Widerspruchslösung bei der Organspende starten. „Ich bin derzeit dabei, bei den anderen Ländern dafür zu werben, sich diesem Vorhaben anzuschließen“, sagte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU), der von einem drängenden Problem sprach. Mehr als 8.000 Patientinnen
und Patienten warteten in Deutschland derzeit auf ein Spenderorgan.
Doch im Vergleich zum Vorjahr habe es 2022 bundesweit 6,9 Prozent weniger Spenden gegeben. In Nordrhein-Westfalen waren es sogar 18 Prozent weniger.
Durch die erweiterte Zustimmungsregelung, die in Deutschland derzeit für Organspenden gilt, kommen nur Menschen, die sich beispielsweise in Form eines Ausweises aktiv dafür entschieden haben, als Spender infrage.
Mit der sogenannten Widerspruchslösung werden Menschen, die zu Lebzeiten nicht ausdrücklich widersprochen haben, im Falle eines Hirntods automatisch zu Organspendern.
Diese Regelung gilt bereits in anderen europäischen Ländern wie Österreich oder Italien. Kritiker sehen darin einen erheblichen Eingriff in die Grundrechte.
Angesichts der angespannten Lage durch stagnierende Spenderzahlen sei der Vorstoß gerechtfertigt, meint Friedhelm Bach, Transplantationsbeauftragter im Evangelischen Klinikum Bethel in Bielefeld (EvKB). Mit bis zu 900 Organspenden pro Jahr sei Deutschland im Europavergleich das Schlusslicht. Über acht Jahre warten Patienten laut Alexander Weidemann vom St.-Vincenz Krankenhaus in Paderborn durchschnittlich auf eine Nierentransplantation. „Die Zahlen müssen dringend verbessert werden.“ Zuletzt hatte der Bundestag 2020 gegen eine Einführung der Widerspruchslösung gestimmt. Dieses Mal hoffen die Initiatoren auf mehr Unterstützung. „Wir haben unterhalb der Widerspruchslösung wirklich alles gemacht: Werbung, Ansprache durch die Hausärzte, all dies passiert doch längst und schlägt sich nicht in höheren Zahlen nieder“, sagte Minister Laumann. Man wolle dem Bundestag empfehlen, das Verfahren so zu gestalten, dass die Hinterbliebenen am Ende auch noch widersprechen könnten. Für ihn sei aber klar: „Ich finde, wir können und sollten die Entscheidung, ob man spenden möchte oder nicht, erwachsenen Menschen durchaus zumuten“.
Kommentar
Deutschland braucht eine andere Lösung
Thema: NRW plant Initiative zur Widerspruchslösung
MAREIKE KÖSTERMEYER
Mehr als 8.000 Patienten warten in Deutschland auf ein Spenderorgan. Weil die Anzahl gespendeter Organe hierzulande seit Jahren rückläufig ist, plant NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann im Bundesrat einen neuen Anlauf für eine Widerspruchsregelung. Ein wichtiger Vorstoß, denn die bisher geltende erweiterte Zustimmungsregelung ist überholt.
In vielen europäischen Ländern, darunter Spanien, Österreich, Italien und Portugal, ist die Widerspruchsregelung längst Realität. Wer zu Lebzeiten nicht widersprochen hat, wird dort im Fall eines Hirntods automatisch zum Organspender. Angehörige können allerdings noch ein Veto einlegen. Noch einen Schritt weiter gehen die Regelungen in Schweden und Frankreich. Dort werden Angehörige eines Spenders vor der Organ-Entnahme lediglich informiert, widersprechen können sie jedoch nicht.
Dass Deutschland etwas ändern muss, ist offensichtlich. An Organspenden mangelt es schon lange, inzwischen ist Deutschland europaweit das Schlusslicht. Werbung oder Ansprache durch die Hausärzte sollten mehr Menschen zu Spendern machen. Doch gewirkt haben die Bemühungen nicht. Das ist zum Nachteil derjenigen, die auf ein Organ warten –nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen Ländern. Denn als Mitglied der Stiftung Eurotransplant, die als Service-Organisation für die Zuteilung von Spenderorganen in acht europäischen Mitgliedsländern verantwortlich ist, profitiert Deutschland von den Widerspruchsregelungen anderer Länder.
Deutschland sollte es ihnen im Hinblick auf die gesetzliche Regelung gleich tun. Durch eine Widerspruchslösung sind die Menschen dazu aufgefordert, eine Entscheidung zu treffen. Diese darf aber nicht in Stein gemeißelt sein, weswegen eine erweiterte Widerspruchslösung, bei der Angehörige auch nach dem Hirntod noch widersprechen können, ein guter Kompromiss wäre.
mareike.koestermeyer@ihr-kommentar.de
Düsseldorf – Nordrhein-Westfalen (NRW) will einen neuen Anlauf nehmen, um eine Widerspruchslösung bei der Organspende durchzusetzen. Das kündigte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) in einem Interview der Rheinischen Post an.
„Wir müssen das Thema Widerspruchslösung dringend angehen“, sagte er. Man habe dazu jüngst einen entsprechenden Kabinettsbeschluss gefällt. NRW will Laumann zufolge im November eine entsprechende Initiative in den Bundesrat einbringen. „Ich bin derzeit dabei, bei den anderen Ländern dafür zu werben, sich diesem Vorhaben anzuschließen.“
Bei der Widerspruchslösung müssen Menschen einer Organspende zu Lebzeiten widersprechen, sofern sie diese ausdrücklich nicht wollen. Ansonsten würden sie, sofern alle anderen Voraussetzungen erfüllt sind, nach einem Hirntod als potenzielle Organspender gelten.
Laumann erläuterte, wenn man sich die objektiven Zahlen anschaue, werde die Dringlichkeit deutlich. „Mehr als 8.000 Patienten warten derzeit auf ein Organ. Zugleich haben wir die schlechtesten Entnahmezahlen seit vielen Jahren“, betonte er.
Die Organspenden in NRW seien im Bundesvergleich besonders zurückgegangen: 2022 gab es im Vergleich zum Vorjahr dem Gesundheitsminister zufolge bundesweit 6,9 Prozent weniger Spenden. In NRW seien es 18 Prozent weniger gewesen.
„Und wir haben unterhalb der Widerspruchslösung wirklich alles gemacht, was man tun konnte: Werbung, Ansprache durch die Hausärzte, all dies passiert doch längst und schlägt sich nicht in höheren Zahlen nieder“, sagte Laumann. „Wir sind wirklich eines der wenigen Länder in Europa, das sich da derart sperrt.“ Länder mit Widerspruchslösung seien da messbar besser unterwegs.
Mit Blick auf mögliche Widerstände unterstrich der Minister: „Wenn ein Mensch sagt: ‚Ich möchte das nicht.‘ Dann ist das völlig legitim und überhaupt nicht zu kritisieren.“
Im Rahmen der Initiative des Bundesrates werde man dem Bundestag empfehlen, dass Verfahren so zu gestalten, dass die Hinterbliebenen am Ende auch noch widersprechen könnten.
„Aber Organspenden retten das Leben der Empfängerinnen und Empfänger“, sagte Laumann. „Ich finde, wir können und sollten die Entscheidung, ob man spenden möchte oder nicht, erwachsenen Menschen durchaus zumuten.“ © kna/aerzteblatt.de
27.10.2023 – Klinik für Thorax- und Kardiovaskularchirurgie
Prof. Dr. Jan Gummert und sein Team setzen einem 56-jährigem Patienten erstmals eine biologische Herzklappe ein, die dank neuer Technologie besser als bisher vor Kalkablagerungen schützen soll.
Europa-Premiere am HDZ NRW, Bad Oeynhausen: Prof. Dr. Jan Gummert und sein Team setzen 56-jährigem Patienten erstmals eine biologische Herzklappe ein, die dank neuer Technologie besser als bisher vor Kalkablagerungen schützen soll.
„Das oberste Ziel aus herzchirurgischer Sicht ist es immer, eine erkrankte Herzklappe zu reparieren“, sagt Professor Dr. Jan Gummert, Direktor der Klinik für Thorax- und Kardiovaskularchirurgie am Herz- und Diabeteszentrum NRW (HDZ NRW), Bad Oeynhausen. „Es gibt jedoch viele Patienten, bei denen die Klappe ersetzt werden muss.“
In einer solchen Situation wünschen sich die meisten Patienten eine biologische Klappe, um eine lebenslang notwendige Therapie mit gerinnungshemmenden Medikamenten zu vermeiden. Eine lange Lebensdauer einer biologischen Klappe ist daher von besonderer Bedeutung. Für den Ersatz der Mitralklappe steht mit dem jetzt erstmals in Europa am HDZ NRW erfolgreich durchgeführten Eingriff eine neue Bioprothese zur Verfügung, die Hoffnung auf eine deutliche Verbesserung in der langfristigen Versorgung der betroffenen Patientinnen und Patienten macht.
„Unsere Erfahrungen zeigen, dass biologische Herzklappen zwar viele Jahre halten, es aber dennoch in aller Regel nach zehn bis 15 Jahren zu Verschleißerscheinungen kommen kann, so dass die Klappe ausgetauscht werden muss“, erläutert Gummert. Wissenschaftliche Studien beschäftigen sich daher seit geraumer Zeit mit den Verbesserungsmöglichkeiten des biologischen Klappengewebes, um Ablagerungen zu verringern und damit dauerhaft einen ungestörten Blutfluss sicherzustellen.
Die von Prof. Gummert und seinem Team implantierte Mitralklappe (Hersteller: Edwards Lifesciences) wird bereits seit 2022 in den USA eingesetzt. Sie besteht aus einem neuartigen, sogenannten Resilia-Rinderperikardgewebe, dessen chemische Eigenschaften den Kalzifizierungs- und Degenerationsprozess im Tierversuch nachweislich besser aufhalten können als bisher verwendetes Gewebe. Bei Aortenklappenpatienten werden Prothesen mit Resilia-Gewebe bereits seit einiger Zeit bei ausgewählten Patientengruppen genutzt. „Natürlich gilt es nun, Langzeitdaten für weitere Erkenntnisse zu sammeln“, betont Gummert. „Die bisherigen Ergebnisse bei Patienten sind auf jeden Fall ermutigend.“
Prof. Gummert im Video: https://youtu.be/6wWjGmb37_k
Hintergrundinformation:Die Mitralklappe befindet sich auf der linken Seite des Herzens zwischen der linken Herzkammer und dem linken Vorhof. Sie funktioniert wie ein Ventil, öffnet sich in der Füllungsphase der linken Herzkammer und schließt sich zu Beginn der Auswurfphase, sobald die linke Herzkammer das Blut in den Körper pumpt. Alle Bestandteile der Klappe können erkranken und die Klappe in ihrer Funktion so stark beeinträchtigen, dass eine Rekonstruktion nicht mehr möglich und ein Klappenersatz notwendig ist.
Bei einer hochgradigen Mitralklappenschwäche steht in den meisten Fällen eine herzchirurgische Operation an. Ist das individuelle Risiko aufgrund des Alters oder aufgrund von Begleiterkrankungen jedoch zu hoch, kann ein kathetergestütztes Verfahren empfohlen werden.
Die neue Herzklappe besteht aus innovativem Rinderperikardgewebe mit einer Nitinoldrahtform, die es ihr ermöglicht, sich während der Implantation nach innen zu entfalten. Sie ist unter Röntgenstrahlung sichtbar.
Quellen: hdz-nrw.de, Edwards Lifesciences
Weitere Informationen:Herz- und Diabeteszentrum Nordrhein-WestfalenUniversitätsklinik der Ruhr-Universität BochumPresse- und ÖffentlichkeitsarbeitLeitung: Anna ReissGeorgstr. 1132545 Bad OeynhausenTel. 05731 97-1955Fax 05731 97-2028
E-Mail: info@hdz-nrw.de
26.10.2023 –
Klinik für Elektrophysiologie/Rhythmologie
NRW-Premiere: Bad Oeynhausener Herzspezialisten setzen erstmals einen Einkammer-Defibrillator mit Elektrode außerhalb des Herzens ein, der auch über eine Stimulationsfunktion verfügt.
Zur Behandlung von schweren Herzrhythmusstörungen in Verbindung mit Herzstillstand haben die Herzspezialisten PD Dr. Guram Imnadze und Dr. Thomas Eitz am Herz- und Diabeteszentrum NRW (HDZ NRW), Bad Oeynhausen, erstmals einem Patienten ein weltweit neuartiges Defibrillator-System mit außerhalb des Herzens liegender Elektrode und zusätzlicher Stimulationsfunktion eingesetzt.
„Für bestimmte Patientengruppen ist dieses neue System eine gute Alternative zu den bisherigen implantierbaren Defibrillatoren, die unseren Patientinnen und Patienten bereits eine hohe Sicherheit bieten, um einen drohenden Herzstillstand zu vermeiden und im Notfall mit der Auslösung eines elektrischen Schocks zu begegnen“, erläutert Prof. Dr. Philipp Sommer, Klinikdirektor der Klinik für Elektrophysiologie/Rhythmologie am HDZ NRW, unter dessen Leitung der erstmalige Einsatz der neuen Medizintechnik in Nordrhein-Westfalen erfolgreich durchgeführt wurde. Das 6,4x5,1x1,3 Zentimeter kleine und 77 Gramm leichte System wird unterhalb der linken Achselhöhle unter der Haut implantiert. Eine Vollnarkose ist in aller Regel nicht notwendig.
Elektrische Stimulation korrigiert die HerzfrequenzIm Unterschied zu bisherigen extrakardialen Systemen kann die neue Defibrillator-Generation namens Aurora EV-ICD (Hersteller: Medtronic) dank einer Stimulations-Funktion erstmals auch kleine Pausen und kurze Aussetzer des Herzschlags behandeln. Wie ein Schrittmacher sendet das Gerät dann elektrische Impulse an das Herz, um die Herzfrequenz zu korrigieren und den oft gefürchteten schmerzhaften Schock zu vermeiden.
Bei einem zu schnellen oder unregelmäßigen Herzrhythmus kann das System zunächst einmal kleine elektrische Signale senden, um die Herzfrequenz zu korrigieren und einen schmerzhaften Schock zu vermeiden.
Nur wenn der unregelmäßige Herzrhythmus anhält, stellt das Gerät durch eine Defibrillation den normalen Herzrhythmus wieder her und verfügt darüber hinaus als einziger extravaskulärer Defibrillator zusätzlich über eine Stimulations-Funktion. Dadurch kann der neue Einkammer-Defibrillator auch Pausen des Herzschlages behandeln. Dabei werden elektrische Impulse an das Herz gesendet, um die Herzfrequenz zu korrigieren.
„Mit einer schonenden Platzierung des Aggregats unterhalb des Brustbeins sowie der außerhalb des Herzens befindlichen Elektrode können wir das Risiko bestimmter Langzeitkomplikationen wie Infektionen oder Gefäßverschlüsse verringern“, erläutert Professor Sommer. Mit einer prognostizierten Laufzeit von knapp zwölf Jahren biete das System eine hohe Patientensicherheit.
Die Wirksamkeit des neuen Defibrillators, der jüngst die CE-Zulassung für den europäischen Markt erhielt, wurde in einer weltweiten Zulassungsstudie belegt, an der 356 Patienten mit dem Risiko eines plötzlichen Herztodes teilnahmen.
Moderne Therapiemethoden zur Behandlung von Herzrhythmusstörungen stehen auch im Mittelpunkt der diesjährigen Herzwochen-Veranstaltung am 8. November 2023, zu der die Herzkliniken des HDZ NRW Interessierte, Betroffene und Angehörige in den Hörsaal des Klinikums an der Georgstr. 11 in Bad Oeynhausen einladen. Beginn: 18:00 Uhr, der Eintritt ist frei.
Hintergrundinformation:
Was ist ein implantierbarer Defibrillator?
Ein implantierbarer Defibrillator oder ICD (= implantierbarer Cardioverter Defibrillator) ist ein kleines Gerät zur Behandlung von Herzrhythmusstörungen. Vom Gerät gehen ein oder zwei drahtförmige Elektroden ab, über welche die Herztätigkeit dauerhaft überwacht wird. Implantierbare Defibrillatoren retten seit mehr als 40 Jahren Leben, indem sie einen lebensrettenden Schock oder schmerzfreie Stimulationstherapie abgeben, um lebensbedrohliche schnelle und/oder unregelmäßige Herzschläge zu regulieren.
Was ist ein plötzlicher Herzstillstand?
Ein plötzlicher Herzstillstand (SCA) ist ein plötzlicher, abrupter Verlust der Herzfunktion. Die meisten Fällte werden durch eine schnelle und/oder unregelmäßige Aktivität des Herzens verursacht, die als ventrikuläre Tachykardie (VT) oder Kammerflimmern (VF) bezeichnet wird. Dabei handelt es sich um Anomalien des elektrischen Reizleitungssystems des Herzens.
Weitere Informationen:Herz- und Diabeteszentrum Nordrhein-WestfalenUniversitätsklinik der Ruhr-Universität BochumPresse- und ÖffentlichkeitsarbeitLeitung: Anna ReissGeorgstr. 1132545 Bad OeynhausenTel. 05731 97-1955Fax 05731 97-2028E-Mail: info@hdz-nrw.de
06.10.2023
Berlin/Köln – Nirgendwo in Europa rettet Organspende so wenig Leben wie in Deutschland. Den weiteren Abwärtstrend in Deutschland bestätigen auch die neuesten Spendezahlen. Die ausbleibende Aufregung darüber kritisierte kürzlich Rainer Blasczyk, Kongresspräsident der 56. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie (DGTI). Er ist der Ansicht, dass man sich in Deutschland an den Abwärtstrend bereits gewöhnt habe.
Pessimistisch äußerte er sich auch bezüglich neuer Techniken: Obwohl Tests für die Verträglichkeitsbewertungen von Organspenden immer präziser und moderner werden, würden sie für die Patientinnen und Patienten hierzulande keinen Fortschritt bringen, so Blasczyk. „Denn in Deutschland müssen Patienten nehmen, was sie kriegen können, egal wie schlecht die Verträglichkeit ist.“
Auch die Möglichkeit einer Cross-over-Lebendspende, die in vielen Ländern bereits erlaubt sei, bliebe in Deutschland weiterhin verboten, kritisierte der Leiter des Instituts für Transfusionsmedizin und Transplantat Engineering an der Medizinischen Hochschule Hannover. Für diese Option sprach sich heute auch die nephrologische Fachgesellschaft (DGfN) auf ihrer Kongress-Pressekonferenz aus.
Blasczyk wies auf Defizite bei der Organtransplantation im Fall von Leber- und Lungenspenden, aber auch bei Lebendspenden für Nierentransplantationen hin. „Die Mortalitätsraten auf den Wartelisten für Leber und Lunge sind im Vergleich zu anderen Eurotransplant-Ländern sogar mehr als doppelt so hoch.“
Das geht aus der Eurotransplant-Statistiken hervor, beispielsweise aus dem Jahre 2022. Im Gegensatz zur Dialysetherapie bei Niereninsuffizienz gibt es für diese Organe keine Ersatztherapie.
Hinzu kommt, dass vor allem bei der Lebertransplantation auch die Überlebensraten der transplantierten Empfänger niedriger sind als im europäischen Ausland.
„Das liegt daran, dass die Organknappheit bedingt, dass jeweils nur die Schwerstkranken mit den schlechtesten Prognosen transplantiert werden können“, erläuterte Blasczyk. Immer wieder wird der Konflikt zwischen Dringlichkeit und Erfolgsaussicht diskutiert.
Ein Ausweg wäre die Lebendspende – zumindest für die Nierentransplantation. „Aber genau hier geht die Problematik weiter: Die Qualität der Nierenlebendtransplantationen ist in Deutschland nicht gut, da sie mit besonders vielen Mismatches verbunden ist“, erklärte Blasczyk. Den Grund dafür sieht der Experte im veralteten Transplantationsrecht in Deutschland, welches ein Näheverhältnis (Verwandte, Partner) zwischen Spender und Empfänger verlangt.
Die Lebendorganspende ist in Deutschland nach Paragraf 8 des Transplantationsgesetzes (TPG) an strenge Voraussetzungen geknüpft, da sie für gesunde Spender und Spenderinnen keinen Heileingriff darstellt und mit Risiken verbunden ist. So müssen Spendende unter anderem mit dem Empfangenden besonders persönlich verbunden sein.
„Im Vordergrund steht also die Frage nach dem Verwandtschaftsverhältnis und nicht die Fragen, welche Spenderniere am besten zum Empfänger passt“, so der Transfusionsmediziner. Daher müsse er regelmäßig bei Kindern Ersttransplantationen mit Nieren eines der beiden Elternteile genehmigen, in dem Wissen, dass in zehn Jahren eine „äußerst schwierige Retransplantation“ anstehen wird, berichtete Blasczyk.
Im Jahr 2021 gab es bereits eine Überarbeitung der Richtlinie für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Nierentransplantation durch die Ständige Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer. Das Ziel war es, einzelne Wartelistenpatientengruppen zu verschieben. Mehr Spenderorgane oder weniger Wartelistenpatienten waren nicht zu erwarten, wie das Deutsche Ärzteblatt (DÄ) berichtet hat.
Abhilfe könnte indes die Cross-over-Spende ermöglichen, die in Deutschland nicht erlaubt ist. In Ländern mit modernerem Transplantationsrecht hingegen ist sie eine Selbstverständlichkeit. Dabei werden die lebend gespendeten Organe so verteilt, dass ein bestmöglicher Match für die Patienten erreicht wird, so dass das neue Organ möglichst gut vom Transplantierten angenommen und eine Abstoßung unwahrscheinlicher wird.
„Diese Option sollte niemandem verwehrt werden“, findet auch Julia Weinmann-Menke, Pressesprecherin der DGfN. Dennoch könne die Cross-over-Spende das Problem des Organmangels nicht grundsätzlich lösen. „Rechnet man die Erfahrungen aus den Niederlanden und England auf Deutschland hoch, könnte man pro Jahr bis zu 150 weitere Nierenlebendspenden realisieren. Um eine wirkliche Trendwende zu erreichen, benötigt man aber mindestens 500 Organe mehr pro Jahr.“
Vor zwei Jahren sprach sich auch bereits der 125. Deutsche Ärztetag mehrheitlich dafür aus, den Kreis der Spendenden bei der Lebendorganspende auszuweiten. Aus Sicht des Ärzteparlaments sollte die Cross-over-Lebendspende künftig auch in Deutschland ermöglicht werden.
Dazu wären gesetzliche Neuregelungen erforderlich. Konkret müsste § 8 Absatz 1 des TPG erweitert werden, damit ein Spender-Empfänger-Paar mit einem geeigneten zweiten Paar vereinbaren kann, dass zwei Lebendorganspenden kreuzweise durchgeführt werden.
Das DÄ hat darüber berichtet:
Der 125. Deutsche Ärztetag hat sich mehrheitlich dafür ausgesprochen, den Kreis der Spenderinnen und Spender bei der Lebendorganspende auszuweiten. Aus Sicht des Ärzteparlaments sollte künftig eine Cross-over-Lebendspende – wie sie bereits in anderen Ländern erlaubt ist – auch in Deutschland ermöglicht werden. Dazu wären gesetzliche Neuregelungen erforderlich. Konkret müsste § 8 Abs. 1
Solange die Cross-over-Spende in Deutschland verboten ist, gibt es nur die Alternative, die Abstoßungsreaktion zu unterdrücken und somit die Retransplantationen zu reduzieren. Auf der diesjährigen Tagung der DGTI werden dazu zwei neue Ansätze für die Vermeidung einer Organabstoßung präsentiert.
Bei der ersten Innovation werden die Spenderorgane noch außerhalb des Körpers gentechnisch verändert. So konnten Forschende um Blasczyk in Minischweinen verhindern, dass das Immunsystem des Empfängertiers das neue Organ als fremd erkennt und angreift (Transfus Med Hemother; DOI: 10.1159/000525886; VS16-4). Dies sei ein vielversprechender Ansatz, der derzeit über eine klinische Studie in die Anwednung gebracht werden soll, so der Kongresspräsident.
Info:
Rund 8.500 Menschen stehen in Deutschland auf der Warteliste für ein Spenderorgan. Täglich sterben im statistischen Schnitt 2,5 von ihnen, weil das lebensrettende Organ fehlt. Im vergangenen Jahr haben in Deutschland 869 Menschen Organe nach ihrem Tod gespendet. Tendenz: weiter sinkend.
Quelle: Deutsche Stiftung Organtransplantation
Das „Prinzip Ringtausch“ funktioniert so: Spender A kann Empfänger A aus medizinischen Gründen nicht seine Niere spenden. Passt aber das Organ von Spender A zu Empfänger B und die Spenderniere von Spender B zu Empfänger A, können zwei Organspenden erfolgreich durchgeführt werden, die ansonsten nicht möglich gewesen wären.
Veröffentlicht: 20.09.2023
Göttingen/Lüneburg. Ein früherer Chefarzt und Professor der Göttinger Universitätsmedizin verliert wegen seiner Verwicklung in den so genannten Göttinger Transplantationsskandal endgültig sein Ruhegehalt. Das hat am Mittwoch das Oberverwaltungsgericht Lüneburg entschieden. Der 3. Senat wies damit die Berufung des früheren Leiters der Abteilung für Gastroenterologie und Endokrinologie gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts Göttingen zurück.
Nach Überzeugung der Lüneburger Richter war der Mediziner dafür verantwortlich, dass in den Jahren 2009 bis 2011 in mindestens elf Fällen Laborwerte von Leberpatienten ´der Universitätsmedizin Göttingen manipuliert wurden, um deren Chancen auf die Zuteilung eines Spenderorgans zu erhöhen. Außerdem habe er 2006 von der Familie eines Transplantationspatienten 30.000 Euro gefordert und zunächst nicht abgeführt. Damit habe er gegen das Verbot der Annahme von Belohnungen und Geschenken verstoßen.
Nach Ansicht des Gerichts hat der heute 71-jährige Mediziner die ihm obliegenden Dienstpflichten insgesamt in so schwerwiegender Weise verletzt, dass ein endgültiger Vertrauensverlust eingetreten ist, der eine Aberkennung des Ruhegehalts gebietet. Gegen das Urteil könne keine Revision mehr eingelegt werden, teilte ein Gerichtssprecher mit. Die Entscheidung sei damit rechtskräftig. (pid)
Oberverwaltungsgericht Lüneburg, Az.: 3 Ld 6/22
Mindener Tageblatt15.09.2023
Körfers Kunstherz-Projekt vor dem Aus
Der ehemalige ärztliche Direktor des Herz- und Diabeteszentrums in Bad Oeynhausen ist verärgert,weil die NRW-Landesregierung versprochene Fördermittel nicht auszahlt.
Düsseldorf/Bad Oeynhausen.
Im europaweiten Vergleich ist Deutschland Schlusslicht bei Organspenden. Der Mangel an Spenderorganen ist so groß, dass jedes Jahr etwa 1.000 Menschen sterben, während sie auf ein Organ warten. Herzchirurg Reiner Körfer hat in den vergangenen Jahrzehnten einige dieser Patienten sterben sehen. Um für Herzkranke eine Alternative zur Transplantation zu schaffen, arbeitet Körfer seit vielen Jahren an der Entwicklung eines Herzunterstützungssystems und eines Kunstherzens – doch es fehlt Geld. „Das Unterstützungssystem könnte längst auf dem Markt sein, wenn die NRW-Landesregierung die versprochenen Fördermittel ausgezahlt hätte.“ Es sind die Patienten in Not, die Körfer antreiben. „Wir brauchen eine Alternative zur Herztransplantation, um mehr Leben zu retten, doch die Politik scheint sich dafür nicht zu interessieren.“ Körfer, der von 1984 bis 2009 ärztlicher Direktor des Herz- und Diabeteszentrums NRW in Bad Oeynhausen war und 1989 dort die erste Herztransplantation durchführte, ist deshalb verärgert. „Ich habe Verständnis dafür, dass Geld knapp ist. Doch wenn ich sehe, wofür die Regierungen auf Landes- und Bundesebene Geld ausgeben, frage ich mich, warum die Patienten bei der Entscheidung nicht im Mittelpunkt stehen.“
Mit seinen Entwicklungen, dem Kunstherz Reinheart und dem Herzunterstützungssystem Reinvad, die in Kooperation mit dem Helmholtz-Institut Aachen entstanden sind, möchte der 81-Jährige dazu beitragen, schnellstmöglich mehr Leben zu retten. „Beide Systeme lassen sich komplett implantieren. Das Reinheart kommt für etwa 20 Prozent betroffener Patienten infrage. Bei 80 Prozent reicht das Reinvad aus, da es sich auch als Dauerlösung anbietet und die Arbeit des Herzens komplett ersetzen kann.“
Großteil der Mitarbeiter musste entlassen werden
Doch die Entwicklung dieser Systeme kostet nach Angaben Körfers sehr viel Geld. Die Finanzierung des Reinheart sei über Spenden und Mittel des europäischen Fonds für regionale Entwicklung über das NRW Gesundheitsministerium gelaufen. „Das Reinvad wurde in erster Linie durch die Erich und Hanna Klessmann Stiftung gefördert, doch aufgrund der Zinspolitik sind die Erträge aus dem Stiftungskapital erheblich gesunken.“
In der Pandemie seien weitere Geldgeber weggebrochen. In der Folge habe Körfer trotz der Unterstützung seiner Familie den Großteil seiner Mitarbeiter der Reinheart GmbH entlassen müssen. Die Entwicklung des Reinvad ist nach Angaben Körfers inzwischen jedoch schon so weit fortgeschritten, dass nur noch Pilotstudie und Zulassung fehlen. „Der Plan war immer, dass das Herzunterstützungssystem auf den Markt kommt und wir mit den Erträgen die Entwicklungdes Kunstherzens weiterfinanzieren. Ich selber möchte damit kein Geld verdienen.“
Für diesen letzten Schritt zur Einführung des Reinvad fehlen laut Körfer jedoch die Mittel, obwohl er eine Zusage für Fördermittel in Höhe von zehn Millionen Euro von der NRW-Landesregierung hatte. „2019 versprachen mir Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart und Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann bei einem Messebesuch die Förderung, doch dieses Versprechen wurde nie eingelöst. Das ärgert mich extrem.“ Seitdem sucht Körfer immer wieder Kontakt zur Landesregierung. „Doch offenbar besteht kein Interesse. Mit Blick auf die vielen Patienten in Not ist das sehr bedauerlich, denn ohne weitere Mittel ist Ende des Jahres Schluss.“ Aus dem NRW-
Gesundheitsministerium ist jedoch keine Rettung in Sicht. Zu Körfers Kritik erklärt ein Sprecher, dass es nie ein Versprechen für Fördermittel gab und dass die Markteinführung von Medizinprodukten wie dem Reinvad aus förderrechtlichen Gründen gar nicht durch Landesmittel finanziert werden kann
Bioreaktor erhält Nierenzellen mindestens eine Woche am Leben
UCSF
30. Aug. 2023
Ein wissenschaftliches Expertenteam der UC San Francisco (UCSF) arbeitet an einem neuen Ansatz zur Behandlung von Nierenversagen, der die Menschen eines Tages von der Dialysepflicht oder der Einnahme starker Medikamente zur Unterdrückung ihres Immunsystems nach einer Transplantation befreien könnte.
Erstmals konnten sie zeigen, dass Nierenzellen, die in einem implantierbaren Gerät, einem sogenannten Bioreaktor, untergebracht sind, im Körper eines Schweins überleben und mehrere wichtige Nierenfunktionen imitieren können. Das Gerät kann unauffällig im Hintergrund arbeiten, wie ein Herzschrittmacher, und löst keine Reaktion des Immunsystems der Empfänger aus.
Die jetzt veröffentlichten Ergebnisse sind ein wichtiger Schritt vorwärts für The Kidney Project, das gemeinsam von Shuvo Roy, PhD (technischer Leiter) von der UCSF und William H. Fissell, MD (medizinischer Leiter) vom Vanderbilt University Medical Center geleitet wird.
Schließlich planen die beteiligten Fachleute, den Bioreaktor mit verschiedenen Nierenzellen zu füllen, die lebenswichtige Funktionen erfüllen, wie z.B. den Flüssigkeitshaushalt des Körpers auszugleichen und Hormone zur Regulierung des Blutdrucks freizusetzen, und ihn dann mit einem Gerät zu verbinden, das Abfallstoffe aus dem Blut filtert.
"Die bioartifizielle Niere wird die Behandlung von Nierenerkrankungen effektiver, aber auch viel erträglicher und angenehmer machen." (Shuvo Roy, PhD)
Ziel ist es, ein Gerät in menschlichem Maßstab zu entwickeln, das die Dialyse verbessert, die Menschen nach einem Nierenversagen am Leben erhält, aber nur einen schlechten Ersatz für eine gesunde Niere darstellt. Mehr als 500.000 Menschen in den USA müssen mehrmals pro Woche zur Dialyse. Viele von ihnen wünschen sich eine Nierentransplantation, aber es gibt nicht genügend Nierenspenden, und nur etwa 20.000 Menschen erhalten jedes Jahr ein solches Spenderorgan. Eine implantierbare künstliche Niere wäre ein wahrer Segen.
"Wir konzentrieren uns darauf, die wichtigsten Funktionen einer Niere sicher nachzubilden", sagt Roy, Professor für Bioengineering an der UCSF School of Pharmacy. "Die bioartifizielle Niere wird die Behandlung von Nierenkrankheiten effektiver, aber auch viel verträglicher und angenehmer machen."
Roy und sein Kollegium haben den Bioreaktor so konstruiert, dass er direkt an Blutgefäße und Venen angeschlossen werden kann und so den Durchfluss von Nährstoffen und Sauerstoff ermöglicht, ähnlich wie bei einer transplantierten Niere. Siliziummembranen schützen die Nierenzellen im Inneren des Bioreaktors vor Angriffen durch die Immunzellen der Empfängerin/des Empfängers.
Das Team verwendete eine Art von Nierenzelle, die proximale Tubuluszelle, die Wasser und Salz reguliert, als Testfall. Mitautor H. David Humes, MD, von der University of Michigan, hatte diese Zellen bereits früher eingesetzt, um Dialysepatient:innen auf der Intensivstation zu helfen - mit lebensrettenden Ergebnissen.
Das Team überwachte die Nierenzellen und die Empfängertiere sieben Tage lang nach der Transplantation, und beiden ging es gut. Der nächste Schritt sind einmonatige Versuche, wie sie von der U.S. Food and Drug Administration (FDA) gefordert werden, zunächst an Tieren und schließlich an Menschen.
"Wir mussten beweisen, dass ein funktionsfähiger Bioreaktor keine immunsuppressiven Medikamente benötigt, und das haben wir geschafft", sagte Roy. "Wir hatten keine Komplikationen und können jetzt die gesamte Palette der Nierenfunktionen im menschlichen Maßstab erreichen."
Finanzierung und Offenlegung: Die Forschung wurde zum Teil von den National Institutes of Health (U01EB021214, R25EB023856) sowie von Philanthropen unterstützt. Alle Finanzierungsquellen und Angaben zu den Autoren finden Sie in der Veröffentlichung.
Feasibility of an implantable bioreactor for renal cell therapy using silicon nanopore membranes
DOI: [10.1038/s41467-023-39888-2]
http://dx.doi.org/10.1038/s41467-023-39888-2
01.August 2023
AMEOS Poliklinikum Halberstadt
Sie sind seit anderthalb Jahren Transplantationsbeauftragte. Mussten Sie dafür eine spezielle Ausbildung absolvieren?Es gibt dafür eine Weiterbildung, die sowohl praktisch als auch theoretisch ist. Den theorietischen Teil habe coronabedingt an einem Tag online absolviert, inklusive Prüfung. Die Weiterbildung wird von der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) angeboten.
Was sind Ihre Aufgaben als Transplantationsbeauftragte?Wenn es Patientinnen oder Patienten auf der Intensivstation gibt, die einem irreversiblen Hirnfunktionsausfall entgegen gehen, den Kontakt mit der DSO, aufzunehmen und mit ihnen das weitere Vorgehen zu besprechen. Auch mit den Angehörigen zu sprechen, um zu erfragen, ob eine Organspende in Frage kommt bzw., ob der Patient dazu eine Aussage getroffen hat, gehört zu meinen Aufgaben. Falls sich für eine Spende entschieden wurde, kommen die soegannten DSO-Koordinatoren ins Haus und veranlassen weitere Schritte bis hin zur Entnahme der Organe. Auf der Intensivstation arbeiten Pflege und ärztliches Personal eng zusammen.
Dann versuche ich etwas Öffentlichkeitsarbeit machen: Ich plane in Schulen zu gehen und Aufklärungsarbeit zum Thema Organspende zu leisten. Es gibt zum Beispiel Anfragen von Ethiklehrern, um die Menschen für das Thema zu sensibilisieren, sie wachzurütteln und dazu zu bringen, sich Gedanken zu machen. Zudem verteile ich regelmäßig Infomaterialien und Organspendeausweise. Ich bin sehr zufrieden, dass die Organspendeausweise immer wieder mitgenommen werden und ich nachlegen muss.
Zu meinen Aufgaben gehört es ebenfalls das Personal nachzubetreuen. Es ist sehr intensiv, was die Kolleginnen und Kollegen auf der Intensivstation, aber auch vom OP erleben, wenn eine Organentnahme stattfindet - gerade, wenn Spender noch sehr jung sind. In Gesprächen versuchen wir dann damit umzugehen. Ich gebe auch Weiterbildungen für das OP- und Anästhesiepflegepersonal über den Ablauf einer Organspende, um sie auf solche Fälle gut vorzubereiten. In meiner Zeit als Transplantationsbeauftragte hatten wir fünf Kontakte und zwei Spenden.
Was heißt fünf Kontakte?Fünf Patienten, die zur Organspende gemeldet worden sind, die aber aus verschiedenen Gründen nicht für eine Organexplantation in Frage kamen. Weihnachten 2021 habe ich meine erste Spende mitgemacht. Die zweite Spende war im Juni 2022.
Warum ist das Gespräch mit dem Personal und den Angehörigen so wichtig?Es gibt viele Materialien, die die DSO zur Verfügung stellt, für den Ablauf der Organentnahme, die wir in den Gesprächen verwenden können. Sich zu verabschieden ist für die Angehörigen sehr schwer, denn bevor es zu einer Organexplantation geht, sieht es so aus, als lebte der Mensch noch - das ist allerdings nicht so! Die Organe müssen perfundiert (gut durchblutet sein) werden, um sie gut erhalten zu können. Aus diesem Grund sind Gespräche im Team und mit den Familien so wichtig - alles funktioniert nur mit Empathie und Hand in Hand.
Was ist der erste Schritt bei einem irreversible Hirnfunktionsausfall?Der Kontakt mit der DSO wird zeitig aufgenommen: wir teilen mit, dass der Hirntod sehr wahrscheinlich ist bzw. demnächst eintreten wird. Dann fragt die DSO zunächst die Daten ab. Wenn wir die Diagnostik abgeschlossen haben, sagen wir wiederum der DSO Bescheid und wir bekommen Informationen darüber, welche Untersuchungen noch anhand unserer Diagnosen durchgeführt werden müssen. Zum Beispiel, ob noch ein CT vom Thorax, Abdomen oder noch Herzkatheteruntersuchungen und Bronchioskopie benötigt werden. Die DSO hat auf ihrer Webseite auch die Befundbögen hinterlegt, damit die Kollegen diese dezidiert ausfüllen. Sonst könnte es passieren, dass Organe nicht entnommen werden können, was frustrierend ist, da der Empfänger ja auch vorbereitet wird.
Die Labordiagnostik dient dazu zu testen, ob das jeweilige Organ auch kompatibel für den Empfänger ist. Die empfangenden Patientinnen und Patienten werden auch immunsupressiert, damit es nicht zu Abstoßungsreaktionen kommt.
Wie geht es weiter, wenn diese Untersuchungen abgeschlossen sind?Der DSO-Koordinator kommt zu uns ins Klinikum und organisiert nach den Untersuchungsbefunden, welche Organe entnommen werden können und fragt dann die Implantationskliniken an. Diese geben eine Rückmeldung, welche Organe benötigt werden.
Es werden Transplantationsteams aus den unterschiedlichsten Kliniken hergefahren. Für die beiden Entnahmen, die ich mitgemacht habe, kamen Kolleginnen und Kollegen aus Kliniken in Halle und Magdeburg. Zudem organisieren die Koordinatoren den gesamten Transport, ob per Krankenwagen oder sogar Flugzeug - teilweise bis ins Ausland.
Wie lange ist das Organ funktionsfähig nach der Entnahme?Die Nährlösung hält die Organe bestmöglich lange aufrecht. Hinzukommt die Kühlung. Aber jedes Organ ist unterschiedlich lange funktionsfähig, im Schnitt ca. zwei Stunden.
Warum raten Sie jedem einen ausgefüllten Organspendeausweis bei sich zu tragen?Weil es den Angehörigen den letzten Schritt enorm erleichtert. Der Moment, in dem man seinen lieben Angehörigen verliert, ist es schon schwierig überhaupt mit der Situation fertig zu werden. Wenn man sich nie darüber unterhalten hat und auch nichts findet, wo dieser Wille oder eben auch die Ablehnung formuliert ist, dann steht man immer zwischen zwei Stühlen und man macht sich Gedanken, was das Familienmitglied gewollt hätte... Für uns Ärztinnen und Ärzte laufen dann die Gespräche mit den Angehörigen auch einfacher, weil sie sich auch leichter damit abfinden können. Deshalb sollte jeder einfach mal darüber nachgedacht haben. Das Leben ist endlich, es kann jede Sekunde vorbei sein. Das sollte auch bei jungen Leuten im Kopf präsent sein.
Gibt es Personen, die nicht spenden dürfen?Ja, es gibt Ausschlusskriterien. Zum Beispiel chronisch Kranke, allerdings sind die inzwischen eng gefasst. Man kann selbst mit einer Infektion spenden, wenn die Antibiose nach Erreger gleich begonnen wurde und weitergeführt wird, weil es inzwischen auch so wenig Organe gibt. Allerdings immer noch nach speziellen Regeln. Menschen, die mit dem HI-Virus infiziert sind, werden ausgeschlossen.
Warum sind sie Transplantationsbeauftragte geworden?Ich habe während des Studiums als OP-Assistentin gearbeitet. Da gab es eine Kollegin der Anästhesie, die ihren Mann verloren hatte. Er war beim Fußballspielen umgefallen. Sie hat ihn für die Organspende freigegeben, weil das in seinem Sinne gewesen wäre. Das war meine erste Berührung mit Organspende und ich fand die Entscheidung einfach klasse. Sie hat darin dann einen Sinn sehen können, weil sie wusste er kann in einem anderen Menschen weiterleben. Die DSO organisiert auch Treffen und Veranstaltungen für Betroffene - ein Kennenlernen zwischen den Angehörigen und der Empfängerperson ist in Deutschland allerdings nicht möglich. Anonyme Briefe können dennoch über die DSO ausgetauscht werden.
Ein Abschlussgedanke von Ihnen:Die Arbeit ist sehr intensiv. Dem Pflegepersonal muss man Respekt zollen. Ich bin ziemlich stolz auf unsere Mitarbeitenden, die diese nicht leichte Angelegenheit bewältigen.
Das Interview führte Katja Stützer, Kommunikation & Kooperation AMEOS Klinikum Halberstadt
29.07.2023
Die Organspendebereitschaft ist in Deutschland gering. Auch regelmäßige Briefe von den Krankenkassen mit Organspendeausweisen ändern daran nichts. Kann ein Online-Register Abhilfe schaffen?
Mit Organspenden befasste Mediziner in Mitteldeutschland beurteilen das zur Gewinnung von mehr Spendern geplante zentrale Online-Register zurückhaltend. Es sei grundsätzlich ein begrüßenswerter Ansatz, sagte Felix Pfeifer, geschäftsführender Arzt der Deutschen Stiftung Organspende in der Region Ost, der Deutschen Presse-Agentur. Allerdings bleibe abzuwarten, ob dadurch die Spenderzahlen in absehbarer Zeit nennenswert zunähmen. Die DSO-Region umfasst Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Der Transplantationsmediziner Utz Settmacher vom Universitätsklinikum Jena äußerte Zweifel am Erfolg des Registers.
"Wenn man sich die Erfahrungen aus anderen Ländern ansieht, werden die Ergebnisse bescheiden sein", sagte Settmacher, der Präsident der Deutschen Transplantationsgesellschaft (DGT) ist. Das zentrale Register ist ein Kernelement einer Organspendereform, die der Bundestag 2020 beschlossen hatte. Darin sollen Spendenwillige ihre Bereitschaft speichern können - online von zu Hause aus oder in den Kommunalverwaltungen. Starten soll das Register nach bisherigem Stand im ersten Quartal 2024.
Bislang gilt in Deutschland, dass Verstorbenen nur dann Organe und Gewebe entnommen werden dürfen, wenn sie dem zu Lebzeiten zugestimmt haben. Um mehr Spender zu gewinnen, erhalten alle Bundesbürger ab 16 Jahre von ihrer Krankenkasse alle zwei Jahre Informationsmaterial und einen Organspendeausweis zugeschickt. Sie können entscheiden, ob sie ihn ausfüllen und mit sich tragen.
Im ersten Halbjahr 2023 wurden der DSO zufolge in Thüringen 39 Organe von 13 Verstorbenen gespendet, in Sachsen-Anhalt waren es 47 Organe von 18 Verstorbenen und in Sachsen 110 Organe von 38 Verstorbenen. Bundesweit wurden 1540 Organe von 496 Spendern entnommen. Lebendspender sind in diesen Zahlen nicht berücksichtigt. Der Weg zu mehr Organspenden ist ein Thema der Ende Oktober anstehenden DGT-Jahrestagung in Jena.
Durham/North Carolina – Ein „Organ Care System“, in dem das schlagende Herz nach der Organentnahme für den Transport zum Organempfänger mit körperwarmem Blut perfundiert wird, erleichtert die Verwendung der Spenderherzen von Personen, die einen Kreislaufstillstand erlitten haben.
In einer Vergleichsstudie war die Überlebensrate nach 6 Monaten ebenso hoch wie nach der derzeit üblichen Verwendung der Organe von hirntoten Spendern. Die Ergebnisse wurden im New England Journal of Medicine (2023; DOI: 10.1056/NEJMoa2212438) publiziert.
Herztransplantationen wurden bisher nur mit Organen von hirntoten Spendern durchgeführt. Die Transplantation lässt sich besser planen und der Funktionszustand des Herzens kann vor dem Tod abgeschätzt werden. Bei einem herztoten Spender besteht immer eine gewisse Unsicherheit zur Qualität des Organs, die sich nach der Entnahme nur schwer beurteilen lässt.
Die US-Firma TransMedics aus Andover/Massachusetts hat zu diesem Zweck ein „Organ Care System“ entwickelt. In dem Gerät wird das Herz nach einer Reanimation an eine Pumpe angeschlossen, die über die Aorta die Koronararterien mit oxygeniertem Blut durchströmt (das dem Spender entnommen wird). Dies verkürzt nicht nur die kalte Ischämiezeit. Es können an dem Gerät auch die notwendigen Untersuchungen zur Beurteilung der Organqualität durchgeführt werden. Danach kann das schlagende Spenderherz in dem mobilen „Organ Care System“ in den Operationssaal geschoben werden, wo die Implantation stattfindet.
Dennoch bestanden Zweifel, ob die Verwendung der Herzen nach einem Kreislaufstillstand zu vergleichbaren Ergebnissen führt wie bei hirntoten Spendern. Der Hersteller hat dies in einer randomisierten Studie prüfen lassen, an der sich 15 US-Kliniken beteiligten. Die Organentnahme erfolgte bei Spendern, bei denen das Herz aufgehört hatte zu schlagen, nachdem die lebenserhaltenden Maßnahmen eingestellt wurden (Maastricht-Kategorie III). Bereits vor dem Ableben wurden Spender mit früherer Herzoperation, bekannter koronarer Herzkrankheit oder solche mit Herzinfarkt oder im kardiogenen Schock ausgeschlossen. Die Selektion hat sich als zuverlässig erwiesen. Nach der Begutachtung im „Organ Care System“ konnten fast 90 % der Organe verwendet werden.
Jacob Schroder vom Duke University Medical Center in Durham/North Carolina und Mitarbeiter haben die Ergebnisse von 166 Patienten verglichen, bei denen eine Herztransplantation durchgeführt wurde. Nach 6 Monaten waren 95 % der Empfänger der Herzen von kreislauftoten Spendern am Leben gegenüber 89 % der Empfänger von Herzen von hirntoten Spendern. In einer adjustierten Analyse, die die unterschiedlichen Risiken in den beiden Gruppen berücksichtigte, betrugen die 6-Monats-Überlebensraten 94 % und 90 %. Die mittlere Differenz von 3 %-Punkten lag mit einem 90-%-Konfidenzintervall von -3 bis 10 %-Punkten innerhalb der vorgegebenen Noninferioritätsmarge von 20 %-Punkten, womit die Studie ihr Ziel erreicht hatte, die Nicht-Unterlegenheit der Herztransplantation von herztoten Spendern zu belegen.
Bei den Empfängern eines Herzens von herztoten Spendern kam es in den ersten 30 Tagen häufiger zu einer Funktionsstörung des Transplantats (22 % versus 10 %), die auch häufiger als schwerwiegend eingestuft wurde (15 % versus 5 %). Die Krisen konnten allerdings in den meisten Fällen beherrscht werden. Nur bei 2 Patienten wurde eine weitere Herztransplantation erforderlich: Beide hatten das Herz eines hirntoten Spenders erhalten.
Herztransplantation von herztoten Spendern wurden zuerst in Australien und in Großbritannien durchgeführt. In den USA werden seit 2019 häufiger herztote Spender akzeptiert. In Deutschland ist dies verboten, da der irreversible Hirntod Voraussetzung für die Organentnahme ist. Der Hirntod kann nach einem Kreislaufstillstand erst mit zeitlicher Verzögerung festgestellt werden. Dann ist es für eine Organentnahme in der Regel zu spät. © rme/aerzteblatt.de
Mit 103 Organspenden im Juni konnte erstmals seit über 10 Jahren wieder eine dreistellige Spenderzahl innerhalb eines Monats erreicht werden. Insgesamt sind die Organspendezahlen im ersten Halbjahr 2023 – nach einem dramatischen Rückgang im letzten Jahr – wieder auf dem Niveau von 2020/2021 angekommen. In den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres haben 496 Menschen nach ihrem Tod ein oder mehrere Organe gespendet. In 2022 waren es im Vergleichszeitraum nur 392 Organspender, in 2021 hingegen 473 Organspender. Die Summe der entnommenen Organe, die für eine Transplantation an die internationale Vermittlungsstelle Eurotransplant gemeldet werden konnte, lag im ersten Halbjahr 2023 bei 1.540.
Dr. med. Axel Rahmel, Medizinischer Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), sieht darin eine Momentaufnahme, so dass es vermutlich zu früh sei, von einer Trendwende zu sprechen. „Allerdings sind die Zahlen im Juni ein Indiz dafür, dass – wenn alle Beteiligten zusammenwirken – ein positiver Effekt auf die Organspende zu erreichen ist. Für die erfreuliche Entwicklung im Juni waren zum einen eine hohe Zahl an Spendermeldungen aus den Krankenhäusern verantwortlich, die damit den Trend zu einer kontinuierlich wachsenden Beteiligung der Kliniken an der Organspende fortsetzte. Von entscheidender Bedeutung war zum anderen eine erhöhte Zustimmungsrate im Falle einer möglichen Organspende, insbesondere auch durch die Angehörigen. Dies könnte auch mit einer höheren Aufmerksamkeit durch den Tag der Organspende einhergegangen gegangen sein“, mutmaßt Rahmel. Dadurch seien im Juni weniger Organspenden an einer fehlenden Zustimmung gescheitert, so der Mediziner.
Die aktuelle Herausforderung sieht Rahmel darin, die Organspendezahlen nachhaltig und systematisch zu steigern, um auf längere Sicht ähnliche Werte zu erreichen, wie sie in anderen europäischen Ländern längst Standard sind. „Aber dafür ist es nötig, bereit zu sein, von diesen Ländern zu lernen und auch in Deutschland die entsprechenden Anpassungen der Rahmenbedingungen anzugehen“, fordert der Medizinische DSO-Vorstand.
Insgesamt konnten in Deutschland im ersten Halbjahr 1.578 Organe transplantiert werden. Gleichzeitig warten derzeit rund 8.300 Patienten auf eine lebensrettende bzw. lebensverlängernde Transplantation.
Die wichtigsten und aktuellen Organspendezahlen finden Sie unter dem Link: Organspendezahlen
Deutschland FDP-Plan zur Organspende
„Absurd, dass der deutsche Staat Bürger daran hindert, sich gegenseitig zu helfen“
Stand: 19.06.2023
Von Kaja Klapsa, Luisa Hofmeier
Die FDP-Fraktion im Bundestag appelliert an Gesundheitsminister Lauterbach (SPD), den Kreis potenzieller Lebendorganspender zu erweitern – durch Legalisierung verschiedener Verfahren. So sollen nach dem Willen der Liberalen auch anonyme Organspenden aus altruistischen Motiven möglich sein.
Die FDP-Bundestagsfraktion fordert von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eine Ausweitung der Lebendorganspende. „Im Sinne der Menschen auf den Wartelisten und jener, die ihnen gerne helfen möchten und bisher nicht dürfen, wird es höchste Zeit, dass sich der Bundesgesundheitsminister zügig der Lebendspende annimmt, statt sich weiterhin an der Widerspruchslösung festzubeißen“, sagt die rechtspolitische Sprecherin Katrin Helling-Plahr WELT.
Die Liberalen im Bundestag haben dazu vergangene Woche ein Positionspapier beschlossen, das WELT vorliegt. Die darin enthaltenen Forderungen zielen darauf ab, den Kreis der potenziellen Lebendspender zu erweitern. Dabei geht es um die Transplantation von Nieren und Teilstücken der Leber, deren Spende nicht den Tod voraussetzen. Bisher ist dies in Deutschland nur zwischen Verwandten, Paaren oder Personen möglich, die sich anderweitig offenkundig nahestehen. Die FDP will nun zwei weitere Konstellationen ermöglichen. Zum einen sollen anonyme Lebendspenden aus altruistischen Gründen über sogenannte Organpools ermöglicht werden. Wer will, könnte sich dann als Spender melden – hätte aber keinen Einfluss darauf, an wen das Organ geht und erfährt dies auch nicht. „Es gibt Menschen, die sich aus altruistischen Motiven zu einer Lebendspende entscheiden möchten, um keiner spezifizierten Person, sondern einem ihnen unbekannten bedürftigen Empfänger das Leben zu retten“, heißt es dazu in dem Positionspapier.
Zum anderen fordert die FDP, dass sogenannte Überkreuz-Lebendspenden zwischen Paaren möglich sind. In der Praxis könnte das so aussehen: Frau Müller braucht dringend eine neue Niere. Ihr Mann wäre zu einer Spende bereit, hat aber nicht die richtige Blutgruppe. Das Ehepaar Schmidt hat dasselbe Problem – allerdings passen Herr Müller und Herr Schmidt jeweils als Spender für die Frau des anderen. Herr Müller könnte nun seine Niere an Frau Schmidt abgeben und Herr Schmidt an Frau Müller.
Bisher ist das in Deutschland wegen der Voraussetzung, dass sich Spender und Empfänger nahestehen müssen, nicht möglich. „Verzweifelte Paare weichen deshalb ins Ausland aus, wo es diese Anforderung nicht gibt, sie sich aber mit astronomischen Eigenkosten konfrontiert sehen“, kritisiert die FDP in ihrem Papier. Es sei „absurd, dass der deutsche Staat seine Bürger daran hindert, sich gegenseitig zu helfen“.
Darüber hinaus wollen die Liberalen das sogenannte Subsidiaritätsprinzip abschaffen. Darunter versteht man im Kontext der Organspende, dass immer erst die Möglichkeit einer postmortalen Spende geprüft werden muss, bevor eine Lebendspende möglich ist. Selbst wenn es einen willigen und passenden Spender gibt, muss zunächst nach dem Organ eines Verstorbenen gesucht werden.
Zuletzt weist die FDP auf die Möglichkeit hin, dass der Aufbau des vom Bundestag bereits beschlossenen digitalen Organspenderregisters genutzt werden könne, um ein „anonymes ‚Matchmaking‘ zwischen Lebendspendern und Empfängern“ strukturiert zu organisieren.
„Seit Jahren führen wir in Deutschland Debatten darüber, wie wir mehr postmortale Spenderorgane gewinnen können“, sagt Helling-Plahr. „Das nachweislich große Potenzial der Organlebendspende wurde stets vernachlässigt.“ In anderen EU-Staaten würden durch die Liberalisierung der Lebendspende bereits viele Leben gerettet. Beispielsweise in den Niederlanden, Spanien oder Österreich ist die Überkreuz-Spende erlaubt. „Wenn sich Menschen selbstbestimmt, aufgeklärt und aus altruistischen Motiven dazu bereit erklären, einander zu helfen, darf der Staat ihnen keine Steine in den Weg legen.“
Ende April hatte das Bundesgesundheitsministerium auf Anfrage von WELT erklärt: Man prüfe derzeit die Voraussetzungen einer Novellierung der Lebendspende „im Hinblick auf die Erweiterung des Spenderkreises“ im Sinne der Einführung der Überkreuz-Nierenlebendspende
Der grüne Koalitionspartner kommentierte eine Änderung der bestehenden Regelungen damals skeptisch. „Gesetz und Praxis müssen verhindern, dass Druck auf Angehörige oder Dritte aufgebaut wird“, sagte die stellvertretende Vorsitzende des Gesundheitsausschusses, Kirsten Kappert-Gonther (Grüne).
Die postmortale Organspende habe zu Recht Vorrang vor der Lebendspende, weil die Entnahme von Organen zu Lebzeiten mit erheblichen Gesundheitsrisiken verbunden sei. Dem Organhandel dürften nicht Tür und Tor geöffnet werden. Im Koalitionsvertrag haben die Ampel-Parteien zu Organspenden keine Vereinbarungen getroffen.
Breit debattiert wurde eine Gesetzesänderung zuletzt Anfang 2020. Dabei stand allerdings die postmortale Spende im Fokus. CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Lauterbach – damals noch einfacher Bundestagsabgeordneter – sprachen sich gemeinsam für die sogenannte Widerspruchslösung aus. Also dafür, dass Menschen einer Organspende vor ihrem Tod aktiv widersprechen müssen und ansonsten von Zustimmung ausgegangen wird. Der Bundestag lehnte den Vorschlag ab.
Ende vergangenen Jahres warteten mehr als 6600 Menschen auf eine Niere. Gespendet wurden knapp 2000 Nieren, nur ein Viertel davon machten Lebendspenden aus. Zugleich kamen mehr als 2100 neue Patienten auf die Warteliste.
Lesen Sie hier das Positionspapier der FDP-Fraktion im Original
POSITIONSPAPIER DER FDP-FRAKTION:
CHANCEN DER ALTRUISTISCHEN
ORGANLEBENDSPENDE NUTZEN – SPENDEN
AUCH IN DEUTSCHLAND ERLEICHTERN
Viele Menschen, die auf der Warteliste für eine Organtransplantation stehen, warten vergeblich.
933 postmortalen Organspendern im Jahr 2021 standen nur 869 im Jahr 2022 gegenüber -der niedrigste Wert der vergangenen fünf Jahre. Dass deutlich weniger Organe gespendet als benötigt werden, ist nicht neu. Für Menschen, deren Überleben von einem Ersatzorgan abhängt, ist oft jahrelanges Bangen die Regel. Aus Sicht der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag ist es daher richtig, dass die Frage, wie eine Erhöhung der freiwillig gespendeten Organe erreicht werden kann, den Deutschen Bundestag bereits intensiv beschäftigt hat und Strukturen in Entnahmekliniken angepasst wurden. Zusätzlich haben Parlament wie Gesellschaft umfassend über eine grundsätzliche Neuausrichtung der postmortalen Organspendepraxis diskutiert und dem Thema damit dringend notwendige Aufmerksamkeit geschaffen.
Was bisher aus Sicht der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag in der Debatte um die Erhöhung verfügbarer Spenderorgane völlig vernachlässigt worden ist, ist das enorme Potenzial der Organlebendspende. Die Regelungen des deutschen Transplantationsgesetzes setzen dieser im internationalen Vergleich sehr enge Grenzen. Das führt dazu, dass bedürftige Empfänger, die eigentlich die Chance auf ein durch einen Lebendspender gespendetes Organ hätten, hierzulande weiterhin auf den Wartelisten verharren und mit anderen Wartenden um verfügbare postmortal gespendete Organe konkurrieren müssen.
Wir wollen das nicht hinnehmen und auch in Deutschland eine Liberalisierung der altruistischen Lebendspende erreichen. Denn Lebendspenden retten Leben! Für eine Reform sehen wir mehrere Ansätze, deren Umsetzung wir vorantreiben werden.
Grundsätzliche Subsidiarität der Lebendspende abschaffen
Das im Transplantationsgesetz festgeschriebene Subsidiaritätsprinzip erfordert gegenwärtig, dass eine mögliche postmortale Spende stets der Lebendspende vorzuziehen ist – auch wenn von einer nahe stehenden Person ein Organ gespendet würde und obwohl bei der Lebendspende die Überlebensraten des Empfängers höher sind als bei der Transplantation des Organs eines Verstorbenen. Für den Empfänger muss also auch dann zunächst ein postmortal gespendetes Organ gesucht werden, wenn dieser bereits einen potenziellen Lebendspender hätte, der uneigennützig und freiwillig helfen will und das, obwohl bei Lebendspenden eine nachweislich bessere Verträglichkeit besteht. Gleichzeitig kann kein anderer Patient von dem aufgrund der postmortalen Spende zur Verfügung stehenden Organ profitieren. Wir Freie Demokraten im Deutschen Bundestag sehen diese Regelung als widersinnig an. Daher wollen wir den Grundsatz der Subsidiarität der Lebendspende ersatzlos streichen.
Überkreuz-Lebendspenden zwischen Paaren ermöglichen
Die sogenannte Überkreuzspende ermöglicht zwei Paaren die wechselseitige Transplantation, wenn sie zum Beispiel aufgrund von Blutgruppenunverträglichkeit nicht dem jeweils eigenen Partner, wohl aber dem Partner eines anderen einen Teil der Leber oder eine Niere spenden können. Deutschland hinkt anderen europäischen Ländern, was diese Möglichkeit angeht, weit hinterher, denn hierzulande erfordert das Transplantationsgesetz ein Näheverhältnis zwischen Spender und Empfänger, das bei Überkreuzspenden oft nicht besteht. Verzweifelte Paare weichen deshalb ins Ausland aus, wo es diese Anforderung nicht gibt, sie sich aber mit astronomischen Eigenkosten konfrontiert sehen. Aus Sicht der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag ist es absurd, dass der deutsche Staat seine Bürger daran hindert, sich gegenseitig zu helfen. Überkreuz-Lebendspenden retten gleich zwei Menschenleben und nehmen obendrein Druck von den ellenlangen Wartelisten. Wir wollen daher vom europäischen Ausland lernen, wo altruistischen Spendern deutlich weniger Steine in den Weg gelegt werden und die Überkreuz-Lebendspende auch in Deutschland zulassen.
Anonyme Lebendspenden in Organpools zulassen
Es gibt Menschen, die sich aus altruistischen Motiven zu einer Lebendspende entscheiden möchten, um keiner spezifizierten Person, sondern einem ihnen unbekannten bedürftigen Empfänger das Leben zu retten. Wir Freie Demokraten im Deutschen Bundestag haben größten Respekt vor einem solchen Akt des Altruismus und wollen potenziellen Spendern dabei keine Steine mehr in den Weg legen. Deshalb setzen wir uns dafür ein, die gesetzlichen Regelungen des Spenderkreises im Falle von Lebendspenden dahingehend anzupassen, dass auch eine altruistische, nicht-gerichtete Organlebendspende in einen Organpool rechtlich zulässig ist, aus dem anonym gespendete Organe an bedürftige Empfänger vermittelt werden. Vorbildhaft ist, dass derartige nicht-gerichtete Lebendspenden in Ländern wie dem Vereinigten Königreich, den Niederlanden, Spanien oder auch den USA nicht selten sogenannte Lebendspendeketten initiieren, bei denen anfangs eine solche Spende steht, in deren Folge mehrere Spender- Empfänger-Paare beteiligt sind, sodass letztendlich auch mehrere Empfänger mit einem Spenderorgan versorgt werden können.
Beteiligte umfassend schützen und Vermittlung digital gestalten
Für uns Freie Demokraten im Deutschen Bundestag steht die Rettung von Menschenleben im Zentrum dieser Forderungen. Dabei haben der verfahrensmäßige Schutz von altruistischen Lebendspendern und Empfängern sowie die wirksame Vorbeugung von Organhandel für uns höchste Priorität. Wir sind der tiefen Überzeugung, dass der altruistische Akt der Organlebendspende im Einzelfall auch ohne bestehendes Näheverhältnis oder gewünschte gegenseitige Bekanntschaft von Spender und Empfänger diese Bedingungen erfüllen kann. Insbesondere vor dem Hintergrund des bereits vom Deutschen Bundestag beschlossenen digitalen Organspenderregisters bietet sich nicht nur die Chance, Medizinern wie Angehörigen in emotionalen Ausnahmesituationen Klarheit über den Willen des Verstorbenen zu verschaffen. Auch ein anonymes „Matchmaking“ zwischen Lebendspendern und Empfängern kann aus unserer Sicht über ein solches Register strukturiert organisiert werden. Unter anderem deshalb setzen wir Freie Demokraten im Deutschen Bundestag uns nachdrücklich dafür ein, dass dieses Register schnellstmöglich in Betrieb genommen wird
Impressum: Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag, vertreten durch Johannes Vogel (V.i.S.d.P.),
Platz der Republik 1, 11011 Berlin, Tel. 030 22755088, dialog@fdpbt.de, www.fdpbt.de, Stand: Juni 2023
Mindener Tageblatt Freitag, 2. Juni 2023
Ärzte dringen auf Reform der OrganspendeMünster (epd).
Die Ärztekammer Westfalen-Lippe fordert eine Reform bei den Organspenden. Um die Zahl zu erhöhen, sei die Widerspruchslösung nötig, erklärte Ärztekammerpräsident Hans-Albert Gehle in Münster mit Blick auf den Tag der Organspende am Samstag. Das sei angesichts der langen Warteliste für ein Spenderorgan dringend notwendig.In Deutschland gilt aktuell die sogenannte Zustimmungslösung. Eine Organspende ist also nur möglich, wenn sich die Spenderinnen und Spender zu Lebzeiten ausdrücklich dafür entschieden haben oder wenn nach dem Tod die Angehörigen zustimmen. Der Transplantationsbeauftragte der Kammer, Ehrenpräsident Theodor Windhorst, kritisierte, ein Weiter-so gefährde das Leben tausender Menschen auf der Warteliste. Immer wieder seien Rückgänge bei den Spenderzahlen zu verzeichnen. „Wir brauchen dringend eine Reform der bestehenden Regelungen.“ Zudem sei die zügige Freischaltung des im Aufbau befindlichen Organspende-Registers beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte nötig.Bei der Widerspruchslösung positioniere sich ein Mensch zu Lebzeiten beim Thema Organspende und nehme so den Druck von den Angehörigen, nach seinem Tod über eine Spende entscheiden zu müssen, erklärte die Ärztekammer. In Deutschland stehen laut Ärztekammer knapp 9.000 Menschen auf der Warteliste für ein Spenderorgan.
Diatra Journal
Transplantation
Vetenskapsrådet - The Swedish Research Council
31. Mai 2023 ·
Zum ersten Mal weltweit wurde ein Kind nach einer Gebärmuttertransplantation geboren, die ausschließlich durch eine robotergestützte Operation an Spenderin und Empfängerin durchgeführt wurde.
Das Baby, ein Junge mit einer Größe von 49 Zentimetern und einem Gewicht von 3100 Gramm, wurde am Donnerstag, dem 25. Mai, durch einen geplanten Kaiserschnitt entbunden. Dem Kind und der Familie geht es gut, ebenso der Spenderin. Die Mutter ist 35 Jahre alt, und die Spenderin ist eine Verwandte.
Das Besondere an diesem Fall ist die chirurgische Methode, die bei der Transplantation selbst angewandt wurde. In diesem Fall wurden Spenderin und Empfängerin ausschließlich mittels robotergestützter laparoskopischer (Schlüsselloch-)Chirurgie - kurz "Roboterchirurgie" genannt - operiert, ohne dass ein offener chirurgischer Eingriff erfolgte.
Die Roboterchirurgie ist wesentlich weniger invasiv als die traditionelle offene Chirurgie. Bei anderen Operationen hat sich gezeigt, dass das Risiko von Infektionen und Blutungen geringer ist, wenn die Roboterchirurgie eingesetzt wird. Die operierten Patient:innen sind damit im Allgemeinen schneller wieder auf den Beinen.
Bei der Methode werden Kameras und Roboterarme mit daran befestigten chirurgischen Instrumenten durch kleine Eintrittslöcher im Unterbauch eingeführt. Die Chirurgen steuern die Roboterarme dann mit Joystick-ähnlichen Werkzeugen an Konsolen, wo sie gleichzeitig bewegliche 3D-Bilder sehen und mit großer Präzision operieren können.
Im vorliegenden Fall wurde die Transplantation im Oktober 2021 im Sahlgrenska University Hospital durchgeführt. Bei der Spenderin wurde die Gebärmutter Schritt für Schritt mit Hilfe eines Roboters befreit. Im letzten Schritt wurde die Gebärmutter von ihren Blutgefäßen gelöst und vaginal in einem laparoskopischen Pouch entfernt.
In der Empfängerin konnte dann die Gebärmutter durch einen kleinen Schnitt in das Becken der Frau eingeführt, zunächst mit den Blutgefäßen vernäht und dann mit der Scheide und dem Stützgewebe vernäht werden. Alle diese Schritte wurden von einem Roboter unterstützt.
Zehn Monate später wurde ein vor der Transplantation durch In-vitro-Fertilisation (IVF) erzeugter Embryo in die transplantierte Gebärmutter eingesetzt, und einige Wochen später wurde eine Schwangerschaft festgestellt. Die werdende Mutter fühlte sich während ihrer gesamten Schwangerschaft wohl, die nun mit einem geplanten Kaiserschnitt in der 38. Schwangerschaftswoche durchgeführt wurde.
Professorin Dr. Pernilla Dahm-Kähler, außerordentliche Professorin für Geburtshilfe und Gynäkologie an der Sahlgrenska Academy der Universität Göteborg, ist auch Gynäkologin und leitende Oberärztin am Sahlgrenska University Hospital. Als leitende Chirurgin bei der komplizierten Operation an der Empfängerin beschreibt sie die Technik: "Mit der robotergestützten Schlüssellochchirurgie können wir eine ultrafeine Präzisionsoperation durchführen. Die Technik bietet einen sehr guten Zugang, um tief in das Becken hinein zu operieren. Das ist die Chirurgie der Zukunft, und wir sind stolz und froh, dass wir die Gebärmuttertransplantation auf dieses minimalinvasive technische Niveau bringen konnten."
Niclas Kvarnström, Phd, ist der verantwortliche Transplantationschirurg des Forschungsprojekts und derjenige, der die komplizierten Blutgefäßnähte bei der Empfängerin durchführt. "Mit der robotergestützten Technik können Eingriffe durchgeführt werden, die zuvor als unmöglich galten, wenn man mit der normalen Schlüssellochchirurgie arbeitete. Es ist ein Privileg, Teil der Entwicklung in diesem Bereich zu sein, mit dem übergeordneten Ziel, das Trauma für den Patienten durch die Operation zu minimieren", sagt er.
Die Transplantation stellt eine Weiterentwicklung der Gebärmuttertransplantation dar, die 2012 in Schweden mit einer offenen Operationstechnik begonnen wurde. Die Arbeit steht unter der Leitung von Professor Dr. Mats Brännström, Professor für Geburtshilfe und Gynäkologie an der Sahlgrenska-Akademie der Universität Göteborg sowie Gynäkologe und leitender Oberarzt am Universitätsklinikum.
"Dies ist das 14. Baby, das im Rahmen des Uterustransplantationsprojekts an der Sahlgrenska Academy geboren wurde, und weitere Geburten werden in diesem Sommer erwartet. Im Rahmen des Forschungsprojekts werden kontinuierlich zahlreiche Variablen bei Spenderinnen, Empfängerinnen und Kindern nach der Gebärmuttertransplantation ausgewertet und die Operation mehrere Jahre lang nachverfolgt. All dies geschieht, um die Wirksamkeit der Operation zu maximieren und die Nebenwirkungen bei den Patientinnen zu minimieren", sagt Brännström.
Im Jahr 2014 gipfelte die Forschung in der weltweit ersten Geburt nach einer Gebärmuttertransplantation. Insgesamt fanden acht Geburten im Rahmen desselben Forschungsprojekts statt, bevor jemand außerhalb Schwedens ein Baby nach einer Gebärmuttertransplantation zur Welt brachte.
Die Forschungsgruppe hat die Methoden und die Technik durch direkten Wissenstransfer an mehrere Zentren in der ganzen Welt weiter verbreitet. Weltweit wurden schätzungsweise 90 Gebärmuttertransplantationen durchgeführt, und etwa 50 Babys wurden in der Folge geboren.
Übersetzung: DIATRA
New York – US-Kliniken haben in der Pandemie auch Patienten,
die vor ihrem Tod an COVID-19 erkrankt waren, als
Organspender akzeptiert. Eine Analyse der bisherigen
Erfahrungen im Journal of the American College of Cardiology
(2023. DOI: 10.1016/j.jacc.2023.04.022) zeigt, dass dies bei
Herztransplantationen mit einer erhöhten Sterberate verbunden
war.
Transplantationsmediziner stehen häufig vor der schweren
Entscheidung, ob sie die Organe von Menschen verwenden
sollten, die vor dem Tod an einer Infektion litten. Das Dilemma
gilt nicht erst seit der Pandemie.
Etwa 7 % aller Spender von Herztransplantaten sind mit dem
Hepatitis C-Virus (HCV) infiziert, bei etwa 10 % liegt eine
Blutstrominfektion vor. HCV-positive Spender werden
akzeptiert,
weil das Virus nicht das Herz befällt und eine Infektion der
Leber nach der Operation in der Regel gut behandelt werden
kann.
Bei COVID-19 ist die Situation anders. Zwar bleibt die Infektion
mit SARS-CoV-2 in der Regel auf die Atemwege beschränkt.
Eine Myokarditis gehört aber zu den bekannten Komplikationen
von COVID-19, und zumindest in Einzelfällen wurden mit der
Polymerase-Kettenreaktion (PCR) Virusgene im Herz von
Verstorbenen nachgewiesen. Dennoch schienen
Herztransplantationen von SARS-CoV-2 infizierten Spendern
zunächst sicher zu sein.
Clancy Mullan von der Yale School of Medicine in New Haven
konnte in einer früheren Analyse, die aber nur auf 37 Fällen
beruhte, keine Nachteile entdecken (JACC Heart Failure, 2022;
DOI: 10.1016/j.jchf.2022.08.006).
Shivank Madan vom Albert Einstein College of Medicine in New
York und Mitarbeiter kommen in einer wesentlich
umfangreicheren Analyse des „United Network for Organ
Sharing“ (UNOS) jetzt zu einer anderen Einschätzung.
Im Zeitraum von Mai 2020 bis Juni 2022 waren in den USA
27.862 Organspender auf SARS-CoV-2 untersucht worden. Bei
1.445 fiel der Test positiv aus, bei 2/3 war dies zum Zeitpunkt
der Organentnahme der Fall.
190 Herzen von aktiv infizierten Spendern (aCOV) wurden
trotzdem transplantiert. Hinzu kamen noch einmal 119
Herztransplantationen, bei denen der Spender kurz vor dem
Tod wieder einen negativen PCR-Test hatte (rrCOV). Die
Analyse von Madan beruht auf 150 Herztransplantationen von
COV-Spendern und 89 Herztransplantationen von rrCOV-
Spendern.
Die Sterberate betrug bei den Empfängern von aCOV-Spendern
13,8 % nach 6 Monaten und 23,2 % nach einem Jahr. Bei der
Verwendung von Organen nicht infizierter Spender lag die
Sterberate bei 7 % beziehungsweise 9,2 %. Damit waren die
Überlebenschancen für die Empfänger von akut infizierten
Spendern deutlich schlechter.
Madan ermittelt eine Hazard Ratio für die Sterberate nach 6
Monaten von 1,74, die mit einem 95-%-Konfidenzintervall von
1,02 bis 2,96 signifikant war. Nach 12 Monaten war die Hazard
Ratio auf 1,98 (1,22-3,22) angestiegen.
Dieser Nachteil bestand, obwohl die infizierten Organspender
etwas jünger (30 versus 32 Jahre) und häufiger männlich
waren (80,3 % versus 72,1 %).
Die adjustierten Hazard Ratios, die diese und andere
Unterschiede ausblenden, fielen mit 1,81 (1,07-3,11) nach 6
Monaten und 2,10 (1,29-3,42) deshalb noch etwas ungünstiger
aus. Das erhöhte Risiko bestätigte sich auch in einer
Propensityanalyse, die Empfänger mit gleichen Eigenschaften
gegenüberstellte.
Für die Empfänger von Organen, deren letzter PCR-Test vor
dem Tod negativ ausgefallen war, konnte Madan übrigens keine
Nachteile nachweisen, so dass eine überstandene aktive
Infektion keine Kontraindikation darstellt.
Es dürften jedoch auch weiter Organe von mit SARS-CoV-2
infizierten Spendern verwendet werden: Bei einem Patienten,
der ohne Herztransplantation nur noch eine kurze
Lebenserwartung hat, dürfte die Verwendung des Organs eines
infizierten Spenders immer noch die bessere Wahl sein. Dies
sieht auch die Deutsche Stiftung Organtransplantation so, die i
mmer zu einer Einzelfallentscheidung rät.
Die US-Transplantationsmediziner verwendeten übrigens bei 7
der 150 aCOV-Spender auch die Lungen. Dabei verließen sie
sich darauf, dass die PCR-Tests in den unteren Atemwegen
negativ ausgefallen waren. Madan macht keine Angaben zu den
Überlebensraten. © rme/aerzteblatt.de
Frankfurt am Main – Im vergangenen Jahr ist die Zahl der Organspenden und Transplantationen in Deutschland zurückgegangen. Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) analysiert in ihrem neuen Jahresbericht die Gründe.
Sehr wichtig für den Rückgang war demnach die Coronapandemie. Vor allem im ersten Quartal 2022 verzeichnete die DSO einen Rückgang von knapp 30 Prozent bei den Organspenden.
Hier spielten zwei pandemiebedingte Einflussfaktoren eine Rolle. Zum einen führte die Omikronwelle in dieser Zeit zu Überlastungen der Kliniken und zu großen Personalausfällen. Zudem war ein positiver SARS-CoV-2-Befund bis dahin noch ein Ausschlusskriterium für eine Organspende. Ab Ende Februar des vergangenen Jahres war es auch in Deutschland möglich, Organe infizierter Spender zu entnehmen.
Die Pandemie ist aber nicht der einzige Grund für den Rückgang. Sehr wichtig ist laut DSO, dass oft die Zustimmung zur Organspende fehlt. Bei den 2.387 organspendebezogenen Kontakten im Jahr 2022, die nicht zu einer Organspende führten, scheiterte die Spende 1.185 Mal an einer fehlenden Zustimmung, also in rund der Hälfte der Fälle.
Die weitere Analyse zeigt, dass bei vorliegendem schriftlichem oder mündlichem Willen der Verstorbenen eine Zustimmung in zwei Drittel der Fälle erfolgt.
„Wenn Angehörige aber allein nach ihren eigenen Wertvorstellungen entscheiden müssen, stimmen sie in rund 80 Prozent der Fälle einer Organspende nicht zu, obwohl Umfragen immer wieder die positive Einstellung der Bundesbürgerinnen und -bürger belegen“, hieß es aus der DSO.
Würden mehr Menschen ihre selbstbestimmte Entscheidung dokumentieren, könnte das aus Sicht der Stiftung also dazu beitragen, dass mehr Organe gespendet werden.
Laut dem Bericht ist auch das mediane Alter der gemeldeten Spender weiter gestiegen – von 55 auf 61 Jahre seit dem Jahr 2007.
Mit dem Alter nähmen aber auch Kontraindikationen für eine Organspende zu. „Dies erklärt, warum es trotz steigender organspendebezogener Kontakte zur DSO nicht entsprechend mehr realisierte Organspenden gab“, hieß es aus der Stiftung.
Sie empfiehlt deshalb, die Maschinenperfusion nach Organentnahme einzusetzen. Dabei werden die entnommenen Organe weiter perfundiert – dies schützt sie vor möglichen Schäden, ihre Qualität kann genauer beurteilt werden und teilweise ist sogar eine Behandlung möglich.
Besonders groß ist der Nutzen laut DSO unter anderem bei Spendern, die älter als 65 Jahre sind. Letztere machen allein ein Drittel aller Spenden aus. Diese Organe sind oftmals uneingeschränkt funktionstüchtig, laut der DSO jedoch besonders empfindlich gegenüber der gekühlten Konservierung. © hil/aerzteblatt.de
Studio in Idar-Oberstein sticht Tattoo kostenlos
Ein Organspendetattoo ist persönlich, gilt aber nicht offiziell. Das wird laut rheinland-pfälzischem Gesundheitsministerium auch so bleiben.
Chris, Gründer des Tattoostudios "Inkeria" in Idar-Oberstein, hat selbst noch keinen Organspendeausweis, unterstützt aber die Aktion der "Jungen Helden". Der Verein hat sich ein Organspendetattoo ausgedacht. Das Motiv soll zu Gesprächen über die Organspende anregen. Drei bis fünf Anfragen erhält die "Inkeria" pro Woche. Alle wollen das Organspendetattoo. Es ist gratis.
Das freut auch Kim aus Hermeskeil. Sie lässt sich in der "Inkeria" ihr Organspendetattoo stechen. "Was ist die Bedeutung deines Tattoos ist, ist ein großes Thema", erzählt sie. Seit Jahren hat Kim einen Organspendeausweis, den sie immer aktuell hält. Über das Tattoo will sie "den ein oder anderen" erreichen und die Menschen zumindest dazu bringen, sich mit der Organspende auseinanderzusetzen. "Meiner Meinung nach sollte jeder einen Organspendeausweis haben, selbst wenn er darin vermerkt, dass er nicht spenden möchte, weil dann einfach klar wird, wie steht die Person zu dem Thema."
Das Organspendetattoo zeigt einen Halbkreis, der mit einem weiteren Halbkreis zu einem vollständigen Kreis wird. Ein Symbol für das Geschenk des Lebens – die Organspende, so die Intention des Designers GARA. Die Formen bilden außerdem das Akronym für "Organ Donor". GARA ist ein in der Szene bekannter Tattoo-Artist aus Seoul, der in seiner Heimat, Berlin und New York arbeitet.
Das rheinland-pfälzische Gesundheitsministerium hat nicht vor das Tattoo in Zukunft gleichwertig wie einen Organspende-Ausweis zu behandeln. Die Willensbekundung sei bei einem Tattoo nicht vom Entscheider selbst niedergeschrieben worden, sondern von einem Dritten, so die Begründung auf SWR-Anfrage. Allein aufgrund eines Tattoos könne zudem nicht abgeschätzt werden, ob der zum Ausdruck kommende Wille überhaupt noch aktuell ist oder eine Meinungsänderung beim Verfügenden eingetreten ist, weil dieser es nicht selbst in der Hand hat, seine Willenserklärung selbst zu beseitigen.
Trotzdem begrüßt das Ministerium das Tattoo als Indiz für Angehörige, die im Notfall eine Entscheidung treffen müssen. Grundsätzlich sei es sinnvoll, Angehörige über die eigene Entscheidung für oder gegen eine Organspende zu informieren.
Auch auf Bundesebene sei nicht geplant dem Organspende-Tattoo in Zukunft eine rechtskräftige Wirkung einzuräumen, so das Gesundheitsministerium auf SWR-Anfrage. Ministeriumssprecherin Parissa Hajebi verwies zudem auf das Organspenderegister, welches die Bundesregierung ab 2024 an den Start bringen will. Dort können Personen, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, jederzeit Erklärungen zur Organspende abgeben, ändern oder widerrufen.
Eine Auskunft aus dem Register erhält ausschließlich die Person, die die Erklärung zur Organ- und Gewebespende abgegeben hat, sowie medizinisches oder pflegerisches Personal, das von einem Krankenhaus dem Register gegenüber als auskunftsberechtigt benannt wurde und welches weder an der Entnahme noch an der Übertragung der Organe der möglichen Organspenderin bzw. des möglichen Organspenders beteiligt ist, erklärt das Ministerium.
Kim rät auch davon ab, das Tattoo rechtlich bindend zu machen. Das könne Leute abschrecken: "Einen Organspendeausweis kann ich rückgängig machen." Bei einem Tattoo ginge das nicht so schnell. Chris von der "Inkeria" erinnert: "Man sollte halt drüber nachdenken, was man sich unter die Haut stechen lässt." Und das gelte auch für das Organspendetattoo.
Neue Westfälische 11.05.2023
Mindener Tageblatt 11.05.2023
Kampf für Organspenden
Vor 13 Jahren erhält Hubert Knicker ein Spenderherz. Seitdem engagiert sich der Bad Oeynhausener als ehrenamtlicher Organpate, um Mitmenschen zu einer Entscheidung zu motivieren.
Bad Oeynhausen/Rödinghausen. 8.500 Menschen warten in Deutschland aktuell auf ein Spenderorgan, weil sie schwer krank sind. Viele überleben die Wartezeit jedoch nicht, weil die Zahl der Organspender so gering ist. Auch Hubert Knicker ist vor 13 Jahren Teil dieser Liste und erlebt während der Wartezeit, wie vier seiner Mitpatienten sterben. Der Bad Oeynhausener schwört sich damals, dass er sich für das Thema Organspende einsetzen wird, wenn er Wartezeit und Transplantation überleben sollte. Dank einer rechtzeitigen Herzspende schafft er das auch und verschreibt sich der Aufklärung. Ein Engagement, das im wahrsten Sinne des Wortes vom Herzen kommt.
Als ehrenamtlicher Organpate für die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hält Knicker deutschlandweit Vorträge. „Damit möchte ich meine Dankbarkeit ausdrücken, denn ich bin nur noch deshalb am Leben, weil sich ein Mitmensch dazu entschieden hat, nach dem Tod seine Organe zu spenden“, sagt Knicker. Um auf das Thema aufmerksam zu machen, berichtet Knicker seit der erfolgreichen Transplantation mit der unermüdlichen Unterstützung seiner Frau Karin eindrucksvoll und persönlich, aber nie belehrend Zuhörern in Schulen, Kirchen, Unternehmen, Kliniken, Hochschulen und Behörden von seinem langen Weg.
„Ich möchte niemanden überreden, sondern dabei unterstützen, eine selbstbestimmte Entscheidung für oder gegen eine Organspende zu treffen, denn es gibt große Wissenslücken“, weiß Knicker. Zudem fehle oft die Bereitschaft, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. „Dann überlässt man im Ernstfall allerdings seiner Familie die Entscheidung und das ist für trauernde Angehörige sehr belastend.“ Knicker rät deshalb zu einer klaren Festlegung. „Die Entscheidung sollte man schriftlich in einem Organspendeausweis festhalten und seiner Familie mitteilen.“
Diesen Rat gibt er auch den Schülern der Klasse 10c der Gesamtschule Rödinghausen mit, in der Knicker in dieser Woche einen Vortrag hält. Der 65-Jährige erklärt die Begriffe Defibrillator, Kunstherz, Organspende und Hirntod, gewährt aber auch intime Einblicke in sein Leben. So erzählt Knicker unter anderem von dem Moment, als 1995 sein Leben aus den Fugen gerät. Der Krankenpfleger erhält damals die Diagnose Herzmuskelentzündung, ausgelöst durch eine verschleppte Virusinfektion als Folge eines Mückenstichs. „Ich war erst 37 Jahre alt und meine Frau musste sich mit dem Gedanken vertraut machen, dass wahrscheinlich nicht mehr viele Jahre hinzukommen würden.“
Lange ist Knicker gar nicht bewusst, wie krank er wirklich ist. „Ich dachte immer, dass sich die Ärzte irren, weil ich noch so jung war. Doch meine Herzleistung lag nur noch bei 30 Prozent, weshalb ich nicht mehr arbeiten und auch nicht mehr so für unseren Sohn da sein konnte wie gewohnt.“ Im Herzzentrum Bad Oeynhausen wird Knicker dann aber schnell klar, dass seine Erkrankung lebensbedrohlich ist. „Der damalige ärztliche Direktor Reiner Körfer sagte mir: ‚Knicker, Sie haben noch zwei Möglichkeiten, sterben oder Kunstherz.‘“ Zwischen Diagnose und Transplantation bestimmen Ängste, Rückschläge, starke Medikamente, Defibrillatoren und ein Kunstherz sein Leben. „Das war eine schwere Zeit, auch für meine Frau.“ Seinen jungen Zuhörern in der Gesamtschule Rödinghausen erzählt Knicker offen von dieser Zeit mit Schmerzen, Tränen und Gebeten. Die Schüler verfolgen die offenen Worte mit Spannung.
Knickers Vortrag ist Teil des Biologieunterrichts von Lehrerin Ina Kröger, die seit zehn Jahren mit dem Bad Oeynhausener zusammenarbeitet. „Die Rückmeldungen der Klassen sind immer gut, weil die Schüler so auch die Perspektive der Betroffenen kennenlernen.“ Zur Vorbereitung des Vortrags ist das Thema Organspende bereits Teil des Unterrichts. „Anfangs fragen viele Schüler, warum sie in ihrem Alter darüber sprechen müssen, doch es ist wichtig früh darüber zu sprechen, denn es kann jeden treffen und die geringe Zahl der Organspender in Deutschland ist ein Problem.“ Kröger ist deshalb froh über das Engagement Knickers. „Ich freue mich immer sehr, wenn die Schüler die Möglichkeit haben, mit ihm zu sprechen.“
Das Interesse daran ist groß, denn die Schüler stellen Knicker viele Fragen. Spüren Sie Ihr Spenderherz? Dürfen Sie Ihre Organe nach dem Tod spenden? Haben Sie Angst, dass Ihr Körper das Organ wieder abstößt? Wie finden Sie die Regel, dass Organempfänger die Familien des Spenders nicht kennenlernen dürfen? „Ich freue mich immer über viele Fragen, weil die Schüler mir damit zeigen, dass sie sich für dieses wichtige Thema interessieren. Das macht mir Hoffnung für die Zukunft“, sagt Knicker.
Kontakt zu Hubert Knicker
Hubert Knicker ist ehrenamtlich als Organpate in Deutschland unterwegs, um über das Thema Organspende aufzuklären. Wer Interesse an einem Vortrag in Schulen, Unternehmen, Hochschulen, Vereinen, Kirchen, Kliniken, Behörden oder anderen Einrichtungen hat, kann sich bei dem Bad Oeynhausener melden. Seine Kontaktdaten: hubert.knicker@web.de
Seine Erlebnisse hat Knicker auch als Buch mit dem Titel „Danke für den Rest Deines Lebens: Mein neues Leben durch ein Spenderherz und der lange Weg dahin“ veröffentlicht. Gewidmet ist es seiner Frau Karin.
Weitere Informationen: www.organpate-owl.de
04.05.2023, 13:25
In Thüringen stehen nach Angaben von Krankenkassen 265 schwerkranke Menschen auf der Warteliste der Stiftung Eurotransplant für ein Spenderorgan. Die meisten warten auf eine Spenderniere, wie der Verband der Ersatzkassen (VdEK) am Donnerstag mitteilte. Bundesweit warteten etwa 8500 Menschen auf ein dringend benötigtes Spenderorgan. Der Thüringer VdEK-Geschäftsführer Arnim Findeklee appellierte am Donnerstag an die Spendenbereitschaft der Thüringer.
Im ersten Quartal 2023 wurden laut Kassenverband in Thüringen 22 Organe von acht Spendern entnommen und über Eurotransplant an Schwerkranke bundesweit und im Ausland vermittelt. Die Stiftung ist verantwortlich für die Zuteilung von Spenderorganen in acht europäischen Ländern. Zu den Ersatzkassen gehören unter anderem Barmer, DAK und Techniker Krankenkasse.
Aktualisiert: 24.04.2023 Jürgen Stahl
Bochum. Die Zahl der Organspender ging 2022 deutlich zurück. Eine Tagung in Bochum bringt die Widerspruchslösung erneut ins Spiel. Die SPD will handeln.
Drei Jahre nach dem Beschluss des Bundestags, bei Organspenden eine sogenannte Entscheidungslösung anzuwenden, habe sich „nichts, aber auch gar nicht verbessert“. Das beklagt Prof. Richard Viebahn, Leiter des Transplantationszentrums am Knappschaftskrankenhaus Langendreer. Sein Appell, die Widerspruchslösung erneut auf die politische Agenda zu setzen, fand am Wochenende Unterstützung bei einem Aktionstag auf dem Bochumer Gesundheitscampus.
Nach jahrelangen Diskussionen hatte sich Anfang 2020 eine Abgeordnetengruppe um die heutige Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) mit dem Antrag durchgesetzt, die Information über Organspenden zu verstärken – etwa bei der Verlängerung des Ausweises oder beim Hausarzt. Ob eine Organspende erfolgen darf oder nicht, soll ab 2024 in einer zentralen Datenbank registriert werden.
Die Reform sei gescheitert, konstatiert Richard Viebahn, der sich an der Uni-Klinik in Langendreer auf die Verpflanzung von Nieren und Bauchspeicheldrüsen spezialisiert hat. Ernüchternd sei die aktuelle Bilanz der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO). Danach ist die Zahl der Spenden 2022 bundesweit um sieben Prozent gesunken: von 933 auf 869. In Nordrhein-Westfalen betrug das Minus sogar 18 Prozent.
Als eine Ursache erkennt DSO-Geschäftsführer Dr. Scott Oliver Grebe die Corona-Pandemie. Auch die Demografie spiele eine Rolle: Potenzielle Organspender werden tendenziell älter und kränker – mit den entsprechenden medizinischen Kontraindikationen.
„Der häufigste Grund, warum eine Organspende nicht erfolgt, ist aber die fehlende Einwilligung“, schildert Grebe, der mit der DSO Bindeglied zwischen den landesweit 300 „Entnahmekliniken“ und den Transplantationszentren ist. „Dabei ist auffällig, dass die Ablehnung in weniger als einem Viertel der Fälle auf einem bekannten schriftlichen oder mündlichen Willen der Verstorbenen basiert.“
Stattdessen entschieden sich Angehörige häufig aus Unsicherheit gegen eine Organspende. „Daher ist unser Appell, zu Lebzeiten eine Entscheidung zu treffen, diese etwa mit einem Spenderausweis zu dokumentieren und mit der Familie darüber zu sprechen“, betont Grebe, der am Samstag zu den Teilnehmern eines Aktionstages in der Geschäftsstelle des „Netzwerks Organspende NRW“ auf dem Gesundheitscampus zählte.
Die Gesetzesänderungen von 2020 hätten wegen der Pandemie noch nicht ausreichend Zeit gehabt, um zu greifen. „Grundsätzlich erhoffe ich mir davon in Zukunft höhere Spenderzahlen“, sagt Grebe. Gleichwohl sei er persönlich ein Anhänger der Widerspruchslösung. Dabei müssen die Bürger ausdrücklich „Nein“ sagen, wenn sie gegen eine Organentnahme nach ihrem Tod sind. Sonst werden sie automatisch zum Spender. Grebe: „Das würde zu einem Umdenken und zu einer Enttabuisierung beitragen und die Organspende ein Stück weit zur Normalität machen. Ich würde mich freuen, wenn die Politik die Widerspruchslösung noch einmal aufgreifen würde.“
Der Bochumer SPD-Bundestagsabgeordnete Axel Schäfer schließt sich der Forderung an. „Wir werden die Widerspruchslösung erneut auf die Agenda setzen“, kündigte Schäfer gegenüber der WAZ an. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach wisse er dabei an seiner Seite.
Eile ist geboten. 8500 Namen umfasst die Warteliste der Patienten, die auf ein Spenderorgan angewiesen sind: mit großem Abstand auf eine Niere (6700), gefolgt von Leber, Herz, Bauchspeicheldrüse und Lunge. „Nieren-Patienten hängen im Schnitt acht Jahre an der Dialyse, bevor ein Spenderorgan bereitsteht. Viele überleben das nicht“, sagt Richard Viebahn. Das sei „ein Armutszeugnis für Deutschland“. In Spanien, wo die Widerspruchslösung gilt, seien die Spenderzahlen fünfmal höher.
Deutschland Unionsvorschlag
Veröffentlicht am 19.04.2023
Von Kaja Klapsa
Redakteurin Innenpolitik
Wenn eine Spende an den eigenen Partner wegen der falschen Blutgruppe ausgeschlossen ist, kann eine Überkreuzspende Paaren wechselseitige Transplantationen ermöglichen. Die Union möchte auch in Deutschland diese woanders bereits praktizierte Crossover-Spende erlauben.
Nach dem Willen der Unionsfraktion im Bundestag sollen möglichst rasch in Deutschland die Voraussetzungen für die im Ausland bereits etablierte anonyme Crossover-Lebendspende geschaffen werden. So soll die Zahl von Organspenden, etwa der Niere, deutlich erhöht werden. Der Gesundheitspolitiker der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Stephan Pilsinger, sagte am Mittwochabend WELT Fernsehen: „Wir wollen ermöglichen, dass man zukünftig auch Überkreuz-Organlebendspenden machen kann. Bisher ist es nur möglich, dass man engen Angehörigen oder Personen, zu denen man eine persönliche Nähe nachweisen kann, ein Organ spenden kann.“ Die Unionsfraktion wird Pilsinger zufolge kommende Woche einen entsprechenden Antrag in den Bundestag einbringen.
Viele Menschen können ihren Angehörigen kein Organ spenden, weil etwa die Blutgruppen oder Gewebe nicht zusammenpassen. Als Alternative bleibt dann nur die Warteliste für die Organtransplantation von Verstorbenen. Allerdings beträgt die Wartezeit dort bis zu zehn Jahre, ein Teil der Patienten verstirbt vorher. 2022 standen auf der Liste 8700 Erkrankte, im Jahr zuvor waren es 6593. Dem gegenüber stehen 1992 Personen, denen 2021 eine Niere transplantiert wurde.
Pilsinger ist davon überzeugt, dass mit der Zulassung der Crossover-Organspende, die etwa in Österreich, Großbritannien, Spanien, Niederlande und den USA bereits angewandt wird, die Zahl der Lebendspenden spürbar gesteigert werden kann.
Das System funktioniert beispielhaft wie folgt: Lukas aus Hamburg möchte seiner Frau Luisa seine Niere spenden, hat aber eine andere Blutgruppe und fällt daher als Spender aus. Beide tragen sich in ihrem Krankenhaus in ein Register ein und werden mit den Daten anderer Paare abgeglichen, die vor dem gleichen Problem stehen. So finden sie ein Paar aus München, bei dem die Blutgruppe des spendewilligen Partners ebenfalls nicht mit dem seiner Frau zusammenpasst - allerdings mit der Blutgruppe von Luisa in Berlin. Anschließend kann überkreuz gespendet werden - Lukas spendet an die Münchner Ehefrau und der Münchner Ehemann spendet an Luisa.
Nach der Vorstellung von Pilsinger sollte die Überkreuz-Organspende anonym stattfinden. Dafür brauche man ein staatlich geführtes und IT-gestütztes Register, in dem möglichst viele Paare erfasst und die Daten regelmäßig abgeglichen werden. „Um so mehr Menschen in diesem Register sind, um so mehr Matches gibt es“, so Pilsinger. Deshalb sollte das Register auch mit möglichst vielen anderen Ländern vernetzt werden.
18. Apr. 2023
Spanien: Erste vollständig robotergestützte Lungentransplantation mit neuem Zugangsweg
Das Universitätskrankenhaus Vall d'Hebron in Barcelona hat einen doppelten Meilenstein auf dem Gebiet der Lungentransplantation erreicht. Zum ersten Mal wurde eine Lunge mit einer minimal-invasiven Technik transplantiert, bei der ein Roboter zum Einsatz kommt. Außerdem wurde ein neuer Zugang geschaffen, über den die kranke Lunge entfernt und die neue Lunge eingesetzt werden kann. Der neue Zugang, der nur einen acht Zentimeter langen Schnitt erfordert, wurde im unteren Teil des Brustbeins, direkt über dem Zwerchfell, angelegt. Damit ist es nicht mehr notwendig, eine große Öffnung durch Durchtrennung der Rippen und Öffnung des Brustkorbs zu schaffen, was bisher die einzige Möglichkeit war. Dieser bahnbrechende Eingriff, der an einem 65-jährigen Mann vorgenommen wurde, der aufgrund einer Lungenfibrose eine Lungentransplantation benötigte, wurde im Rahmen eines multidisziplinären Eingriffs durchgeführt, an dem Fachleute der Abteilung für Thoraxchirurgie und Lungentransplantation, der Abteilung für Anästhesie, Reanimation und Schmerztherapie, der Abteilung für Herzchirurgie und der Abteilung für Transplantationspflege beteiligt waren.
Bei der Lungentransplantation werden eine oder beide kranke Lungen durch gesunde ersetzt. Dies geschieht in der Regel bei einer Krankheit, die mit einer schweren und fortschreitenden chronischen Ateminsuffizienz einhergeht. Die ersten Lungentransplantationen wurden 1981 in Kalifornien durchgeführt. In Katalonien wird diese Art von Verfahren ausschließlich am Universitätskrankenhaus Vall d'Hebron für Kinder und Erwachsene durchgeführt. Seit Beginn des Programms wurden in Vall d'Hebron mehr als 1.556 Lungentransplantationen durchgeführt.
"Wir sind stolz darauf, heute eine bahnbrechende Technik vorzustellen, die vom katalanischen Gesundheitssystem durchgeführt wird und zur klinischen Verbesserung aller Patienten auf internationaler Ebene beiträgt", so Manel Balcells, Gesundheitsminister von Katalonien. "Wir stellen eine neue Technik in der Lungenchirurgie vor, die einen internationalen und globalen Fortschritt darstellt. Wir tun dies zusammen mit Xavier, dem ersten Patienten, der mit Hilfe der Roboterchirurgie transplantiert wurde, und mit einem neuen, weniger invasiven Zugang, der eine schnellere Genesung ermöglicht". Manel Balcells erklärt außerdem, dass Vall d'Hebron "ein Referenzzentrum für Lungentransplantation für 10 Millionen Menschen ist: Katalonien, Aragonien und die Balearen. Als öffentliches Gesundheitssystem bieten wir neue Techniken in der globalen klinischen Praxis an, die das Wohlbefinden aller Patienten verbessern".
"Das Hauptproblem bei der Öffnung des Brustkorbs bei Lungentransplantationen ist, dass es sich um einen sehr aggressiven Ansatz handelt, der zu einer sehr heiklen postoperativen Phase führt", erklärt Dr. Albert Jauregui, Leiter der Abteilung für Thoraxchirurgie und Lungentransplantation am Universitätskrankenhaus Vall d'Hebron. Um eine Abstoßung des neuen Organs oder der neuen Organe zu verhindern, müssen bei jeder Transplantation Medikamente verabreicht werden, die das Immunsystem des Patienten für den Rest seines Lebens unterdrücken. Dies bedeutet, dass das Risiko einer postoperativen Infektion immer sehr hoch ist. In einigen Fällen kommt es zu einer Infektion, und die Wunde schließt sich nicht richtig (bei der Transplantation beider Lungen ist der Schnitt etwa 30 Zentimeter lang und verläuft von einer Seite des Brustkorbs zur anderen). Wenn sich die Wunde aufgrund einer Infektion nicht schließt, muss erneut operiert werden, um die Infektion unter Kontrolle zu bringen. Wir müssen auch bedenken, dass Patienten, die eine Lungentransplantation benötigen, eine chronische Ateminsuffizienz haben und dass einfache Handlungen wie der Gang zur Toilette für diese Menschen anstrengend sein können. Aggressive Operationen, wie die herkömmliche Lungentransplantation, können daher viele negative Folgen nach sich ziehen. Doch jetzt hat sich das Paradigma geändert: Mit dieser neuartigen Operationstechnik können wir einen kleinen Teil der Haut, des Fetts und des Muskels durchtrennen, so dass eine Wunde zurückbleibt, die sich leicht schließen lässt. Das ist nicht nur viel sicherer als die herkömmliche Methode, sondern bei diesem ersten Patienten auch praktisch schmerzfrei. Dies ist ein historischer Meilenstein, von dem wir glauben, dass er das Leben von Tausenden von Patienten verbessern wird", so Dr. Albert Jauregui.
Die Fachleute der Abteilung für Thoraxchirurgie und Lungentransplantation des Universitätsklinikums Vall d'Hebron planten schon seit einiger Zeit, die Roboterchirurgie bei Lungentransplantationen einzuführen. Diese Innovation war zuvor nur einmal, allerdings in einem weniger ehrgeizigen Verfahren, im Cedars-Sinai Hospital in Los Angeles (USA) eingesetzt worden. In diesem amerikanischen Krankenhaus wurde im vergangenen Jahr erstmals die Roboterchirurgie im Rahmen einer Lungentransplantation eingesetzt, um die neue Lunge mit den Atemwegen und großen Gefäßen des Patienten zu vernähen. Der Rest der Operation wurde jedoch auf herkömmliche Weise durchgeführt, und die Lunge wurde wie üblich durch die Rippen eingeführt.
"Wir in Vall d'Hebron haben schon seit einiger Zeit darüber nachgedacht, wie wir diese sehr aggressive Operation weniger invasiv gestalten können. Wir standen jedoch immer vor dem gleichen Problem: Wir konnten keinen Weg finden, die kranke Lunge zu entfernen und die neue einzusetzen", erklärt Dr. Albert Jauregui. Er fügte hinzu: "Schließlich kam Dr. Iñigo Royo Crespo, ein Spezialist in der Abteilung für Thoraxchirurgie und Lungentransplantation, auf die Idee, einen Zugangsweg zu erforschen, der bei Operationen von Lungenkrebs und des Thymus verwendet wird, die sogenannte subxiphoide Chirurgie."
Das Xiphoid ist eine kleine knorpelige Verlängerung des unteren Teils des Brustbeins. Die Chirurg:innen machten manuell einen acht Zentimeter langen Einschnitt in die Haut unterhalb des Xiphoids und oberhalb des Zwerchfells. In das offene Loch setzten sie einen Weichteilretraktor ein: ein einfaches Kunststoffwerkzeug, das dazu dient, den Schnitt während der Operation zur Entfernung der kranken Lunge und zum Einsetzen der neuen Lunge offen und sauber zu halten. Die Haut ist hier sehr elastisch, sodass die acht Zentimeter ausreichen, damit die Lunge hindurchpasst. Dies unterscheidet sich von dem bei Transplantationen üblichen Schnitt zwischen zwei Rippen, der nicht elastisch ist. Von diesem Zeitpunkt an wurde die Operation zu 100 % robotergestützt durchgeführt: Vier Arme des Da-Vinci-Roboters wurden durch vier kleine Löcher (mit einer Breite von 8 bis 12 Millimetern) an verschiedenen Stellen des Brustkorbs eingeführt. Der Thoraxchirurg sitzt an der Konsole und bewegt die Arme des Roboters mithilfe von vier verschiedenen Steuerhebeln: Ein Hebel bewegt einen Arm, der das Herz vorsichtig von der Lunge trennt, sodass er die Entnahme oder das Einsetzen der Lunge nicht behindert; zwei Arme tragen die chirurgischen Werkzeuge wie Skalpelle und Zangen; und der vierte Arm enthält eine Kamera, die dem Chirurgen eine 3D-Ansicht des Körperinneren ermöglicht ( zur Erinnerung: Bislang wurde bei Lungentransplantationen der Brustkorb geöffnet, sodass die Operateure alles mit dem bloßen Auge sehen konnten). Der Da Vinci-Roboter ermöglicht hochpräzise chirurgische Eingriffe, da er eine hervorragende Sicht und eine größere Bewegungsfreiheit bietet. Mit dieser Technologie können minimale, präzise und weniger invasive Schnitte vorgenommen werden, wodurch die Risikofaktoren Zittern, unwillkürliche Bewegungen der Chirurgen und Ermüdung der Körperhaltung bei langen Operationen beseitigt werden.
Nachdem die Lunge des Patienten durch die Roboterarme vom Herzen getrennt worden war, wurde die kranke Lunge durch die subxiphoide Öffnung entfernt. Die neue Lunge wurde dann durch denselben Einschnitt eingeführt und mit den Roboterarmen am Körper befestigt. Auf diese Weise wurde am Universitätskrankenhaus Vall d'Hebron die erste vollständig robotergestützte Lungentransplantation durchgeführt, die einen echten Wendepunkt in der Geschichte der Lungentransplantation darstellen könnte.
Ein wichtiges Fachgebiet bei allen chirurgischen Eingriffen ist die Anästhesie. Wie Dr. Maribel Rochera, Leiterin der Abteilung für Anästhesie, Wiederbelebung und Schmerztherapie, ausführt, "überwachen diese Spezialisten den Zustand des Patienten zu jeder Zeit und halten ihn während der gesamten Operation in bestmöglichem Zustand. Da es sich um eine bahnbrechende Technik handelt, mussten wir unsere Erfahrungen sowohl mit traditionellen Transplantationen als auch mit der robotergestützten Thoraxchirurgie kombinieren, was eine Menge Teamarbeit erforderte". Carme Vallès, Leiterin der Pflegeabteilung für Transplantationskoordination, erklärt: "Diese Technik war für uns alle völlig neu. Allerdings hatten wir uns in der Pflegeabteilung schon seit einiger Zeit auf diesen Moment vorbereitet". Mit diesem Meilenstein wird "die Intensivierung der pflegerischen Betreuung im chirurgischen Prozess und die Bedeutung der Auswahl der OP-Schwester, des Perfusionisten und des Anästhesisten für die Durchführung der robotergestützten Operation deutlich: eine Herausforderung, die dank der Teamarbeit und des professionellen Konsenses erfolgreich bewältigt wurde".
Wenn die Transplantationspatient:innen den Operationssaal verlassen, werden sie immer auf die Intensivstation überwiesen, da sie dort nach einer solch komplexen Operation am besten versorgt werden. Der erste robotergestützte Lungentransplantationspatient wurde nach demselben Verfahren behandelt. Dr. Judit Sacanell, Fachärztin für Lungentransplantation in der Abteilung für Intensivmedizin, betont: "Die Rolle der Abteilung für Intensivmedizin ist von entscheidender Bedeutung für die unmittelbare postoperative Phase von Transplantationspatienten und die Behandlung möglicher Komplikationen nach der Operation. Wir hoffen, dass diese neue Technik es uns ermöglicht, die Zahl der Komplikationen im Zusammenhang mit dieser Art von chirurgischem Vorgehen zu verringern". Abschließend erklärt Dr. Carles Bravo, medizinischer Leiter des Lungentransplantationsprogramms des Krankenhauses, dass "dank dieses wichtigen Meilensteins das Lungentransplantationsprogramm in eine neue Phase der minimalinvasiven Chirurgie eintritt, die zahlreiche Vorteile für den Lungentransplantationspatienten bietet und die Ergebnisse des Lungentransplantationsprogramms verbessern wird".
Mindener Tageblatt Nr.78 Freitag, 14. April 2023
Angehörige lehnen Organspende oft ab
Eine Untersuchung der sieben Universitätskliniken in NRW zeigt, dass die wenigsten Menschen ihren Willen dokumentieren. Das belastet und verunsichert Familien sehr, mitunter kommt es sogar zu Konflikten.
Carolin Nieder-Entgelmeier.
Bielefeld.
Die Zahl der Organspender ist in Deutschland 2022 gesunken. 869 Menschen haben nach ihrem Tod Organe gespendet und damit 2.695 schwerkranken Menschen geholfen. Damit entspricht die Zahl 10,3 Spendern pro eine Million Einwohner, eine im internationalen Vergleich sehr geringe Zahl. Und das, obwohl Umfragen immer wieder zeigen, dass die große Mehrheit der Deutschen der Organspende positiv gegenübersteht. In der Realität kommt es jedoch deutlich seltener zu einer Organspende, weil die meisten Menschen ihre Entscheidung nicht dokumentieren und die Angehörigen dann dagegen votieren. Das zeigt eine Untersuchung der sieben Universitätskliniken in NRW. 71 Prozent der Deutschen, diebereits eine Entscheidung zur Organspende getroffen haben, würden ihre Organe nach dem Tod spenden. Zu diesem Ergebnis kommt eine repräsentative Befragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung im Jahr 2020. „Zu einer derart hohen Zustimmungsrate kommt es in der Realität jedoch nur, wenn die Patienten ihren Willen zur Organspende schriftlich dokumentieren, zum Beispiel mittels eines Organspendeausweises“, erklärt Intensivmediziner Friedhelm Bach, der im evangelischen Klinikum Bethel als Transplantationsbeauftragter tätig ist. Insgesamt liege die Zustimmungsrate zu einer Organspende an den Universitätskliniken Bielefeld, Münster, Düsseldorf, Essen, Aachen, Köln und Bonn mit 38 Prozent nur etwa halb so hoch wie in den Umfragen berichtet.Um der Ursache dafür auf den Grund zu gehen, haben die Transplantationsbeauftragten der Kliniken 289 Todesfälle mit Hirnschädigung genauer untersucht, die zwischen Juni 2020 und Juni 2021 an den sieben Standorten identifiziert wurden. Eine Zustimmung zur Organspende gab es in 110 Fällen, davon 30 in schriftlicher Form. „Lag die Zustimmung zur Organspende schriftlich vor, ergab sich eine Zustimmungsrate von 70 Prozent“, erklärt Studienautor Bach. „Werden alle Personen mit schriftlicher und mündlicher Willensbekundung berücksichtigt, sank die Zustimmungsrate auf 49 Prozent.“Die Untersuchung zeigt, dass die wenigsten Menschen ihren Willen dokumentieren und ihre Angehörigen darüber informieren. Lediglich 14 Prozent der potenziellen Spender, die Bach und seine Kollegen untersucht haben, hatten einen Organspendeausweis. Gemäß der Umfrage wäre das jedoch bei 44 Prozent der Bevölkerung zu erwarten gewesen. „Es besteht eine große Diskrepanz zwischen Umfrage und Wirklichkeit“, erklärt Bach.Die Ergebnisse der Studie zeigen nach Angaben des Intensivmediziners deshalb, wie wichtig es ist, dass Menschen ihren Willen zur Organspende vor ihrem Tode schriftlich dokumentieren und ihre Angehörigen darüber informieren. „Ist der Wille eines möglichenOrganspenders unbekannt, müssen die Angehörigen allein entscheiden und das ist für Menschen in der schweren Zeit des Abschiednehmens und Trauerns unglaublich schwer.“ Ein Organspendeausweis oder eine andere Form der Dokumentation entlaste Angehörige. „Denn dann ist der Patientenwille bekannt und die Angehörigen können in diesem Sinne entscheiden. Vielen Menschen spendet das Trost, weil sie wissen, dass die Organe weiterleben und anderen Menschen helfen.“ Ohne das Wissen, entscheiden sich die meisten Angehörigen nach Angaben Bachs gegen eine Organspende. „Oft aus Überforderung und Unsicherheit, weil sie nichts falsch machen möchten.“ Häufig lehnen Angehörige jedoch auch aus Überzeugung ab. „Manche begründen die Entscheidung mitreligiösen Gründen, die meisten erklären sich aber nicht und das müssen sie auch nicht.“ Ein nicht bekannter Wille kann laut Bach auch zu Konflikten in Familien führen. „Als Transplantationsbeauftragte versuchen wir dann immer einen Konsens herzustellen, damit alle Angehörigen mit der Entscheidung leben können. Gespräche sind deshalb sehr wichtig.“ In sehr seltenen Fällen kommt es nach Angaben des Intensivmediziners vor, dass sich Angehörige gegen den Willen des Patienten stellen, der sich vor seinem Tod für eine Organspende entschieden hat. „Das Vorgehen in solchen Fällen wird in der Medizin sehr kontrovers diskutiert. Es gibt Ärzte, die den Patientenwillen durchsetzen, unabhängig von der Meinung der Angehörigen. Ich würde moderater vorgehen, wenn mir Angehörige glaubhaft versichern können, dass sie mit der Entscheidung nicht leben können.“ Ziel sei jedoch grundsätzlich die Umsetzung des Patientenwillens im Konsens mit der Familie, sagt Bach.Mit Blick auf die Studie steht für die Transplantationsbeauftragten der Universitätskliniken fest, dass in Deutschland noch mal über die gesetzlichen Vorgaben zur Organspende diskutiert werden muss, weil das Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft keinen positiven Effekt auf die Organspendezahlen und die Dokumentation einer Entscheidung hat. „Ich habe den Eindruck, dass sich immer mehr Menschen mit dem Thema befassen und vor allem Jüngere dafür auch aufgeschlossen sind. Doch das reicht nicht“, erklärt Bach. „Mit der Einführung der Widerspruchslösung könnte hier sanfter Druck ausgeübt werden, weil die Bürger dann zu einer Entscheidungfür oder gegen eine Organspende gezwungen werden.“ Dafür sei jedoch eine gute Entscheidungsgrundlage nötig, weil noch immer sehr viele Fehlinformationen kursierten. „Wir müssen seriös aufklären, um Akzeptanz zu schaffen.“
Veröffentlicht: 07.04.2023, 18:29 Uhr
Düsseldorf. Die Bundesregierung hat erneut die Verzögerung beim Start des geplanten Organspender-Registers eingeräumt. Die „Rheinische Post“ berichtet aus der Antwort der Regierung auf eine Kleine Anfrage der Unionsfraktion, wonach das Register wohl erst im ersten Quartal 2024 in Betrieb gehen soll. Diese Verzögerung teilte das Bundesgesundheitsministerium bereits im Juli vergangenen Jahres mit.
Bei der Errichtung des Registers handele es sich um ein anspruchsvolles, komplexes Digitalprojekt, erläutert die Bundesregierung: „Angesichts der besonderen Sensibilität der gespeicherten Erklärungen sind hohe Anforderungen an die Datensicherheit und die Authentisierungsverfahren von Erklärenden sowie des zugriffsberechtigten Personals in den Krankenhäusern zu stellen.“
Der Unions-Gesundheitspolitiker und Hausarzt Stephan Pilsinger (CSU) warf Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach (SPD) vor, die Umsetzung des Gesetzes zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende zu verzögern. Es wurde vom Bundestag bereits beschlossen und ist am 1. März 2022 in Kraft getreten. Das Register ist darin enthalten.
„Dass Lauterbach seiner Verantwortung als Bundesgesundheitsminister nicht nachkommt, das vom Bundestag längst beschlossene Gesetz umzusetzen, gegen das er als einfacher Abgeordneter noch gestimmt hatte, riecht nach bewusster Verschleppung. Erst recht, wenn er jetzt fordert, erneut über die Widerspruchslösung zu debattieren“, sagte Pilsinger.
Der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Tino Sorge (CDU), erklärte: „Der Bundesgesundheitsminister hat den Auftrag des Parlaments, die Entscheidungslösung bei der Organspende zu stärken, offensichtlich nicht zur Chefsache gemacht.“ (KNA)
Freitag, 7. April 2023 · Nr. 83 Mindener Tageblatt
Die frohe BotschaftJana Frevert aus Lerbeck kämpft zum zweiten Mal gegen den Krebs und gibt die Hoffnung nicht auf.Mittlerweile hat sie Stammzellen ihres Bruders erhalten. Mitte April steht ein alles entscheidender Termin an.
Thomas Lieske
Porta Westfalica-Lerbeck. Hoffnung.
Sie ist im Moment Jana Freverts wichtigste Medizin. Und sie hat angeschlagen. Die 48-Jährige aus Lerbeck hat vor Weihnachten zum zweiten Mal die Diagnose Krebs erhalten. Seitdem ist viel passiert. Vieles, das Hoffnung macht.Hoffnung auf einen neuen Lebensabschnitt. An einem Montag, Ende Januar, klingelt das Telefon. „Das war ganz komisch. Ich sollte mich auf einen stationären Aufenthalt in der Klinik in Münster vorbereiten“, erinnert sich Jana Frevert. Chemotherapie, das Übliche. Sieben Tage liegt die Portanerin auf der Station und glaubt, dass alles ist wie immer. Dass sie weitere Medikamente bekommt, dass sie weiter warten muss. Warten auf die lebensrettende Stammzellenspende.Dann geht die Tür ihres Klinikzimmers auf. Vor ihr steht ihr Bruder, er hat eine frohe Botschaft. „Er kam rein und sagte, dass er der passende Spender ist“, weiß Jana Frevert noch genau.„Das war für mich die größte Überraschung. Er hat vorher nichts erzählt undich durfte ja auch keinen Besuch empfangen.“ Zu diesem Zeitpunkt hat ihr Bruder bereits Stammzellen gespendet.Die Vor-Tests sind positiv verlaufen. Der Transplantation steht nichts mehr im Weg. „Ich wusste gar nicht, was ich sagen soll. Den restlichen Tag saß ich auf meinem Bett und habe nur noch geheult. Geweint vor Glück. Gehofft hatte sie, dass sich irgendjemand unter Millionen weltweit registrierten Spendern findet. Dass es am Ende ihr eigener Bruder sein wird, der ihr zu einem neuen Lebensabschnitt verhelfen kann, war maximal ein kleiner Funken Hoffnung. „Dann ging alles ganz schnell“, erinnert sich die 48-jährige Mutter von zwei Kindern. „In der Nacht darauf habe ich wenig geschlafen. Mir ging alles durch den Kopf: Wird es jetzt besser? Schaffst du das überhaupt?“ Doch aufgeben ist für Jana Frevert keine Option, schon gar nicht so kurz vor der Transplantation.Am Mittag des 10. Februars läuft die Infusion in ihren Körper. Die Infusion, an der ihr Leben hängt. Der Krebs in ihr ist eine ebenso seltene wie aggressive Variante, die Zellen zerstört. Die Zeit rennt. Hoffnung haben selbst die Ärzte neben der Chemotherapie nur noch in diese Transplantation gesetzt. Und auch für Jana Frevert gibt es nur diese eine Option: „Ich habe Spaß am Leben. Ich will meine Kinder weiter aufwachsen sehen, ich will das Leben wieder feiern. Also muss ich jetzt kämpfen.“ Jetzt hängt alles von dieser Infusion ab. Die Stammzellen ihres Bruders gehen in das Blut über und setzen sich ins Knochenmark. Das war der Teil, den die Ärzte beeinflussen können. Für alles andere vertraut die Portanerin jetzt auf ihren Körper. Und da ist sie wieder: die Hoffnung, die sie nie aufgegeben hat. „Wenn man sich selbst aufgibt, dann hat man schon verloren.“Deshalb kämpft sie. Mit der Krankheit, mit ihrem Kopf, mit ihren Gedanken – für ihre Familie. Die ist in der Klinik die ganze Zeit bei ihr. Nicht physisch, Kontakt gibt es nur sehr begrenzt und nur durch eine Schleuse. Aber an der Wand im Krankenzimmer hat sie eine kleine Galerie kreiert. Auf den Fotos sind ihr Mann und ihre Kinder zu sehen. Und das Kaiser-Wilhelm-Denkmal. Ein Stück Heimat im sterilen Patientenzimmer. „Ich habe die Bilder ständig angeschaut und zu mir gesagt: Ich muss kämpfen, für meine Familie kämpfe ich. Ich glaube, das hat mir sehr geholfen. Und nur vor eine weiße Wand zu starren, ist ja auch nicht so prall“, sagt Jana Frevert und lacht. „Ich habe immer nach vorn geschaut und positiv gedacht in dieser Zeit.“Auch wenn ihr Sohn, ihre Tochter, ihr Mann und Hündin Nala eben nicht die ganze Zeit direkt bei ihr sein konnten. „Mal eben so Besuch zu empfangen, das war nicht drin. Mein Immunsystem muss sich jetzt von ganz unten neu aufbauen“, erzählt die 48-Jährige. Dazu kommt in den vier Wochen, die sie nach der Transplantation im Krankenhaus bleiben muss, die weite Fahrt von Porta nach Münster. Anderthalb Stunden pro Strecke, die Kinder und ihr Mann arbeiten, haben Schule, „und mir ging es auch nicht immer gut. Da wäre der Weg oft umsonst gewesen“, sagt Jana Frevert. Natürlich habe sie die Hoffnung auf ein Leben ohne Krebs nicht aufgegeben. Aber: „Da sind die guten Tage, und dann sind da andere, an denen es mir so dreckig geht, dass ich nicht mehr kann. Dann streikt der Körper.“ Die Nebenwirkungen der Therapie sind heftig. Schmerzen, Kraftlosigkeit, die Haut muss sich regenerieren. 35 Tabletten muss sie zu Anfang pro Tag einnehmen. Mittlerweile sind es noch 22.„Da gibt es natürlich viele Begleiterscheinungen, aber auf die habe ich mich ohnehin eingestellt.“ So manches Medikament verträgt sich nicht mit dem anderen. Mit fatalen Auswirkungen. „An einem Wochenende im Krankenhaus hatte ich fürchterliche Halluzinationen, weil sich das Schmerzmittel über den Diffuser nicht mit dem Mittel gegen Pilzbefall vertragen hat“, erzählt die Portanerin. Daraufhin rief sie mitten in der Nacht ihren Mann an, weil sie glaubte, von tanzenden Krankenschwestern oder anderen bedrohlichen Gestalten umgeben zu sein. „Erinnern kann ich mich daran überhaupt nicht.Das hat mir mein Mann alles erzählt.“ Dagegen sind Schmerzen, Müdigkeit und Erschöpfung nichts. Aber die nimmt die zweifache Mutter gern in Kauf. Denn die Blutwerte haben sich deutlich verbessert. Zwar erfährt sie offiziell erst am 12. April, ob die Stammzellentherapie wirklich angeschlagen hat. Doch auch vor dem alles entscheidenden Termin haben ihr die Ärzte bereits signalisiert, „dass es ziemlich gut aussieht“, freut sich Jana Frevert. Ein ziemlich sicheres Zeichen dafür, dass ihr Körper die fremden Stammzellen annimmt und damit ein komplett neues Immunsystem aufbauen kann.Und so hat sie auch nach der Rückkehr nach Hause zu kämpfen. „Die erste Woche war fürchterlich. Ich wollte mehr, war aber schlapp.Manchmal habe ich es nur vom Bett aufs Sofa geschafft, um dort weiterzuschlafen.“ Aktuell vergleichen die Ärzte ihren Körper mit dem eines Babys. „Ich fange bei Null an.Alles muss nun wieder aufgebaut werden. Und dafür brauche ich einfach Geduld.“ Und genau das, sagt Jana Frevert, sei nicht gerade ihre Stärke. Wie gern würde sie wieder die großen Runden mit Familienhündin Nala laufen. Wie gern würde sie wieder die Einkäufe erledigen, Bekannte und Freunde zu sich nach Hause einladen, arbeiten gehen. Das Leben leben, wie sie es vor der Diagnose Krebs getan hat. Dazu gehörten auch gesellige Osterfeste. Das wird in diesem Jahr anders sein. „Wir feiern in Ruhe, vielleicht gehen wir zu einem Osterfeuer.“ Da wolle sie aber Abstand halten zu den Menschen. Mund-Nasen-Schutz und ein eigenes Glas sind Pflicht – „wegen der Keime und der Infektionsgefahr“. All diese Umstände sind ihr aber egal: „Hauptsache, mal wieder unter Leute kommen“, sagt sie. Denn nach Ostern kommt wieder der Alltag. Und der findet derzeit mindestens einmal die Woche in der Klinik in Münster statt. Wo Ärzte sich ihre Blutwerte anschauen, ihre Ohren, Augen, Füße, die Haut. „Ich habe eben nicht nur einen Schnupfen, sondern mehr.Und das kann bis zu einem Jahr dauern.“ Im Moment sind es noch Arztbesuche mit viel Ungewissheit. „Ich frage mich immer: Finden die doch noch etwas?“ Am 12. April bekommt sie wohl eine Antwort. Nach Ganzkörper-CT, MRT und Knochenmarkspunktion.Der aktuelle Status ihrer Krebserkrankung, er ist also noch ein paar Tage lang ungewiss. Ihre Hoffnung darauf, dass jetzt wieder die besseren Zeiten kommen, ist dafür ungebrochen.Der Autor ist erreichbar unterThomas.Lieske@MT.de
So funktioniert eine Stammzellenspende■ Damit ein durch Krebs und die notwendigen Therapien geschwächter Körper wieder ein Abwehrsystem aufbauen und den Kampf gegen die Krankheit in Teilen selbst bestreiten kann, sind bei besonders schweren Verläufen oftmals Stammzellenspenden notwendig. Spenden darf, wer zwischen 18 und 60 Jahren alt ist. Neuregistrierungen finden allerdings nur bis zum 55. Lebensjahr statt. Stammzellen werden vor allem bei Störungen des blutbildenden Systems transplantiert.
■ Passt die DNA eines potenziellen Spenders mit der des Erkrankten so weit überein, dass eine Spende infrage kommt, gibt es mehrere Möglichkeiten, wie Ärzte für eineTransplantation an die gesunden Stammzellen kommen. In der für den Spender angenehmeren Variante können die Stammzellen direkt aus dem Venenblut gewonnen werden. Das ist heutzutage auch die deutlich öfter angewandte Methode. Dafür muss der Spende aber zuvor per Injektion mit Botenstoffen behandelt werden, die die Anzahl der Stammzellen im Venenblut erhöhen. Die Stammzellen müssen dann in einem Labor noch vom Venenblut getrennt werden. Der Vorteil an dieser Methode: Der Patient muss weder in Narkose gelegt werden noch im Krankenhaus bleiben. Experten sprechen von der sogenannten peripheren Stammzellenentnahme.
■ Eine andere Möglichkeit ist die Entnahme durch Punktion direkt aus dem Beckenkamm. Mithilfe einer speziellen Nadel werden dann zwischen einem halben und anderthalb Liter Knochenmark entnommen. Dafür ist eine Vollnarkose notwendig, zudem bleiben die Spender ein bis zwei Tage nach der Entnahme noch im Krankenhaus. Blutergüsse und vor übergehende Rückenschmerzen können die Folge sein. Auch bei dieser Methode müssen die Stammzellen vom Knochenmark separiert werden.
■ Wer Spender werden möchte, kann sich bei verschiedenen Organisationen in Deutschland registrieren lassen. Dafür gibt es zum einen Typisierungsaktionen, zumanderen können potenzielle Spender auch Testkits für zu Hause anfordern und eine Speichelprobe einschicken. Krankenhäuser lassen die Stammzellspenderkarteien laufend durchsuchen. Sollte sich dabei ein potenzieller Spender finden, wird dieser kontaktiert. Bevor es zu einer Entnahme kommt, folgen aber diverse Voruntersuchungen. Weit mehr als 100.000 Knochenmarkspender wurden so in Deutschland bereits erfolgreich vermittelt. Registriert haben sich allein in Deutschland mehr als zehn Millionen Menschen.
Eine frühere Spende hatte der Körper abgestoßen. Die Mutter einer dreijährigen Tochter aus Brandenburg möchte noch mehr Menschen zur Organspende bewegen.
Kerstin Hense
03.04.2023
Es war 0.30 Uhr, mitten in der Nacht, als das Handy von Josefine Gläsel klingelte. Eine Ärztin von der internationalen Vermittlungsstelle Eurotransplant teilte ihr mit, dass für sie ein passendes Organ gefunden worden sei. „Ich war noch völlig schlaftrunken und wusste gar nicht, wie mir geschieht“, sagt sie.
Mehr als 14 Jahre wartete Josefine Gläsel aus Dallgow-Döberitz (Brandenburg) auf eine neue Niere. Länger als andere. Erst vor kurzem meldete die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) einen bundesweiten Rückgang der Organspendezahlen um 6,9 Prozent. Die 34-Jährige erzählt in der Berliner Zeitung von ihrer unerwarteten Transplantation Anfang des Jahres, die ihr ein neues Leben schenkte.
Der rund vierstündige Eingriff war für 5 Uhr morgens geplant, erst am Abend lag sie auf dem Operationstisch, da sich das Transportteam verspätet hatte. Die Transplantation verlief erfolgreich und Josefine Gläsel konnte die Intensivstation einen Tag nach der Operation schon wieder verlassen.
„Es war wie ein Wunder, weil ich schon selbst nicht mehr daran geglaubt hatte“, sagt sie. Sie wartete seit 2009 auf ein Spenderorgan und hatte das Handy auch nachts immer vollständig geladen neben ihrem Bett liegen. Mehr als 14 Jahre, bis zum 5. Januar, fieberte sie dem Anruf vergeblich entgegen. Normalerweise beträgt die durchschnittliche Wartezeit bei Spenderorganen laut DSO zehn Jahre.
Ein Grund für die lange Wartezeit war, dass nicht jede Niere für Josefine Gläsel geeignet war und bestimmte Qualitätsmerkmale erhalten musste, da sie bereits schon einmal als Kind eine Lebendspende erhalten hatte und sich dadurch schon Antikörper gebildet hatten, die zu einer Abstoßung des neuen Organs führen konnten.
Doch auch die geringe Spendenbereitschaft und die Corona-Krise haben zur Verzögerung bei Transplantationen geführt. „Wir stehen bei der Organspende immer noch vor großen Herausforderungen“, so der medizinische Vorstand der DSO, Dr. Axel Rahmel. Auch wenn der starke Rückgang der Organspendezahlen vor allem pandemiebedingt auf die ersten Monate 2022 zurückzuführen sei und sich die Zahlen danach stabilisierten, stelle sich die Frage, warum es nicht gelinge, die Organspendezahlen zu steigern.
In Brandenburg standen laut DSO zum 31.12.2022 336 Patientinnen und Patienten aus Brandenburg auf der Warteliste für eine Transplantation, in Berlin waren es 439. Demgegenüber konnten im vergangenen Jahr 25 Organspenden in Brandenburg und 43 Organspenden in Berlin verzeichnet werden.
Josefine Gläsel musste bis zu ihrer Transplantation einen langen Leidensweg durchlaufen. „Ich kam bereits mit zu kleinen Nieren auf die Welt“, erklärt die Sachbearbeiterin der Technischen Universität Berlin. Als sie zwölf Jahre alt war, musste sie zum ersten Mal zur Dialyse. Das Verfahren funktioniert so: Das Blut wird aus dem Körper über einen Filter herausgeleitet und gereinigt und wieder in den Körper zurückgeführt. Durch diese medizinische Behandlung können Betroffene viele Jahrzehnte überleben.
Ein halbes Jahr nach der ersten Blutreinigung spendete Gläsels Großmutter ihr eine Niere. Sie war die einzige Verwandte, die als Spenderin infrage kam. Doch vier Jahre später stieß Josefines Körper das Organ wieder ab und sie war wieder abhängig von der dreimal wöchentlichen Dialyse. Die führte zu großen Einschränkungen in ihrem Alltag. „Ich verbrachte dort fünf Stunden mit An- und Abfahrt“, erzählt sie. Ihr Tagesablauf war eng getaktet. Morgens arbeiten und nachmittags bis spätabends in die Praxis. Ein spontanes Treffen mit Freunden war nur selten möglich. Auch Urlaube mussten monatelang im Voraus organisiert werden, um sicher zu gehen, dass vor Ort eine Dialyse möglich ist, sagt Gläsel.
Außerdem kamen ständig Operationen dazwischen, weil es zu Komplikationen kam, wenn sich das Bauchfell durch den Katheter wieder entzündet hatte.
Als sie vor vier Jahren schwanger wurde, musste sie neun Monate lang sogar sechsmal in der Woche zur Dialyse. „Dass ich überhaupt ein Kind bekommen habe, ist genauso ein Wunder wie meine neue Niere nach 14 Jahren“, sagt sie. Selbst ihre Ärzte hatten nicht daran geglaubt, da ihre Chance als Dialyse-Patientin schwanger zu werden, sehr gering war. Doch 2019 kam ihre Tochter Clara zur Welt.
„Ohne meinen Mann hätte ich das alles nicht geschafft“, sagt Josefine Gläsel aber auch. Sein Alltag war ebenso beeinträchtigt, da er sich mit seinen Terminen immer nach ihren Klinikbesuchen richten musste. Und sie war auch nicht so leistungsstark und hatte weniger Kraft als er. „Ich war viel schneller müde als mein Mann“, sagt Gläsel. Mit 1,51 Metern ist sie auffallend klein. Ebenfalls eine Folge der zu kleinen Nieren, denn die Organe konnten das für das Wachstum zuständige Hormon nicht produzieren.
Drei Monate nach der Operation sitzt sie bei einem Kaffee zu Hause in ihrem Wohnzimmer und zeigt stolz ihre Malereien. Seitdem sie nicht mehr zur Dialyse muss, hat sie wieder Zeit für ihre Hobbys. „Ich weiß manchmal gar nicht, was ich mit der ganzen Freizeit anfangen soll“, sagt sie und lacht. Sie freut sich so über ihr neues Leben.
Bald will sie das Ereignis mit Freunden und der Familie gebührend feiern. Auf der Terrasse hat sie Sekt und Bier kalt gestellt. Vor ihrer Transplantation durfte sie keinen Alkohol trinken und musste auch auf bestimmte Lebensmittel wie Milchprodukte verzichten. Insgesamt durfte sie nur wenig Flüssigkeit zu sich nehmen, da ihr Körper die nicht ausscheiden konnte.
Ob sie manchmal Sorge hat, dass ihr Körper das neue Organ wieder abstoßen könnte? „Ich denke da sehr positiv und versuche, mich wenig damit zu beschäftigen“, sagt sie. Manchmal kommen ihr auch Gedanken, wer wohl der Mensch war, der ihr die Niere gespendet hat und wie er ums Leben gekommen ist? In zwei Jahren hat sie die Möglichkeit, sich bei den Angehörigen mit einem Brief zu bedanken. Das will Josefine Gläsel unbedingt tun.
Josefine Gläsel ist selbst auch Organspenderin und sie wünscht sich, dass sie mit ihrer persönlichen Geschichte dazu beitragen kann, dass sich auch andere Menschen mit diesem Thema auseinandersetzen. Sie sagt: „Ich würde mich freuen, wenn sie sich wenigstens einmal intensiv damit beschäftigen. Denn jeder kann ganz plötzlich in eine ähnliche Sitation wie ich geraten.“ Sie ist dankbar über ihre neue Niere.
31.03.2023, 05:15
Bayern will mit anderen Bundesländern einen neuen Anlauf für eine für Widerspruchslösung bei der Organspende starten. Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) sagte der "Augsburger Allgemeinen" (Freitag): "Details werden gerade erarbeitet."
Bei der Widerspruchslösung kann jeder Bürger nach dem Tod Organspender werden, wenn er es nicht ausdrücklich abgelehnt hat. So könnten mehr Menschen ein lebensrettendes Spenderorgan bekommen, sagte Holetschek:. "Organspende wäre dann der Normalfall und nicht mehr der Sonderfall bei ausdrücklicher Zustimmung." Die sechs bayerischen Universitätskliniken unterstützen den Vorstoß.
Im vergangenen Jahr gab es der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) zufolge in Deutschland gerade mal 869 Organspender. Derzeit stehen in Deutschland rund 8500 Menschen auf den Wartelisten für ein Organ.
2020 hatte der Bundestag den Gesetzentwurf einer Abgeordnetengruppe um den damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Karl Lauterbach (SPD) abgelehnt. Ziel der Bundesratsinitiative ist eine erneute Abstimmung im Bundestag.
29. Mär. 2023
Pressemitteilungen
Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind bei Frauen und Männern weltweit die häufigste Todesursache. Es gibt jedoch zahlreiche Unterschiede zwischen den Herzen der beiden Geschlechter. Die neue Nachwuchsgruppe des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) von PD Dr. Claudia Crocini schaut sich diese Unterschiede auf zellulärer Ebene an. Ihr Ziel ist es, neue Regulationsmechanismen der Herzfunktion zu entdecken, um Herz-Kreislauf-Erkrankungen geschlechtsspezifischer und somit besser behandeln zu können. Sie erhält für ihre Nachwuchsgruppe 1,65 Millionen Euro in den nächsten sechs Jahren.
Männliche und weibliche Herzen sind selbst bei gesunden Menschen verschieden, etwa bezüglich der Herzfrequenz, des Stoffwechsels oder wie ihr Erbgut reguliert wird. Auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen können unterschiedlich verlaufen und das Risiko zu erkranken variiert. Trotzdem sind Frauen in klinischen Studien unterrepräsentiert und in Labor-Studien an Herzzellen wird das biologische Geschlecht selten beachtet.Dr. Claudia Crocini möchte das ändern und erforscht deshalb mit ihrer neuen DZHK-Nachwuchsgruppe an der Charité – Universitätsmedizin Berlin, wie sich männliche und weibliche Herzzellen unterscheiden. Dafür züchtet sie aus induzierten pluripotenten Stammzellen von gesunden Männern und Frauen Herzmuskel- und Bindegewebszellen, beides Zelltypen, die im Herzen vorkommen. Um die Unterschiede im Herz aufzuspüren, untersucht die Biotechnologin, wie gut sich die Herzmuskelzellen zusammenziehen können; ebenso analysiert sie Ionenströme und wie Impulse weitergeleitet werden. Außerdem schaut sie sich mit ihrem Team an, welche geschlechtsabhängigen Faktoren die Aktivität der Gene regulieren.
„Bindegewebszellen aus dem Herz von Frauen sind weniger anfällig dafür, sich krankhaft zu vermehren. Dafür finden sich Hinweise in der Fachliteratur“, sagt Crocini. So ein krankhaftes Wachstum von Bindegewebszellen tritt bei vielen Herzerkrankungen auf, so auch bei der hypertrophen Kardiomyopathie. Bei dieser Erkrankung ist die Wand der linken Herzkammer verdickt. Die hypertrophe Kardiomyopathie kann genetische Ursache haben, zum Beispiel unterschiedliche Mutationen im Myosin-Gen. Dieses Gen trägt die Information für das Protein Myosin, das zusammen mit anderen Proteinen im Herzmuskel dafür sorgt, dass er sich zusammenziehen kann.Sobald die Untersuchungen an gesunden Herzmuskelzellen abgeschlossen sind, plant Crocini Analysen an einer Zellinie von Patienten mit hypertropher Kardiomyopathie, die eine bestimmte Mutation im Myosin-Gen aufweisen. „Bei dieser Mutation sieht das Herzgewebe von Männern und Frauen anders aus. Auch aus dem Tiermodell sind Unterschiede zwischen Männchen und Weibchen bekannt“, so Crocini. Unter anderem will sie mit ihrer Gruppe herausfinden, wie Herzmuskelzellen und Bindegewebszellen miteinander kommunizieren.
Bevor sie nach Berlin kam, arbeitete Crocini als Postdoc an der University of Colorado Boulder, USA. Der Wechsel zurück nach Europa hatte auch persönliche Gründe. Denn die Reisebeschränkungen während der Corona-Pandemie erlaubten es ihr lange nicht, ihre Familie in Italien zu besuchen. Dort ist sie aufgewachsen und studierte an der Universität Florenz Biotechnologie mit den Schwerpunkten Medizin und Pharmakologie. Bereits in den USA arbeitete sie an Projekten zu Hertzmuskelerkrankungen. Mit ihren aktuellen Forschungsprojekten hofft sie, die Basis für die Entwicklung von Therapien zu legen, die Unterschiede zwischen Frauen- und Männerherzen gezielt adressieren.Wissenschaftliche Ansprechpartnerin: Dr. Claudia Crocini, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Max Rubner Center (MRC) für kardiovaskuläre-metabolische-renale Forschung, claudia.crocini(at)charite.deKontakt: Christine Vollgraf, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Deutsches Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK), Tel.: 030 3465 529 02, presse(at)dzhk.de
Intensiv wird daran geforscht, die Transplantation von Organen speziell gezüchteter Schweine auf den Menschen zu ermöglichen. Im Schweinegenom befinden sich allerdings die Genome verschiedener endogener Retroviren (PERV A, B and C), die möglicherweise Infektionskrankheiten verursachen könnten. Ein Forschungsteam des Paul-Ehrlich-Instituts hat bei der Schweinerasse (Yucatan-Miniaturschwein „Haplotyp SLA D/D“) nachgewiesen, dass das Retrovirus PERV-C vermehrungsfähig und daher infektiös sein könnte. Die Identifizierung des PERV-C-Genoms ermöglicht es jetzt, durch Gen-Editierung das PERV-C-Retrovirusgenom aus dem Genom dieser Schweine zu entfernen (Journal of Virology, 08.03.2023).
Aktuell stehen in Deutschland mehr als 8.500 Patientinnen und Patienten auf der Warteliste für eine Organspende. Organe für die Transplantation sind so knapp, dass Patientinnen und Patienten häufig sehr lange auf ein geeignetes Organ warten müssen. Um hier Abhilfe zu schaffen, wird schon lange an der Möglichkeit geforscht, speziell gezüchtete Schweine als Organspender einzusetzen. Im vergangenen Jahr 2022 wurde in den USA die erste Transplantation eines genetisch veränderten Schweineherzens auf einen Patienten vorgenommen, für den keine anderen Therapien mehr zur Verfügung standen und der auch nicht für eine reguläre Organtransplantation in Frage kam. Nach 49 Tagen kam es zu Komplikationen und nach 60 Tagen verstarb der Patient. Die Ursachen für das Organversagen werden noch untersucht.
Organtransplantation durch Tiere – Risiko durch Retroviren?
Bei der Transplantation eines Organs von einem Schwein auf einen Menschen – der Xenotransplantation – besteht das Risiko, dass endogene Retroviren des Schweins – Viren, deren Genom im Genom der Spendertiere, und zwar im Genom jeder Zelle dieser Schweine, verankert sind, – in Form vermehrungsfähiger Viruspartikel auf den Empfänger bzw. die Empfängerin übertragen werden könnten und Krankheiten hervorrufen könnten. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Betroffenen Medikamente erhalten, die das Immunsystem bremsen (Immunsuppression), um eine Organabstoßung zu verhindern. Aufgrund der Verankerung der Retrovirusgenome im Genom jeder Zelle des Schweins ist bisher eine Entfernung der Retroviren oder eine Züchtung von Spenderschweinen ohne Retrovirus-Genome nicht möglich.
Die endogenen Retroviren der Schweine werden als PERV (porzine endogene Retroviren) bezeichnet. Sie sind eng verwandt mit Retroviren, die bei Mäusen, Katzen oder Gibbonaffen Leukämien und Immundefizienzerkrankungen auslösen können. Daher wird vermutet, dass PERV nach Übertragung auf den Menschen diese Krankheiten bei diesen Menschen ebenfalls auslösen könnten.
Endogene Retroviren des Schweins (PERV) und ihr Übertragungsrisiko
Es wurde gezeigt, dass PERV zweier Klassen, PERV-A und -B, in vitro (in Zellkulturversuchen im Labor) nicht nur Schweinezelllinien infizieren können, sondern auch in der Lage sind, Zelllinien verschiedener Spezies, einschließlich des Menschen, zu infizieren und sich dort weiter zu vermehren. Die Retroviren sind polytrop. Damit könnten PERV-A und PERV-B Speziesbarrieren überwinden und möglicherweise nach Übertragung auch Menschen infizieren. Dagegen können Retroviren des Typs PERV-C hauptsächlich Schweinezellen, aber nicht menschliche Zellen infizieren. Allerdings ist in Laborversuchen beobachtet worden, dass PERV-C mit PERV-A rekombinieren kann, was zu PERV-A/C führte, welches menschliche Zellen infiziert. Im Vergleich zu den PERV-A und PERV-B vermehrt sich PERV-A/C in Zellkultur im Labor sogar besser.
Ein Schweinestamm, der für die Organspende besonders geeignet erscheint, ist eine Züchtung des Yucatan-Miniaturschweins. Die Wildtypen (Vorfahren) dieses Schweins wurden vor 60 Jahren von Yucatan, Mexiko, zur Züchtung nach Boston, USA, gebracht. Dort wurde über einige Jahre im Hinblick auf einen Einsatz der Tiere als Organspender für die Xenotransplantation die Rasse „Haplotyp SLA D/D“ generiert. Diese Züchtung besitzt weder ein voll funktionsfähiges PERV-A-, noch ein voll funktionsfähiges PERV-B-Genom, so dass keine infektiösen oder vemehrungsfähigen Retrovirus-Partikel gebildet werden. Haplotyp SLA D/D-Schweine können aber PERV-C-Genomträger sein, aber bisher ging man davon aus, dass daraus entstehende PERV-C-Retroviruspartikel nicht replikationskompetent (vermehrungsfähig) und nicht infektiös sind, sofern diese Schweine nicht mit PERV-A infiziert werden.
Ein Forschungsteam des Paul-Ehrlich-Instituts unter Leitung von Prof. Dr. Ralf Tönjes, Arbeitsgruppenleiter im Fachgebiet Transfusionsmedizin, Zelltherapie und Gewebezubereitungen, hat sich mit der Frage befasst, ob nicht doch PERV-C selbst auch selbst replikationskompetent sein könnte. Bei der Charakterisierung von PERV-C aus Zellen der Schweinerasse Haplotyp SLA D/D stellten sie fest, dass diese PERV-C in vitro durchaus replikationskompetent und infektiös sind, sich also in Zellkultur vermehren können. Dies würde ein Risiko bei Transplantationen bedeuten. Die gute Nachricht ist: Da die diese PERV-C-Genome im Schweinegenom nur einmal vorkommen, wäre ein Knock-out – ein Ausschalten dieser PERV-C-Loci – durch Genom-Editierung, d.h. die zielgerichtete Veränderung der DNA des Schweins, möglich. Damit wäre bei Organen von PERV-C-Knock-out-Schweinen des Haplotyps SLA D/D Schweinen kein Risiko der Übertragung von PERV bei der Xenotransplantation gegeben.
Die aktuellen Befunde liefern wertvolle Informationen auf dem Weg zu geeigneten Spendertieren für die Xenotransplantation. Das Paul-Ehrlich-Institut ist für die wissenschaftliche Beratung zu und die Genehmigung klinischer Prüfungen von xenogenen Arzneimitteln in Deutschland zuständig.
18/03/2023 Jerry Heiniken
In den 19080er Jahren begann die Aids-Pandemie. Diese hatte zur Folge, dass schwule Männer, die seither als besonders gefährdet für die Virusinfektion galten, kein Blut mehr spenden durften. Auch vor wenigen Monaten durften schwule Männer nur dann Blut spenden, wenn sie angaben, vorher mindestens vier Monate keinen Sex mehr mit einem Partner gehabt zu haben.
In einem Land, das sich selbst öffentlich als LGBTQ-freundlich hält, ein nicht zu glaubender Zustand. Selbst in Ungarn, einem feindlichen Land für Schwulem hab es hier schon fortschrittlichere Gesetze. Und auch unser Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach von der SPD hatte die bisherige Regelung kürzlich als „versteckte Diskriminierung“ bezeichnet.
Am vergangenen Donnerstagnachmittag hat der Bundestag das Blutspendeverbot für Männer, die Sex mit Männern haben nun endlich abgeschafft. In der verabschiedeten Gesetzesänderung des Transfusionsgesetzes steht nun explizit und im klarem Wortlaut: „Die sexuelle Orientierung darf bei der Bewertung des Risikos, das zu einem Ausschluss von der Blutspende führt, nicht berücksichtigt werden.“
Heißt also: Nur weil ein Mann Sex mit einem Mann hat, darf ihn das nicht mehr von einer Blutspende ausschließen. Das hat nun auch endlich die deutsche Bundesregierung eingesehen und umgesetzt. Zur Änderung des Transfusionsgesetzes erklärte die Grünen-Politikerin Tessa Ganserer am Donnerstag: „Fortschritt und Selbstbestimmung sind für uns nicht nur leere Worthülsen. Mit Änderung des Transfusionsgesetzes starten wir in ein queerpolitisches ereignisreiches Jahr 2023:2
Für die Grüne stünde laut Ganserer schon lange fest: „Wer Blut spendet, hilft Leben zu retten.“ Niemand dürfe hiervon ausgeschlossen werden.
Kritik an der Neuregelung gab es natürlich auch. Sowohl von der AfD als auch von der CDU. Die AfD behauptet, die Neuregelung sei eine „ideologische Entscheidung“. Der gesundheitspolitische Sprecher der Union, Tino Sorge (48), erklärte, dass man Homosexuelle natürlich nicht unter Generalverdacht stellen dürfe, dass aber der Schutz der Empfänger von Blutspenden von größter Bedeutung bleiben müsse.
Stand: 15.03.2023 |
Von Jutta Falke-Ischinger
Umfragen zeigen, dass die meisten Deutschen Organspenden positiv gegenüberstehen. Doch kaum jemand hat den nötigen Ausweis. Dabei gäbe es eine einfache Lösung, schreibt die Vorsitzende des Vereins „Leben Spenden e. V.“ in einem Gastbeitrag
Die Politik hatte sich in der letzten Legislaturperiode dieses Themas angenommen und das maßgeblich von der damaligen Grünen-Fraktionschefin Annalena Baerbock mitgestaltete Gesetz zur „Stärkung der Entscheidungsbereitschaft“ auf den Weg gebracht. Leider trat ein, was viele Kritiker von Anfang an befürchteten: Null Effekt.
Das mag zum einen an Corona liegen und der angespannten Lage in den Krankenhäusern. Zum anderen erweist sich das mit heißer Feder fabrizierte Reförmchen als der Papiertiger, als der es gestartet ist.
Demnach sollten Hausärzte und Bürgerämter über Organspende informieren, doch sind die schon heute überfordert. Ein geplantes Spender-Online-Register ist in Verzug. Selbst wenn es käme: In anderen Ländern, etwa der Schweiz, haben es weniger als zwei Prozent der Bevölkerung genutzt.
Auch für Deutschland ist es nicht realistisch anzunehmen, dass jemand, der sich nicht die Mühe macht, einen Organspendeausweis auszufüllen, sich mit Pin und TAN in ein Register einloggt. Dennoch setzt die FDP-Politikerin Katrin Helling-Plahr Hoffnungen in ein solches Instrument.
Ihre Wortmeldung in der WELT ist vor allem aber als Konter gegen Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zu verstehen, der wieder die 2020 gescheiterte Widerspruchsregel ins Gespräch brachte.
Man darf nicht Fortschritt vorgaukeln, wo in Wahrheit der Status quo ante noch unterschritten wird. Deshalb ist es höchste Zeit, mit Mythen und Falschinformationen aufzuräumen, und eine ehrliche Debatte zu führen.
Die Abgeordneten sollten damals, 2020, ihrem Gewissen folgen. Doch Mitglieder der Grünen berichteten von massiven Beeinflussungsversuchen seitens der Fraktionsführung. Die Fraktionschefin Baerbock sollte keine Niederlage erleiden.
Die Klatsche folgte parteiintern zwei Jahre später, als auf der Bundesdelegierten-Konferenz in Bonn im Oktober 2022 die Baerbocksche Scheinlösung verworfen und für die Widerspruchsregelung gestimmt wurde. Man darf gespannt sein, wie die einst so basisdemokratischen Grünen mit dieser neuen Beschlusslage umgehen.
Einer, der derzeit auch gegen die Widerspruchsregel zu Felde zieht, ist der katholische Moraltheologe Andreas Lob-Hüdepohl. Auf die Frage, ob das Widerspruchsmodell bei der Organspende Erfolg versprechend oder gar ethisch gerechtfertigt sei, sagt er zu WELT: „zweimal nein“.
Und unterschlägt, dass Widerspruchsländer deutlich höhere Zahlen vorweisen als Deutschland. Zieht man in Spanien die Organspenden ab, die nach Herz-Kreislaufstillstand (bei uns nur nach Hirntod) zustande kamen, sind die Zahlen dort immer noch dreimal höher.
Ebenso unverfroren ist Lob-Hüdepohls Behauptung, die Widerspruchslösung sei aus ethischen Gründen abzulehnen. Das Bundesverfassungsgericht sah schon 1999 die Freiwilligkeit der Organspende gegeben, sofern die Möglichkeit zum Widerspruch besteht. Ähnlich hielt es 2005 die katholische österreichische Bischofskonferenz. Oder bei uns der Nationale Ethikrat 2007.
Natürlich werden auch in Ländern mit Widerspruchsregelung ohne ausdrückliches Einverständnis der Betroffenen oder der Angehörigen keine Organe entnommen. Dabei hat ein solcher rechtlicher Systemwechsel aber nachweislich positive Effekte für die Verbindlichkeit der Abläufe in den Kliniken, weil er sie verpflichtet, in jedem Sterbefall, bei dem eine Organspende medizinisch möglich wäre, nach dem Einverständnis zu fragen.
Dies würde mindestens eine Verdopplung der tatsächlich durchgeführten Organentnahmen bewirken. Das wäre gerade in Deutschland hilfreich. Denn hier liegt die Bereitstellung von Intensivkapazitäten für die Organspende immer noch im Ermessen der mehrheitlich privaten Krankenhausträger. Und Wartepatienten haben in Deutschland leider kaum eine Lobby.
Auch hinter Lob-Hüdepohls vordergründigem Verständnis für „bedürftige Dritte“ treten – nicht untypisch für deutsche Kirchenvertreter – tiefere Ressentiments gegen die Organspende an sich zutage: Die Entscheidung dafür sei „immer auch eine Entscheidung über die Qualität des persönlichen Sterbens“. Ach ja? Seit wann kann ich entscheiden, ob ich bei einem Autounfall umkomme oder im Krankenbett einschlafe?
Die Unterstellungen gehen weiter: Man müsse wissen, „dass an die Seite der Sorge um mich als sterbenden Menschen auch die vordringlich werdende Sorge um einen transplantationsbedürftigen anonymen Dritten“ trete. Auch hier malt der Moralwächter ein Horrorszenario, das mit der Realität nichts zu tun hat.
Das Wohl Dritter steht eben nicht in Konkurrenz zum eigenen Überleben. Ärzte, die sich um das Leben des Todkranken bemühen, sind nicht dieselben, die die Interessen eines potenziellen Empfängers im Blick haben. Getrennte Ärzteteams sind zudem in den Entnahmeprozess involviert, DSO und Eurotransplant dazwischengeschaltet.
Etwa 1000 Menschen sterben in Deutschland jedes Jahr, während sie auf ein Organ hoffen. 1000 Menschen verschwinden jährlich einsam, still und meist sehr elend. Ein Sterben, das medial verblasst vor der Statistik der Corona-Toten oder der Kriegsopfer in der Ukraine.
Sich in den Chor derer einzureihen, die die schlechten Zahlen beklagen, ist zu wenig für eine solidarische Gesellschaft. Angesichts einer unentschlossenen Politik, die sich beeinflussen lässt von vermeintlich moralisch argumentierenden Bedenkenträgern, bleibt nur der Appell an jeden und jede persönlich, sich eine Meinung zur Organspende zu bilden und diese dann auch zu kommunizieren. Das ist nicht alles, aber es ist ein wichtiger Schritt.
Jutta Falke-Ischinger ist Journalistin und Vorsitzende des Vereins „Leben Spenden e. V.“ Sie gibt hier ihre persönliche Meinung wieder.
Stand: 15.03.2023 06:03 Uhr
In Deutschland sinkt die Zahl der Organspender weiter. Dabei wurde seit 2019 viel Geld investiert, um die Strukturen in den Kliniken zu verbessern. Ein Grundproblem wurde nicht angefasst.
Von Secilia Kloppmann und Matthias Pöls, MDR
Obwohl viel Geld zur Verbesserung der Strukturen investiert und finanzielle Anreize für Krankenhäuser gesetzt worden sind, sinkt die Zahl der Organspender in Deutschland weiter. 2022 hat es erneut einen Einbruch gegeben - von einem bereits niedrigen Niveau.
Damit sind die Überlebenschancen für schwer Kranke, die ein Spenderorgan benötigen, in der Bundesrepublik schlechter als etwa in Österreich, Spanien oder den USA. Insgesamt wurden in Deutschland im vergangenen Jahr nur 2662 Organe postmortal gespendet, es stehen aber rund 8500 Schwerkranke auf der Warteliste.
Dabei hatte die Bundesregierung 2019 mit der zweiten Novelle des Transplantationsgesetzes die Fallpauschalen für die Entnahmekliniken deutlich erhöht - von zuvor 5310 Euro auf nun 19.752 Euro pro Entnahme-Operation, wie aus einer Antwort des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) auf Anfrage von MDR Investigativ hervorgeht. Insgesamt vervierfachte sich auch das Gesamtbudget "Aufwandserstattung Entnahmekrankenhäuser" von 6,3 Millionen Euro im Jahr 2019 auf mittlerweile gut 23 Millionen Euro (2022).
Des Weiteren wurde die Finanzierung für bessere Strukturen zur Organspende erhöht. Durch Screeningsysteme können nun infrage kommende Patienten besser erfasst werden und eine mögliche Organspende durch Transplantationsbeauftragte an den Kliniken zeitnah mit Angehörigen besprochen werden. Auch eine effektivere Vermittlung der Organe ist so möglich. Im Jahr 2018 hatte es dafür noch pauschal 18 Millionen Euro für alle 1200 Krankenhäuser gegeben. Nun sind jährlich mehr als 40 Millionen Euro eingeplant, wie das BMG mitteilt.
Dennoch: Im europäischen Vergleich rangiert Deutschland bei den Organspenden weit hinten. In Spanien spendeten 2021 pro einer Millionen Einwohner gut 40 Menschen. In Kroatien und Portugal waren es fast 30, in Österreich mehr als 20. In Deutschland waren es hingegen nur 11,2. Im Jahr 2022 waren es dann mit 10,3 noch einmal weniger.
Der Unterschied: In vielen Nachbarländern gilt die Widerspruchslösung. Das bedeutet: Jeder ist potenziell Organspender, außer er lehnt explizit ab. In Deutschland hingegen gilt die erweiterte Entscheidungslösung. Hier muss einer Organentnahme aktiv zugestimmt werden.
Das hat Folgen: So zeigt sich etwa laut einer nicht repräsentativen, aber gewichteten Befragung des Meinungsbarometers MDRfragt unter rund 24.000 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, dass sich 51 Prozent der Befragten schwer tun, eine Entscheidung zur Organspende für einen nahen Angehörigen zu treffen. Für sich selbst finden das nur 27 Prozent schwierig.
Ein weiterer Grund: In Deutschland gelten die weltweit strengsten Bedingungen für eine Organentnahme bei der Feststellung des Hirntods, wie die Transplantationsbeauftragte des Leipziger Universitätsklinikums, Svitlana Ziganshyna, erklärt. Hier kann eine Organspende nur im seltenen Fall eines Hirntods, nach zweifacher unabhängiger Bestätigung, erfolgen. In einigen anderen Ländern ist eine Organspende auch bei einem Herz-Kreislauftod möglich - damit wären mehr Organe verfügbar. Seit Jahren schon stirbt in Deutschland etwa jeder zehnte Patient, der auf der Warteliste für ein Spenderorgan steht.
Widerspruchslösung wird erneut debattiert
Neben der Novelle des Transplantationsgesetzes im Jahr 2019 sollte das "Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende" im Jahr 2022 die Zahl der Organspenden erhöhen. Im März des vergangenen Jahres sollte ein Onlineregister für eine freiwillige Registrierung starten. Dieses soll laut Antwort des BMG an MDR Investigativ nun erst 2024 kommen. Kostenpunkt: 16 Millionen Euro. Außerdem soll künftig noch mehr Geld bereitgestellt werden. So sind dann pro Jahr zusätzlich 20 Millionen Euro für Beratungsleistungen der Hausärzte eingeplant.
Allerdings: Laut Antwort des BMG könnten die schlechten Spenderzahlen seit 2020 auch teilweise auf die Corona-Pandemie und die enorme Belastung der Kliniken zurückzuführen sein. Ebenso nahmen medizinische Kontraindikationen aufgrund des gestiegenen Alters der potenziellen Spender zu. Das Bundesministerium analysiere derzeit sehr gründlich mögliche Ursachen dieser Situation.
Aufgrund der Einbrüche der Organspenden im Jahr 2022 flammt aktuell die Debatte um die Widerspruchslösung wieder auf - unter anderem durch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. Vor drei Jahren hatte es diese Diskussion quer über alle Parteien schon einmal gegeben. Doch nach intensiven inhaltlichen Auseinandersetzungen fand die Entscheidungslösung eine Mehrheit, und es blieb beim Grundprinzip der freiwilligen Zustimmung. Dafür sollte die Organspende stärker beworben werden, wofür die Budgets erhöht worden waren.
von MDRfragt-Redaktionsteam
Stand: 15. März 2023, 05:00 Uhr
Angesichts stark rückläufiger Zahlen bei Organspenden spricht sich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach für eine Neuregelung aus: Er plädiert für die sogenannte Widerspruchslösung. Beim Großteil der MDRfragt-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer stößt das auf ein positives Echo, wie die aktuelle, nicht repräsentative, aber gewichtete Befragung zeigt. Mehr als 24.000 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben dabei ihre Meinung eingebracht.
Die überwiegende Mehrheit der Befragungsteilnehmenden wünscht sich, dass die Widerspruchslösung eingeführt wird.
Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern liegt Deutschland bei den Organspendezahlen weit hinten. Während bei uns auf eine Million Menschen etwa zehn Spenderinnen und Spender kommen, sind es etwa in Frankreich, Italien oder Österreich rund doppelt, in Spanien sogar rund viermal so viele.
Das könnte unter anderem daran liegen, dass in diesen Ländern die sogenannte Widerspruchslösung gilt: Menschen, die zu Lebzeiten einer Organspende nicht aktiv widersprechen, werden automatisch zu Spenderinnen und Spendern. Die Widerspruchslösung trifft in der MDRfragt-Gemeinschaft auf große Zustimmung: Zwei Drittel würden sie begrüßen, ein Drittel lehnt sie ab.
Die Zahl der Organspenderinnen und -spender in Deutschland ist im vergangenen Jahr um fast sieben Prozent zurückgegangen – das hat die Deutsche Stiftung Organtransplantation jüngst gemeldet. Die Mehrheit der MDRfragt-Mitglieder, die sich an der Befragung beteiligt haben, hat für die vergleichsweise niedrige Spendenbereitschaft in Deutschland kein Verständnis. 40 Prozent können es verstehen.
"Ich wäre selbst glücklich, bei Bedarf ein Spenderorgan zu erhalten" – das ist der am häufigsten genannte Grund, der in den Augen der MDRfragt-Teilnehmenden für eine Organspende spricht: 65 Prozent haben das angegeben. Auch, dass Organspenden dringend benötigt werden, wurde häufig genannt (55 Prozent). Und für jeden Zweiten ist ein wichtiges Argument, mit einer Organspende anderen helfen zu können. Elf Prozent haben hingegen angegeben, dass für sie kein Grund für eine Organspende spricht.
Wir wollten von den MDRfragt-Teilnehmenden auch wissen, was in ihren Augen möglicherweise gegen eine Organspende sprechen könnte – unabhängig davon, wie sie für sich selbst entschieden haben. Dabei haben vier von zehn angegeben, dass es ihrer Meinung nach keinen Grund gegen eine Organspende gibt. Bei mehr als jedem Dritten besteht die Sorge vor Missbrauch, jeder Fünfte zweifelt zudem an, dass ein festgestellter Hirntod immer endgültig ist. 13 Prozent empfinden es als negativ, dass sie keinen Einfluss darauf haben, wer das Organ empfängt.
70 Prozent der MDRfragt-Mitglieder, die sich an der Befragung beteiligt haben, haben bereits für sich persönlich entschieden, ob sie einer Organspende zustimmen oder diese ablehnen. Bei einem Viertel ist diese Entscheidung noch nicht gefallen.
Drei Viertel derer, die bereits eine Entscheidung zum Thema Organspende getroffen haben, haben diese auch schriftlich festgehalten – die deutliche Mehrheit davon in einem Organspendeausweis (62 Prozent). Rund ein Viertel hat dies hingegen nicht getan.
Wenn der Wille der verstorbenen Person nicht bekannt ist, müssen oftmals die Angehörigen entscheiden, ob sie einer Organspende zustimmen oder diese ablehnen. Das würde den MDRfragt-Teilnehmenden deutlich schwerer fallen, als für sich selbst zu entscheiden.
Über diese Befragung Die Befragung vom 30.01. - 02.02.2023 stand unter der Überschrift: Organspende – eine schwere Entscheidung?Insgesamt sind bei MDRfragt 64.636 Menschen aus Mitteldeutschland angemeldet (Stand 02.02.2023, 14.30 Uhr).24.580 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben online an dieser Befragung teilgenommen.Verteilung nach Altersgruppen:16 bis 29 Jahre: 364 Teilnehmende30 bis 49 Jahre: 3.648 Teilnehmende50 bis 64 Jahre: 10.128 Teilnehmende65+: 10.440 TeilnehmendeVerteilung nach Bundesländern:Sachsen: 12.652 (52 Prozent)Sachsen-Anhalt: 5.956 (24 Prozent)Thüringen: 5.972 (24 Prozent)Verteilung nach Geschlecht:Weiblich: 11.964 (49 Prozent)Männlich: 12.557 (51 Prozent)Divers: 59 (0,2 Prozent)Die Ergebnisse der Befragung sind nicht repräsentativ. Wir haben sie allerdings in Zusammenarbeit mit dem wissenschaftlichen Beirat nach den statistischen Merkmalen Bildung, Geschlecht und Alter gewichtet. Das heißt, dass wir die Daten der an der Befragung beteiligten MDRfragt-Mitglieder mit den Daten der mitteldeutschen Bevölkerung abgeglichen haben.Aufgrund von Rundungen kann es vorkommen, dass die Prozentwerte bei einzelnen Fragen zusammengerechnet nicht exakt 100 ergeben.
Westfalen - Blatt 14.03.2023
Westfalen-Blatt Nr. 63
Islamabad (dpa).
In Pakistan haben Behörden eine Gruppe von Organhändlernin der Millionenstadt Rawalpindi nahe der Hauptstadt Islamabad festgenommen.
Wie Polizei und Gesundheitsbehörde am Dienstag mitteilten, wurden die Verdächtigen bei einer Razzia in einer versteckten Klinik aufgefunden. Unter den mindestens zehn festgenommenen Menschen sollen Ärzte und Krankenschwestern sein, außerdem mutmaßlich Spender und Empfänger der Organe. Die Ermittlungen dauern an.Das Netzwerk ist den Angaben zufolge in der Provinz Punjab an der Grenze zu Indien aktiv. Dort suchten Mitglieder mögliche Organspender auf, teilten die Behörden mit. Die meisten Käufer würden aus arabischen Staaten, einige aber auch aus Europa stammen. „Wir versuchen, sie alle zu schnappen“, sagte Hassan Akhtar von der zuständigen Gesundheitsbehörde.
Für eine Transplantation vorgesehene Lebern werden derzeit gekühlt zwischen Kliniken transportiert. Dabei und vor allem bei der anschließenden Erwärmung kann das Organ irreversibel geschädigt werden. Eine Alternative ist die maschinelle Perfusion bei Körpertemperatur, bei der auch eine Sauerstoffversorgung erfolgt. Das Institut für Rettungsingenieurwesen und Gefahrenabwehr der TH Köln hat mit Partnern aus Wirtschaft und Forschung ein Konzeptgerät für ein neuartiges, kompaktes Transportsystem entwickelt, das auf dieser Technologie basiert.
Derzeit werden entnommene Lebern für den Transport in der Regel in speziellen Boxen mit Eis auf vier Grad Celsius gekühlt. „In dieser Phase findet keine Durchblutung statt. Die Erwärmung des nicht durchbluteten Organs vor dem Verpflanzen in den Empfänger stellt ein Risiko für die Organfunktion dar. Diesem Problem begegnen wir mit unserem Konzept“, sagt Prof. Dr.-Ing. Ompe Aimé Mudimu vom Institut für Rettungsingenieurwesen und Gefahrenabwehr der TH Köln. Denn mittels maschineller Perfusion kann ein Organ außerhalb eines Körpers bei 37°C durchblutet und mit Sauerstoff versorgt werden. So ist es zudem möglich, das Organ über eine längere Strecke zu transportieren und in einem größeren Umkreis nach bestmöglich geeigneten Empfänger*innen zu suchen.Umfangreiche Technik auf kleinem RaumDas im Projekt DeLiver entstandene Konzept einer Transportbox misst 53 x 69 x 36 cm und wiegt rund 20 Kilogramm. Eingebaut sind eine Halterung für die Leber und ein Peristaltikpumpe, die Blut oder eine Ersatzflüssigkeit schonend und unter physiologischen Bedingungen durch das Organ pumpt. Dabei lässt sich die Temperatur in der Box stufenlos zwischen acht und 37 Grad Celsius einstellen, so dass die Entnahmeteams je nach Zustand des Organs die passende Temperatur wählen können. Auch die Durchflussgeschwindigkeit ist variabel.Da das Organ während des Transports permanent durchströmt wird und somit Sauerstoff und Nährstoffe erhält, besteht die Möglichkeit, Organschäden deutlich zu verringern. Ein Spritzenpumpensystem ermöglicht zudem die Zugabe von Medikamenten, die zur Aufrechterhaltung der Organfunktion notwendig sind und für jedes Organ individuell angepasst werden müssen. Durch die integrierte Messtechnik ermittelt das System permanent den aktuellen Sauerstoffverbrauch des Organs. Diese und weitere Messergebnisse sollen es den Transplantationsteams ermöglichen, den Zustand der Spenderleber zu beurteilen und ihr Vorgehen entsprechend anzupassen.Funktionsfähigkeit getestet, Optimierung erforderlich„Ziel unseres Projekts war der Proof of Concept, der uns gelungen ist. Wir konnten die Funktionsfähigkeit aller Komponenten und deren Zusammenspiel mit einem Versuchsstand nachweisen. Aus ethischen Gründen war uns eine Erprobung mit einer menschlichen Leber allerdings nicht möglich“, sagt Projektmitarbeiter Tobias Gleibs. Für die Marktreife müssten Konzept und Design in Folgeprojekten optimiert und klinische Tests durchgeführt werden.Das Forschungsprojekt DeLiver wurde von August 2019 bis Oktober 2022 durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz im Rahmen des Förderprogramms Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) gefördert. An der TH Köln waren das Institut für Rettungsingenieurwesen und Gefahrenabwehr sowie das Institut für Anlagen- und Verfahrenstechnik beteiligt. Die Projektpartner waren die senetics healthcaregroup GmbH und Co. KG (Projektkoordination), die AC Aircontrols GmbH und die HepaNet GmbH.Die TH Köln zählt zu den innovativsten Hochschulen für Angewandte Wissenschaften. Sie bietet Studierenden sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus dem In- und Ausland ein inspirierendes Lern-, Arbeits- und Forschungsumfeld in den Sozial-, Kultur-, Gesellschafts-, Ingenieur- und Naturwissenschaften. Zurzeit sind rund 25.000 Studierende in etwa 100 Bachelor- und Masterstudiengängen eingeschrieben. Die TH Köln gestaltet Soziale Innovation – mit diesem Anspruch begegnen wir den Herausforderungen der Gesellschaft. Unser interdisziplinäres Denken und Handeln, unsere regionalen, nationalen und internationalen Aktivitäten machen uns in vielen Bereichen zur geschätzten Kooperationspartnerin und Wegbereiterin.Kontakt für die MedienTH KölnReferat Kommunikation und MarketingPresse- und ÖffentlichkeitsarbeitChristian Sander0221-8275-3582pressestelle@th-koeln.de
Die CCTA bietet klare Vorteile für Betroffene und kann invasive Diagnoseverfahren wie die Koronarangiografie mittels Linksherzkatheter ersetzen. Stellungnahmen bitte bis 17.03.2023.
Der Gemeinsame Bundesausschusses (G-BA) hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) damit beauftragt, die Computertomografie-Koronarangiografie (CCTA) bei Verdacht auf eine chronische koronare Herzkrankheit bei Patientinnen und Patienten nach einer Basisdiagnostik zu bewerten. Vorläufiges Ergebnis: Die CCTA bietet klare Vorteile für Betroffene und vor allem erspart sie den Einsatz von wesentlich risikoreicheren und invasiven Diagnoseverfahren wie der Koronarangiografie mittels Linksherzkatheter (ICA).Stellungnahmen zum Vorbericht sind möglich bis zum 17.03.2023.Eindeutige Diagnose ist bei KHK essenziellDie chronische ischämische Herzkrankheit oder koronare Herzkrankheit (KHK) ist die häufigste Todesursache in Deutschland. Ursache dafür sind Einlagerungen in den Herzkranzgefäßen (Arteriosklerose), die zu einer Minderdurchblutung des Herzens führen können mit Brustschmerz und Engegefühl (Angina Pectoris). Um eine chronische KHK sicher zu erkennen, ist eine eindeutige Diagnosestellung unverzichtbar.Funktionelle Verfahren wie die Stress-Echokardiografie oder das Belastungs-EKG weisen die Folgen von verengten Blutgefäßen für die Durchblutung des Herzmuskels nach. Dagegen zeigen morphologische Verfahren wie die CCTA und die ICA Stenosen direkt an, wobei die ICA als Goldstandard für die Diagnose einer chronischen KHK gilt. Bei unklarem Ergebnis können die beiden Verfahren um eine funktionelle Messung der fraktionellen Flussreserve (FFR) ergänzt werden – invasiv während der ICA oder mit Computertomografie (CT) nach einer CCTA. Im Falle der CCTA kann ergänzend auch eine funktionelle CT-basierte Messung der Durchflussrate im Herzen (Myocardial Computed Tomography-derived Perfusion = CTP) erfolgen.Die Nationale VersorgungsLeitlinie „Chronische KHK“ und die entsprechende Leitlinie der European Society of Cardiology zur Diagnose und zum Management der chronischen Koronarsyndrome empfehlen – abgesehen von der CTP – alle bisher genannten nicht invasiven Verfahren, abhängig von vorangegangenen Tests, Alter, Geschlecht und Symptomatik sowie Risiken (z. B. Strahlenexposition) oder auch der Geräteausstattung und Expertise vor Ort. In der aktuellen Leitlinie des National Institute for Health and Care Excellence NICE wird bei neu auftretendem Brustschmerz und Verdacht auf KHK die CCTA als primäres Diagnoseinstrument empfohlen.Mehr Nutzen und weniger Schaden für Patientinnen und PatientenDas IQWiG geht für die Nutzenbewertung zwei grundlegenden Fragen für Patientinnen und Patienten nach, bei denen nach der Basisdiagnostik ein Verdacht auf eine chronische KHK besteht:Ziel 1 ist die Nutzenbewertung von Diagnosestrategien mit einer CCTA im Vergleich zu Diagnoseverfahren mit dem gleichen Ziel, aber ohne Einsatz der CCTA. Das vorläufige Fazit: Grundsätzlich bietet eine Diagnosestrategie mit CCTA klare Vorteile im Vergleich zu funktionellen Verfahren (z. B. Belastungs-EKG oder Stress-Echokardiografie), denn invasive Diagnostik, die nur zum Ausschluss einer chronischen KHK dient, wird danach seltener eingesetzt. Und es gibt Anzeichen, dass auch weniger Herzinfarkte auftreten. Nachteile zeigen sich langfristig nur bei instabiler Angina Pectoris (unregelmäßigem Thoraxschmerz mit Engegefühl).Studien, die die CCTA als Alternative für Patientinnen und Patienten untersuchen, für die bereits eine ICA vorgesehen war, zeigen den Vorteil des CT-basierten Verfahrens noch deutlicher: Hier sinkt der Umfang an verzichtbarer invasiver Diagnostik stark und ein dadurch reduzierter Schaden lässt sich direkt an der Zahl der Patientinnen und Patienten mit schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen im zeitlichen Zusammenhang mit der Diagnostik erkennen.Ziel 2 umfasst die Nutzenbewertung von Diagnosestrategien mit einer CCTA und mit der Option einer zusätzlichen CT-basierten funktionellen Beurteilung des Blutdurchflusses durch das Herz im Vergleich zu diagnostischen Strategien (ggf. auch CCTA) ohne diese zusätzliche Option. Dazu liegen Studienergebnisse zu zwei unterschiedlichen funktionellen Verfahren als mögliche Ergänzung der CCTA vor: die CT-basierte Messung der fraktionellen Flussreserve (CT-FFR) und die CT-basierte Messung der myokardialen Perfusion (CTP), d. h des Blutdurchflusses durchs Herz.Sowohl die CT-FFR als auch die CTP tragen als optionale Ergänzung zur CCTA dazu bei, unnötige invasive Diagnostik zu vermeiden. Da die rein softwarebasierte CT-FFR nicht mit zusätzlichen direkten Risiken einhergeht, überwiegen hier in Kombination mit einer CCTA die Vorteile gegenüber einer CCTA allein. Dies gilt nicht für die CTP, die mit einer Kontrastmittelinjektion verbunden ist, also mit zusätzlicher Strahlenbelastung und damit zusätzlichem Schadensrisiko.Zum Ablauf der BerichterstellungDen Berichtsplan für dieses Projekt hatte das IQWiG im Juli 2022 veröffentlicht. Stellungnahmen zum Vorbericht werden nach Ablauf der Frist ab dem 17.03.2023 gesichtet. Sofern sie Fragen offenlassen, werden die Stellungnehmenden zu einer mündlichen Erörterung eingeladen.
https://www.iqwig.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilungen-detailseite_88772.html
14.02.2023
Angehörige wissen im Todesfall oft nicht, ob die oder der Verstorbene Organe spenden wollte. Wie Sie Ihr Ja oder Nein am besten dokumentieren.
Das Thema Organspende ist wichtig, aber es verunsichert auch. Die Mehrheit in Deutschland hat laut Umfragen eine positive Einstellung dazu. Dennoch gibt es ein Unbehagen, sich tatsächlich schriftlich festzulegen, zum Beispiel mit einem Ja in einem Organspendeausweis. Die eigene Sterblichkeit und die Beschäftigung mit der Weitergabe oder Verwendung der eigenen Organe wird eher verdrängt. Manche zweifeln an der Transplantationsmedizin. Ihre Sorge: Sie könnten im Falle einer Zustimmung vorzeitig für tot erklärt werden. Andere lehnen eine Organentnahme aus religiösen oder ethischen Gründen ab. „Ich hätte nichts dagegen“, sagt dafür Alexander Schulz. „Sollten Ärzte nach meinem Tod mit meinen Organen etwas anfangen können und damit Leben retten: Warum nicht?“
Einen Organspendeausweis hat der 25-jährige Physiotherapeut aus Berlin jedoch nicht. Genauso wenig wie die 60-jährige Jill Denton, gebürtige Britin und Übersetzerin, die in Deutschland lebt und ihre Organe spenden würde. Doch ihren Papier-Organspendeausweis hat sie kürzlich ins Altpapier gelegt: „Er war locker 15 Jahre alt, kaum noch lesbar und vielleicht sogar nicht mehr gültig. Ich dachte, ich müsste mich neu informieren, kam aber leider noch nicht dazu.”
Schriftlich festlegen. Ärzte benötigen Ihr schriftliches Einverständnis für eine Organentnahme oder eine Zustimmung Ihrer Angehörigen. Damit alle Beteiligten wissen, wie Sie zu einer Organentnahme stehen, sollten Sie in einem Organspendeausweis, einer Patientenverfügung oder auf einem Blatt Papier Ihr Ja oder Nein dokumentieren.
Beraten lassen. Sprechen Sie Ihre Hausärztin oder Ihren Hausarzt auf eine Beratung zur Organ- und Gewebespende an. Ein ergebnisoffenes Beratungsgespräch ist für Versicherte ab 14 Jahren eine Kassenleistung und alle zwei Jahre möglich.
Angehörige informieren. Ihnen nahe stehende Menschen sollten wissen, wie Sie zu einer Organspende stehen. Reden Sie darüber, damit Angehörige im Todesfall in Ihrem Sinne entscheiden.
Schulz und Denton gehören zu den rund 84 Prozent der Bevölkerung, die nach Umfragen dazu bereit sind, nach ihrem Tod Organe und Gewebe schwer kranken Menschen zur Verfügung zu stellen, um deren Lebensqualität zu verbessern und ihnen eine zweite Lebenschance zu geben. Doch sie haben nichts Schriftliches, weil es umständlich ist oder Informationen fehlen. Nur 44 Prozent haben per Organspendeausweis, einer Patientenverfügung oder in beiden Dokumenten Ja gesagt, 13 Prozent sich schriftlich dagegen entschieden.
Ohne ausdrückliche Einwilligung wird in Deutschland niemand Organspenderin oder -spender. Das ist gesetzlich geregelt, die sogenannte Entscheidungslösung. Ein zu Lebzeiten erklärtes schriftliches Ja auf einem Organspendeausweis oder der Patientenverfügung – unabhängig vom Zeitpunkt der Unterschrift – reicht aus, damit Ärzte nach der Feststellung des Todes Organe entnehmen dürfen. Hat eine Patientin oder ein Patient nichts festgelegt, befragen Ärzte auf der Intensivstation die Angehörigen oder in einer Vorsorgevollmacht dafür Bevollmächtigte, die stellvertretend für den Patienten entscheiden. Wie Ärzte diese Gespräche mit Angehörigen führen, erklärt Oberarzt Dr. Farid Salih von der Charité Berlin im Interview.
Das Problem in der Praxis: „Angehörige wissen oft nicht, was die oder der Verstorbene gewollt hätte“, sagt Axel Rahmel, medizinischer Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation. Im Jahr 2022 gab es bei der Hälfte der möglichen Organspender keine Zustimmung aus folgenden Gründen:
Knapp 25 Prozent der Verstorbenen hatte sich zu Lebzeiten schriftlich oder mündlich gegen eine Organspende ausgesprochen.
Rund 40 Prozent der Angehörigen lehnten eine Organentnahme aufgrund des vermuteten Willens des Patienten ab.
35 Prozent der Angehörigen lehnten aufgrund eigener Wertvorstellungen eine Entnahme ab.
Wer bereit ist, Organe zu spenden, sollte dies schriftlich tun. Auf einem Organspendeausweis kann die Zustimmung mit einem „Ja“ dokumentiert werden. Ebenso kann dort ein „Nein“ angekreuzt werden. Mit Datum und Unterschrift ist die Entscheidung für Ärzte bindend. Den festgelegten Willen des Verstorbenen oder der Verstorbenen müssen Ärzte beachten. Wichtig ist, den Organspendeausweis immer mit sich zu führen, zum Beispiel im Geldbeutel. Der Ausweis ist im Ernstfall möglicherweise der einzige schriftliche Beleg für die Spendebereitschaft des Verstorbenen.
In vielen Patientenverfügungen können Menschen festlegen, ob sie bereit sind, Organe zu spenden oder nicht. Eine Patientenverfügung schließt eine Organspende nicht automatisch aus. Oft legen Menschen in einer Patientenverfügung fest, in bestimmten Krankheitssituationen am Lebensende auf intensivmedizinische Maßnahmen zu verzichten. Jedoch können Ärzte bei einer eindeutigen Zustimmung zur Organspende ausnahmsweise für den Fall, dass eine Organspende medizinisch in Frage kommt, kurzfristig (Stunden bis höchstens wenige Tage) intensivmedizinische Maßnahmen durchführen, um den Hirntod zu bestimmen und Organe entnehmen zu können.
Wichtig ist auch, mit Angehörigen und derjenigen Person über die eigene Einstellung zur Organspende zu sprechen, die in einer Vorsorgevollmacht für die Gesundheitssorge bestimmt ist. Die bevollmächtigte Person und Angehörige können Ärzten im Ernstfall dann den Wunsch übermitteln – für den Fall, dass keine schriftliche Aussage vorliegt.
Der medizinisch-rechtliche Rahmen für eine postmortale Organspende ist in Deutschland klar geregelt. Der unumkehrbare Ausfall der gesamten Hirnfunktionen muss eindeutig nachgewiesen sein, so genannter Hirntod. Gleichzeitig muss für eine Organentnahme das Herz-Kreislauf-System der verstorbenen Person künstlich aufrechterhalten werden, damit die Organe mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt sind. Beide Bedingungen, die Festellung des Hirntods und das künstliche Aufrechterhalten des Herz-Kreislauf-Systems sind nur auf der Intensivstation eines Krankenhauses zu erfüllen. Im Interview erklärt der Experte für Hirntod-Diagnostik Dr. Farid Salih, wie der Klinikalltag auf einer Neuro-Intensivstation aussieht.
Jede und jeder ab 16 Jahren kann Organe spenden. Ein Höchstalter gibt es nicht. Auch über 80-Jährige können spenden. Entscheidend sind der Gesundheitszustand der verstorbenen Person und der Zustand ihrer Organe. Ob sich Organe für eine Transplantation eignen, entscheiden Ärzte nach medizinischer Prüfung.
Gibt es eine Zustimmung zu einer Organentnahme, liegt die weitere Koordination in der Hand der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO). Sie ist bundesweit für die Zusammenarbeit aller beteiligten Partner bei einer Organspende zuständig. Die Patientendaten der Spenderin oder des Spenders übermittelt die DSO an die Stiftung Eurotransplant mit Sitz im niederländischen Leiden. Zum Verbund gehören acht europäische Länder: Deutschland, Belgien, Kroatien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Slowenien und Ungarn. Eurotransplant verwaltet die Patientendaten der Menschen, die in diesen Ländern auf Wartelisten für ein Spenderorgan stehen. Die Vermittlung in Deutschland erfolgt nach den Richtlinien der Bundesärztekammer. Meldet die DSO eine Organspenderin oder -spender, wird geprüft, zu welcher Person auf der Warteliste das Spenderorgan passt.
Bei einer Übereinstimmung, wird der Transplantationsprozess eingeleitet. Der passende Empfänger auf der Warteliste erhält von seinem Transplantationszentrum das Organangebot. In Deutschland haben 46 Kliniken die medizinisch-technischen Voraussetzungen für eine Transplantation. Nach der Organentnahme in der Entnahmeklinik werden die Organe des verstorbenen Spenders oder der Spenderin für den Transport vorbereitet. Hierfür werden die Organe in einer konservierenden Lösung auf Eis gelagert und in speziellen Transportboxen transportiert.
Eine Herausforderung bei einer Transplantation ist, die Abstoßung des Spenderorgans zu verhindern. Das Immunsystem des Empfängers erkennt das Organ als körperfremd, es kommt zu Abwehrreaktionen. Bestimmte Medikamente, sogenannte Immunsuppressiva, helfen, solche Abstoßungsreaktionen zu unterdrücken. Die Überlebenschancen mit einem neuen Organ hängen bei jedem Patienten von vielen Faktoren ab. Alter, Art, Schwere und Dauer der Erkrankung spielen dabei eine Rolle. Manche Patienten können zwischen 15 und 20 Jahre und sogar länger mit einem funktionierenden Spenderorgan leben.
Im Jahr 2022 haben 869 Menschen nach ihrem Tod ein oder mehrere Organe gespendet, 64 weniger als im Vorjahr. Der Bedarf ist wesentlich höher. Auf den Wartelisten für ein Spenderorgan stehen rund 8 500 schwerkranke Menschen, für die ein Organ lebensrettend ist oder einen Gewinn an Lebensqualität bedeutet. Rund 6 600 von ihnen warten auf eine neue Niere, das sind viermal mehr, als tatsächlich vermittelt werden können.
Bis zu sieben Menschen können dank der Organe eines toten Spenders überleben. Sind alle Organe gesund, können die Transplantationsmediziner Herz, Leber, beide Nieren, die Lunge, Bauchspeicheldrüse und den Dünndarm transplantieren. Zu den Gewebespenden gehören etwa Augenhornhaut, Herzklappen, Blutgefäße, Haut – daneben auch Knochen.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach plant, in Anbetracht der geringen Spenderzahlen die in Deutschland geltende Entscheidungslösung auf den Prüfstand zu stellen. Im Gespräch ist die Widerspruchslösung. Sie bedeutet: Alle Bürgerinnen und Bürger sind automatisch Organspenderinnen oder -spender – es sei denn, sie haben aktiv verneint, also widersprochen. Gegenüber der Nachrichtenagentur dpa sagte Lauterbach im Januar 2023: „Viele Menschen sind zwar zur Organspende bereit. Aber sie dokumentieren das nicht. Deswegen sollte der Bundestag einen erneuten Anlauf nehmen, über die Widerspruchslösung abzustimmen. Das sind wir denjenigen schuldig, die vergeblich auf Organspenden warten.“ Zuletzt stimmte der Deutsche Bundestag im Januar 2020 über eine Einführung der Widerspruchslösung ab. Die Mehrheit sprach sich dagegen aus. 379 Bundestagsabgeordnete stimmten mit Nein, 292 mit Ja.
In vielen europäischen Ländern gilt die Widerspruchslösung, etwa in Frankreich, Großbritannien, Italien, Niederlande, Österreich, Portugal und Spanien. Manche Experten halten die Widerspruchslösung für einen wichtigen Baustein, um den Zustimmungsprozess für eine Organspende unbürokratischer zu gestalten. Die Spenderzahlen könnten sich dadurch erhöhen, so die Erwartung. Länder mit Widerspruchslösung haben im Schnitt höhere Spenderzahlen als Deutschland.
„Der aktuelle Einbruch der Organspenderzahlen ist auch auf die Belastung des Gesundheitssystems durch die Pandemie und den Personalmangel in den Kliniken zurückzuführen“, erklärt Axel Rahmel von der DSO. „Der Einbruch war im ersten Quartal 2022 besonders dramatisch mit fast 30 Prozent weniger Organspenden, danach haben sich die Zahlen wieder auf dem üblichen Niveau eingependelt. Im europäischen Vergleich ist Deutschland eines der Schlusslichter bei der Organspende.“ Hinzu kommt, dass Patienten mit einem positiven Sars-Cov-2-Test in den ersten zwei Pandemiejahren nicht als Organspender infrage kamen. Heute belegen internationale wissenschaftliche Studien, dass eine Covid-19-Erkrankung kein Ausschlusskriterium sein muss. Ärzte prüfen im Einzelfall, ob eine Entnahme in Betracht kommt.
Um die Organspendesituation zu verbessern, wurden in den vergangenen drei Jahren einige Maßnahmen auf den Weg gebracht:
Aufklärung. Krankenkassen und private Krankenversicherer sind verpflichtet, Versicherte ab einem Alter von 16 Jahren regelmäßig anzuschreiben und über Organspenden zu informieren.
Beratung bei Hausärzten. Seit gut einem Jahr ist eine ergebnisoffene Beratung zur Organspende bei Hausärzten für Versicherte ab 14 Jahren eine Kassenleistung.
Transplantationsbeauftragte. In den rund 1 200 für Organspenden vorgesehenen Entnahmekliniken, das sind Unikliniken und Krankenhäuser mit Intensivstationen, gibt es Transplantationsbeauftragte. Sie arbeiten mit Ärzten zusammen, um mögliche Organspender zu erkennen und koordinieren die Zusammenarbeit mit der Deutschen Stiftung Organtransplantation.
Organspenderegister. In einem bundesweiten elektronischen Verzeichnis sollen in Zukunft alle ihre Entscheidung registrieren können. Der Eintrag ist freiwillig und kostenlos, kann jederzeit geändert oder widerrufen werden. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist von der Regierung beauftragt, das Onlineregister zu entwickeln. Rund um die Uhr sollen autorisierte Ärzte und Akteure Zugriff haben. Ein Organspendeausweis ist dann nicht mehr nötig. Spätestens Anfang des Jahres 2024 soll das Register an den Start gehen.
Organspende
Oberarzt Dr. Farid Salih erklärt, wie auf der Intensivstation Organspenderinnen und -spender erkannt und Angehörige in eine Entscheidung einbezogen werden.
Auf der Neuro-Intensivstation behandeln Sie auch Patienten, die für eine Organspende in Betracht kommen. Wie sieht Ihr Klinikalltag aus?
Auf unserer Station geht es immer um Leben und Tod. Wir kämpfen um das Überleben von Patienten etwa mit Hirnblutungen, Herz-Kreislauf-Stillstand oder Schädel-Hirn-Trauma nach einem schweren Unfall. Doch es gibt Fälle, in denen sich der Zustand eines Patienten trotz aller Maßnahmen verschlechtert. Dann müssen wir Ärzte anerkennen, dass unsere Mittel erschöpft sind und das Leben zu Ende geht. Oft ist es ein Prozess, der sich über Stunden oder Tage hinzieht.
Wann geht es um eine mögliche Organspende?
Mit Ausnahme der Lebendspende, etwa bei Nieren, dürfen wir eine Organentnahme laut Gesetz nur in Betracht ziehen, wenn ein Mensch hirntot ist. Das betrifft pro Jahr etwa 10 von 80 bis 100 Todesfällen auf unserer Station. Die Diagnose Hirntod, medizinisch als irreversibler Hirnfunktionsausfall bezeichnet, setzt voraus, dass alle Teile des Gehirns umfassend geschädigt sind. Zu den klinischen Kriterien gehören etwa der Ausfall aller Hirnstammreflexe und der Ausfall der Atmung. Ob ein Mensch wirklich tot ist, prüfen zwei Fachärzte unabhängig voneinander. Mit der Diagnose Hirntod ist eine Rückkehr ins Leben ausgeschlossen.
Wie gehen Sie nach der Diagnose Hirntod vor?
Kurz vor oder nach der Diagnose klären wir, ob die Patientin oder der Patient zu Lebzeiten schriftlich oder mündlich zum Ausdruck gebracht hat, ob nach dem Tod eine Organspende erlaubt ist. Im Idealfall ist die Spendenbereitschaft in einer Patientenverfügung festgehalten oder es gibt einen Organspendeausweis. Gibt es ein „Nein“ oder es bestehen Unklarheiten, ziehen wir keine Transplantation in Betracht.
Und bei einem „Ja“?
Dann halten wir maschinell den Herz-Kreislauf stabil, damit die inneren Organe weiter durchblutet werden. Wir bereiten die Spenderin oder den Spender für die Organentnahme vor und informieren die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO), die die Organspenden koordiniert und die medizinischen Daten an die Vermittlungsstelle Eurotransplant weiterleitet. Dort wird geprüft, zu welchem Menschen auf der Warteliste ein Spenderorgan passt.
Wie beziehen Sie die Angehörigen ein?
Ob schriftliches Einverständnis oder nicht: Bei uns ist es Praxis, über die sensible Frage einer Organspende ausführlich mit den Angehörigen zu sprechen. Dies bietet die Chance, auf Ungewissheiten und Ängste einzugehen. Ist kein eindeutiger Wille des Patienten bekannt, versuchen wir gemeinsam den mutmaßlichen Willen der Verstorbenen herauszufinden. Ohne Zustimmung der Angehörigen wird niemand Spender.
Gibt es Konflikte?
Ein Beispiel: Wir hatten einen Patienten, der in einem Organspendeausweis ein „Ja“ dokumentiert hatte. Nach dem Tod stimmten die Ehefrau und zwei erwachsene Kinder einer Organspende zu. Doch für die jüngste 20-jährige Tochter war es unvorstellbar, dass ihrem Vater Organe entnommen werden sollten. Darauf haben wir nach vielen gemeinsamen Gesprächen Rücksicht genommen. Der Tote wurde nicht zum Organspender.
Berlin – Die Zahl der Organspenden in Deutschland ist im vergangenen Jahr deutlich zurückgegangen. Herzgesellschaften in Deutschland fordern daher, die Widerspruchslösung bei den Organspenden erneut auf die Agenda zu stellen.
Ein erster Anlauf pro Widerspruchslösung war im Januar 2020 gescheitert. Seitdem hat sich die Organspendesituation nicht verbessert, vielmehr ist die Kluft zwischen der Zahl schwerkranker Menschen auf den Wartelisten für ein Spenderorgan und den verfügbaren Organen für eine Transplantation gestiegen.
„Die Lage ist hoch dramatisch“, warnt Andreas Böning, Präsident der Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG). Den 358 Herztransplantationen im Jahr 2022 stünden deutschlandweit mehr als 700 schwer herzkranke Menschen auf den Wartelisten gegenüber, die dringend ein Spenderherz benötigten.
„Wir befürworten den Anlauf des Bundesgesundheitsministers für eine erneute Abstimmung des Bundestags über die Einführung der Widerspruchslösung in Deutschland mit dem Ziel, die Zahl der Spenderorgane zu erhöhen“, betont der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung (DGK).
Karl Lauterbach hatte nach der Bekanntgabe der neuen Organspendezahlen gefordert, der Bundestag sollte einen erneuten Anlauf nehmen, über die Widerspruchslösung abzustimmen. Dies sei man denjenigen schuldig, die vergeblich auf Organspenden warteten, so der Minister. „Das geltende Gesetz ist gescheitert“, sagte der SPD-Politiker.
Auch die Deutsche Herzstiftung als Patientenvertretung der Herz-Kreislauf-Medizin unterstützt diesen Ansatz. „Nur mit ausreichend verfügbaren Spenderherzen können wir Patientinnen und Patienten mit schwer geschädigtem Herzen eine Perspektive geben“, sagt dessen Vorstandsvorsitzender Thomas Voigtländer.
Ebenso sieht es die Deutsche Gesellschaft für pädiatrische Kardiologie und Angeborene Herzfehler (DGPK). „Es braucht auch für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit schweren Herzmuskelerkrankungen zwingend die Widerspruchslösung“, fordert dessen Präsident Matthias Gorenflo.
Nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) sind die Organspenden im Jahr 2022 um 6,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr gesunken. Die Zahl der Spenderherzen bewegt sich laut den Gesellschaften auf einem sehr niedrigen Niveau, sie stieg um 0,6 Prozent von 310 postmortal gespendeten Herzen (2021) auf 312 im Jahr 2022 an.
Die Gesellschaften weisen darauf hin, dass die Widerspruchslösung in 20 europäischen Ländern gilt. © hil/aerzteblatt.de
31.01.2023 14:20
Eine Lebertransplantation in zwei Schritten, insbesondere mit einer Lebendspende, ist eine für Spender und Empfänger sichere Therapiemöglichkeit bei nicht-zirrhotischen Lebererkrankungen. Zu diesem Ergebnis kommen Chirurgen des Universitätsklinikums Jena in ihrer jetzt im Fachjournal „Annals of Surgery“ veröffentlichten Auswertung einer Fallserie. Wegen der z.B. bei Lebermetastasen noch normalen Organfunktion und gesetzlichen Vorgaben stehen für diese Patienten nach den Wartelistenkriterien keine Spenderorgane zur Verfügung.
Weit über 1200 Patientinnen und Patienten wurden in Deutschland im Jahr 2021 auf die Warteliste für eine Lebertransplantation gesetzt. Der häufigste Grund dafür war eine Leberzirrhose, bei der das Gewebe des zentralen Stoffwechselorgans durch chronische Entzündungen, Alkoholschädigung oder Vergiftungen seine Funktionsfähigkeit verliert. Aber auch Krebserkrankungen können die Ursache dafür sein, dass Betroffene auf eine neue Leber angewiesen sind. Dazu zählen auch Absiedlungen von Tumoren anderer Organe, die die Leber so durchsetzen, dass sie nicht operiert werden können. Allerdings haben diese Patienten kaum eine Chance auf das Organ eines verstorbenen Spenders, weil ihre Leberfunktion weniger eingeschränkt ist als bei einer Zirrhose und die verbleibende Organfunktion ein zentrales Kriterium für die Vergabe der raren Spenderorgane darstellt.Neben der Transplantation der Organe Verstorbener betreibt die Transplantationschirurgie des Universitätsklinikums Jena ein erfolgreiches Leberlebendspende-Programm. Nach Prüfung durch eine Ethikkommission können Gesunde für Bezugspersonen ein Teilorgan spenden, das das kranke Organ ersetzt. Wegen der besonderen Regenerationsfähigkeit der Leber übernehmen der transplantierte Teil und das Restorgan jeweils die volle Organfunktion.Lebendspende im Zwei-Schritt-Verfahren„Es ist die anhaltende Knappheit an Spenderorganen, die unsere klinische und wissenschaftliche Arbeit auf diesem Gebiet motiviert und antreibt“, so Prof. Dr. Utz Settmacher, Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie. Zusammen mit Kollegen aus Brüssel, Padua, Oslo, München und Tübingen stellten die Jenaer Chirurgen jetzt im Fachjournal „Annals of Surgery“ ihre Transplantationserfahrungen bei Patienten vor, die nicht an einer Zirrhose, sondern zumeist an Darmkrebsmetastasen in der Leber litten. Das Besondere: Die Transplantation erfolgte im Zweischritt-Verfahren. Dabei wurde zur Schonung des Spenders ein möglichst kleiner Leberteil entnommen und verpflanzt. Beim Empfänger verblieb zur Absicherung der Organfunktion zunächst ein Teil der erkrankten Leber. Jedoch verringerten die Transplanteure die Durchblutung dieses Leberteils, um das Transplantat zum Wachsen anzuregen. Nach etwa zwei Wochen kann es die Leberfunktion komplett übernehmen und die kranke Restleber wird entfernt.Von den 23 in der Studie analysierten Patienten wurden 20 mit einer Leberlebendspende behandelt. Drei erhielten einen Organteil eines verstorbenen Spenders, die jeweils anderen Organteile wurden auch transplantiert. Die meisten Studienpatienten wiesen nicht-operable Metastasen aus einer Darmkrebserkrankung auf. „Wir haben ein umfangreiches Datenmaterial bezüglich der Grunderkrankungen sowie relevanter anatomischer und operationstechnischer Details zusammengetragen und analysiert, um die Ergebnisse bei Empfängern und Spendern zu beurteilen“, betont Letztautor Prof. Dr. Falk Rauchfuß.Spenderrisiko minimiert und Warteliste entlastetFazit: Sowohl die Organempfänger als auch die Lebendspender haben die Eingriffe gut überstanden. Auftretende Komplikationen nach der Operation waren mit denen bei ähnlichen großen Operationen vergleichbar und konnten früh erkannt und behandelt werden. Falk Rauchfuß: „Die zweistufige Lebertransplantation ist eine Behandlungsoption für Patienten mit nicht-zirrhotischen Lebererkrankungen, die das Spenderrisiko minimiert und nicht zu Lasten der Warteliste geht.“Das Jenaer Transplantationsteam setzt seine Forschung gemeinsam mit Kollegen der Universitätsklinik Tübingen fort. Mit Förderung der Deutsche Krebshilfe führen sie eine prospektive klinische Studie zu Leberlebendtransplantationen bei Lebermetastasen aus einer Darmkrebserkrankung durch. Die erste Patientin konnte bereits in die Studie aufgenommen werden. Utz Settmacher: „Unter kontrollierten Studienbedingungen wollen wir untersuchen, welche Patientenkriterien Einfluss auf die Ergebnisse – zum Beispiel das Kurzzeit- und Langzeitüberleben oder die Tumorfreiheit – haben, um Erkenntnisse über die Dynamik nach der Transplantation zu gewinnen. So wollen wir herausfinden, welchen Patientinnen und Patienten diese Therapie am besten nutzt.“
apl. Prof. Dr. Falk Rauchfuß, Falk.Rauchfuss@med.uni-jena.deProf. Dr. Utz Settmacher, Utz.Settmacher@med.uni-jena.deKlinik für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie, Universitätsklinikum Jena
25.01.2023
Gesundheitsminister Lauterbach tritt erneut für die Widerspruchslösung bei Organspenden ein. Kritik kommt aus den eigenen Reihen: Das geltende Gesetz sei ja noch gar nicht umgesetzt.
Berlin Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erhält wegen seines erneuten Vorstoßes zur Neuregelung der Organspende Widerspruch aus den Reihen der Ampel-Koalition. Zugleich teilte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) mit, dass das geplante Online-Organspenderegister voraussichtlich im ersten Quartal 2024 an den Start gehen werde. Es sollte ursprünglich bereits am 1. März 2022 einsatzbereit sein.
Lauterbach hatte sich in der vergangenen Woche mit Blick auf zurückgehende Organspende-Zahlen erneut für die Einführung einer Widerspruchslösung stark gemacht. Danach wäre jeder Bundesbürger ein potenzieller Organspender, außer er hat ausdrücklich widersprochen. Eine entsprechende Reformforderung war 2020 im Bundestag gescheitert. In Deutschland gilt derzeit, dass nur derjenige Organspender sein kann, der dem zu Lebzeiten ausdrücklich zugestimmt hat.
2020 hatte der Bundestag zugleich weitere Maßnahmen beschlossen, die zu mehr Aufklärung und einer höheren Spendenbereitschaft in Deutschland beitragen sollten, darunter mehr Informationen in Bürgerämtern und Führerscheinausgaben sowie das Organspenderegister. „Das geltende Gesetz ist gescheitert“, betonte Lauterbach vergangene Woche.
Die Gesundheitsexpertin der Grünen im Bundestag, Kirsten Kappert-Gonther, sagte dazu der „Welt“ (Mittwoch): „Ein Gesetz für gescheitert zu erklären, bevor es umgesetzt wurde, ist verfrüht.“ Lauterbachs Aufgabe sei es, im Schulterschluss mit den Ländern die vom Bundestag beschlossenen Maßnahmen zügig und umfassend umzusetzen. „Anzunehmen, dass die Widerspruchsregelung hier den entscheidenden Unterschied macht, ist nicht schlüssig.“
Der Organspende-Weltmeister Spanien zeige: Nicht die Einführung einer Widerspruchsregelung, sondern Strukturreformen Jahre später machten den entscheidenden Unterschied, betonte Kappert-Gonther: „Der Bundestag hat mit breiter Mehrheit festgestellt, dass Menschen nicht automatisch zu Spendern erklärt werden sollen. Schweigen darf nicht Zustimmung bedeuten.“
Auch Christine Aschenberg-Dugnus, parlamentarische Geschäftsführerin der FDP-Bundestagsfraktion, bemängelte: „Ursächlich für den Rückgang der Bereitschaft zur Organspende ist nicht das Gesetz. Es hakt hier vielmehr an seiner konkreten Umsetzung“, so die Gesundheitsexpertin. „Wir müssen jetzt dringend den Aufbau eines Transplantationsregisters sowie die Informationspflicht bei den Bürgerämtern voranbringen.“ Auch sei die ärztliche Aufklärung über die Organspende wieder zu intensivieren. (KNA) e
Mindener Tageblatt 20.01.2023
Zahl der Organspender bricht ein869 Menschen sind 2022 nach ihrem Tod zu Lebensrettern geworden, 64 weniger als noch 2021.Um diesen Trend umzukehren, fordern Politiker und Ärzte die Einführung der Widerspruchslösung.
Carolin Nieder-EntgelmeierBerlin/Bad Oeynhausen. Die Zahl der Organspenden ist in Deutschland 2022 deutlich gesunken – im Vergleich zum Vorjahr um 6,9 Prozent. „Das ernüchternde Fazit ist, dass wir weniger Menschen mit einer lebensrettenden Transplantation helfen konnten“, erklärt Axel Rahmel, medizinischer Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation.Für die Patienten auf den Wartelisten ist diese Entwicklung lebensbedrohlich, denn jedes Jahr sterben 1.000 Menschen, während sie auf ein Organ warten.Der deutliche Rückgang der Organspenden facht die Debatte über eine Reform der Spenderegeln wieder an, denn Deutschland ist eines der wenigen EU-Länder ohne Widerspruchslösung, bezieht jedoch Organe aus Ländern mit dieser Regel. Für Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) steht fest: „Das geltende Gesetzist gescheitert.“869 Menschen haben 2022 nach ihrem Tod ein oder mehrere Organe gespendet, 64 weniger als 2021. Das geht aus der Bilanz der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) hervor, der bundesweiten Koordinierungsstelle für Organspenden. Die Zahl entspricht 10,3 Spendern pro eine Million Einwohner. Zum Vergleich: Der Durchschnitt in der EU liegt bei 18,4 Spendern.Aus Sicht der DSO lässt sich der starke Rückgang der Organspendezahlen vor allem pandemiebedingt auf die ersten Monate 2022 zurückführen. Im ersten Quartal brachen die Zahlen um 30 Prozent ein, danach stabilisierten sie sich auf dem Niveau der Vorjahre. „Die Kernfrage bleibt, warum keine Steigerung der Organspende erzielt werden konnte“, sagt Rahmel. Die Statistiken zeigten, dass von allen Spendermeldungen 2022 im Vergleich zu den Vorjahren weniger Spenden realisiert werden konnten: „Der häufigste Grund dafür ist fehlende Einwilligung.“ Rahmel fordert, die Organspende als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu begreifen. „Umfragen in der Bevölkerung zeigen, dass acht von zehn Bundesbürgern die Organspende befürworten. Angehörige entscheiden sich aber aus Unsicherheit häufig dagegen, da der Wille des Verstorbenen nicht bekannt ist.“ Hier sei dringend Aufklärung nötig. Zu entscheidenden Verbesserungen haben die Aufklärungskampagnen der vergangenen Jahrzehnte nach Einschätzung von Herzchirurg Jan Gummert jedoch nicht geführt. „Eine Wende erreichen wir in Deutschland nur durch die Einführung der Widerspruchslösung“, sagt der ärztlicher Direktor am Herz- und Diabeteszentrum NRW in Bad Oeynhausen. „Es ist nicht hinzunehmen, dass Deutschland nach wie vor auf Spenderorgane aus dem Ausland angewiesen ist, um schwerkranken Menschen lebensrettende Therapien anbieten zu können.“358 Herztransplantationen sind laut DSO im vergangenen Jahr in Deutschland durchgeführt worden. „46 dieser Herzen kamen von Spendern aus Ländern, in denen die Widerspruchslösung gilt. Deutschland führt diese Organspenderegeln nicht ein, profitiert aber von Ländern, die das längst ge macht haben. Das ist beschämend und lässt sich moralisch nicht rechtfertigen“, moniert Gummert. In Ländern mit der Widerspruchslösung gelten Bürger automatisch als Organspender, es sei denn, sie widersprechen. „In 20 europäischen Ländern hat man sich längst dafür ausgesprochen“, erklärt Gummert. In Deutschland gilt die Entscheidungslösung. Ein erster Anlauf für die Einführung der Widerspruchslösung scheiterte vor drei Jahren im Bundestag. Stattdessen beschloss der Bundestag ein Gesetz, wonach Organspenden nur mit ausdrücklicher Zustimmungerlaubt bleiben. Mehr Aufklärung solle aber mehr Bürger dazu bewegen, konkret über eine Organspende zu entscheiden. Ein Kernstück der Reform, ein Register, in dem man Erklärungen zu seiner Spendebereitschaft online speichern kann, wurde bisher allerdings nicht eingerichtet. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisiert deshalb den Vorstoß von Lauterbach. „Der Gesundheitsminister lenkt von seinem eigenen Versagen ab“, moniert Vorstand Eugen Brysch. Seit Jahren kämen der Aufbau des Registers und eine ebenfalls vorgesehene Informationspflicht bei Bürgerämtern nicht voran. Auch Gummert kritisiert, dass sich in den vergangenen drei Jahren kaum etwas getan hat. „Doch auch das Register, sollte es denn jemals eingerichtet werden, wird keine Wende bringen.“ Laut Gummert gibt es noch einen weiteren Grund dafür, warum die Transplantationszahlen in anderen Ländern höher sind: „In vielen europäischen Ländern und auch in den USA, Kanada und Australien dürfen auch nach einem Herztod Organe entnommen und transplantiert werden. In Deutschland ist das nur bei einem Hirntod zulässig.“ Das führe in der Praxis zu Problemen bei der internationalen Zusammenarbeit bei Eurotransplant, sagt Gummert. „Auch hier führt der deutsche Sonderweg zu Problemen im System und für die Menschen auf den Wartelisten, dennOrgane von herztoten Spendern aus dem Ausland dürfen in Deutschland nicht transplantiert werden.“ Kommentar“
Widerspruchslösung muss kommenThema: Zahl der Organspender in Deutschland sinkt
CAROLIN NIEDER-ENTGELMEIEREs könnte jeden von uns treffen: Eine Erkrankung oder ein Unfall schwächt das Herz, die Lunge oder die Leber so stark, dass nur noch eine Organspende das Überleben sichert. Doch würden Sie die Spende annehmen? Ja, oder? Hier wird kaum jemand lange überlegen müssen. Diese Mehrheit, die selbstverständlich das lebensrettendeOrgan in Anspruch nehmen würde, hat sich jedoch selbst nicht für oder gegen eine Spende entschieden. Nur 44 Prozent der Deutschen haben ihren Willen dokumentiert und helfen damit den 8.500 Menschen, die derzeit auf ein Organ warten. Denn die meisten Organspenden scheitern daran, dass die Angehörigen den Willen von Verstorbenen nicht kennen und die Spende aus Unsicherheit ablehnen.Möglich ist das, weil in Deutschland die Entscheidungslösung gilt. Bürger werden nur dann Organspender, wenn sie dem ausdrücklich zustimmen. Doch obwohl die große Mehrheit der Deutschen der Organspende positiv gegenübersteht, treffen die meisten keine Entscheidung. Grund für den Organmangel sind deshalb die, die sich vor einer Entscheidung drücken.Hier setzt die Widerspruchslösung an, denn sie verlangt Bürgern eine Entscheidung ab. Jeder, der nicht widerspricht, ist Organspender. Die Mehrheit des Bundestags traut diese Entscheidung der Bevölkerung jedoch nicht zu, denn bei der letzten Abstimmung wurde die Widerspruchslösung abgelehnt. Am Status quo hat sich seitdem nichts geändert, Deutschland importiert weiter Organe aus Ländern mit Widerspruchslösung.Es ist Zeit, dass sich diese Politiker eingestehen, dass man mündigen Bürgern diese Entscheidung zumuten kann und muss.Denn der freie Wille bleibt erhalten und anders lassen sich die vielen Tausend Menschen auf den Wartelisten nicht retten.carolin.nieder-entgelmeier@ihr-kommentar.de
Die Zahl der Organspender nimmt weiter ab. Gesundheitsminister Lauterbach fordert erneut eine Widerspruchslösung. Schreiben Sie uns, was Sie zur Organspende denken.
Von Janis Dietz
Man liegt im Krankenhaus und nach einem Unfall oder einer Erkrankung wird klar: Die Niere oder Leber funktioniert nicht mehr. Die meisten Menschen würden sich in diesem Fall wohl ohne große Bedenken für eine Organtransplantation entscheiden – also dafür, dass ein funktionstüchtiges Organ eines anderen Menschen bei ihnen eingepflanzt wird.
Auf der Seite der Spendenden ist die Lage aber komplizierter. Das gilt weniger für die Lebendspende, bei der Angehörige oder Freunde Organe spenden, meist eine Niere, als für die Spende nach dem Tod. Denn damit nach dem Hirntod eines Menschen dessen Organe entnommen werden dürfen, bedarf es einer expliziten Einwilligung per Organspendeausweis oder Patientenverfügung oder einer Zustimmung der Angehörigen. 2022 gab es der Deutschen Stiftung Organtransplantation zufolge nur 869 Menschen, die nach ihrem Tod zu Organspendern wurden.
Unabhängig von der individuellen Entscheidung ist die Chance, dass ein Verstorbener als Organspender infrage kommt, relativ gering. Bei den meisten Menschen sind die Organe zum Zeitpunkt des Todes schon so stark geschädigt, dass sie einem Lebenden kaum nützen würden. Außerdem müssen die Organe schnell entnommen werden. In der Statistik von Eurotransplant stehen den 2.900 entnommenen Organen, die im vergangenen Jahr gemeldet wurden, rund 8.500 Menschen gegenüber, die auf ein Spenderorgan warten.
Im Januar 2020 hatte der Bundestag über eine Neuregelung der Organspende diskutiert. Schon damals ging es um die Einführung einer Widerspruchslösung – dass also jede und jeder automatisch Spender ist, wenn er oder sie sich nicht explizit dagegen entscheidet. Die Widerspruchslösung bekam in der Gewissensentscheidung des Bundestags aber keine Mehrheit. Stattdessen wurde beschlossen, dass Menschen bei Terminen auf Ämtern besser über das Thema informiert werden sollen. Die Zahl der Spendenden ist dadurch aber bislang nicht gestiegen, sondern zuletzt sogar gesunken. Jetzt drängt Gesundheitsminister Karl Lauterbach erneut auf die Widerspruchslösung.
Wir wollen von Ihnen wissen, wie Sie über das Thema Organspende denken – in der Theorie und in der Praxis. Haben Sie einen Organspendeausweis? Welche Überlegungen stecken hinter der Entscheidung? Macht es für Sie einen Unterschied, ob Sie für Angehörige/Freunde oder Ihnen Unbekannte spenden würden? Wie würden Sie sich entscheiden, wenn Sie selbst ein Spenderorgan benötigen? Empfinden Sie es als ungerecht, dass Menschen gern Spenderorgane annehmen, selbst aber nicht spenden wollen? Was halten Sie von der Widerspruchslösung, um die Zahl der Organspenderinnen zu erhöhen? Welche Alternativen sehen Sie? Welche Erfahrungen haben Sie als Spenderin oder Empfänger mit der Organspende gemacht?
Westfalen Blatt 18.01.2023
2700 Verpflanzungen in 34 Jahren: Oeynhausener Mediziner haben die größte Erfahrung
Rekordjahr am Herzzentrum: 96 Herzen transplantiert
Von Christian Althoff
Bad Oeynhausen (WB). Am Herz- und Diabeteszentrum Nordrhein-Westfalen (HDZ) in Bad Oeynhausen sind im vergangenen Jahr 96 Herzen transplantiert worden – 52 Prozent mehr als im Jahr davor und so viele wie in keinem anderen Zentrum in Deutschland. Insgesamt sind im vergangenen Jahr in den 14 entsprechendendeutschen Kliniken 358 Herzen verpflanzt worden.„Mit Blick auf die vergangenen Jahrzehnte war 2022 für uns ein Rekordjahr“, sagte HDZ-Sprecherin Anna Reiss. „Transplantationszahlen in dieser Größenordnung hatten wir zuletzt vor 30 Jahren, als 105 Herzen übertragen wurden.“ Das absolute Rekordjahr war 1991 mit 148 Organ-Übertragungen. Die wenigsten Herzen wurden 2007 im HDZ verpflanzt, nämlich 61.
Ein Soldat aus Bielefeld war der erste Patient, dem 1989 in Bad Oeynhausen ein fremdes Herz eingesetzt wurde. Er lebte 13 Jahre mit dem Organ. Seit damals haben Ärztinnen und Ärzte im Herzzentrum mehr als 2700 Herzen übertragen, weshalb sie die größte Erfahrung in Deutschland haben. „Zu den Besonderheiten im vergangenen Jahr zählten auch acht Kinderherz-Transplantationen“, sagt Prof. Jan Gummert, Ärztlicher Direktor und Chef der Klinik für Thorax- und Kardiovaskularchirurgie, in der 88 Erwachsene ein neues Herz bekommen hatten. Im Kinderherzzentrum seien erstmals zwei kleine Patienten transplantiert worden, die eine andere Blutgruppe als das Spenderorgan gehabt hätten. Außerdem sei Prof. Eugen Sandica, dem Direktor der Kinderherzchirurgie, die Transplantation bei einem erst wenige Monate alten Baby gelungen.Die aus Bad Oeynhausen gemeldeten, positiven Zahlen spiegeln allerdings keinen Trend bei der Spendebereitschaft für Organe wider. Insgesamt sank die Zahl aller gespendeten Organe bundesweit im vergangenen Jahr um knapp sieben Prozent. Dass Bad Oeynhausen seine Zahlen trotzdem steigern konnte, kann auch daran liegen, dass Chirurgen gelegentlich aus purer Not Organe akzeptieren, die sie vielleicht zu Zeiten einesgrößeren Angebots abgelehnt hätten. Und: Es werden zunehmend Organe Verstorbener aus dem Ausland genutzt. Prof. Gummert: „In 20 europäischen Ländern gilt die Widerspruchslösung. Wer sich nicht gegen eine Organentnahme ausspricht, wird nach dem Tod zum Organspender.“ Es sei kaum vermittelbar, sagt Prof. Gummert, das Deutschland von der Widerspruchslösung in anderen Ländern profitiere, sie aber im eigenen Land ablehne. „Das sollte sich ändern und dafür trete ich in Fachgesellschaften und gegenüber Entscheidungsträgern seit langem ein.“ Bundesweit warteten im Moment mehr als 700 Menschen auf ein Herz, im HDZ seien es mehr als 100.Während die eigentliche Transplantation in Bad Oeynhausen Routine ist, sind die Nachsorge und das Einstellen der Transplantierten auf Medikamente oft hochkomplex. Durch die Erfahrung des HDZ lebten heute mehr als 60 Prozent der Patienten zehn Jahrenach der OP noch mit einer „akzeptablen Lebensqualität“, sagt Sprecherin Anna Reiss.
Von: NEOPresse 17. Januar 2023
Karl Lauterbach möchte im Bundestag erneut über die Widerspruchslösung bei Organspenden abstimmen lassen. Diese Lösung sieht vor, dass, wer nicht Organe spenden möchte, aktiv Widerspruch einlegen muss. Die „Stiftung Patientenschutz“ wirft Lauterbach vor, mit diesem erneuten Vorstoß von einem „eigenen Versagen abzulenken“. Es gäbe nicht einmal ein Transplantationsregister.
„Patientenschützer haben den Vorstoß von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) scharf kritisiert, angesichts gesunkener Organspendezahlen einen neuen Anlauf für grundlegend neue Spenderegeln zu starten. „Karl Lauterbach lenkt von seinem eigenen Versagen ab“, sagte der Vorstand der Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (Dienstagsausgaben).
„Denn nicht das Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende ist gescheitert, sondern die Umsetzung durch den Bundesgesundheitsminister.“ Seit Jahren kämen weder der Aufbau eines Transplantationsregisters noch die Informationspflicht bei den Bürgerämtern voran. „Stattdessen will der Gesundheits-Ressortchef die von ihm favorisierte Widerspruchslösung erzwingen“, so Brysch. Doch damit seien er und sein Vorgänger Jens Spahn (CDU) bereits in der vergangenen Wahlperiode gescheitert.
„Der Bundesgesundheitsminister muss jetzt verbindlich erklären, wann das Transplantationsregister ans Netz geht“, forderte der Verbandschef. Zuvor war bekannt geworden, dass die Zahl der Organspenden im vergangenen Jahr deutlich gesunken ist. Wie die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) am Montag mitteilte, gab es 6,9 Prozent weniger Spenden als 2021. Lauterbach erklärte danach: „Das geltende Gesetz ist gescheitert.“
Viele Menschen seien zwar zur Organspende bereit, dokumentierten das aber nicht. „Deswegen sollte der Bundestag einen erneuten Anlauf nehmen, über die Widerspruchslösung abzustimmen. Das sind wir denjenigen schuldig, die vergeblich auf Organspenden warten“, sagte der SPD-Politiker.“